Der Klinikarzt 2004; 33(7): 199-205
DOI: 10.1055/s-2004-831034
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Definition und Symptome, Epidemiologie, Diagnostik und Therapie - Obstipation - ein tägliches Problem

Definition and Symptoms, Epidemiology, Diagnostics and Therapy - Constipation: a Daily ProblemJ.F. Erckenbrecht1 , M. Geppert1
  • 1Klinik für Innere Medizin mit Gastroenterologie und Onkologie, Florence-Nightingale-Krankenhaus, Kaiserswerther Diakonie, Düsseldorf (Chefarzt: Prof. Dr. J.F. Erckenbrecht)
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Anschrift für die Verfasser

Prof. Dr. J. Erkenbrecht

Klinik für Innere Medizin mit Gastroenterologie und Onkologie

Florence-Nightingale-Krankenhaus

Kaiserswerther Diakonie

Kreuzbergstr. 79

40489 Düsseldorf

Publication History

Publication Date:
27 July 2004 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Die Obstipation ist eines der häufigsten gastroenterologischen Symptome - entweder als Folge anderer Erkrankungen (neurologische Erkrankungen, endokrinologische Erkrankungen, usw.), als Nebenwirkung von Medikamenten oder auch ohne grundlegende Erkrankungen als primäre Funktionsstörung des Dickdarms (funktionelle Obstipation). Grundsätzlich kann sie in zwei pathophysiologische Formen differenziert werden, wobei jedoch Überschneidungen und Mischbilder existieren: erstens die Obstipation mit langsamem Kolontransit und zweitens die Obstipation mit funktioneller anorektaler Obstruktion (Defäkationsstörung). Neben der Anamnese und der körperlichen Untersuchung ist die Messung der Kolontransitzeit zur genaueren Diagnostik sinnvoll. Bei einer Defäkationsstörung können die funktionelle Proktoskopie, die anorektale Manometrie und die Defäkografie zur weiteren Klärung notwendig sein. Die Therapie bei funktioneller Obstipation mit langsamem Kolontransit besteht in einer systemischen Pharmakotherapie mit motilitätsstimulierenden Substanzen. Eine Defäkationsstörung dagegen kann häufig nicht medikamentös lokal therapiert werden.

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Summary

Constipation is among the most frequent gastrointestinal symptoms. 5 % of the male and 15 % of the female general population report themselves as constipated. Patients consider themselves as constipated if stool consistency is hard and bearing down for defecation is painful. Constipation may occur as a sequela of other diseases (neurological diseases, endocrinological diseases) or as side effect of medication (secondary forms of constipation), as functional disorder of the large bowel itself (functional constipation). There are two pathophysiologically distinct forms of constipation with significant overlap between the two forms. One is constipation associated with delayed colonic transit and the other constipation due to a functional defecation disorder. History, physical status and determination of large bowel transit time are helpful diagnostic tools. In functional defecation disorders further evaluation is accomplished by functional proctoscopy, anorectal manometry and defecography. Systemic pharmacotherapy with motility stimulating drugs is necessary in patients with constipation due to delayed colonic transit. Defecation disorders may be managed by local non medication therapy.

Die Obstipation ist eines der häufigsten gastroenterologischen Symptome: 5 % der Männer und 15 % der Frauen in der Allgemeinbevölkerung bezeichnen sich selbst als obstipiert. Ihre Kriterien sind dabei jedoch weniger die tatsächlichen Stuhlfrequenzen, sondern eine harte Stuhlkonsistenz oder die Notwendigkeit zu starkem Pressen bei der Defäkation.

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Definition und Symptome

Der Begriff Obstipation beschreibt den subjektiven Eindruck, den Darminhalt nicht in adäquater Häufigkeit, ausreichender Menge, der notwendigen Konsistenz oder nur unter Beschwerden ausscheiden zu können [1]. Obstipation kommt als Symptom anderer intestinaler, aber auch extraintestinaler Erkrankungen oder auch als Nebenwirkung von obstipierend wirkenden Medikamenten vor (sekundäre Formen der Obstipation; [Tab. 1]).

