Pro
Pro
Das Blasenkarzinom stellt mittlerweile den 5. häufigsten bösartigen Tumor des
Mannes dar. Aktuellen statistischen Erhebungen zufolge weisen ca. 30% der Patienten
zum Zeitpunkt der Diagnose bereits ein muskelinfiltratives Blasenkarzinom auf,
ca. 50% dieser Patienten präsentieren sich bereits mit lokoregionären Lymphknotenmetastasen.
In diesem klinischen Szenario ist eine Kuration durch alleinige radikalchirurgische
Maßnahmen nicht mehr möglich und es konkurrieren die Therapieoptionen der adjuvanten
und der neoadjuvanten systemischen Chemotherapie. Nachdem die Metaanalyse des
Medical Research Council (MRC) zu den bisher publizierten Daten der neoadjuvanten
Chemotherapie des lokal fortgeschrittenen Blasenkarzinoms einen Überlebensbenefit
von 5% beschreibt, hat diese therapeutische Variante neuen Aufwind bekommen. Ziel
der beiden vorliegenden Beiträge ist es, sich kritisch mit den vorliegenden Daten
und den Interpretationen der Daten auseinander zu setzen, um klinisch relevante
Schlussfolgerungen ziehen zu können.
Die perioperative Chemotherapie des fortgeschrittenen Urothelkazinoms
Die perioperative Chemotherapie des fortgeschrittenen Urothelkazinoms
Patienten mit lokal fortgeschrittenem Harnblasenkarzinom oder lymphogener Metastasierung
haben trotz lokaler Tumorkontrolle durch operative Maßnahmen ein erhöhtes Risiko
für ein systemisches Fortschreiten der Erkrankung. Trotz radikaler Zystektomie und
erweiterter Lymphadenektomie sind die Überlebensraten für Patienten mit lymphogen
metastasiertem und/oder fortgeschrittenem Urothelkarzinom der Harnblase bei 10-Jahres-Überlebensraten
von ca. 30% schlecht.
Um die Prognose und das Überleben der Patienten zu verbessern, erfolgt der perioperative
Einsatz der systemischen Chemotherapie unter neoadjuvanter oder adjuvanter Zielsetzung.
Besondere Beachtung bedürfen prognostische Faktoren, die unabhängig vom Tumorstadium
und der Tumorlokalisation das Überleben der Patienten beeinflussen.
Prognostische Faktoren
Prognostische Faktoren
Die Prognose von Patienten mit fortgeschrittenem Harnblasenkarzinom wird wesentlich
vom Allgemeinzustand des Patienten bestimmt. Unabhängig von der Tumorlokalisation
und unabhängig von der Wahl der systemischen Therapie ist die Prognose bei gleichzeitigem
Vorliegen einer tumorbedingten Kachexie und Anämie mit 7,9 Monaten mittlerem Überleben
im Vergleich zu normgewichtigen und nicht anämischen Patienten (mittleres Überleben
42,3 Monate) signifikant schlechter.
Patienten, die nach induktiver Chemotherapie eine komplette Remission entwickeln,
weisen eine 2-Jahres-Überlebensrate bis zu 71% auf. Diese Patienten profitieren
somit auch in Bezug auf die Überlebenszeit. Sternberg et al. 1988 ermittelten für
Patienten mit kompletter Remission eine mediane Überlebenszeit von mehr als 33 Monaten;
die komplette Remission hielt für mehr als 28 Monate an. Im Gegensatz dazu fand
sich für Patienten mit partieller Remission eine mittlere Überlebenszeit von 11
Monaten; eine Tumorprogression trat nach ca. 8 Monaten auf.
Die Ansprechrate der induktiven Chemotherapie bei metastasiertem Harnblasenkarzinom
korreliert mit der Metastasenlokalisation. Die größte objektive Ansprechrate konnte
mit 41% kompletter Remissionen für Lungenmetastasen ermittelt werden. Lebermetastasen
weisen in nur 9% der Fälle komplette Remissionen auf.
Ohne prognostische Bedeutung ist die Tatsache, ob die Metastasen von einem Nierenbeckenkarzinom,
Harnleiterkarzinom oder Harnblasenkarzinom ausgehen. Hier sind die Ergebnisse der
systemischen Chemotherapie gleich ungünstig .
