Naturlatex wird zur Herstellung zahlreicher Gegenstände des täglichen Lebens und des
medizinischen Bereichs verwendet. Leider können seine Proteine die Bildung spezifischer
IgE-Antikörper induzieren, also eine Latexallergie verursachen.
Bis zu 60% aller Kinder mit Blasenextrophie, Spina bifida und anorektalen Anomalien
haben eine Prävalenz für diese Allergie. Eine Studie aus der Schweiz zeigt nun, dass
auch Kinder mit chronischen Nierenversagen eine hohe Prävalenz für diese Allergie
haben.
G. Sparta und Kollegen wurden auf das Studienthema aufmerksam, als ein Junge mit Prune
belly syndrome während einer Nierentransplantation eine schwere Grad-IV-Anaphylaxie
auf Latex entwickelte. Daraufhin untersuchten sie die Prävalenz einer Latexallergie
bei Kindern mit chronischem Nierenversagen anhand von 57 Jungen und 28 Mädchen mit
einem Durchschnittsalter von 10,5 Jahren (The Journal of Urology 2004; 171: 1647 -1649). Latexreaktionen wurden mittels spezifischer IgE-Antikörper, Pricktest und beobachteter
Atopie (Rhinitis, Asthma und Neurodermitis) und allergischer Reaktionen auf Latexprodukte
und Nahrungsmittel, die mit Latex kreuzreagieren, dokumentiert.
Reaktionen auf Latex konnten bei 19 Kindern (22%) nachgewiesen werden. Davon hatten
8 eine Allergie mit klinischen Symptomen und 11 waren sensibilisiert. Elf dieser 19
Patienten hatten urologische Fehlbildungen. Die Analyse der Risikofaktoren für die
Entstehung einer Latexallergie erbrachte, dass häufige Operationen, geringes Alter
zum Operationszeitpunkt und eine bestehende Atopie signifikant das Risiko für eine
Latexallergie steigern. Dabei sind es insbesondere urologische Operationen, die im
Vergleich zu nichturologischen Operationen das Latexallergierisiko steigern.
Ein Drittel aller in dieser Studie untersuchten Kinder mit urologischen Fehlbildungen
hat eine Latexallergie oder ist sensibilisiert. Die Autoren fordern deshalb, dass
generell bei Kindern mit diesem Krankheitsbild, wie auch schon für Kinder mit Spina
bifida, Blasenextrophie und anorektalen Anomalien, eine primäre Latexprävention einzuhalten
ist.
Dr. Sabine Adler, Mülsen St. Niclas
Kommentar zur Studie
Gibt man in eine Suchmaschine des World Wide Web den Begriff "Latexallergie" ein,
bekommt man etwa 23 000 Beiträge geliefert, und die Latexallergie gewinnt zunehmend
an Bedeutung und Beachtung. Was eigentlich jeder Kinderchirurg und Kinderurologe schon
weiß, wird einem in dem vorliegenden Artikel von Giuseppina Sparta et al. noch einmal
eindrücklich vor Augen gehalten: Die wichtigsten derzeit bekannten Faktoren für die
Entwicklung einer Latexallergie.
Dabei erscheint die Schlussfolgerung nach einer Latexprävention nur allzu logisch.
Allgemein anerkannt war dies bisher bei Kindern mit Spina bifida, Blasenekstrophie
und anderen komplexen Fehlbildungen aus dem anorektalen Formenkreis. Dabei scheint
der Kontakt von latexhaltigem Material wie z.B. den Operationshandschuhen, aber auch
Kathetern u.ä., mit Schleimhäuten und anderen nicht verhornenden Epithelien das Allergierisiko
zu erhöhen. Auch die Häufigkeit und das Alter bei den wiederholten operativen Eingriffen
spielen bei der Allergisierung unbestreitbar eine wichtige Rolle. Vor diesem Hintergrund
wundern die Ergebnisse der vorliegenden Studie der Kollegen Sparta nicht, wenn sie
eben das sehr hohe Allergisierungsrisiko gegen Latex auch bei Kinder nachweisen konnten,
die im frühen Lebensalter und mehrfach urologischen Eingriffen unterzogen wurden.
