Das Auftreten einer schweren Sepsis ist mit einer hohen Letalität belastet. Sie ist
eine der Haupttodesursachen bei Intensivpatienten und gehört zu den kostenintensivsten
Krankheitsbildern der modernen Intensivmedizin [2]
[44]. Auch wenn die Letalität der schweren Sepsis durch die Verbesserung supportiver
Maßnahmen in den letzten Jahren tendenziell abgenommen hat, ist sie weiterhin inakzeptabel
hoch [21]. Vor dem Hintergrund der Fortschritte - beispielsweise in der operativen Medizin,
die Eingriffe auch bei Hochrisikopatienten ermöglicht -, der steigenden Zahl invasiver
Maßnahmen in der Intensivmedizin sowie der demografischen Veränderung einer alternden
Gesellschaft, müssen wir mit einer weiteren Zunahme der Häufigkeit rechnen [2]
[21]. Im direkten Vergleich verschiedener Zentren scheint es durchaus Unterschiede in
der Therapie, dem Verbrauch an Ressourcen und der Letalität zu geben [52]. Neben der Erforschung der Sepsis und der Entwicklung neuer Therapien ist deshalb
auch die Erarbeitung therapeutischer Standards dringend erforderlich. Mit der Gründung
der Deutschen Sepsisgesellschaft und dem im Aufbau befindlichen Kompetenznetzwerk
zur Erforschung der Sepsis (SepNet) sind Plattformen geschaffen worden, die der bisher
weithin unterschätzten Problematik Rechnung tragen.
In den USA verursacht die schwere Sepsis jährliche Kosten von 16,7 Milliarden Dollar
[2]. Trotz dieser großen gesundheitsökonomischen Bedeutung gibt es nur wenige Studien,
welche die eigentlichen Kosten der Sepsis untersuchen. Doch nicht nur vor dem Hintergrund
limitierter Budgets im Gesundheitswesen, die eine hohe Kosteneffektivität im medizinischen
und speziell im intensivmedizinischen Bereich erfordern, sind diese Daten von großer
Relevanz. Sie sind außerdem wichtig, um neue Therapien, deren Kosteneffektivität auf
der Grundlage von Kostenstudien berechnet wird, zu evaluieren.
Häufigkeit der Sepsis
Für Deutschland gibt es bislang keine validen epidemiologische Daten zu Inzidenz,
Prävalenz und Letalität der Sepsis. Eine neuere Untersuchung aus den Vereinigten Staaten
zeigt, dass die Häufigkeit der Sepsis bislang deutlich unterschätzt wurde [2]: Demnach erkranken in den USA schätzungsweise jährlich 750000 Patienten an einer
schweren Sepsis, deren Letalität durchschnittlich bei 28,6 % - dies entspricht etwa
215000 Todesfällen - liegt.
Mit einer Inzidenz von 3 auf 1000 Einwohner ist die schwere Sepsis häufiger als das
Mammakarzinom (Inzidenz 1,1 pro 1000 Einwohner). Bei den Todesursachen beträgt ihr
Anteil 9 %, und damit ist die Sepsis in ihrer Bedeutung für die Gesellschaft dem Myokardinfarkt
gleichzusetzen. Die Häufigkeit einer schweren Sepsis auf einer Intensivstation wird
zwischen 5,5 und 11,3 % der behandelten Patienten angegeben - oder sechs von 1000
Krankenhausaufnahmen und 24-136 von 1000 Einweisungen in die Intensivstation [26]
[36]
[43]. Die Inzidenz eines septischen Schocks liegt bei Intensivpatienten um 4-6 % [38].
Patienten mit Sepsis müssen - im Vergleich zu nichtseptischen Patienten [47] - deutlich länger auf der Intensivstation behandelt werden [35]. Neben dem Schweregrad des septischen Krankheitsbildes und der Anzahl der Organversagen
gibt es eine Vielzahl weiterer Faktoren, welche die Letalität beeinflussen [Tab. 1]. Liegen die Patienten bei Auftreten eines septischen Schocks auf der Normalstation,
dann ist ihr Sterblichkeitsrisiko aufgrund des späten Diagnose- und Therapiebeginns
deutlich höher als bei Intensivpatienten [19].
Nicht nur für ältere Patienten, die häufig aufgrund von Vorerkrankungen besonders
gefährdet sind, ist die schwere Sepsis ein großes Risiko. So werden in den Vereinigten
Staaten pro Jahr auch 42000 Kinder mit schwerer Sepsis behandelt (0,56/1000 Fälle/Jahr).
