Aus Aktuelle Urologie 2003; 7: 424, erreichte die Redaktion noch folgender Kommentar:
Kommentar
Der therapeutische Androgenentzug bei der Behandlung des Prostatakarzinoms bringt
ein erhebliches Osteoporose- und Frakturrisiko für die betroffenen Patienten mit
sich. Der Sexualhormonentzug führt zu einem durchschnittlichen Verlust von 7% der
Knochenmasse pro Jahr und zu einem Anstieg der Frakturrate auf 28 % gegenüber 1
% in der Kontrollgruppe nach 7 Jahren. Das Auftreten von Knochenbrüchen beim Prostatakarzinom
ist unabhängig vom Tumorsatdium mit einer verkürzten Überlebenszeit assoziiert.
Auch bei Männern sind die Östrogene die wichtigsten anabolen Faktoren für den Knochenstoffwechsel.
Testosteron fungiert in dieser Hinsicht als Prohormon, welches lokal durch die Aromatase
der Osteoblasten in Östrogen umgewandelt wird. Vor diesem Hintergrund wäre der Einsatz
von Östrogenen im Rahmen einer antiandrogenen Therapie bei Patienten mit Prostatakarzinom
grundsätzlich vorteilhaft. Durch eine Hemmung der Gonadotropinsekretion kommt es
unter der Östrogentherapie zu einem mit der Orchidektomie vergleichbaren antiandrogenen
Effekt, während der Verlust an Knochenmasse unter dieser Therapie verhindert werden
kann. Allerdings ist die Östrogentherapie aufgrund des damit verbundenen deutlich
erhöhten Risikos für kardiovaskuläre und thrombembolische Erkrankungen zugunsten
anderer antiandrogener Therapieoptionen (GnRH-Analoga, Androgen-Rezeptorantagonisten,
Orchiektomie) in den Hintergrund getreten. Ob in diesem Zusammenhang der Einsatz
von Selektiven Östrogen Rezeptor Antagonisten (SERMs), eine osteoprotektive Therapiealternative
darstellt, muss sich in zukünftigen Studien herausstellen.
Bisphophosphonate spielen eine wichtige Rolle bei der Behandlung der Osteoporose
und der Tumor-Hyperkalzämie. Weiterhin kann eine Bisphosphonatbehandlung das Auftreten
von Skelettkomplikationen und möglicherweise das Überleben von Patienten mit Multiplem
Myelom, metastasiertem Brust- und Prostatakarzinom positiv beeinflussen. Aufgrund
der Studienlage erscheint der Einsatz von i. v. Bisphosphonaten (Pamidronat oder
Zoledronat) beim Multiplen Myelom auch prophylaktisch gerechtfertig, das heißt auch
dann, wenn initial keine Osteoporose und keine osteolytischen Herde nachgewiesen
worden sind. Im Gegensatz dazu ist die Indikation für eine Therapie mit i. v. Bisphosphonaten
bei soliden Tumoren an das Vorhandensein von Knochenmetastasen gebunden.
Ein Einsatz von Bisphosphonaten beim Prostatakarzinom hat zwei potentielle Vorteile.
Zum einen könnte im Zusammenhang mit der in vitro und im Tiermodell nachgewiesenen
antiproliferativen Wirkung auf osteoblastische und osteolytische Metastasen der
Progress von Skelettkomplikationen beim Prostatakarzinom verzögert werden. Zum anderen
könnte das Auftreten eines Knochenmasseverlustes, wie er unter einer Antiandrogen-Therapie
regelmäßig beobachtet wird, verhindert werden. So fand sich in einer Studie an 643
Patienten mit metastasiertem Prostatakarzinom unter Zoledronsäure, einem hochpotenten
Bisphosphonat der neusten Generation, eine signifikante Reduktion der pathologischen
Frakturen gegenüber der Plazebo-Gruppe um 43%. Die wichtigste Nebenwirkung war Nephrotoxizität,
wie sie auch in anderen Studien unter dem Einsatz von Pamidronat oder Zoledronat
i.v. beobachtet wurde. Während die Wirksamkeit von Zoledronat beim Prostatakarzinom
mit Skelettmetastasen unstrittig ist, bleibt der mögliche Nutzen einer oralen Bisphosphonatbehandlung
mit Clodronat bei diesen Patienten unklar.