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Primäre Obstipation

Tritt eine Obstipation nicht als Begleitsymptom anderer Erkrankungen oder aufgrund einer medikamentösen Therapie auf, spricht man von primären oder funktionellen Formen der Obstipation. In diesen Fällen wird eine im Dickdarm selbst lokalisierte Störung seiner Funktion als Ursache angenommen. Funktionelle Formen der Obstipation werden - oft weniger für klinische Zwecke als für Studien - anhand der Rom-II-Kriterien definiert. Dazu müssen mindestens zwei der folgenden Symptome innerhalb der letzten zwölf Monate während wenigstens zwölf Wochen (die nicht zusammenhängen müssen) bestehen:

  • Pressen bei mehr als 25 % der Stuhlgänge

  • harter Stuhlgang bei mehr als 25 % der Stuhlgänge

  • Gefühl der unvollständigen Entleerung bei mehr als 25 % der Stuhlgänge

  • Gefühl der anorektalen Obstruktion bei mehr als 25 % der Stuhlgänge

  • manuelle Unterstützung, um eine Defäkation zu ermöglichen bei mehr als 25 % der Stuhlgänge

  • weniger als drei Stuhlgänge pro Woche.

Die der primären Obstipation zugrunde liegenden Funktionsstörungen sind die Obstipation mit langsamem Kolontransit („slow transit constipation”, STC) sowie die Obstipation bei funktioneller anorektaler Obstruktion („outlet obstruction”). Bei Letzterer besteht eine Defäkationsstörung. Entscheidendes diagnostisches Unterscheidungskriterium ist die Bestimmung der gesamten und segmentalen Kolontransitzeit des Darminhalts [Abb. 1], doch bereits die Beschwerden der Patienten können auf eine der beiden pathophysiologischen Formen der Verstopfung hinweisen [Tab. 2]. Allerdings gibt es zwischen diesen beiden Formen auch Überschneidungen und Mischbilder.

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Sekundäre Formen der Obstipation

Sekundäre Formen der Obstipation bei endokrinen, metabolischen oder neurologischen Erkrankungen oder als Nebenwirkung obstipierender Medikamente verursachen häufig Symptome einer Obstipation mit langsamem Kolontransit. Patienten mit einer Rektozele, einem internen oder externen Schleimhautvorfall, einer Analfissur, dem Syndrom des spastischen Beckenbodens (Anismus) oder einem solitären Rektumulkus geben meist Symptome einer anorektalen Obstruktion an. Die Pathophysiologie der unterschiedlichen Formen der funktionellen Obstipation fasst die [Tabelle 3] zusammen.

Neben den die Obstipation begleitenden Symptomen sollte die Anamnese ferner Fragen nach der körperlichen Bewegung, der allgemeinen Lebensweise und der Ernährung, insbesondere dem Ballaststoffgehalt der Nahrung und der Trinkmenge beinhalten. Allerdings ist es nicht richtig anzunehmen, dass lediglich eine Vermehrung der Flüssigkeits- oder Ballaststoffzufuhr in der Nahrung ausreiche, um bei den meisten Patienten die Symptome der Obstipation zu lindern oder gar zu beseitigen. Denn wie mehrere epidemiologische Untersuchungen belegen, ist der Ballaststoffgehalt der Nahrung und die Flüssigkeitszufuhr in der Gruppe der obstipierten Patienten nicht geringer als in Kontrollgruppen nichtobstipierter gesunder Personen.

Viele Patienten klagen neben den Beschwerden der Obstipation zusätzlich über Symptome eines Reizdarmsyndroms - insbesondere über abdominelle Schmerzen und Meteorismus. Bei diesen Patienten kann die Empfehlung, den Ballaststoffgehalt der Nahrung zu erhöhen, zu einer Verstärkung der Reizdarm-Symptome führen. Wir glauben, dass die von vielen Ärzten beklagte geringe Compliance der Patienten mit Obstipation und Reizdarmsyndrom bezüglich der ärztlichen Therapieempfehlungen unter anderem ihre Ursache in der viel zu häufig ausgesprochenen, unreflektierten Empfehlung zu einer Erhöhung des Ballaststoffgehalts der Nahrung hat.

Im Allgemeinen gilt eine Stuhlfrequenz von einmal täglich als „normal”. Doch eine derartige Stuhlfrequenz liegt nur etwa bei einem Drittel der Bevölkerung vor. So sind in der Allgemeinbevölkerung niedrigere Stuhlfrequenzen unter Frauen signifikant häufiger als bei Männern, und signifikant mehr Männer als Frauen geben höhere Stuhlfrequenzen als einmal täglich an ([Tab. 4]; [4]).

