Klinische Neurophysiologie 2005; 36(1): 38-41
DOI: 10.1055/s-2004-834715
Kongressbericht
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

15. Internationales ALS/MND-Symposium in Philadelphia, PA, USA, vom 2. - 4.12.2004

15th International Symposium on ALS/MND, 2 - 4 December 2004, Philadelphia, USAR.  Dengler1
  • 1Neurologische Klinik mit klinischer Neurophysiologie, Medizinische Hochschule Hannover
Further Information

Publication History

Publication Date:
04 March 2005 (online)

Vom 2. - 4. Dezember 2004 fand in Philadelphia das 15. Internationale ALS/MND-Symposium statt (amyotrophe Lateralsklerose/Motor Neuron Disease), das von der Internationalen Alliance of ALS/MND Associations organisiert wird. Die Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke (DGM) ist Mitglied in der Alliance und vertritt dort die deutschen Interessen. In diesem Symposium wird alljährlich an wechselnden Kongressorten der aktuellste Stand zur ALS-Forschung in den Bereichen Grundlagen, klinische Diagnostik und Therapie sowie Pflege und spezielle Betreuung behandelt. Das traditionell Besondere des ALS-Symposiums ist die Zusammenführung von Wissenschaftlern und Klinikern mit Pflegepersonen und Angehörigen in einer gemeinsam organisierten Veranstaltung. Der folgende Bericht zu diesem Symposium legt nicht so sehr Wert auf Vollständigkeit, sondern konzentriert sich stärker auf die Bereiche, in denen spezielle Fortschritte erzielt worden sind oder auf besonders spannende und wichtige Vorträge. Dabei soll zunächst der wissenschaftliche und danach der pflegerisch bzw. sozial orientierte Teil besprochen werden.

Die erste wissenschaftliche Sitzung griff das Thema „lessons from other neurodegenerative diseases” auf. Es wurden Parallelen zur Parkinson-Erkrankung und zu den Trinukleotid-Repeat-Störungen gezogen sowie zu den Tauopathien. Aus der Sicht des Verfassers gibt es sicherlich eine Reihe von pathogenetischen Gemeinsamkeiten zwischen diesen Krankheiten, z. B. pathologische Proteinaggregationen und zelluläre Einschlusskörperchen. Möglicherweise gibt es auch große Ähnlichkeiten betreffend die terminalen Mechanismen des Zelltodes. Insofern kann die ALS-Forschung von diesen Erkenntnissen profitieren. Andererseits gibt es auch wesentliche Unterschiede und vor allem auch Unklarheiten bei den anderen angesprochenen Krankheiten, sodass der Erkenntnisgewinn augenblicklich noch sehr limitiert erscheint.

Die nächste Sitzung beschäftigte sich mit den bei allen neurodegenerativen Erkrankungen zunehmend diskutierten entzündlichen Prozessen in der Endstrecke des Zelluntergangs bei ALS sowie mit der Rolle der Stützzellen (Glia) des Nervensystems. Die Bedeutung dieser Entzündungserscheinungen mit Mikrogliaaktivierung für das Absterben der Motoneurone ist noch nicht völlig klar, aber insofern von Wichtigkeit, als sich hier neue Ansätze für ein therapeutisches Vorgehen ergeben könnten. Allerdings ist etwas ernüchternd, dass eine Studie mit dem Antirheumatikum Celecoxib bei ALS Patienten nicht erfolgreich verlaufen ist, wie später berichtet wurde.

In der gleichen Sitzung wurde über positive Effekte von Pentoxifyllin, einem TNF-α-Blocker, im Tiermodell der ALS berichtet. Allerdings war eine große multizentrische klinische Studie mit Pentoxifyllin bei ALS bereits zuvor mit negativem Ergebnis beendet worden. Aus der Sicht des Verfassers zeigt sich an diesem Beispiel erneut, dass eine prospektive Übertragung von Therapieergebnissen vom Tiermodell der SOD-1-Maus auf die menschliche ALS problematisch ist, auch wenn derzeit kein besseres ALS-Modell zur Verfügung steht.

Ferner wird immer deutlicher, dass am Untergang der Motoneurone bei ALS die Gliazellen, insbesondere die Astrozyten in der unmittelbaren Umgebung, wesentlich beteiligt sind und diesen positiv, aber auch negativ beeinflussen können. Insbesondere kontrollieren Astrozyten die Expression von Glutamatrezeptoren vom AMPA-Typ an den Motoneuronen und damit deren Empfindlichkeit gegenüber Glutamat bzw. ihre Vulnerabilität im Sinne der Exzitotoxizität. Offensichtlich können die Gliazellen eine protektive Funktion für kranke Motoneurone ausüben, aber auch den Untergang beschleunigen. Dies bedeutet, dass sich die zelluläre ALS-Forschung nicht nur auf die Motoneurone selbst konzentrieren darf, sondern zukünftig stärker ihr Augenmerk auch auf die sie umgebenden Gliazellen richten muss. Diese Überlegungen werden später noch einmal beim Thema Stammzelltransplantation aufgegriffen.