Dass auch der prophylaktische Einsatz von Bisphosphonaten sinnvoll sein kann, belegt
die kürzlich erschienene Arbeit von Smith et al. In dieser Studie führt die zusätzliche
Gabe von Zolendronat (4 mg i.v. alle 3 Monate für 1 Jahr) bei Patienten, die aufgrund
eines nicht metastasierten Prostakarzinoms mit Hormonentzug behandelt wurden, zu
einer signifikanten Zunahme der Knochendichte im Vergleich zu der nur mit Kalzium
und Vitamin D behandelten Placebogruppe. Bisher werden vor allem Kalzium und Vitamin
D zur Prävention eines therapieinduzierten Knochenmasseverlust eingesetzt. In der
Studie von Smith et al. war es jedoch in der Plazebogruppe trotz der Gabe von Kalzium
und Vitamin D zu einem Knochenmasseverlust gekommen. Auch die Gabe von Pamidronat
i. v. beim metastasierten Prostata-Ca hatte eine stabile Knochendichte gezeigt,
während in der Kontrollgruppe trotz Kalzium und Vitamin-D-Gabe ein Knochenmasseverlust
auftrat. In beiden Studien war es zu keinen schwerwiegenden Nebenwirkungen gekommen.
In jedem Fall sollte jedoch bei der intravenösen Gabe von Zoledronat oder Pamidronat
auf eine ausreichend lange Infusionsdauer und Flüssigkeitsmenge geachtet und eine
regelmäßige Kontrolle der Nierenfunktion und Albuminauscheidung durchgeführt werden.
Über den potenziellen Nutzen einer prophylaktischen Gabe oraler Bisphosphonate zur
Prävention der Osteoporose liegen für Patienten mit Prostatakarzinom bisher keine
Daten vor.
Für die Behandlung von Patienten mit Prostatakarzinom wirft die Studie von Smith
et al. die Frage auf, ab wann der Einsatz von i.v. Bisphosphonaten gerechtfertigt
und sinnvoll ist: Soll eine intravenöse Bisphosphonattherapie in Übereinstimmung
mit den bestehenden Zulassungen nur für Prostatakarzinom-Patienten vorbehalten bleiben,
bei welchen Knochenmetastasen oder eine Tumorhyperkalziämie nachweisbar ist, oder
ist angesichts des sehr hohen Osteoporoserisikos unter einer Androgen-Entzugstherapie
auch ein prophylaktischer Einsatz von Bisposphonaten sinnvoll? Besondere Bedeutung
gewinnt diese Frage im Hinblick auf den zunehmenden Einsatz einer primären oder
neoadjuvanten Hormonentzugstherapie beim nichtmetastasierten Prostatakarzinom und
damit bei Patienten mit einer relativ langen Lebenserwartung. So wird in Analogie
bei Patienten unter einer Glukokortikoidtherapie nach den Richtlinien des Dachverbandes
Osteologie der Einsatz von Bisphosphonaten nicht mehr streng an das Vorhandensein
von Frakturen oder eine stark erniedrigte Knochendichte von < 2,5 SD des jugendlichen
Normalkollektives (T-score) geknüpft, sondern kann bei diesen Hochrisikopatienten
bereits prophylaktisch ab einer Knochendichte von - 1,5 im T-score erfolgen. Ob
der Einsatz von Bisphosphonaten auch beim nichtmetastasierten Prostatakarzinom zur
Prophylaxe der Osteoporose und zur Verhinderung skelettaler Komplikationen sinnvoll
ist, müssen zukünftige Studien zeigen.
Timo Minnemann, Gerhard Schulz, Matthias M. Weber, Mainz
Literatur bei den Autoren