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Epidemiologie

Mit 15 % bei Frauen und 5 % bei Männern ist die Prävalenz der Obstipation relativ hoch. Mit steigendem Lebensalter nimmt die Häufigkeit der Erkrankung zu, wobei ein steilerer Anstieg bei Männern etwa um das sechzigste Lebensjahr beginnt, während bei Frauen die Prävalenz im Laufe des Lebens eher kontinuierlich ansteigt [Abb. 2]. Damit zählt die Obstipation zu den häufigsten gastroenterologischen Symptomen in der Praxis niedergelassener Ärzte.

Doch nur etwa 10 % der Betroffenen suchen einen Arzt auf, so das Ergebnis epidemiologischer Studien. Dennoch muss allein in Deutschland pro Jahr mit etwa 800000 Arztbesuchen wegen Obstipation und der sie begleitenden Symptome gerechnet werden. Entscheidende Kriterien, die meist vorliegen, wenn sich Personen als obstipiert bezeichnen, sind eine harte Stuhlkonsistenz oder die Notwendigkeit zu sehr starkem, schmerzhaften Pressen bei der Defäkation. Weniger bedeutsam für die Patienten sind die tatsächlichen Stuhlfrequenzen, an welche sie sich oft nicht erinnern.

25-50 % der obstipierten Patienten nehmen regelmäßig Laxanzien ein [2], der Verbrauch solcher Medikamente nimmt mit dem Alter stetig zu. Dies legt die Vermutung nahe, dass nicht nur die Prävalenz der Obstipation, sondern auch ihr Schweregrad mit dem Alter zunimmt [Tab. 4].

Bei Personen mit hohem Einkommen ist die Prävalenz der Obstipation um den Faktor drei niedriger als bei Patienten mit niedrigem Gehalt. Die Prävalenz der Obstipation ist demnach in niedrigeren sozioökonomischen Schichten deutlich höher [10]. Keine eindeutige Assoziation zur Prävalenz der Obstipation lässt sich bezüglich des Körpergewichts feststellen [2]. Auffallend - und entgegen vielfacher Überzeugung - ist schließlich, dass Personen, die in Städten leben, signifikant seltener unter Obstipation leiden als Personen aus ländlicher Umgebung [5].

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Diagnostik

Am Anfang der diagnostischen Maßnahmen sollte eine vollständige Anamnese stehen - einschließlich der Frage nach allen eingenommenen Medikamenten. Dann sollte eine allgemeine körperliche Untersuchung folgen, die insbesondere dazu dient, organische (sekundäre) Ursachen der Obstipation ausschließen zu können.

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Organbezogene Diagnostik

Zur speziellen organbezogenen Diagnostik bei Obstipationsbeschwerden zählt die Inspektion des Anus in Linksseitenlage sowie die digitale Untersuchung des Schließmuskelapparates und des Rektums [8]. In Ruhe sollte der Analkanal für einen bis zwei Finger durchgängig sein, beim willkürlichen Zusammenkneifen des Schließmuskels sollte mit dem Finger eine Tonuserhöhung im Analkanal wahrzunehmen sein, wobei der Zug des M. puborectalis nach ventral meist zu spüren ist. Ein tastbares inneres Vorfallen der Schleimhaut oder ein sichtbarer Prolaps beim Pressversuch sind pathologisch. Die perianale Sensibilität sollte intakt sein.

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Instrumentelle Funktionsdiagnostik

Sind die Symptome schwer, der Leidensdruck des Patienten groß und hat zudem eine probatorische Therapie mit Ballaststoffen die Symptomatik nicht verbessern können, sollte sich an die organbezogene eine weitere, „instrumentelle” Funktionsdiagnostik anschließen [Abb. 1]. Im Vordergrund steht dabei die Bestimmung der Dickdarmtransitzeit, die bei vergleichsweise geringen Zeitabschnitten für die Passage durch Speiseröhre, Magen und Dünndarm (zusammen etwa 4-6 Stunden) weitgehend der oro-analen Transitzeit entspricht.