Eine andere wichtige Sitzung beschäftigte sich intensiv mit der Rolle des anterograden und retrograden axonalen Transportes der Motoneurone. Seit längerem weiß man, dass der axonale Transport in den Motoneuronen bei ALS gestört ist, was sich pathologisch-anatomisch z. B. in einer Schwellung der proximalen und anderer Axonabschnitte äußert. In den langen Fortsätzen der Nervenzellen müssen wichtige Substanzen, insbesondere Proteine, in die Peripherie transportiert werden und wieder zurück. Störungen führen konsequenterweise zum Funktionsverlust und wohl auch zum Untergang der Neurone. Neben den für den axonalen Transport wichtigen Neurofilamentproteinen wurden die motorischen Proteine Dynein und Dynactin diskutiert, für die bei wenigen ALS-Patienten Mutationen gezeigt wurden. Bislang ist jedoch über die Tatsache hinaus, dass der axonale Transport bei ALS gestört ist, noch kein klares pathogenetisches Konzept erkennbar.

Diagnostisch hofft man allgemein auf die Entwicklung neuer „Biomarker”, d. h. auf Laborwerte in Blut und/oder Liquor, mit deren Hilfe eine ALS früh und spezifisch diagnostiziert werden kann. In Vorträgen zu Proteomics-Untersuchungen mithilfe der Massenspektroskopie wurden eine Reihe von abnormen Eiweißen im Liquor von ALS-Patienten beschrieben. Die genaue Identifikation dieser Eiweiße ist jedoch noch in Arbeit und auch die Spezifität für ALS muss noch weiter geklärt werden. Ferner ist noch offen, ob Massenspektroskopie, z. B. die relativ einfache SELDI-Technik, oder ob die aufwändigere 3D-Gel-Elektrophorese vorzuziehen oder ergänzend einzusetzen sind. Insgesamt besteht jedoch begründete Zuversicht, dass es in absehbarer Zeit auf der Basis von Proteomics erstmals aussagekräftige und möglicherweise spezifische Labornachweise der ALS geben wird, nicht zuletzt deswegen, da es sich hier auch um ein industriell sehr interessantes Gebiet handelt. Gleichzeitig wäre die Identifikation bestimmter erhöhter Proteine im ALS-Serum oder Liquor wichtig für die Pathogeneseforschung.

In Vorträgen zu Surrogatmarkern der ALS wurde die Bedeutung der elektrophysiologischen Untersuchungen für das Verlaufsmonitoring herausgearbeitet. Dies gilt insbesondere für klinische Behandlungsstudien, wo z. B. die Verlaufskontrolle von Muskelsummenpotenzialen im Rahmen der konventionellen Elektroneurographie ein objektives Maß für den Motoneuronuntergang bietet. Neben diesem einfachen, aber effektiven Ansatz, spielt vor allem in den USA die „Motor Unit Number Estimate” (MUNE) eine gewisse Rolle, die zu jedem gegebenen Zeitpunkt eine gute Einschätzung der Zahl vitaler motorischer Einheiten in einem Muskel erlaubt. Der Einsatz von MUNE ist jedoch weitgehend auf kleine, distale Muskeln beschränkt. Einzelfaser-EMG und Makro-EMG sind für die klinische Nutzung offensichtlich in den Hintergrund getreten.