Neoadjuvante Chemotherapie
Es liegen 11 randomisierte Studien mit einer Gesamtzahl von mehr als 3000 Patienten
vor. Im Rahmen einer Metaanalyse der MRC-Gruppe sind die Studienergebnisse von 2688
Patienten aus randomisierten Untersuchung erfasst worden. Im Vergleich zur Kontrollgruppe
besteht ein 5-Jahres-Überlebensvorteil von 5% zu Gunsten der chemotherapierten Patienten.
In der Kontrollgruppe sind 636 von 1054 Patienten verstorben; in der neoadjuvanten
Therapiegruppe sind 588 von 1062 Patienten tumorbedingt verstorben. Die Polychemotherapie
ist der Monochemotherapie überlegen (p = 0,044). Trotz unselektionierten Patientenkollektivs
besteht im Vergleich zur alleinigen Zystektomie ein Unterschied von ca.7% .
Dieser Unterschied wird unter den günstigen Selektionskriterien der SWOG signifikant
höher. In Rahmen dieser Studie wurden 317 Patienten mit einem pT2a-pT4-Blasenkarzinom
rekrutiert und in den Arm der alleinigen radikalen Zystektomie oder in den Arm der
neoadjuvanten Chemotherapie mit 3 Zyklen MVAC gefolgt von der radikalen Zystektomie
randomisiert. Entsprechend den Resultaten einer Intention-to-treat-Analyse war das
mediane Überleben mit 77 Monaten gegenüber 46 Monaten deutlich, aber nicht signifikant
verlängert (p = 0,06). Ein signifikanter Prognosefaktor für ein verlängertes tumorspezifisches
Überleben stellte ein pT0-Stadium nach radikaler Zystektomie in beiden Gruppen dar;
dieser Befund wiederum war signifikant häufiger in dem Patientenkollektiv der Kombinationstherapie
zu finden (38% versus 15%, p < 0,01).
Adjuvante Chemotherapie
Die adjuvante Chemotherapie hat zum Ziel, den Erfolg vorangegangener kurativer lokaler
Maßnahmen zu konsolidieren. Vorhandene nicht sichtbare Tumorresiduen sollen erfasst
werden, um ein Tumorrezidiv zu verhindern und das Überleben der Patienten zu verbessern.
Im Rahmen prospektiv randomisierter Studien wurde der Einfluss der adjuvanten Chemotherapie
auf das lokal fortgeschrittene Harnblasenkarzinom geprüft. Zielgröße war in beiden
Studien die Überlebensrate. Im Gegensatz zu Skinner et al. (1991) konnten Studer
et al. (1991) keinen Einfluss der adjuvanten Chemotherapie auf das Überleben der
Patienten feststellen. Ursache dafür ist die Anwendung einer Monochemotherapie (Cisplatin)
in der Schweizer Arbeitsgruppe, die nachweislich einer Polychemotherapie in der
Behandlung des fortgeschrittenen Urothelkarzinoms unterlegen ist.
Stöckle et al. untersuchten 1995 den Einfluss der adjuvanten Chemotherapie auf die
Tumorprogressionsrate nach radikaler Zystektomie und pelviner Lymphadenektomie für
Patienten mit lokal fortgeschrittenem Harnblasenkarzinom und/ oder pelvinen Lymphknotenmetastasen.
Im Rahmen dieser Studie fand sich nach adjuvanter Chemotherapie eine niedrigere
Tumorprogressionsrate. Trotz der kleinen Fallzahl lässt sich ein Vorteil der adjuvanten
Chemotherapie mit verbesserter Langzeitüberlebensrate gegenüber der Kontrollgruppe
ableiten.