Dazu nehmen die Patienten von Tag 1 bis Tag 6 jeweils zur gleichen Uhrzeit 20 röntgendichte, würfelförmige Marker von 2-3 mm Kantenlänge in einer Gelatinekapsel ein. Am siebten Tag wird um dieselbe Zeit eine Röntgenaufnahme des Abdomens angefertigt. Mithilfe von Linien kann man diese Übersichtsaufnahme in rechtes und linkes Hemikolon sowie Rektosigmoid einteilen. Die im Abdomen verbliebenen Marker auf der Aufnahme werden ausgezählt und ihre Zahl mit 1,2 multipliziert (Anzahl der Gesamtstunden: 6 x 24 Stunden dividiert durch die Anzahl der insgesamt verabreichten Marker: 6 x 20 Marker). Daraus ergibt sich die oro-anale Passagezeit in Stunden. Während des Testes dürfen weder Laxanzien eingenommen noch Einläufe verabreicht werden.

Die mittleren Werte für die Gesamtpassagezeit liegen zwischen 30 und 40 Stunden. Als pathologisch gilt eine Dickdarmtransitzeit von mehr als 60 Stunden. Durch die Unterteilung der Aufnahme mithilfe der Linien ist es annäherungsweise möglich, auch die Passagezeiten durch einzelne Dickdarmabschnitte zu quantifizieren [Tab. 5].

Die Bestimmung der Dickdarmtransitzeit macht es nicht nur möglich, eine Störung des Transports im Dickdarm zu objektivieren, sie gibt auch Hinweise auf den Ort der Passageverzögerung. Unterschieden wird dabei grob zwischen einer Obstipation mit langsamem Transit des Darminhalts durch den gesamten Dickdarm und einer Obstipation durch eine Defäkationsstörung. Es werden aber auch die Personen identifiziert, die über Obstipationsbeschwerden klagen, obwohl keine Transportstörung des Darms nachzuweisen ist. Die oben dargestellte Differenzierung der unterschiedlichen Formen der funktionellen Obstipation ist die Grundlage für das weitere diagnostische und therapeutische Vorgehen. Bei Patienten, bei denen bei der Bestimmung der Dickdarmtransitzeit die Marker im Rektosigmoid kumulieren, liegt der Verdacht auf das Vorliegen einer Defäkationsstörung als Ursache ihrer Beschwerden nahe. Die funktionelle Proktoskopie, die rektoanale Manometrie und gegebenenfalls eine Defäkografie können hier zur weiteren Klärung beitragen.

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Funktionelle Proktoskopie

Durch die nochmalige Inspektion der Analregion, die digitale Untersuchung des Sphinkterapparates und die funktionelle Proktoskopie werden Analfissuren, ein innerer Rektumprolaps (Intussuszeption) und ein solitäres Rektumulkus diagnostiziert. Funktionell heißt die Proktoskopie, weil bei ihr die anatomischen Verhältnisse des rekto-analen Verschlussapparates sowohl in Ruhe als auch beim Kneifen („als ob Sie Stuhl zurückhalten wollen”) und beim Pressen („als ob Sie auf der Toilette zum Stuhlgang pressen”) inspiziert werden.

Eine Analfissur geht mit äußerst starken Defäkationsschmerzen und einem reflektorisch stark erhöhten Sphinktertonus einher. Dies führt zu oft willkürlichem Zurückhalten des Stuhles und zu einer akuten Obstipation.

Ein innerer Rektumprolaps (Intussuszeption) beschreibt ein Vorfallen der Rektumwand während des Pressens bzw. der Defäkation in das Darmlumen oder den Analkanal. Beim äußeren kompletten Prolaps tritt die gesamte Darmwand sichtbar aus dem Analkanal heraus. Der innere Prolaps dagegen ist nur bei der funktionellen Proktoskopie oder der Defäkografie zu erkennen. Eine Intussuszeption oder ein innerer Rektumprolaps prädisponieren für ein „solitäres” Rektumulkus, weil die Schleimhaut beim Pressen im Analkanal eingeklemmt werden kann, sodass dort die Schleimhaut mechanisch geschädigt wird. Die Läsion sitzt meist an der vorderen Rektumwand, zirka 3-8 cm von der Linea dentata entfernt. Die Schäden an der Mukosa können auch nur als Ödem oder fleckige Rötung imponieren. Der Begriff des solitären Ulkus beschreibt lediglich eine von mehreren Formvarianten der diesem Pathomechanismus zugrunde liegenden Schleimhautschädigung.