Allein 1995 starben dort schätzungsweise 4400 Kinder an einer schweren Sepsis, dies
entspricht immerhin 7 % aller kindlichen Todesfälle. Damit sterben in den USA mehr
Kinder an schwerer Sepsis als an Krebsleiden (2275 Todesfälle). Die höchste Inzidenz
(5,16/1000 Fälle) wurde bei Kleinkindern bis zum ersten Lebensjahr nachgewiesen, die
niedrigste lag in der Alterstufe zwischen zehn und 14 Jahren (Inzidenz 0,2/1000 Fälle).
Auch bei Kindern ist die schwere Sepsis demnach ein schwer wiegendes Problem. Frühgeborene
und Kinder bis zum ersten Lebensjahr sind besonders gefährdet, eine schwere Sepsis
zu entwickeln.
Langzeitdaten
Da sich viele Studien auf die 28-Tage-Letalität als Endpunkt beziehen, sind die Langzeitfolgen
der Sepsis bislang wenig untersucht. Über 70 % der nichtüberlebenden Patienten versterben
bis zum 14. [5] bzw. bis zum 21. Tag [36]. Doch auch Patienten, die eine Sepsis überlebt hatten, weisen eine von acht auf
vier Jahre verkürzte Lebenserwartung im Vergleich mit nichtseptischen Patienten auf
[39]. Auch Perl et al [33] fanden, dass die Letalität nach primärem Überleben einer Sepsis noch über Jahre
erhöht ist [Abb. 1].
Lebensqualität
Nach überstandener schwerer Sepsis können Organdysfunktionen persistieren: Der funktionelle
Status (physisch, emotional, sozial) kann eingeschränkt bleiben, was die Lebensqualität
der Patienten beeinträchtigt [11]. Zudem ist ihre physische Leistungsfähigkeit (berufliche und private Arbeitsfähigkeit)
im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung deutlich reduziert [33]. 16 Monate nach einer Sepsis scheint ihre Lebensqualität der von chronisch kranken
Patienten zu gleichen [12].
Ökonomische Aspekte
Die Kosten der Sepsis sind bisher nur in wenigen Studien untersucht worden - klar
ist jedoch, dass die Liegedauer der Patienten diese in hohem Maße beeinflussen. Die
Liegedauer wiederum ist mit der Schwere der Erkrankung assoziiert. Einen beträchtlichen
Teil davon verbringen die Patienten in intensivmedizinischer Behandlung. Da die Intensivmedizin
innerhalb eines Krankenhauses den kostenintensivsten Bereich darstellt - ihr Anteil
am Budget liegt zwischen fünf und 15 % -, kommt ihr bei der ökonomischen Betrachtung
eine besondere Bedeutung zu.
Kosten der Intensivmedizin
Personalkosten machen mit ungefähr 45-65 % einen Großteil der Aufwendungen in einer
Intensivstation aus. Außerdem wird die Höhe der direkten Therapiekosten von der zugrunde
liegenden Erkrankung (Aufnahmegrund, Diagnose, internistisch oder chirurgisch) [29]
[30], dem Krankheitsschweregrad [2]
[9], der Notwendigkeit invasiver Prozeduren (mechanische Beatmung, Hämofiltration) [7]
[41]
[48], dem Auftreten von Infektionen [8] und einigen weiteren Faktoren beeinflusst. Intensivpatienten sind somit keine kostenhomogene
Patientengruppe, selbst bei jedem einzelnen Patienten schwanken die Tageskosten abhängig
vom Krankheitsverlauf erheblich [13].
Innerhalb der Gruppe der Intensivpatienten verursacht ein relativ kleiner Anteil der
Patienten überproportional hohe Kosten [32]. So waren in einer aktuellen Studie etwa die Hälfte der entstandenen Kosten von
nur 10 % der 10606 auf die Intensivstation aufgenommenen Patienten verursacht worden
- bei einem Anteil von 48,7 % der Gesamtliegetage [50].
