Bei Intersexualität besteht eine Diskrepanz zwischen dem chromosomalen Geschlecht,
den inneren Geschlechtsorganen und dem Erscheinungsbild der äußeren Geschlechtsorgane.
Bei ca. 50% der Fälle ist die genaue Ursache der untypischen Geschlechtsentwicklung
nicht bekannt. Aufgrund der Heterogenität der Ursachen und auch der Erscheinungsbilder
fehlen genaue epidemiologische Daten über die Häufigkeit. Schätzungen gehen davon
aus, dass etwa 1 von 2000 Menschen von leichteren Formen der Intersexualität und
etwa 1/10 000 Menschen von schwereren Formen der Intersexualität betroffen sind.
Frühere Behandlungsansätze wie die ”optimal gender theory“ nach Money postulierten
eine frühe Zuweisung des Erziehungsgeschlechtes und eine entsprechende frühzeitige
Operation, um die Geschlechtsdeterminierung eindeutig festzulegen. Teil des Paradigmas
der ”optimal gender theory“ ist die Verheimlichung der Intersexualität gegenüber
dem betroffenen Kind oder Jugendlichen.
Ein Paradigmenwechsel deutet sich an
Ein Paradigmenwechsel deutet sich an
Diese Behandlungsdoktrin wird in den letzten Jahren von verschiedenen Seiten kritisch
hinterfragt, insbesondere von betroffenen Menschen. Diese Bedenken haben zu einer
breiten Diskussion innerhalb der Medizin und in der Öffentlichkeit geführt. Es zeichnet
sich ein Paradigmenwechsel ab von der möglichst optimalen Erscheinung eines Menschen
hin zur möglichst großen Lebenszufriedenheit. Da es sich bei der untypischen Geschlechtsentwicklung
um ein seltenes Erscheinungsbild handelt, existieren Defizite sowohl im Bereich
der Versorgung als auch in der Forschung. Das Versorgungsnetz ist noch nicht so
geknüpft, dass alle betroffenen Menschen eine zufrieden stellende Betreuung erhalten.
Das Versorgungsnetz ist noch nicht so geknüpft, dass alle betroffenen Menschen eine
zufriedenstellende Betreuung erhalten.
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Netzwerk soll Leitlinien entwickeln
Netzwerk soll Leitlinien entwickeln
Seit Oktober 2003 wird das ”Netzwerk Intersexualität“ im Rahmen des Programms ”Seltene
Erkrankungen“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.
Fachleute aus den verschiedenen medizinischen Disziplinen (z.B. Kinderchirurgie,
Pädiatrische Endokrinologie, Urologie, Gynäkologie, Genetik, Sexualmedizin) haben
sich im ”Netzwerk Intersexualität“ zusammen- geschlossen, um im Rahmen von grundlagenwissenschaftlicher
und klinischer Forschung, evidenzbasierte Leitlinien für Diagnostik, Therapie und
den Umgang mit den Betroffenen zu entwickeln. Entsprechend der ”Deklaration von
Helsinki“ werden auch Selbsthilfegruppen und Elterninitiativen in den Planungsprozess
einbezogen. In einer multizentrischen, klinischen Beobachtungsstudie soll neben
dem medizinischen Outcome insbesondere ein Schwerpunkt auf die funktionellen Endpunkte
der medizinischen und chirurgischen Behandlung sowie auf die Aspekte der gesundheitsbezogenen
Lebensqualität und der Behandlungszufriedenheit gelegt werden. Um auf eine breite
Datenbasis zurückgreifen zu können, richtet sich die klinische Evaluationsstudie
an Menschen aller Altersgruppen mit einer untypischen Geschlechtsentwicklung und
deren Familien. Die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer werden anhand standardisierter
Fragebögen von Psychologinnen und Psychologen im persönlichen Kontakt befragt.
Evaluation beginnt im September
Evaluation beginnt im September
Für eine detaillierte Erfassung der medizinischen Daten wird im Rahmen von Expertenbefragungen
aus den verschiedenen medizinischen Breichen ein entsprechender Fragebogen entwickelt.
Dieser soll von dem behandelnden Arzt bzw. der behandelnden Ärztin nach einer Schweigepflichtsentbindung
bearbeitet werden.
Die Befragungen im Rahmen der Klinischen Evaluationsstudie werden im September 2004
beginnen. Das Netzwerk Intersexualität ist offen für weitere Interessierte aus sowohl
der Kinder- als auch der Erwachsenenurologie. Das gemeinsame Ziel ist die Verbesserung
der Situation der Betroffenen aller Altersgruppen in Diagnostik, Therapie, allgemeiner
gesundheitlicher und psychosozialer Versorgung und gesellschaftlichem Respekt.
PD Dr. med. Ute Thyen, Dipl.-Psych. Eva Kleinemeier
Klinik für Kinder- und Jugendmedizin
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck
Homepage: www.netzwerk-is.de
Literatur bei den Autoren
Info
Info
Intersexualität
Bei Störungen der somatosexuellen Differenzierung handelt es sich um eine heterogene
Gruppe von Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung. Die häufigsten der bekannten
Ursachen für eine untypische Geschlechtsentwicklung sind das Adrenogenitale Syndrom
(AGS), die Androgeninsensitivität (AIS) oder die Gonadendysgenesie. Neben Bezeichnungen
wie untypische Geschlechtsentwicklung und Störung der somatosexuellen Differenzierung
wird häufig der Begriff ”Intersexualität“ als Vereinfachung und Kurzform verwendet.
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