Die moderne Bildgebung, insbesondere die Kernspintomographie, entwickelt zunehmend sehr empfindliche Methoden, mit deren Hilfe die Beteiligung des „oberen Motoneurons” sehr früh nachgewiesen werden kann. Eine besondere Rolle spielt z. B. das „Diffusion Tensor Imaging” (DTI), das sehr sensitiv strukturelle Veränderungen von gerichteten Fasertrakten wie z. B. der Pyramidenbahn erfassen kann. Eine statistische Signifikanz ergibt sich im Gruppenvergleich von Gesunden und ALS-Patienten. Augenblicklich wird daran gearbeitet, auch im Einzelfall und möglichst früh im Verlauf einer ALS mit Hilfe von DTI-Veränderungen der Pyramidenbahn darzustellen. Eine ältere, aber immer noch aktuelle Kernspinmethode stellt die „Voxel-Based-Morphometry” (VBM) dar, die die Abbildung von kortikalen Atrophien bei ALS und damit ebenfalls einen Nachweis des Befalls des oberen Motoneurons erlaubt. Ferner wird vermehrt über Ergebnisse mit Geräten, die eine höhere Magnetfeldstärke (3 Tesla im Vergleich zu 1,5 Tesla derzeit) bieten, berichtet, in der Hoffnung, dass dadurch eine frühere Diagnostik möglich wird. Die Kernspinspektroskopie, die Stoffwechselveränderungen im Gehirn darstellen kann, scheint augenblicklich weniger Bedeutung für die klinische ALS-Forschung zu haben. Insgesamt handelt es sich bei der Bildgebung um ein international hoch kompetitives Gebiet und man darf hoffen, dass in Bälde bildgebende Methoden zur Frühdiagnostik der ALS zur Verfügung stehen werden.

Die Genetik stellt augenblicklich sicherlich eines der meistbeforschten Gebiete der ALS dar. Entsprechend war eine Sitzung auschließlich diesem Thema gewidmet. Es wurden neue, sehr unterschiedliche Mutationen bei Einzelfällen von ALS berichtet, ohne dass sich hieraus bereits ein klares Konzept ergibt. Besonders erwähnt werden soll eine Mutation im Gen für Dynactin, einem Protein, das unter anderem eine wichtige Rolle im axonalen Transport spielt. Nach wie vor sind die SOD-1-Mutationen aber die einzigen, für die eine ursächliche Rolle bei einem Teil der Patienten mit familiärer ALS gesichert ist. Man hat den Eindruck, dass die genetische Forschung bei ALS augenblicklich etwas auf der Stelle tritt, obwohl ca. 80 % der familiären Fälle weiter ungeklärt sind. Entsprechend groß sind die internationalen Bemühungen, auch im europäischen Bereich, insbesondere in der EFALS(European Familial ALS)-Gruppe, die sich am Rande des Kongresses zu einer gesonderten Sitzung traf.

Besonders interessant und wichtig war eine Sitzung zum Thema „Zellmanipulation” bzw. „Zellersatz” bei ALS. Es ging hierbei im Wesentlichen um die Stammzelltransplantation. Chancen wurden vor allem gesehen für neuronale Stammzellen, die direkt in das ZNS, z. B. in das Rückenmark, transplantiert (injiziert) werden. Versuche mit Infusionen von Stammzellen aus dem Blut oder Knochenmark haben zumindest in einer auf der Tagung vorgestellten, kontrollierten klinischen Studie am Menschen keine positiven Ergebnisse erbracht. Ferner wird klar, dass nicht nur die Übertragung von Vorläuferzellen für Neurone, sondern auch von solchen für Gliazellen wichtig sein dürfte. Ohnehin dürfte ein Nervenzellersatz weniger Aussicht auf Erfolg haben, da man nicht erwarten kann, dass z. B. Motoneurone von der motorischen Rinde bis zum Rückmark auswachsen werden oder aber spinale Motoneurone vom Rückenmark bis zur Muskulatur. Vielmehr ist daran zu denken, dass in das Nervensystem injizierte neurale und/oder gliale Vorläuferzellen neuroprotektive Wirkungen ausüben, d. h. die Überlebensbedingungen für die kranken Motoneurone verbessern. Dies dürfte besonders dann der Fall sein, wenn diese Zellen genetisch manipuliert sind und Nervenwachstumsfaktoren in ihre Umgebung abgeben können. In einem anderen Ansatz wird tierexperimentell versucht, z. B. mit Hilfe von viralen Vektoren, genetische Information zur Produktion protektiver Stoffe in Neurone und Gliazellen zu transportieren. Zugrunde liegt allen diesen Überlegungen die bereits zuvor beschriebene Vorstellung, dass man das Umgebungsmilieu für kranke Motoneurone möglichst optimal gestalten muss, wenn man ein langes funktionelles und strukturelles Überleben erreichen will.