Im Rahmen einer prospektiven vergleichenden Untersuchung hatten Stöckle et.al 1991
den Einfluss der adjuvanten Chemotherapie auf die Überlebenszeit von Patienten mit
lymphogen metastasiertem Harnblasenkarzinom analysiert. Die Autoren konnten zudem
die besondere prognostische Bedeutung der lymphonodulären Tumorlast darstellen:
Patienten mit nur einem tumorbefallenen Lymphknoten profitierten hinsichtlich der
3-Jahres-Überlebensrate im Vergleich zur Kontrollgruppe. In einer weiteren randomisierten
Untersuchung zum gleichen Patientenkollektiv wurden 108 Patienten rekrutiert. 53
Patienten wurden ausschließlich zystektomiert und lymphadenektomiert, 55 Patienten
erhielten adjuvant 3 Zyklen einer M-VEC Chemotherapie. Obwohl kein signifikanter
Unterschied bezüglich des mittleren Gesamtüberlebens zwischen den beiden Gruppen
erzielt werden konnte (43 Monate [Kontrollgruppe] versus 48 Monate), scheint die
Subgruppe der Patienten mit lymphonodulärer Metastasierung unabhängig von der Anzahl
der befallenen Lymphknoten von der adjuvanten Chemotherapie zu profitieren (Abb.
1).
Abb. 1 Harnblasenkazinom. pN1-2, M0, M-VEC vs. Kontrolle (Otto et al., 2003).
Die Effektivität einer systemischen, perioperativen Polychemotherapie wird von der
Arbeitsgruppe um Stöckle bereits postuliert, weshalb zwei unterschiedliche Chemotherapieregime
ohne Kontrollgruppe unter adjuvanter Zielsetzung bei lokal fortgeschrittenen oder
lymphogen metastasierten Urothelkarzinomen randomisiert geprüft wurden. Die Phase-III-Studie
erfolgte mit den beiden Behandlungsarmen Methotrexat, Cisplatin (CM) und M-VEC.
Gemessen an der progressionsfreien 5-Jahres-Überlebenszeit bestehen mit exzellenten
45 vs. 50% keine signifikanten Unterschiede bei besserem Nebenwirkunsprofil bei
CM-therapierten Patienten.
Neue Konzepte in der Systembehandlung
Die Kombination methotrexat- und cisplatinhaltiger Schemata weist eine Remissionsrate
von 56-65% auf. Das Langzeitüberleben ist mit weniger als 20 % ungünstig. Unter
Bezug auf die erzielten objektiven Remissionen hat sich die Polychemotherapie nach
dem M-VAC-Schema bis 2001 als Standard etabliert.
Ungünstige Remissionsraten in Kombination mit einer hohen Frequenz therapieassoziierter
Nebenwirkungen haben zur Suche nach neuen Systemtherapien geführt. Aktive Substanzen
stellen in diesem Zusammenhang Gemcitabine und Taxanabkömmlinge wie Paclitaxel oder
Docetaxel dar.
Besondere Bedeutung hat in diesem Zusammenhang die Kombination aus Gemcitabine und
Cisplatin erlangt. Im randomisierten Vergleich von 405 Patienten weist die Kombination
Gemcitabine/Cisplatin eine signifikant geringere Morbidität bei signifikant verkürzter
Krankenhausverweildauer und signifikant verbesserer Lebensqualität auf. Allerdings
haben sich die Überlebens- und Progressionsraten nicht verbessern lassen.
Im Rahmen klinischer Phase-II-Prüfungen beträgt die objektive Remissionsrate unter
der Kombination von Paclitaxel und Carboplatin, Gemcitabine und Paclitaxel, Docetaxel
und Gemcitabine 48-63%, so dass diese Substanzen einer weiteren Prüfung unter neoadjuvanten
und adjuvanten Bedingungen bedürfen.
Prof. Dr. med T. Otto
Urologische Klinik und Poliklinik, Universitätsklinikum Essen,
Hufelandstr. 55, 45417 Essen
Literatur beim Autor
Contra
Contra
Neoadjuvante Chemotherapie beim muskelinvasiven Blasenkarzinom - ein neuer Standard?
Neoadjuvante Chemotherapie beim muskelinvasiven Blasenkarzinom - ein neuer Standard?
Das invasive Harnblasenkarzinom ist eine Erkrankung mit signifikanter Morbidität
und Mortalität. In Verbindung mit einem orthotopen Harnblasenersatz ist die pelvine
Lymphadenektomie und radikale Zystektomie als idealer Standard der Therapie des
invasiven Harnblasenkarzinoms etabliert. Dies konnte insbesondere durch Verbesserungen
des perioperativen Managements mit Senkung der Mortalität und Morbidität bei gleichzeitigem
Erhalt der Lebensqualität erreicht werden. Die Überlebenswahrscheinlichkeit des
Patienten mit Harnblasenkarzinom wird insbesondere vom pathologischen Tumorstadium
und dem Lymphknotenstatus bestimmt. Mit steigendem Tumorstadium sinkt die Überlebenswahrscheinlichkeit
zunehmend ab.
