Falldarstellung
Vorgeschichte
Etwa 2 Wochen im Anschluss an eine In-vitro-Fertilisation entwickelt eine 29-jährige
Patientin nach anfänglich unauffälligem Verlauf ein stark gespanntes Abdomen, sonographisch
findet sich eine ausgeprägte Aszitesbildung. In den nächsten Tagen werden insgesamt
8,7 l Aszites abpunktiert. Im weiteren Verlauf tritt zunehmende Belastungsatemnot
auf. Die Patientin wird schließlich mit Verdacht auf einen Pleuraerguss rechts zur
weiteren Diagnostik und Therapie zuverlegt. Subjektiv besteht zum Aufnahmezeitpunkt
Belastungsatemnot bei geringsten Bewegungen sowie Orthopnoe, wegen der die Patientin
nur in Rechtsseitenlage schlafen kann. Keine weiteren Beschwerden, keine relevanten
Vorerkrankungen; die Patientin war stets Nichtraucherin.
Körperliche Untersuchung
Gedämpfter Klopfschall über der gesamten rechten Lunge bei stark abgeschwächtem bis
fehlendem Atemgeräusch. Links unauffällige Perkussion und Auskultation. Gering vorgewölbte,
sonst aber unauffällige Bauchdecke. Der übrige körperliche Befund ist altersentsprechend
und unauffällig.
Technische Befunde
Nach Aufnahme zeigt sich in der Blutgasanalyse bei pO2 59 Torr und pCO2 28 Torr eine respiratorische Insuffizienz mit kompensatorischer Hyperventilation.
Sonographisch findet sich rechts ein ausgedehnter, homogener Pleuraerguss, der von
dem nach kaudal verschobenen, kaum beweglichen Zwerchfell bis über die Skapula reicht.
Die Pleura ist allseits zart, es sind weder Fibrinsegel noch Zeichen der Kammerung
nachweisbar. Links unauffälliger Pleurabefund. In der Oberbauchsonographie kollabiert
die Vena cava inspiratorisch subtotal; exspiratorisch misst sie 6 mm als Zeichen eines
Volumenmangels; keine weiteren Auffälligkeiten, insbesondere lassen sich keine relevanten
Aszitesmengen darstellen. An Laboruntersuchungen sind auffällig CRP mit 19,6 mg/l,
Leukozyten 13,1 G/l, absolute Neutrophilenzahl 10,5 G/l, Thrombozyten 546 G/l, Gesamt-Eiweiß
5,20 g/dl, Albumin 2,7 g/dl. Die übrigen Parameter aus Blutbild, Serumchemie (einschließlich
LDH 212 U/l, Cholesterin 198 mg/dl) und Gerinnung im Normbereich.
Ergussanalytik
Im Pleurapunktat Eiweiß 3,2 g/dl, Glucose 112 mg/dl, LDH 73 U/L, Amylase 17 U/L, Triglyzeride
17 mg/dl, Cholesterin < 25 mg/dl. Mikrobiologisch kein Nachweis von Bakterien oder
Pilzen. Lichtmikroskopisch kein Nachweis säurefester Stäbchen; in der Festkultur kein
Wachstum von M.-tub.-Komplex.
Pathologie
Zytologisch einzeln und in Gruppen liegende Mesothelzellen, z. T. als aktivierte Formen
mit mäßiger Variabilität des Kernvolumens. Daneben mäßig viele Lymphozyten, einige
neutrophile Granulozyten und Erythrozyten. Keine Tumorzellen. Histologisch Pleuragewebe
mit diskreter unspezifischer chronischer Pleuritis, keine Hinweise auf Malignität
oder Spezifität.
Verdachtsdiagnose, Verlauf
Bei fehlenden Hinweisen auf eine anderweitige Genese des einseitigen Pleuraprodukts
besteht nach stattgehabter IVF der Verdacht auf ein ovarielles Hyperstimulationssyndrom.
Bei drei Entlastungspunktion werden insgesamt 4,2 l jeweils hellgelben, klaren Ergusses
abgelassen. Initial werden zudem Sauerstoff und niedermolekulares Heparin gegeben
sowie intravenös Volumen substituiert. Die klinischen Beschwerden sind rückläufig,
die Blutgasanalyse ist abschließend ausgeglichen. Angesichts der bestehenden Frühschwangerschaft
und des komplikationslosen Verlaufs wird auf Röntgenaufnahmen verzichtet und ausschließlich
mit Ultraschall-Kontrollen gearbeitet. Abschließend findet sich ein noch 21 mm breiter
subpulmonaler Erguss ohne Tendenz nachzulaufen. Die Patientin wird subjektiv beschwerdefrei
nach sechs Tagen in die zu verlegende Abteilung entlassen.
Nach weiteren sechs Tagen stellt sich die Patientin zur Verlaufskontrolle erneut vor.
