Schon aus den KG-/Physiotherapie-Praxen hörte man es häufig, und seit die Osteopathie
immer weitere Verbreitung findet nimmt es zu: “Ärzte haben ja keine Ahnung!” Das gilt
besonders für die Spezialisten am Bewegungsapparat, die Orthopäden. Klar, man erzählt
gerne, dass die Facharztausbildung fast ausschließlich operativ ausgerichtet ist,
dass in den Praxen Patienten häufig im 2-Minuten-Takt durchgeschleust werden ohne
adäquate Untersuchung. Funktionelle Sachverhalte sind ihnen weitgehend unbekannt.
Dagegen kennen sich doch die Osteopathen wirklich mit dem menschlichen Körper aus
- nicht nur im muskuloskelettalen Bereich, nein, in seiner Ganzheit: parietal, viszeral,
kraniosakral und wie alles miteinander verknüpft ist. Die Patienten bestärken uns
in der Meinung, besser zu sein, wenn auch der fundierte Beweis dazu aussteht.
Sicher, es gibt die operative Orthopädie sowie die Grenzfälle. Hand aufs Herz: Wie
unterscheidet sich eine primäre Wirbelgelenksblockierung von einer Spondylodiszitis,
einer bakteriellen Entzündung der Bandscheibe? Temperaturerhöhung und allgemeines
Krankheitsgefühl. Eine sichere Nachweismethode im Frühstadium ist die Computer-, oder
noch besser, die Kernspintomographie. Die verzögerte Einleitung einer spezifischen
Therapie kann den Patienten zum Krüppel machen.
Es gibt also Fälle, in denen ein anderes Wissen erforderlich ist. Die alten Füchse
unter den Osteopathen haben es längst erkannt: Wichtig ist eine wohlabgewogene Zusammenarbeit
mit ausgesuchten Ärzten. Mit wem kann ich was besprechen? Denn: In Zweifelsfällen
erst einmal medizinisch abklären lassen.
Sollte also die Arbeitsteilung lauten, alle funktionellen Beschwerden gehören in die
Hand des Osteopathen und alles Strukturelle sowie die Grenzfälle zum Orthopäden? Schöne
osteopathische Wunschvorstellung; sie geht aber völlig an der Realität unseres Gesundheitssystems
vorbei. Osteopathie ist, zumindest oberflächlich betrachtet (und was sonst tun die
Gesundheitspolitiker?), Luxusmedizin. Was für Möglichkeiten gibt es also in einer
orthopädischen Praxis mit gut gefülltem Wartezimmer? Behandlungszeiten von 30 Minuten
oder mehr scheiden aus. Nicht aber der ganzheitliche Ansatz: Schnell die Situation
erfassen, auf den Punkt kommen und ein oder zwei gezielte Techniken einsetzen, auch
osteopathische.
Dafür ist aber vielen Ärzten eine Ausbildung mit 1500 Stunden zu umfangreich, obwohl
sie eine größere Sicherheit und Palpationsfähigkeit vermittelt. Hier setzen Ausbildungen
an, die osteopathische Behandlungsmethoden nach dem Vorbild der amerikanischen Postgraduierten
Kurse lehren, mit den dafür nötigen anatomischen und physiologischen Basisinformationen.
Natürlich wird auch die osteopathische Denkweise gelehrt. So ist auch ein Ausbildungsgang
von ca. 420 Stunden, aufbauend auf einer manualtherapeutischen Ausbildung, eine gute
Basis für eine solide osteopathische Arbeit.
Um die Frage des VOD aufzugreifen: „Quo vadis, Osteopathie?“ - In Deutschland wird
es auf absehbare Zeit zweigleisig weitergehen. Einerseits die langfristige Ausbildung
zum Osteopathen, andererseits Ärzte und Physiotherapeuten, die in osteopathischen
Verfahren weitergebildet sind. Das Gebot der Stunde ist gegenseitiges Verständnis,
nicht Konfrontation.
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