DO - Deutsche Zeitschrift für Osteopathie 2003; 1(01): 4-5
DOI: 10.1055/s-2004-831005
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Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co.KG Stuttgart

Anthony G. Chila

Die zwei Seiten einer Medaille
Christoph Newiger
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Publication Date:
28 July 2004 (online)

Was die Eltern seines Vaters Anfang 1910 den weiten Weg aus dem süditalienischen Kalabrien über New York bis hin nach Ohio verschlagen haben mag, wird für Anthony G. Chila ein Leben lang ein Rätsel bleiben. Seiner europäischen Wurzeln ist er sich immer noch bewusst. Ohio, reich an Gewässern und etwa viermal so groß wie das Saarland, liegt im Nordosten der USA und grenzt nördlich an den großen Erie-See. Hier wird vorwiegend Landwirtschaft betrieben und leben die Amish, jene strengreligiöse Glaubensgemeinschaft, die den Fortschritt ablehnt und den Kontakt zur Außenwelt meidet.

Im Südosten Ohios, am Hocking River, nur ein paar Autostunden von der Hauptstadt Columbus entfernt, liegt das kleine Städtchen Athens. 60.000 Einwohner leben in Athens und Umgebung, etwa 20.000 davon sind Studenten der Ohio University. Zur Universität zählt auch das 1975 gegründete College of Osteopathic Medicine (OU-COM). Mehr als 400 Studenten lassen sich hier zu Doktoren der Osteopathie ausbilden. Vorausgesetzt, sie bringen einen universitären Abschluss mit, also mindestens der Titel des Bachelors.

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College und AAO

Anthony G. Chila, Osteopath und Professor für Allgemeinmedizin, ist Dozent am OU-COM. Etwa 40 Wochenstunden verbringt er am College. Sein Stundenplan umfasst acht bis zehn Stunden Vorlesungen und Übungen, zwölf bis sechzehn Stunden Patientenversorgung, sechs Stunden Forschung und vier Stunden administrative Tätigkeiten.

Das Unterrichten macht ihm Spaß. Zu seinen Studenten, die jedes Jahr neu an das College kommen, zählen auch Personen, die Osteopathie überhaupt nicht oder nur als Patienten kennen. Innerhalb von vier Jahren bilden dann Chila und seine Kollegen diesen Menschen mit ihren unterschiedlichen Erfahrungen und Einstellungen zu qualifizierten Doktoren der Osteopathie aus.

Die Hälfte seiner wöchentlichen Arbeitszeit behandelt Anthony G. Chila seine Patienten. Die Universität besitzt dazu ein eigenes Ambulatory Care Center, dessen vierter Stock nur der osteopathischen Behandlung vorbehalten ist.

Das Behandeln von Patienten wird am College großgeschrieben. Die medizinische Betreuung der Bevölkerung gerade in landwirtschaftlichen und unterversorgten Gebieten ist ein wesentliches Anliegen des OU-COM.

Neben seiner Arbeit am College ist Anthony G. Chila auch für die American Academy of Osteopathy (AAO) tätig und zählt zu deren “Fellows”. Zweimal, von 1983 bis ’84 und von 1985 bis ’87 war er deren Präsident. Er ist unter anderem Vorsitzender des “Committee of Fellowship”, Mitglied im “Board of Trusties” sowie Gründer des “Gavel Clubs”, ein Zusammenschluss ehemaliger AAO-Präsidenten. Gegenwärtig arbeitet er als Herausgeber des AAO-Journals, das viermal im Jahr erscheint.

Die AAO ist eine von 22 Gesellschaften, die der American Osteopathic Association (AOA) angegliedert sind. Ihr Ziel ist es, “die Wissenschaft und Kunst der osteopathischen Medizin zu lehren, zu befürworten, zu fördern, zu studieren und zu erforschen.”

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Selbstverständnis

Seit über 40 Jahren arbeitet Anthony G. Chila als Osteopath.

“Ich bin Arzt genauso wie ein Schulmediziner, bloß nutze ich die Osteopathie, um meinen Patienten zu helfen.” Zwischen einer Osteopathie als ausschließlich manuelle Form der Medizin und einer, die auch andere Formen der Behandlung mit einschließt, mag er nicht unterscheiden. Immerhin hat er selbst elf Jahre lang, von 1966 bis 1977, als Allgemeinarzt praktiziert und dabei auch operiert und entbunden. Zu seinen schönsten Erfahrungen zählt, dass er die Geburt seiner Tochter Anne als Osteopath und Vater begleitet hat. Als Anne dann vor fünf Jahren selbst eine kleine Tochter gebar, durfte er die Nabelschnur seiner Enkelin durchtrennen.