Ziele einer neoadjuvante Chemotherapie vor radikaler Zystektomie
Ziele einer neoadjuvante Chemotherapie vor radikaler Zystektomie
Das Harnblasenkarzinom ist prinzipiell ein chemosensibler Tumor. Das Konzept einer
neoadjuvanten Chemotherapie ist für Patienten mit operablen Tumoren der klinischen
Stadien T2 bis T4a vorgesehen. Für Patienten mit primär nicht resektablem Tumor
gelten andere Voraussetzungen der zum Teil nicht kurativen Therapieplanung. Ziel
einer neoadjuvanten Therapie vor geplanter Zystektomie ist es, das Überleben von
Patienten mit potenzieller Mikrometastasierung zu verbessern. Die Rationale einer
neoadjuvanten Therapie gründet sich auf die systemische Behandlung einer Frühmetastasierung
mit geringer Tumorlast und birgt den potenziellen Vorteil, dass eine Systemtherapie
vor definitiver chirurgischer Therapie besser toleriert wird. Die Toxizität einer
neoadjuvanten Therapie ist bei diesen selektierten, operablen Patienten in gutem
Allgemeinzustand und mit ansonsten lokalisierter Erkrankung reduziert. Allerdings
hat dieses Argument auch umgekehrt Gültigkeit, da Patienten einen ausgedehnten abdominellen
Eingriff wie die radikale Zystektomie mit nachfolgender Harnableitung vor einer
Systemtherapie besser tolerieren. In der aktuell publizierten Intergroup-Studie
der SWOG [6] wurden nach vorausgegangener neoadjuvanter Chemotherapie letztlich
nur 82% der für eine Zystektomie geplanten Patienten tatsächlich operiert. Es darf
spekuliert werden, weshalb bei 18% der Patienten nach Chemotherapie keine geplante
operative Therapie erfolgte.
Nachteile einer neoadjuvanten Chemotherapie vor radikaler Zystektomie
Nachteile einer neoadjuvanten Chemotherapie vor radikaler Zystektomie
Wichtige Nachteile der neoadjuvanten Therapiestrategie sind in dem unsicheren präoperativen
Staging mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von etwa 30% sowie in der Verzögerung
der definitiven operativen Therapie zu sehen. Diese Nachteile gelten insbesondere
für die Non-Responder als auch für die ca. 35% der Patienten, die eine Toxizität
Grad 3/4 erleiden.
Darüber hinaus zeigt vor diesem Hintergrund eine Vielzahl der publizierten neoadjuvanten
Chemotherapiestudien auch keinen oder nur einen minimalen Trend zum Überlebensvorteil.
Obwohl inzwischen mehr als 3000 Patienten in prospektiven Studien zur neoadjuvanten
Chemotherapie randomisiert wurden, existiert keine definitive Antwort bezüglich
des wahren, klinischen Vorteils einer solchen Strategie für den individuellen Patienten.
In einer aktuellen Metaanalyse von 10 Studien, die 88% aller Patienten aus verfügbaren,
publizierten Studien erfasst, ergab sich bezüglich des Gesamtüberlebens der ganzen
Gruppe und für Patienten mit alleiniger Cisplatingabe kein Vorteil. Lediglich in
einer Subgruppenanalyse zeigte sich ein Gesamtvorteil von 5% für die Patientengruppe
mit neoadjuvanter Therapie. Der Vorteil entspricht einer absoluten Verbesserung
des Überlebens von 45 auf 50 %.
Erhebliche methodische Nachteile der zugrunde liegenden Studien liegen in der Tatsache,
dass in etwa 35 % Patienten ein T0- bis T2-Tumorstadium vorlag und andererseits
der Lymphknotenstatus in 48-55 % der eingeschlossenen Patienten unklar blieb, da
dieser nur in 6 von 10 Studien berücksichtigt wurde. Damit ergibt sich zwanglos,
dass die exakte pathologische Staging-Information unabdingbar ist, um Patienten
zu selektieren, die eine organbegrenzte Erkrankung aufweisen, und wahrscheinlich
sowieso keine Chemotherapie benötigen. Die 5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit
dieser prognostisch günstigen Patientengruppe liegt in aktuellen Zystektomieserien
zwischen 64 und 83% . Somit scheint sich zumindest für diese Patienten, der zusätzliche
Vorteil einer neoadjuvanten Therapie, die begleitende Toxizität nicht zu rechtfertigen.