In der abschließenden wissenschaftlichen Sitzung wurden u. a. zwei mit besonders großer Spannung erwartete Themen behandelt. Zum einen wurde die in letzter Zeit sehr kontrovers diskutierte Frage des Zusammenhangs zwischen ALS und Leistungssport besprochen. Die Diskussion wurde vor allem in Italien sehr intensiv und öffentlich geführt, zum Teil aber auch in Deutschland. Es wurde nun in Philadelphia berichtet, dass zuverlässige Untersuchungen an großen Zahlen von Leistungssportlern tatsächlich einen solchen Zusammenhang nahe legen, da sich in Italien bei professionellen Fußballspielern häufiger, als statistisch zu erwarten wäre, Motoneuronerkrankungen gezeigt haben. Wenngleich die Unterschiede absolut nicht sehr groß waren, besteht an einer Korrelation zwischen Leistungssport und ALS-Häufigkeit, zumindest für den Fußball, kaum ein Zweifel. Der genaue pathogenetische Zusammenhang bleibt noch unklar. Z. B. könnten häufige Verletzungen oder die Einnahme leistungssteigernder Substanzen eine Rolle spielen, aber auch alleine die an die Grenze gehenden physischen Belastungen bei einer entsprechenden, z. B. genetischen Prädisposition. Für andere Sportarten ist dies bislang nicht untersucht. Man darf mit Spannung auf weitere und statistisch noch besser abgesicherte Ergebnisse warten. Seitens des Verfassers soll noch angemerkt werden, dass eine nach dem Kongress in den USA publizierte Arbeit ein erhöhtes ALS-Risiko auch für Personen im Militärdienst beschreibt.

Ein anderer spannender Vortrag beschäftigte sich mit der Genese der endemischen ALS auf Guam im Südpazifik, die dort mit ca. 100fach höherer Häufigkeit vorkommt. Die neurotoxische Hypothese, die das Protein BMAA als ursächlich angeschuldigt hatte, war in letzter Zeit weitgehend verlassen worden. Diese Theorie kommt jedoch auf andere Weise wieder. Es hat sich gezeigt, dass eine bestimmte Art sehr großer Fledermäuse, die sog. „Flying Foxes”, die Früchte der Cycadenpalme, die BMAA enthalten, in großen Mengen fressen, und dann wiederum gerne von den Einwohnern als Delikatesse verzehrt werden. Es scheint nun doch sehr wahrscheinlich, dass über diesen Umweg große Konzentrationen von BMAA in den menschlichen Körper gelangen und dort ihre neurotoxische Wirkung entfalten können, z. B. auch auf Motoneurone. Da die „Flying Foxes” inzwischen fast ausgerottet sind, könnte sich das Problem der ALS auf Guam von alleine erledigen.

In den Parallelsitzungen zur praktischen pflegerischen und psychosozialen Betreuung von ALS-Patienten wurden wiederum die wichtigsten Fragestellungen intensiv abgehandelt. Eine wesentliche Rolle spielten z. B. Probleme der Kommunikation bei sprechunfähigen Patienten und die Messung der Lebensqualität, die ja für jede Beurteilung von Therapieerfolgen entscheidend ist. Hierbei ist anzumerken, dass eine gestörte Fähigkeit zur Kommunikation zu einer wesentlichen Einschränkung der Autonomie der Patienten führt.

Ein weiteres wichtiges Thema waren Schluckstörungen und die Unterstützung der Ernährung, die intensiv besprochen wurden, ohne dass sich jedoch völlig neue Entwicklungen abzeichnen. Neben der meist genutzten Möglichkeit der PEG-Anlage wird von England her die so genannte RIG propagiert. Bei dieser Technik wird der sichere und komplikationslose Zugang zum Magen nicht durch Gastroskopie, sondern durch ein offensichtlich weniger belastendes Röntgenverfahren gewährleistet. Für die einzelnen Zentren gilt jedoch, dass sie das Verfahren, mit dem sie Erfahrung gesammelt haben, einsetzen sollen. Noch nicht ganz klar scheint zu sein, ob PEG oder RIG lebensverlängernd sind. Die Verbesserung der Lebensqualität ist jedoch eindeutig, so dass bei beginnender Dysphagie eine rechtzeitige Anlage angestrebt werden sollte.

Die nicht invasive, häusliche Beatmung/Ventilation (NIV) mit der Maske bei leichter respiratorischer Insuffizienz wurde ebenfalls breit behandelt. Die überwiegende Zahl der Beiträge kam hier aus Europa. Neben der verminderten Vitalkapazität können Zeichen der zunächst vor allem nächtlichen Atemstörung vermehrte Tagesmüdigkeit, Kopfschmerzen oder Konzentrationsstörungen sein. Allgemein lässt sich sagen, dass die nicht invasive Beatmung inzwischen auf große Akzeptanz stößt und dass die Zahlen der Patienten, die so behandelt werden, ansteigen. Die Frage der Lebensverlängerung scheint noch nicht eindeutig beantwortet, an einer Verbesserung der Lebensqualität besteht jedoch kein Zweifel.