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Defäkografie

Diese dynamische Methode dokumentiert die morphologischen Veränderungen des Anorektums und des Beckenbodens während der Defäkation [8]. Ihr breiter Einsatz ist durch die nicht unerhebliche Strahlenbelastung limitiert. Außerdem wird mit der Defäkografie die Situation der Defäkation unter (Röntgen)-Beobachtung „künstlich” simuliert, sodass sich hierbei nicht die „normalen” Verhältnisse einer ungestörten Defäkation in häuslicher Umgebung widerspiegeln müssen.

Für die Defäkografie werden nach einer spontanen Darmentleerung bis zu 300 ml eines hochviskösen Röntgenkontrastmittels rektal über ein Darmrohr appliziert. Anschließend soll sich der Patient so auf eine Plastiktoilette auf dem Fußteil eines Röntgenkipptisches setzen, dass Röntgenaufnahmen vom Rektum und Beckenboden im seitlichen Strahlengang möglich sind. Pathologische Befunde werden erhoben bei dem schon oben angeführten inneren und äußeren Prolaps, bei Rektozelen und dem Syndrom des spastischen Beckenbodens (Anismus).

Bei der Rektozele kommt es während der Defäkation zu einer Aussackung der Rektumwand von mindestens 1 cm Durchmesser. Die Rektozele selbst entleert sich erst nach Abschluss der Defäkation. Dabei ist eine Aussackung der vorderen Rektumwand (vordere Rektozele) häufiger als die der Rektumhinterwand (hintere Rektozele). Bei Frauen können vordere Rektozelen in die Vagina prolabieren. Bis zu 80 % der Frauen weisen kleinere Rektozelen auf, haben aber keine Beschwerden [3]. Solche kleinen Rektozelen sind demnach eine häufige Erscheinung - mit umstrittener klinischer Relevanz. Klinisch von Bedeutung ist eine Rektozele im Allgemeinen erst, wenn sie größer ist als 3-5 cm. Typische Beschwerden in diesen Fällen sind

  • das Gefühl einer unvollständigen Entleerung

  • mehrfaches Absetzen kleiner Stuhlmengen

  • Stuhlschmieren nach der Defäkation.

Beim Syndrom des spastischen Beckenbodens (Anismus) bleibt die physiologische Relaxation der Beckenbodenmuskulatur bei der Defäkation aus. Stattdessen kommt es zu einer paradoxen Kontraktion des M. puborectalis und des M. spincter ani externus, wenn die Patienten aufgefordert werden, wie beim Stuhlgang zu pressen. In der Defäkografie persistiert die Rektumimpression durch den kontrahierten M. puborectalis, die Zunahme des anorektalen Winkels bleibt aus, und der Analkanal öffnet sich nicht. Die Diagnose kann durch die anorektale Manometrie unterstützt werden.

Ursächlich liegt dem Syndrom des spastischen Beckenbodens ein fehlerhafter Gebrauch der Beckenbodenmuskulatur zugrunde. Einige Patienten weisen traumatische Kindheitserlebnisse auf. Die Funktionsstörung des Syndroms des spastischen Beckenbodens ist durch Umlernen („Biofeedback”) zu therapieren. Die Symptome entsprechen denen der funktionellen Obstruktion des Analkanals bei der Defäkation mit dem Gefühl einer Entleerungsstörung. Oftmals wird deswegen eine manuelle Ausräumung des Rektums durchgeführt.

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Anorektale Manometrie

Die anorektale Manometrie erlaubt die Beurteilung des Ruhedruckes im Analkanal sowie die Kraft der quergestreiften Beckenbodenmuskulatur bei willkürlicher Betätigung [8]. 80 % des gesamten Ruhetonus im Analkanal erzeugt der glattmuskuläre M. sphincter ani internus, dessen Ruhedruck zwischen 40 und 70 mmHg liegt. Durch eine willkürliche Kontraktion des M. sphincter ani externus kann der Tonus im Analkanal jedoch auf 100-200 mmHg ansteigen.

Zur Untersuchung des rektoanalen Inhibitionsreflexes wird ein intrarektaler Ballon mit Luft gefüllt. Beim Gesunden tritt eine zunehmende Relaxation des M. sphincter ani internus ein. Fehlt dieser rektoanale Inhibitionsreflex, ist dies ein klassischer Befund bei Morbus Hirschsprung, worauf in dieser Übersicht nicht eingegangen wird. Nach Aufforderung zur Defäkation soll der Druck im Rektumballon als Zeichen der Betätigung der „Bauchpresse” ansteigen, während der Druck im Analkanal mit zunehmender Relaxation des Beckenbodens abfällt. Erhöht sich hierbei auch der Schließmuskeltonus erheblich, spricht man von einer paradoxen Kontraktion des äußeren Analsphinkters, was auf ein Syndrom des spastischen Beckenbodens hinweist.