Sie berichtet subjektives Wohlbefinden, die Belastbarkeit wird mit ≥ 2 Stockwerken
Treppensteigen angegeben. Laborchemisch sind CRP und Leukozyten unverändert gering
erhöht, die Thrombozyten mit 480 G/l rückläufig, Gesamteiweiß und Albumin normalisiert.
Im Ultraschall zeigt sich bei unverändert unauffälligen Verhältnissen an der linken
Pleura bzw. intraabdominell an der rechten Pleura ein homogener, in kraniokaudaler
Richtung bis 49 mm breiter subpulmonaler Erguss. Weiterhin keine Zeichen der Organisation.
Es werden nochmals 0,7 l hellgelbe, klare Flüssigkeit punktiert. Am Folgetag noch
Winkelerguss rechts, zwei weitere Kontrollen weisen einen jeweils unauffälligen Befund
auf.
Diskussion
Bei der vorgestellten Patientin ergibt sich aus der anamnestischen bzw. klinischen
Konstellation mit Frühschwangerschaft nach In-vitro-Fertilisation (IVF), Aszites-
und Pleuraergussbildung, Hypoproteinämie und Volumenmangel die Verdachtsdiagnose eines
ovariellen Hyperstimulationssyndroms (OHSS), wobei für das Vorliegen eines OHSS nicht
unbedingt auch eine Schwangerschaft bestehen muss. Die Diagnose wird durch den Ausschluss
anderer Ursachen eines Pleuraergusses bestätigt [9]. So müssen differenzialdiagnostisch in erster Linie Lungenembolien bedacht und diese
u. U. ausgeschlossen werden, zumal thrombembolische Komplikationen auch durch das
Syndrom selbst vorkommen können [12]. Bei entsprechenden anamnestischen oder klinischen Hinweisen sollte insbesondere
nach infektiösen, neoplastischen oder rheumatischen Ursachen für eine Ergussbildung
gesucht werden.
Auffällig ist, dass in der Literatur vornehmlich einseitige pleurale Ergussbildungen
beschrieben sind und diese vor allem rechts vorkommen: wie in dieser Kasuistik traten
auch sie bei der Serie von Serge und Karine alle [12], bei Man u. Mitarb. in 3 von 4 Fällen rechts auf [9]. Ursächlich wird, ähnlich wie bei der kardialen Stauung, die im Vergleich zur linken
Seite an der rechten Pleura geringere Lymphdrainage verantwortlich gemacht [9]. Chemisch überwiegen Exsudate, jedoch können auch Transsudate vorliegen [9]; im vorliegenden Fall war eine eindeutige Differenzierung schwierig. Bei Anwendung
der Kriterien von Light [10] sprachen jedoch mehr Befunde für das Vorliegen eines Transsudates als eines Exsudates
(Für Transsudat: LDH im Erguss weniger als ⅔ des Serumnormalwertes der LDH sowie Verhältnis
LDH im Erguss/LDH im Serum von 0,3. Für Exsudat: Eiweiß im Erguss/Eiweiß im Serum
von 0,6). Zytologisch typisch sind die reichlich vorhandenen aktivierten Mesothelzellen
[11].
Das OHSS gilt als gefährlichste Komplikation der medikamentösen Ovulationsinduktion
und tritt vor allem bei der In-vitro-Fertilisation auf. Für die Entstehung des Syndroms
wird eine rasche Volumenverschiebung von intravasal in den dritten Raum mit nachfolgend
gestörter Hämodynamik verantwortlich gemacht [11]. Als Auslöser gilt ein plötzlicher Anstieg der Kapillarpermeabilität, dessen Ursache
aber nicht abschließend geklärt ist. Die Schwere des Bildes ist abhängig vom Ausmaß
der follikulären Antwort auf die ovulations-induzierenden Agentien [12]. Verschiedene potenzielle Mediatoren sind bislang untersucht worden. So ist unter
anderem die Serumkonzentration des Vascular endothelial growth factor (VEGF) bei OHSS
erhöht, ohne dass jedoch aus der Höhe des Spiegels auf die Prognose geschlossen werden
kann [8]. Die VEGF-Produktion in den follikulären Granulosazellen ist offenbar abhängig von
der Serumkonzentration des humanen Choriongonadotropins (hCG). Dieses wird im Rahmen
der IVF in hohen Dosen zur Follikelstimulation eingesetzt [8]
[13]. Neben hCG als wichtigem Mediator in der Entstehung des OHSS wird aber auch eine
Rolle des Renin-Angiotensin-Systems [6] sowie von TNF-α und einigen Interleukinen (v. a. IL-1, IL-6) diskutiert. Letztere
sind, ebenso wie die erhöhten VEGF-Spiegel, mit klinischer Besserung rückläufig [1]
[5].