Änderungen der geistigen Leistungsfähigkeit, d. h. Demenzentwicklungen, wurden ebenfalls thematisiert. Dieses Thema wurde lange tabuisiert, obwohl bereits Charcot die „belle indifference”, d. h. eine gewisse Kritiklosigkeit gegenüber der Schwere der Ausfälle, erwähnte. Es ist inzwischen allgemein akzeptiert, dass ein relevanter Teil der ALS-Patienten sog. „frontale” Auffälligkeiten entwickelt, d. h. Kontroll- und Verhaltensstörungen. Diese können bei einigen Patienten durchaus zu sozialen Schwierigkeiten führen. Zum Teil kann die Abgrenzung zum Bild der frontotemporalen Demenz schwierig sein bzw. es bestehen biologische Überlappungen. Die Ansätze sind bislang jedoch überwiegend deskriptiv, spezifische therapeutische Konsequenzen für ALS-assoziierte Demenz gibt es noch nicht.

Ferner wurden einige wenige klinische Behandlungsstudien vorgestellt. Erwähnen möchte ich, dass die Therapie mit hyperbarem Sauerstoff keine positiven Effekte erbrachte. Dies gilt auch für einen Behandlungsversuch mit Co-Enzym Q10 zur Verbesserung der Mitochondrienfunktion. Besonders wichtig ist, dass das Antirheumatikum Celecobix nicht wirksam erscheint, was vermutlich auch für andere Antirheumatika gelten dürfte. Erfahrungsgemäß wird auf der Internationalen ALS-Tagung aber wenig über klinische Behandlungsstudien in Planung gesprochen, da man sich nicht gern in die Karten blicken lässt. Es werden hier eher diejenigen Studien vorgestellt, die bereits abgeschlossen und meist negativ verlaufen sind. Man darf deshalb aus den Präsentationen auf der Tagung nicht den Schluss ziehen, dass nicht in absehbarer Zeit interessante und möglicherweise wirkungsvolle Substanzen in die klinische Prüfung kommen.

Neben den Vorträgen gab es neun ergänzende Postersitzungen, die einen guten Überblick über die „heißen” ALS-Themen bieten und deshalb zur Information aufgelistet werden sollen:

Human Cell Biology and Pathology, Genetics and Epidemiology, In vivo experimental models, In vitro experimental models, Diagnosis, Prognosis and Disease Progression, Respiratory and Nutritional Management, Cognitive and Psychological Assessment and Support, Research to Improve Standards of Care, Scientific and Clinical Work in Progress and Care Practice.

Am Rande der Tagung fand ein Treffen einer Task-Force des Europäischen ALS-Konsortiums statt mit dem Ziel, einen Konsensus über Europäische Richtlinien zur Diagnostik und Behandlung der ALS herbeizuführen. Diese Aktivitäten erfolgten auf Anregung der „European Federation of Neurological Societies” (EFNS). Es sollten vor allem diejenigen Verfahren berücksichtigt werden, die als evidenzbasiert angesehen werden und möglichst auch in der Cochrane Library geführt werden. Die Gruppe, in der der Verfasser mitwirkte, einigte sich auf der Basis sehr sorgfältiger Literaturrecherchen und eigener Erfahrungen auf einen mehrseitigen Text, der in 2005 über die EFNS vermutlich im „European Journal of Neurology” veröffentlicht werden wird. Einen breiten Raum nehmen neben der Diagnostik Fragen der symptomatischen Therapie ein, insbesondere die Unterstützung der Ernährung, die Betreuung bei beginnender respiratorischer Insuffizienz über die nicht invasive Beatmung und die palliative Therapie in der terminalen Phase.

Insgesamt kann man die Tagung, auf der sich alljährlich die Experten im Bereich der Motoneuronerkrankungen treffen, für Wissenschaftler, Ärzte und Patientenbetreuer als äußerst informativ bezeichnen. Die ALS-Forschung kommt augenblicklich zwar eher langsam voran, überwiegend aufgrund der Fülle der offenen Fragen und weniger, weil es keine guten Ideen gäbe. Man hat jedoch den Eindruck, dass es in den nächsten Jahren an der einen oder anderen Stelle wieder einen großen Schritt vorwärts geben wird.

Das nächste ALS/MND-Symposium wird vom 3. - 7.12.2005 in Dublin, Irland, stattfinden. Informationen können über die Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke (DGM) oder über das Internet bezogen werden:

www.mndassociation.org

Prof. Dr. med. Reinhard Dengler

Neurologische Klinik mit klinischer Neurophysiologie · Medizinische Hochschule Hannover

Carl-Neuberg-Straße 1

30625 Hannover

Email: dengler.reinhard@mh-hannover.de

    >