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Therapie

Bei allen Patienten mit hartnäckiger Obstipation ist - auch vor einer weiteren „instrumentellen” Diagnostik - eine Therapie „ex juvantibus” mit der Erhöhung der Ballastzufuhr in der Nahrung zu erwägen. Üblicherweise beträgt der Ballaststoffgehalt der Nahrung etwa 20 g täglich. Die Verdoppelung auf etwa 35-40 g pro Tag durch eine Erhöhung der Zufuhr von Obst, Gemüse und Vollkornprodukten ist zwar empfehlenswert (Deutsche Gesellschaft für Ernährung: „fünfmal täglich Gemüse und Obst”), wird aber nur von etwa der Hälfte der Patienten mit Obstipation toleriert. Die übrigen verweigern eine solche Therapie mit Hinweis auf die bei vielen Patienten unerträglichen Nebenwirkungen wie Meteorismus und abdominelle Schmerzen infolge der intestinalen Distension.

Patienten, die bei normaler Dickdarmtransitzeit über Obstipationsbeschwerden klagen, scheinen am besten auf eine Erhöhung der Ballaststoffzufuhr in der Nahrung zu reagieren. Liegt jedoch eine Obstipation mit langsamem Dickdarmtransit oder eine Defäkationsstörung vor, berichten die Betroffenen über keine oder nur eine unzureichende Wirkung. In diesen Fällen ist eine systemische Therapie mit motilitätsstimulierenden Medikamenten indiziert - oder lokale therapeutische Maßnahmen bei Defäkationsstörungen (Tab. 8).

Patienten, deren Obstipation Folge einer generalisierten Motilitätsstörung des Dickdarms ist („Slow-transit-Obstipation”), erfahren durch eine verstärkte Ballaststoffzufuhr über die Nahrung fast nie eine Besserung ihrer Beschwerden. Bei zahlreichen dieser Patienten scheint sich die Motilitätsstörung nicht auf den Dickdarm zu beschränken. Ebenso können Störungen der Magenentleerung vorliegen oder der Transport der Nahrung durch den Dünndarm kann beeinträchtigt sein. Möglicherweise besteht bei einigen dieser Patienten eine weniger augenfällige, gering symptomatische Form einer chronischen intestinalen Pseudoobstruktion.

Diese nicht nur auf den Dickdarm beschränkte Motilitätsstörung des gesamten Gastrointestinaltrakts mag unter anderem zu der oben erwähnten schlechten Verträglichkeit von Ballaststoffen bei diesen Patienten beitragen. Meist kann ihnen nur mit starken osmotisch wirksamen (z.B. Polyethylenglykol (PEG 3350), Macrogol-Lösung) oder motilitätsstimulierenden Substanzen (z.B. Diphenole: Picosulfat, Bisacodyl) geholfen werden [Tab. 7].

Bei Obstipation infolge einer Defäkationsstörung sollte eine lokale Therapie angestrebt werden. Laxanzien sind in dieser Situation wenig sinnvoll.

Die akute Analfissur wird mit Nitrosalbe oder Botulinumtoxin behandelt, um den reaktiven Sphinkterspasmus zu reduzieren. Man glaubt, dass sich dadurch die lokale Durchblutung verbessert, was sich wiederum positiv auf die Wundheilung auswirkt. Eine chronische Analfissur muss in der Regel operativ durch Exzision saniert werden.

Besteht ein manifester Rektumprolaps kann meist nur eine abdominelle Rektopexie ein weiteres Vorfallen des Darmes verhindern. Aufgrund der Rezidivgefahr wird dieses Verfahren häufig mit einer Sigmaresektion kombiniert. Beim Syndrom des solitären Rektumulkus ist eine Lokaltherapie mit Steroiden oder 5-ASA (5-Aminosalicylsäure) meist erfolglos. Auch wenn kein Prolaps vorliegt, ist die lokale Exzision des Ulkus schwierig und mit einem hohen Rezidivrisiko verbunden. Häufig bleibt auch hier nur die Rektopexie mit Sigmaresektion. Große (> 3-5 cm) und symptomatische Rektozelen können operativ entfernt werden.