Ergebnisse der radikalen Zystektomie im Vergleich mit einer zusätzlichen Systemtherapie
Ergebnisse der radikalen Zystektomie im Vergleich mit einer zusätzlichen Systemtherapie
Eine aktuelle Analyse von fast 700 Zystektomie-Patienten einer Institution, die
weit gehend ohne jegliche Chemotherapie behandelt wurden ergab ein 5-JahresÜberleben
von 78% für pT2a/b-, 56,6% für pT3a/b- und 53,8% für pT4a/b-Tumoren, sofern kein
Lymphknotenbefall vorlag. Die Verbesserung des Überlebens mit neoadjuvanter Chemotherapie
lag demgegenüber in der Metaanalyse des Medical Research Councils bei lediglich
55 auf 60 % für T1-2-, bei 40 auf 45% für T3- und bei 25 auf 30% für T4-Tumoren.
Dieser Vergleich von Überlebenswahrscheinlichkeiten relativiert die Sinnhaftigkeit
einer neoadjuvanten Chemotherapiestrategie weiter, da der zunehmende Anteil von
Patienten die eine orthotope Neoblase erhalten, die definitive Entscheidung für
eine Zystektomie erleichtert und damit die Therapieergebnisse für Patienten mit
organbegrenztem Tumor offensichtlich weiter verbessert werden. Demgegenüber haben
Patienten mit histologisch gesicherter Lymphknotenmetastasierung mit alleiniger
Chirurgie eine deutlich schlechtere Prognose. Die 5-Jahres-Überlebensraten liegen
hier abhängig vom Primärtumorstadium bei lediglich 20 - 36%. Letzterer Umstand liefert
im Zusammenhang mit den Beweisen prospektiver Studien zur prinzipiellen Wirksamkeit
(neo)adjuvanter Therapien ein starkes Argument zur weiteren Verfolgung des Konzepts
der risikogesteuerten, adjuvanten Chemotherapie nach definitiver pathologischer
Festlegung des Tumorstadiums am Zystektomiepräparat. Diese Erkenntnis sowie die
Möglichkeit der zusätzlichen Evaluierung molekularer Marker wie p53 haben aktuell
zur Aktivierung weiterer adjuvanter Chemotherapiestudien geführt und lassen den
Sinn einer präoperativen Chemotherapie als Standard trotz des gezeigten, geringen
Überlebensvorteils recht fragwürdig erscheinen.
Prof. Dr. Jürgen Gschwend
Klinik für Urologie und Kinderurologie
Urologische Universitätsklinik Ulm
Prittwitzstr. 43, 89075 Ulm
Literatur beim Autor
Fazit
Fazit
Die Beiträge von Otto und Gschwend setzen sich kritisch mit dem Konzept der neoadjuvanten
Chemotherapie vor geplanter radikaler Zystektomie auseinander. Die Rationale der
neoadjuvanten Chemotherapie liegt in der Eradikation systemischer Mikrometastasen
mit dem Ziel einer langfristigen Überlebensverbesserung für die Patienten. Zudem
wird oftmals die Ansicht vertreten, dass die neoadjuvante Chemotherapie bei minimaler
Tumorlast zu besseren Langzeitergebnissen führt und von den noch nicht operativ
sanierten Patienten besser toleriert werde als eine adjuvante Chemotherapie bei
voroperierten Patienten mit postoperativ durchlaufener Immunsuppression. Die Metaanalyse
des MRC scheint diese Sichtweise der Dinge zu bestätigen. Um die Bedeutung der
Metaanalyse für den klinischen Alltag vornehmen zu können, ist es sinnvoll sich
intensiv mit den vorliegenden Daten zu befassen.