Als besonders gefährdet gelten Patientinnen mit folgenden Risikofaktoren: Alter unter
35 Jahre, Estradiol-Plasma-Konzentration größer 2000 pg/ml, andauernde Schwangerschaft,
Nachweis von polyzystischen Ovarien bereits vor Stimulation und eine Follikelzahl
größer 10 [12]. Von diesen Risikofaktoren treffen die ersten drei auf unsere Patientin zu. Entsprechend
einer Schweregradeinteilung von Serge u. Mitarb. besteht bei ihr zum Aufnahmezeitpunkt
ein schwergradiges OHSS. In dieser Einteilung werden vier Stadien des Syndroms unterschieden:
(1) geringgradig, mit abdominellen Beschwerden (Völlegefühl, Aufgetriebensein); (2)
mittelgradig, mit sonographisch nachweisbarem Aszites; (3) schwergradig, mit klinisch
feststellbarem Aszites und/oder anderem Erguss (meist pleural, sehr selten perikardial),
eventuell auch Hämokonzentration, und (4) lebensbedrohlich, zusätzlich zu oben genannten
Befunden mit Hämatokrit > 55 %, Leukozytose > 25 G/l, hypovolämischem Schock, akutem
Nieren- und respiratorischem Versagen und thrombembolischen Komplikationen [12].
Der Schweregrad des Syndroms korreliert mit der Latenz zwischen ovarieller Stimulation
und Beginn der klinischen Beschwerden: ein früher Beginn nach ca. 3 - 7 Tagen geht
meist mit einem leichteren Verlauf einher als deren später Beginn (nach 12 - 17 Tagen).
Besteht keine Schwangerschaft, klingen die Beschwerden innerhalb von ca. einer Woche
ab, sie können andernfalls aber bis zu 3 Wochen anhalten. In den meisten Fällen verläuft
das Syndrom mild und mit günstiger Prognose, eine spezifische Therapie ist nicht nötig.
Bei schwerer Ausprägung kann die Erkrankung lebensbedrohlich werden. Im Rahmen der
dann nötigen stationären Therapie müssen eventuelle Volumen- und Elektrolytstörungen
ausgeglichen werden; neben einer Thromboseprophylaxe, sind, je nach klinischer Situation,
Entlastungspunktionen und weitere supportive Maßnahmen indiziert [11].
Die Ergussproduktion kann große Ausmaße annehmen: in einer Kasuistik mussten bis zur
Stabilisierung der Patientin 65 l Aszites [2], in einer anderen Beschreibung 10 l Pleuraerguss abpunktiert werden [12]. Anders als im Fall von Aszites finden sich in der Literatur aber nur wenige Beobachtungen
von ausgedehnten Pleuraergüssen. So bewegen sich bei der Serie von Man u. Mitarb.
die Ergussmengen zwischen 1,2 und 2,0 l [9]. In einer anderen Arbeit findet sich in einer retrospektiven Untersuchung bei 771
Patientinnen nach IVF oder intrauteriner Spermieninjektion nur in 22 Fällen (3 %)
ein schweres OHSS. In 5 von diesen Fällen (23 %) lag ein Pleuraerguss vor, nur einer
war punktionswürdig. Bei einer Patientin entwickelte sich ein ARDS und eine Thrombose
der Vena jugularis interna. Bei den übrigen 16 Fällen fand sich keine thorakale Pathologie
[7].
Seltene, durch Kasuistiken über Thrombosen der Vena cava superior und Vena jugularis
interna belegte Komplikationen des Syndroms sind thrombembolische Ereignisse. Diesbezüglich
besonders gefährdet sind Patientinnen mit zum Zeitpunkt der IVF undiagnostizierten
Koagulopathien. Es wird deswegen empfohlen, vor IVF eine thrombophile Diathese auszuschließen
bzw. ggf. eine Thromboseprophylaxe zu beginnen [3]
[4]. Als sehr seltene Komplikation des Syndroms gilt die Zystenruptur an den charakteristischerweise
ohnehin polyzystisch vergrößerten Ovarien [11].
Zusammenfassung
In der vorgelegten Kasuistik wird ein Fall von ovariellem Hyperstimulationssyndrom
mit ausgedehnter pleuraler Ergussbildung beschrieben. Das Syndrom ist eine insbesondere
bei pneumologischen Patienten seltene Differenzialdiagnose des einseitigen Pleuraergusses
und durch das Zusammentreffen einer kürzlich stattgehabten ovariellen Stimulation
mit oder ohne In-vitro-Fertilisation bzw. Frühschwangerschaft, Aszites- und Pleuraergussbildung
meist eindeutig charakterisiert. In seiner schweren Form muss das Syndrom stationär
behandelt werden; die Prognose ist unter entsprechenden symptomatischen Maßnahmen
meist gut.