Ein abnormes Reflexverhalten der Beckenbodenmuskulatur bei der Defäkation (Syndrom des spastischen Beckenbodens) kann mit konservativem Biofeedbacktraining behandelt werden. Rektale Entleerungshilfen wie Klystiere oder CO2-produzierende Suppositorien sind hilfreich.

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Abb. 1

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Abb. 2

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Abb. 3 Verteilungsmuster der röntgendichten Marker bei einem Patienten mit einer Obstipation bei langsamem Dickdarmtransit (a) bzw. einer Defäkationsstörung (b)

Tab. 1 Sekundäre Formen der Obstipation

intestinale Erkrankungen

Divertikulose, Kolonkarzinom

endokrine Erkrankungen

Diabetes mellitus, Hypothyreose

Stoffwechsel- und Elektrolytstörungen

Hypokaliämie, Hyperkalzämie, Dehydratation

neurologische, neuromuskuläre und

Apoplex, Multiple Sklerose, Morbus Parkinson,

muskuläre Erkrankungen

Querschnittslähmung, Polyneuropathie, Muskeldystrophie, Myasthenia gravis, amyotrophe Lateralsklerose

obstipierende Medikamente

Analgetika (Opiate), Antidepressiva, Anticholinergika, Parkinson-Therapeutika, Neuroleptika, Antiepileptika, Spasmolytika, Antihypertensiva (Clonidin, Verapamil), Diuretika (Thiazide), Eisen, Lithium, Vincaalkaloide

Tab. 2 Anamnese bei Obstipation

Anamnese bei langsamem Kolontransit

Anamnese bei anorektaler Obstruktion

  • oft schon seit der Adoleszenz fehlender spontaner Stuhldrang

  • aufgetriebenes Abdomen

  • Völlegefühl

  • familiäre Häufung

  • Gefühl der unvollständigen Entleerung des Rektums

  • Blockierungsgefühl beim Pressen

  • heftiges Pressen trotz Stuhldrangs und weichen Stuhls notwendig

  • Notwendigkeit zur digitalen Ausräumung

  • Notwendigkeit zur transvaginalen Kompression einer Rektozele

  • keine familiäre Häufung

modifiziert nach [7]

Tab. 3 Pathophysiologie der funktionellen Obstipation

Form der Obstipation

Pathophysiologie

Lokalisation

Obstipation mit langsamem Kolontransit

Reduktion der Anzahl propulsiver Kontraktionen (u.a. GMCs) durch bisher unbekannte, hereditäre (?) Störung des enterischen Nervensystems

generalisierte Motilitätsstörung des Gastro-intestinaltrakts?

Defäkationsstörung

Ausscheidungsstörung des Stuhls durch situativ bedingt falsch erlernte Betätigung der Beckenbodenmuskulatur

isolierte Störung der Beckenbodenmuskulatur GMC = „giant migrating contraction”

Tab. 4 Stuhlfrequenzen in der Allgemeinbevölkerung

 

Männer (40-69 Jahre, n = 632)

Frauen (40-69 Jahre, n = 424)

0-2 / Woche

0,6 %

3,5 %

> 2-6 / Woche

13,7 %

28,2 %

1 / Tag

38,0 %

35,9 %

> 1-2 / Tag

39,8 %

27,5 %

> 2 / Tag

8,2 %

5,2 %

nach [4]

Tab. 5 Normalwerte für die oro-anale Passagezeit

rechtes Hemikolon

linkes Hemikolon

Rektosigmoid

Gesamtpassagezeit

8-15 Stunden

10-20 Stunden

10-20 Stunden

30-40 Stunden

Tab. 6 Übersicht über Diagnostik und Therapie der Obstipation

Funktionsuntersuchung

Befund

Diagnose

Therapie

Dickdarmtransitzeit-bestimmung

normal

psychopathologisches Problem

Ballaststoffe Psychotherapie

Dickdarmtransitzeit-bestimmung

verzögerte Marker-propulsion

„Slow-transit”- Obstipation

motilitäts-stimulierende Pharmaka

Dickdarmtransitzeit- bestimmung

gestörte Marker-ausscheidung

 

 

Manometrie

fehlende Sphinkter-erschlaffung bei Rektumdistension

M. Hirschsprung

Operation

Manometrie

paradoxe Sphinkter-kontraktion beim Pressen

„Syndrom des spastischen Beckenbodens” („Anismus”)

Biofeedback

Defäkografie

fehlende Aufweitung des anorektalen Winkels bei Defäkation

„Syndrom des spastischen Beckenbodens” („Anismus”)

Biofeedback

Defäkografie

Rektozele, innerer Prolaps

s. Befund

Operation (?)