Trotz vermeintlich positiver Daten erscheint mir aus verschiedenen Gründen keine
generelle Indikation zur neoadjuvanten Chemotherapie bei vermeintlich lokal fortgeschrittenem
Blasenkarzinom gegeben: (1) es ergibt sich zwar ein Benefit bezüglich des Gesamtüberlebens
nach 5 Jahren von 5%, allerdings ist auch eine chemotherapieassoziierte Mortalität
von 3% zu berücksichtigen. (2) Insbesondere in die Rezidivrate des Kontrollarms
fließt die Operationstechnik ein, die erheblich zwischen den verschiedenen Zentren
differiert. Die Southwest Oncology Group (SWOG) hat in diesem Zusammenhang für
die prospektiv randomisierte Studie SWOG8710 (neoadjuvant MVAC plus radikale Zystektomie
versus radikale Zystektomie) eindrücklich demonstrieren können, dass die Erfahrung
des Operateurs und die Art der pelvinen Lymphadenektomie entscheidenden Einfluss
sowohl auf die Überlebensrate als auch auf die lokale Rezidivrate haben und unabhängige
Prognosefaktoren darstellen. Auch Leissner und Mitarbeiter konnten kürzlich zeigen,
dass die Prognose der Patienten abhängig von ”ihrem“ Operateur als unabhängige
Variable ist. Diese Parameter bedürfen sicherlich einer prospektiven Prüfung,
verdeutlichen jedoch, dass der 5%-Benefit der neoadjuvanten Chemotherapie durch
eine optimierte Operationstechnik als weniger toxische Therapievariante bei geeigneter
Patientenselektion kompensiert werden kann. (3) Die radikale Zystektomie nach
neoadjuvanter Therapie ist mit einer höheren Rate an operativen Komplikationen,
einer signifikant längeren Gesamttherapiedauer sowie einer höheren perioperativen
Mortalitätsrate verbunden wie Hall et al. in einer Fallkontrollstudie darstellen.
Eine Verbesserung der in der Metaanalayse dargelegten Daten lässt sich aus meiner
Sicht nur durch effektivere und nebenwirkungsärme Kombinationstherapie wie z.
B. Gemcitabin/Cisplatin sowie durch eine angepasste Operationstechnik erreichen.
Auch nach der neoadjuvanten Chemotherapie sollte eine ausgedehnte pelvine Lymphadenektomie
den Standard darstellen, nachdem Dodd et al. eine tumorspezifische 5-Jahres-Überlebensrate
von 33% für dieses Patientenkollektiv darstellen konnten.
Aus meiner Sicht scheint eine Subgruppenanalyse nötig, um Patienten mit dem größtmöglichen
Benefit einer neoadjuvanten Therapie identifizieren zu können. In dem Nordic Cystectomy
Trial wiesen Patienten mit T3/4-Blasenkarzinom eine um 15% bessere tumorspezifische
5-Jahres-Überlebensrate nach neoadjuvanter Therapie auf als die Kontrollgruppe.
Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Kolaczyk et al., die 8 Jahre nach neoadjuvanter
Chemotherapie eine tumorspezifische Überlebensrate von 36 versus 0% bei T3/4-Karzinom,
aber nicht bei Lymphknotenbefall beschreiben. Auch die SWOG8710 beschreibt ein
medianes Überleben von 6,2 versus 3.8 Jahren im Wesentlichen für die T3/4-Karzinome.
Molekulare Marker könnten Patienten mit hohem Progressionsrisiko identifizieren.
Shariat et al. haben kürzlich nachgewiesen, dass die Expression des mutierten
p53-Proteins in Kombination mit einer alterierten Expression von p16 mit einem
signifikant erhöhten Progressionsrisiko und einem signifikant schlechteren Langzeitüberleben
assoziiert.
Zusammenfassend ergibt sich aus meiner Sicht keine generelle Indikation zur neoadjuvanten
Chemotherapie bei lokal fortgeschrittenem Blasenkarzinom. Aus unserer Sicht erscheinen
junge Patienten mit einem T3/4-Karzinom ohne makroskopische Lymphknotenbeteiligung
bei fehlenden kardiopulmonalen Komorbiditäten am besten geeignet. Die nachgeschaltete
radikale Zystektomie sollte in jedem Falle mit einer extendierten pelvinen Lymphadenektomie
erfolgen. Nachfolgende prospektive Studien - wie von der AUO geplant - müssen
den therapeutischen Stellenwert der extendierten Lymphadenektomie ± adjuvanter
Chemotherapie untersuchen.