Die Infektionsrate ist in der Gruppe der teuersten Patienten (oberste 10 %) mit über
70 % ebenfalls überproportional hoch [22]. Im Vergleich zu Patienten ohne Infektionen sind sowohl die mittleren Tageskosten
(397 versus 305 Euro) als auch die Gesamtkosten pro Patient (14507 versus 3985 Euro)
deutlich erhöht [23]
[24]. Eine kürzlich durchgeführte retrospektive Untersuchung an 1631 Patienten zeigte,
dass eine relativ kleine Gruppe von Patienten mit einer Liegedauer von über 20 Tagen
- das ist jedoch nur ein Anteil von 3 % - 22 % der Gesamtkosten verursachte. 79 %
dieser Patienten hatten eine Sepsis [27]. Eine retrospektive Studie aus Deutschland [25] mit 385 Patienten aus drei Universitätskliniken bezifferte die mittleren Kosten
pro Patient mit schwerer Sepsis auf 23297 Euro (mittlere Tageskosten 1318 Euro). Die
mittlere Liegedauer auf der Intensivstation betrug hier 16,6 Tage, die Letalität lag
bei 43 %.
Neben dem Ressourcenverbrauch einzelner therapeutischer Maßnahmen sind die hohen direkten
Kosten der Sepsis, die in einer Intensivstation (IST) entstehen, auch Folge des hohen
personellen Aufwands. Die Kosten für nichtüberlebende Patienten waren deutlich höher
als für die überlebenden Patienten (25446 versus 21984 Euro), obwohl die ITS-Liegedauer
bei Letzteren länger war.
Kosten neuer Therapieverfahren
Neue supportive Therapiestrategien haben in letzter Zeit zu einer Senkung der Letalität
der schweren Sepsis geführt. Hierzu gehören
-
die konsequente Einstellung der Normoglykämie mit Insulin („intensivierte Insulintherapie”)
[49]
-
die frühzeitige Optimierung von Organfunktionen durch konsequente Stützung und Erhaltung
einer ausreichenden Kreislauffunktion („early goal directed therapy”) [42] und
-
die Substitution von Hydrokortison [3].
Bisher existieren noch keine Studien über die Kosteneffektivität dieser Strategien.
Mit dem rekombinanten humanen aktivierten Protein C (rhAPC, Xigris®) gibt es seit
einiger Zeit ein Medikament, das die Letalität der schweren Sepsis von 30,8 auf 24,7
% (6,1 zusätzliche Überlebende/100 behandelte Patienten) reduzierte [4]. Am ausgeprägtesten war der Effekt des Präparats auf die Letalität der schweren
Sepsis in der Gruppe der Patienten mit höherem Krankheitsschweregrad. Patienten mit
niedrigem APACHE[1]-II-Score scheinen hingegen weniger von der Therapie mit rhAPC zu profitierten. Dies
scheint auch die Folgestudie bei Patienten mit nur einem Organversagen und niedrigerem
Krankheitsschweregrad (ADDRESS[2]) zu bestätigen, die aus diesem Grund vorzeitig beendet wurde.
Um „kosteneffektiv” zu sein, muss eine Therapie grundsätzlich weder günstig sein,
noch zu einer Reduktion der Gesamtkosten führen. Sie sollte jedoch einen Nutzen bringen,
der die höheren Ausgaben rechtfertigt [6]. Da die Therapie mit rhAPC mit hohen Kosten verbunden ist - die mittleren Aufwendungen
pro behandeltem Patient belaufen sich auf etwa 7400 Euro -, stellt sich hier in besonderem
Maße die Frage der Kosteneffektivität, die mittlerweile verschiedene Studien aufgegriffen
haben [1]
[10]
[28].
Demnach sind für einen Patienten mit schwerer Sepsis inklusive der Gabe von rhAPC
Therapiekosten von zirka 26400 Euro zu erwarten, ohne dieses Medikament sind dies
jedoch nur 18100 Euro. Für jedes gewonnene Lebensjahr schlagen zusätzliche Kosten
von 14100 Euro zu Buche [28]. Bei den Patienten mit zwei und mehr Organversagen liegt die Kosteneffektivität
von rhAPC bei 10200 Euro und ist damit mit anderen als kosteneffektiv beurteilten
Therapien zu vergleichen [28].
Krankenhauskosten und Langzeitkosten
Neben den Ausgaben für die Intensivbehandlung entstehen im Verlauf des Krankenhausaufenthaltes
natürlich weitere Aufwendungen. So verdoppeln sich die Krankenhauskosten mit dem Auftreten
einer schweren Sepsis oder eines septischen Schocks [18]. Und laut einer retrospektiven kanadischen Untersuchung [16] verursacht die Intensivmedizin 38 % der Gesamtkosten (11474 kanadische Dollar pro
Patient). Allein für den Bundesstaat Quebec schätzten die Autoren die jährlichen Kosten,
die aufgrund einer schweren Sepsis entstehen, auf 151,4 Millionen Kanadische Dollar.