Manometrie

verminderte Rektum-sensibilität

Sensibilitätsstörung (z.B. Diabetes mellitus)

Biofeedback

Defäkografie

Megarektum

Megarektum

(?)

Tab. 7 Therapie bei „Slow-transit”-Obstipation

Substanzgruppe

Beispiel

Wirksamkeit

Nebenwirkungen

Gleitmittel

Leinsamen

-

(-)

Ballaststoffe

Weizenkleie

-

++

anthrachinonhaltige Substanzen

zahlreiche „natürliche” Abführmittel (z.B. Senna)

+

+

osmotisch wirksame

Lactulose

(+)

++

Laxanzien

PEG

++

motilitätsstimulierende Laxanzien

Diphenole: Bisacodyl, Picosulfat

++

(+)

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Literatur

  • 1 Erckenbrecht JF. Epidemiologie der Obstipation.  Zeitschrift für Gastroenterologie. 2000;  38 3-5
  • 2 Everhart JE, Go VLW, Johannes RS. et al. . A longitudinal survey of self-reported bowel habits in the United States.  Dig Dis Sci. 1989;  37 1153-1162
  • 3 Goei R, van J Engelshoven, Schouten H. et al. . Anorectal function: defecographic measurement in asymptomatic subjects.  Radiology. 1989;  173 137-141
  • 4 Heaton KW, Radvan J, Cripps H. et al. . Defecation frequency and timing, and stool form in the general population: a prospective study.  Gut. 1992;  33 818-824
  • 5 Johanson JF. Geographic distribution of constipation in the United States.  Gastroenterol. 1999;  112
  • 6 Lanfranchi GA, Bazzocchi G, Brignola C. et al. . Different patterns of intestinal transit time and anorectal motility in painful and painless chronic constipation.  Gut. 1984;  25 1352-1357
  • 7 Müller-Lissner S. Obstipation. In: Hahn EG, Riemann JF (Hrsg). Klinische Gastroenterologie. Stuttgart: Georg Thieme Verlag 1996
  • 8 Rühl A, Erckenbrecht JF. Anorektale Funktionsuntersuchungen.  In: Classen M, Siewert (Hrsg). Gastroenterologische Diagnostik.  Stuttgart: Schattauer Verlag. 1993;  303-321
  • 9 Schmidt TH. Pathophysiologie der chronischen Obstipation.  Zeitschrift für Gastroenterologie. 2000;  38
  • 10 Sonnenberg A. Epidemiology and socioeconomic impact of constipation and faecal incontinence. In: Ewe K, Eckhardt VF, Enck P (eds). Constipation and anorectal insufficiency. Dordrecht: Kluwer Academic Publishers 1997: 6-18
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Anschrift für die Verfasser

Prof. Dr. J. Erkenbrecht

Klinik für Innere Medizin mit Gastroenterologie und Onkologie

Florence-Nightingale-Krankenhaus

Kaiserswerther Diakonie

Kreuzbergstr. 79

40489 Düsseldorf

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Literatur

  • 1 Erckenbrecht JF. Epidemiologie der Obstipation.  Zeitschrift für Gastroenterologie. 2000;  38 3-5
  • 2 Everhart JE, Go VLW, Johannes RS. et al. . A longitudinal survey of self-reported bowel habits in the United States.  Dig Dis Sci. 1989;  37 1153-1162
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  • 10 Sonnenberg A. Epidemiology and socioeconomic impact of constipation and faecal incontinence. In: Ewe K, Eckhardt VF, Enck P (eds). Constipation and anorectal insufficiency. Dordrecht: Kluwer Academic Publishers 1997: 6-18
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Anschrift für die Verfasser

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Abb. 1

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Abb. 2

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Abb. 3 Verteilungsmuster der röntgendichten Marker bei einem Patienten mit einer Obstipation bei langsamem Dickdarmtransit (a) bzw. einer Defäkationsstörung (b)