Dabei sind rund ein Drittel aller Kinder mit urologischen Fehlbildungen nach Operation
gegen Latex sensibilisiert oder zeigen bereits eine manifeste Allergie. Es würde nicht
verwundern, wenn in weiteren Studien andere Erkrankungsbilder hinzukämen und dabei
wieder die gleichen Risikofaktoren - Alter bei Operation, und wiederholte Operationen
sich herauskristallisieren würden. Ein Kind mit z.B. nekrotisierender Enterokolitis
(NEC), welches als Frühgeborenes laparotomiert und in der Folge noch mehrmals operiert
wird, ist wahrscheinlich genauso gefährdet, eine Latexallergie zu entwickeln, wie
ein Kind mit Blasenekstrophie.
Vieles ist noch unbekannt. Fragen nach der genetischen Disposition oder eines bestimmten
Schwellenwertes des Allergens sind weit gehend unbeantwortet. Auch der hier vorliegende
Artikel kann dazu keine Neuigkeiten beitragen. Die Autoren sprechen von "multiplen
Operationen", ohne die genaue Anzahl der Operationen zu nennen. Vielleicht ist das
nicht so wichtig. Vielleicht müssen wir davon ausgehen, dass bereits bei einer einmaligen
Ureteropyeloplastik beispielsweise bei einem Säugling mit Ureterabgangsstenose einer
gewissne Allergisierung Vorschub geleistet wurde. Wundern würde es nach dem vorliegenden
Datenmaterial nicht. Multizentrische und vor allem fachübergreifende Studien der verschiedenen
Fachgesellschaften wie den Deutschen Gesellschaften für Allergologie und klinische
Immunologie (DGAI), für Kinder und Jugendmedizin (DGKJ), für Urologie (DGU) und für
Kinderchirurgie (DGKCH), sind heute dringend geboten, um Antworten auf viele noch
offene Fragen zu erhalten.
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Latexhaltige Materialien müssen und werden über kurz oder lang aus dem medizinisch-operativen
Bereich, zumindest in der Kindermedizin, verdrängt werden.
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Die Forderung nach Latexprävention für diese im vorliegenden Artikel beschriebene
Patientengruppe, die wie gesagt sicher noch zu erweitern ist, erscheint deshalb nur
sinnvoll. Was bedeutet das für kinderchirurgische Kliniken oder kinderurologische
Abteilungen, die diese Risikopatienten betreuen? Latexprävention bedeutet eine Operation
in einer latexfreien Umgebung. Nach den derzeit gültigen Richtlinien müssen diese
Operationen an erster Stelle des OP-Programmes stehen. Parallel dazu dürfen keine
nichtlatexfreien Operationen stattfinden. Rein aus logistischen Gründen und aus Gründen
der Sicherheit ist das an Kliniken, in denen diese Risikokinder häufig und oft nicht
planbar operiert werden, nur durch eine komplette Umstellung des gesamten OP-Bereiches
auf latexfreie Materialien möglich.
An unserer eigenen Klinik ist der gesamte Operationsbereich latexfrei, bis auf eine
entscheidende Ausnahme: Den sterilen Operationshandschuhen. Latexfreie Handschuhe
werden nur bei den derzeit anerkannten Risikokindern benutzt und die Operateure scheuen
sie wie der Teufel das Weihwasser. Angesichts oben angestellter Überlegungen muss
dies erneut streng überdacht werden.
Latexhaltige Materialien müssen und werden über kurz oder lang aus dem medizinisch-operativen
Bereich, zumindest in der Kindermedizin, verdrängt werden. Nur so ist echte Prävention
zu gewährleisten. Das hat auch ökonomische Konsequenzen, da latexfreies Material egal
welcher Art, grundsätzlich teuerer ist als vergleichbares mit Latex. Doch dieses Argument
wird und darf kein übermäßiges Gewicht bekommen wie jenes des schlechten Tragekomforts
latexfreier Operationshandschuhe. An dieser Stelle ist die Industrie aufgefordert,
kostengünstigere und, wie im Falle der Handschuhe, brauchbarere Materialien auf den
Markt zu bringen, um dieser wichtigen Prävention nicht im Wege zu stehen.
Dr. Maximilian Stehr, München