A. Strauss
Springer-Verlag Heidelberg 2003
€ 129,95; sFr 205,-
ISBN: 3-540-43950-1
Immer noch kommt es vor, dass junge Ärztinnen und Ärzte an ihrem ersten Ausbildungstag
im Fach Gynäkologie und Geburtshilfe in einen dunklen Raum gesteckt werden, dessen
Einrichtung aus einem Bildschirm mit Tastatur, Knöpfen und Kabeln und daneben einer
Liege besteht. Das, so wird ihnen erklärt, sei der Ultraschall, und hier sollen sie
ab sofort arbeiten; wenn sie sich nicht auskennen, dann sollen sie einen älteren Assistenten
oder einen Oberarzt rufen, der ein paar Türen oder ein paar Stockwerke weiter entfernt
arbeitet.
Welches Buch gibt man so einem allein gelassenen Geschöpf in die Hand, um es daran
zu hindern, sofort aus der Gynäkologie in die stressärmeren Fächer wie Transplantationschirurgie
oder Gerichtsmedizin zu flüchten? Bisher war die Antwort auf diese Frage schwierig,
die Gyn- Ultraschallbücher der deutschen Verlage waren meist das, was die Amerikaner
"heavy German stuff" nennen, wobei heavy neben Inhalt auch auf das messbare Gewicht
und den Preis zutraf.
Das hat sich nun schlagartig geändert: Mit dem Ultraschallpraxis-Buch von Alexander
Strauss ist nun ein Buch auf dem Markt, bei dem der Titel auch dem Inhalt enstpricht.
Was man an erlernbaren Inhalten überhaupt in einem Buch unterbringen kann - ohne Medien
wie DVDs und Ähnliches in Anspruch zu nehmen -, ist in diesem Buch enthalten.
Das Konzept ist didaktisch bestechend klar. Auf der linken Seite sind jeweils 2-3
große und übersichtliche Bilder, auf der rechten Seite der dazugehörige Text. Der
Text ist gegliedert in eine kurze Einleitung von ein paar Zeilen, danach folgt die
Beschreibung des jeweiligen Krankheitsbildes nach dem bewährten Schema Epidemiologie
- Ätiologie - Differenzialdiagnose. Die Beschreibungen der sonographischen Kerninhalte
zu dem Kapitel sind gelb unterlegt, man kann auch beim hastigen Querlesen im Halbdunkel
des Ultraschallraumes rasch die wesentlichen Punkte finden. Der Text endet auch nicht
mit der Diagnose. Besonders verdienstvoll ist, dass jedem Syndrom, jedem Problem ein
Unterkapitel "geburtshilfliches Vorgehen" gewidmet ist. Dies schließt sich mit den
Kapiteln zu "Prognose" und "Therapie" zu einem umfassenden diagnostisch-therapeutischen
Kompass für jede Fehlbildungskonstellation zusammen, vom Lymphangiom bis zum Herztumor.
Aus den unzähligen möglichen Fehlbildungen wurde eine realistische Selektion getroffen
sodass die Fehlbildungen, die im Laufe eines "Ultraschallerlebens" ein paarmal auftauchen,
alle erfasst sind.
Die Ultraschallbilder sind gut editiert, das Layout ist einheitlich, die zahlreichen
Zahlenkombinationen am Bildrand, die mit schwarzem Stift übermalten Patientennamen
an der Oberkante und der langatmige Klinikname, wie man sie aus vielen anderen Büchern
kennt und die nur vom eigentlichen Bild ablenken, sind konsequent herausretouchiert.
Die Ultraschallbilder sind realistisch, es wurden nicht nur Idealbilder von Feten
mit Polyhydramnion gewählt, sondern solche, wie sie eben im klinischen Alltag wirklich
auftauchen. Postpartale Fotos, Obduktionsfotos, histologische Abbildungen, plausible
Skizzen und Karyogramme ergänzen die Ultraschallfotos in vortrefflicher Weise.
Das Buch beginnt mit einem Einführungskapitel zu den physikalischen Grundlagen und
zu den Sicherheitsaspekten. Hier ist der Verzicht auf ein Literaturverzeichnis ein
wenig störend: Gerade die Sicherheitsaspekte sind wegen der regelmäßig von den Medien
hochgespielten Pränatal-Ultraschall-Panikattacken ein Thema, mit dem sich jede(r),
die/der Schwangere schallt, ständig befassen muss. Ein Verweis auf die Sicherheitsempfehlungen
auf den Homepages der DEGUM, WFSUMB und ISUOG fehlt hier - diese Sicherheitsempfehlungen
werden ständig erneuert und geben die Möglichkeit, auch auf die kritischsten Patientinnenfragen
eine richtige Antwort geben zu können. (Hier sind die Portale für alle Interessierten:
www.efsumb.org www.isuog.org www.degum.de
Etwas kurz geraten ist die Zervixlängenmessung, die nur im Kapitel "Normalbefunde
im 2. und 3. Trimenon" in einem Absatz erwähnt wird. Die vaginal-sonographische Zervixlängenmessung
beginnt zunehmend, die bimanuelle Untersuchung in der Schwangerschaft zu ersetzen,
in jedem Krankenhaus liegen Schwangere am Tokolyse-Tropf, bei denen aus völligem Wohlbefinden
heraus im Ultraschall eine gefährlich verkürzte Zervix festgestellt worden war. Die
Probleme mit der Zervixlängenmessung, sowohl als Entscheidungsgrundlage für eine
stationäre Behandlung wegen drohender Frühgeburt als auch bei der Entscheidung zu
einer medikamentösen Geburtseinleitung, verdient mehr Raum. Das Wort "Funneling" kommt
im Stichwortverzeichnis gar nicht vor. Dabei ist "Funneling" schon zur Indikation
und Zuweisungsdiagnose für einen Hubschraubertransport von einem kleinen Krankenhaus
zu einem Perinatalzentrum geworden!
Dies sind marginale Kritikpunkte bei einem insgesamt sehr gelungenen Buch. Die Behandlung
der Ultraschallaspekte von geburtshilflicher Pathologie wie Präeklampsie und Gestationsdiabetes
ist präzise und souverän, das Kapitel zum gynäkologischen Ultraschall umspannt in
wenigen Seiten viele Themen. Besonders verdienstvoll sind die Kapitel zum Bauchdeckenultraschall
und zur Nierensonographie - erneut für die eingangs beschriebene junge Ausbildungsassistentin,
die, wenn sie dem Ultraschall entwachsen ist, dann auf der operativen Abteilung mit
den ersten Bauchdeckenhämatomen und gestauten Nieren zu kämpfen hat.
Alexander Strauss und dem Ultraschall-Team der Frauenklinik des Klinikums Großhadern
ist zu diesem Buch nur zu gratulieren. Allen Gynäkologinnen und Gynäkologen, ob in
der Weiterbildung oder schon niedergelassen, die den Ultraschall erlernen oder einfach
"dranbleiben" wollen, ist es wärmstens zu empfehlen.
C. Brezinka, Innsbruck