In einer epidemiologischen Studie errechneten Angus et al [2] die Kosten der schweren Sepsis in den USA: Die mittleren Aufwendungen pro Patient
betrugen hier 22100 US-Dollar (mittlere Liegedauer 19,6 Tage). Anhand dieser Daten
würden in den USA Gesamtkosten von 16,7 Milliarden US-Dollar alleine durch die schwere
Sepsis entstehen.
Die Langzeittherapiekosten bei Patienten mit schwerer Sepsis haben Weycker und Mitarbeiter
aus einer großen Datenbank der nationalen Krankenkassen ermittelt [51]: Nach fünf Jahren betrugen die mittleren kumulativen Kosten 118800 US-Dollar - im
Vergleich zu den anfänglichen Kosten von 44600 US-Dollar ist dies mehr als das Doppelte.
Die Höhe der zusätzlichen Aufwendungen hing in hohem Maße vom Alter, den Nebenerkrankungen
und dem anfänglichen Krankheitsschweregrad (Anzahl der Organversagen) ab.
Indirekte Kosten
Indirekte Kosten entstehen der Gesellschaft infolge des krankheitsbedingten Arbeitsausfalls,
der Frühberentung und des Versterbens [14]
[17]. Genaue Daten zu den indirekten Kosten eines Krankheitsbildes sind jedoch nur schwer
zu erhalten. Die wenigen Studien, die es gibt, beruhen in der Regel auf Schätzungen,
welche die finanzielle Belastung für die Gesellschaft anhand mathematischer Modelle
errechnen. Ausgehend von 44000-95000 Fällen mit schwerer Sepsis pro Jahr in Deutschland
sind pro Patient schätzungsweise mittlere Kosten von 3432 Euro infolge einer temporären
und 10159 Euro aufgrund einer permanenten Arbeitsunfähigkeit bei den überlebenden
Patienten zu erwarten [46]. Aus der hohen Letalität errechnen sich zusätzliche Kosten von 46000 Euro pro Patient.
Insgesamt belaufen sich die indirekten Kosten der Sepsis in Deutschland demnach auf
2024-4370 Millionen Euro.
Fazit
Patienten mit schwerer Sepsis haben eine hohe Letalität, eine lange Liegedauer auf
der Intensivstation und sind deutlich „teurer” als nichtseptische Patienten. Da dieses
Krankheitsbild noch immer eine der Haupttodesursachen bei Intensivpatienten ist, verursacht
die Sepsis eine große sozioökonomische Belastung für die Gesellschaft. Die vorliegenden
Daten zu den Kosten der Sepsis sind relativ lückenhaft, der Vergleich verschiedener
Studien ist aufgrund methodischer Variationen und nationaler Unterschiede nur bedingt
zulässig. Aus diesem Grund besteht ein dringender Bedarf nach Kostenanalysen und epidemiologischen
Untersuchungen zur Prävalenz und Inzidenz der Sepsis in Deutschland.
Um erste flächendeckende Daten zu erhalten, haben das SepNet 2003 bundesweit eine
Untersuchung zur Prävalenz der schweren Sepsis und die Deutsche Interdisziplinäre
Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) eine nationale Erhebung zu den
Kosten der Intensivtherapie durchgeführt. Beide werden derzeit ausgewertet. Doch auch
die bisher publizierten Untersuchungen dokumentieren bereits eindrücklich die hohen
direkten Kosten der Intensivmedizin und Krankenhauskosten.
Neue therapeutische Ansätze, wie die Therapie mit aktiviertem rekombinanten Protein
C, sind erfolgversprechend, noch sind jedoch weitere Entwicklungen nötig, um die Letalität
der Sepsis zu senken.
Neben der therapeutischen Effizienz wird zukünftig auch die Kosteneffektivität solcher
Optionen eine entscheidende Rolle spielen. Dies allerdings erfordert ein Umdenken,
da eine Therapie grundsätzlich weder günstig zu sein braucht, noch zu einer Reduktion
der Gesamtkosten führen muss, um „kosteneffektiv” zu sein. Denn eine finanzielle Mehrbelastung
- beispielsweise im Bereich der Intensivbehandlung - ist eventuell erst auf einer
höheren, zum Beispiel gesellschaftlichen Ebene kosteneffektiv und rechtfertigt somit
die Ausgaben.