Neulich schenkte ihm ein Freund eine CD mit Polkaweisen der Amish people. Da entdeckte er, dass unter den Musikern drei Schwestern waren, die er selbst vor Jahren entbunden hatte.


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Vom Arzt zum Universitätsprofessor

Den Wunsch, Arzt zu werden, hatte Chila seit seiner Studienzeit. Anfang der 1960er Jahre informierte er sich deshalb über die verschiedenen Möglichkeiten, Medizin zu studieren und erfuhr so erstmals von eigenen Osteopathie-Colleges und dass sich ganz in seiner Nähe drei osteopathische Krankenhäuser befanden. So suchte er die Osteopathen dort auf, um diese ihm neue Form der Medizin kennenzulernen. Und tatsächlich waren diese Osteopathen anders als die vielen Schulmediziner, mit denen er zuvor gesprochen hatte: Sie nahmen sich Zeit für ihn und brachten ihm so die Osteopathie näher.

Später lernte er einige namhafte Osteopathen kennen, die seinen Werdegang maßgeblich beeinflusst haben, wie Warbour Cole, Fred Mitchell jun., Alan und Rollin Becker sowie Norman Larson.

Chila studierte Osteopathie in Kansas City, beendete seine Ausbildung 1965, absolvierte daraufhin sein Internship an einem Krankenhaus und ließ sich 1966 als Allgemeinarzt nieder. Seinen damaligen Traum hat er aber nie verwirklichen können. Denn eigentlich wollte Chila Chirurg werden, doch mangelte es zu jener Zeit an den notwendigen osteopathischen Fortbildungsprogrammen. Durch sein vielfaches Nachfragen lernte er aber zahlreiche Dozenten kennen, bis eines Tages die Michigan State University auf ihn aufmerksam wurde und ihn als Dozenten verpflichtete. Später holte ihn dann die Ohio University.


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Ganz privat

Hier in Athens lebt Anthony G. Chila gemeinsam mit seiner Frau Helen und mittlerweile sechs Katzen. Vom College nach Hause sind es fünf Meilen, die Anthony Chila hin und wieder gern zu Fuß zurücklegt.

Helen ist eine ausgezeichnete Köchin und hat großen Spaß daran, fremde Gerichte, die sie auf ihren gemeinsamen Reisen probieren, daheim nachzukochen. Er, der leidenschaftliche Zigarrenraucher, widmet sich in seiner Freizeit gern dem Lesen, Belletristik aber auch Geschichte, Philosophie und klerikale Literatur. Früher hat er Klarinette und Saxophon gespielt und beherrschte beide Instrumente sehr gut. Dann hat ihn die viele Arbeit mehr und mehr davon abgebracht. Manchmal greift er aber nach einem seiner Instrumente und spielt populäre Melodien.


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Beobachtungen von außen

Mit zunehmendem Interesse verfolgt Anthony G. Chila, wie sich die Osteopathie im Ausland und vor allem in Deutschland entwickelt. Urteile will er sich dazu nicht erlauben, nur Beobachtungen. So stellt er immer wieder fest, dass Schulmediziner - ob in den USA oder im Ausland – die Osteopathie meist nur als eine ergänzende oder alternative Behandlungsmöglichkeit sehen und sie nicht als einen ganz wesentlichen Bestandteil ärztlicher Ausbildung begreifen.

Auch wird, wie er findet, die osteopathische Philosophie oft unterschätzt, obwohl sie für die gesamte Ausbildung so entscheidend ist. So legen die verschiedenen Osteopathieschulen den Schwerpunkt ihrer Ausbildung sehr auf die manuelle Praxis, zu Lasten der Philosophie, die dabei zu kurz kommt.

In die Meinungsverschiedenheiten zwischen Osteopathiepraktizierenden Schulmedizinern einerseits und Physiotherapeuten und Heilpraktikern andererseits will er nicht eingreifen. “Es sind zwei Seiten einer Medaille. Nur gemeinsam können die Vertreter beider Seiten die künftige Entwicklung der Osteopathie in Deutschland bestimmen.”

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Anthony G. Chila wurde am 14. Dezember 1937 in Youngstown, Ohio, geboren. Das “G” in seinem Namen steht für George, in Erinnerung an den Bruder seines Vaters, der früh verstarb.

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