Der Einsatz von Schlingen hat heutzutage einen festen Stellenwert in der Inkontinenzchirurgie.
Einige Studien konzentrieren sich darauf, diese Verfahren zu optimieren. L.V.
Rodriguez und S. Raz stellten jetzt eine weitere Methode vor, die sie an 301 Patientinnen
mit Stressinkontinenz erprobten (J Urol 2003; 170: 857-863).
Unter der distalen Urethra platzierten sie ein 10x 1 cm großes Polypropylen-Netz,
das - anders als bei der TVT-Plastik - nur im retropubischen Raum zu liegen kommt.
Das Band wird vorübergehend von 2 absorbierbaren Nähten gehalten. Für die kostengünstige
Operation sind keine speziellen Instrumente erforderlich. Die Patientinnen bewerteten
vor und nach dem Eingriff auf Fragebogen ihre Beschwerden sowie ihre Lebensqualität.
Zusätzlich befragten Ärzte sie zu ihren Symptomen und führten urodynamische Untersuchungen
durch, um objektivierbare Ergebnisse zu erhalten.
Von den 301 Patientinnen mussten nach der Operation 2,3% wegen persistierender Inkontinenz-Beschwerden
behandelt werden. Bei 92 Frauen mit einem Follow-up von mindestens 12 Monaten betrug
der objektivierbare Heilungserfolg 92%. Die von den Patientinnen berichtete subjektive
Erfolgsrate (Heilung oder Verbesserung um mehr als 50%) lag bei 89%. In den Fragebogen
teilten 69% der Frauen mit, nach der Operation niemals mehr Symptome der Stressinkontinenz
beobachtet zu haben. Der gleiche Anteil berichtete zwar über Beschwerden, die allerdings
nicht beeinträchtigten. Die Ärzte kamen zu anderen Ergebnissen: Abhängig von den
Symptomen lagen die Erfolgsraten zwischen 10 und 50% höher, wenn sie die Patientinnen
befragt hatten.
Fazit
Nach Ansicht der Autoren stellt die Behandlung der Stressinkontinenz mit einer
Polypropylenschlinge eine sichere, einfache und kostengünstige Methode dar. Sie
führe zu hohen objektiv nachweisbaren Heilungsraten, wobei die durch die Patientinnen
berichteten Erfolgsraten niedriger lägen.
Dr. Johannes Weiß, Bad Kissingen
Erster Kommentar
Dem vorliegenden Artikel sind 2 grundlegende Aussagen zu entnehmen, deren wissenschaftlicher
Wert zumindest partiell zweifelhaft ist.
Zum einen wird eine weitere Modifikation des ”klassischen TVT-Verfahrens“ bezüglich
ihrer Effektivität, Sicherheit und kostengünstigen Verfügbarkeit hervorgehoben.
Ein Vergleich, dem es in mehreren Punkten an Objektivität fehlt. Die Diskrepanz
zwischen Anspruch und Praxis wird dem mit der Problematik vertrauten Leser offensichtlich.
Zum anderen ist die Feststellung der Autoren, dass die Bewertung einer Therapieeffizienz
durch objektive und subjektive Kriterien zu unterschiedlichen Ergebnissen führt
und dass die Form der Datenerhebung (Selbstbewertung vs. Untersucherbefragung der
Patienten) eine wesentliche Rolle spielt, mehr Bestätigung eines bekannten Bias,
denn eine neue Erkenntnis.
Grundlage der Publikation ist eine unizentrische prospektive Untersuchung zur Sicherheit
und Effektivität einer im Bereich der distalen Urethra platzierten Polypropylenschlinge
(DUPS). Eine Auswertung erfolgt durch Selbstbewertungsfragebogen.
Die inhomogene Patientenpopulation (63% kombinierte Inkontinenzformen, 49% mit erfolgloser
Voroperation der Inkontinenz) sowie die simultane Durchführung einer Prolapschirurgie
(Kolporrhaphia anterior 6%, Kolporrhaphia posterior 33%; vaginale Hysterektomie
10%, Urethrolyse 16% u.a.) werfen die Frage auf, wie trotz undifferenzierter Auswertung
die Beurteilung der DUPS-Operation möglich ist.
Die Vordiagnostik umfasst u.a. eine Videourodynamik (Indikation zur Videotechnik
muss hinterfragt werden), jedoch keine Bildgebung mit sagittaler Darstellung der
anatomischen Winkelverhältnisse (Kettchenzystographie/Introitussonographie). Ausschlusskriterien
für das DUPS Verfahren werden in der prospektiven Untersuchung nicht erwähnt - oder
gibt es sie nicht?
Die Operationstechnik sollte der Leser dem Originalartikel entnehmen und selbst
entscheiden, ob Invasivität (Doppelinzision der Vaginalvorderwand) und konsekutiv
die Verletzungsgefahr benachbarter Strukturen im Vergleich zur TVT-Operation einen
überzeugenden Vorteil darstellen. Die Autoren betonen, dass es sich im Gegensatz
zum TVT nicht um ein blindes Verfahren handelt und hierdurch die Verletzungsgefahr
minimiert wird. Dass die Zystoskopie dennoch obligat durchgeführt wird, bietet dem
operativ tätigen Leser verschiedene Interpretationsmöglichkeiten. Die Platzierung
des Bandes wird bei 1,5 cm distal des Meatus externus urethrae angegeben. Bei einer
durchschnittlichen Gesamtlänge der Urethra von 25-27 mm ergibt sich die Frage, ob
dies tatsächlich der distalen Urethra entspricht.
Zur Auswertung kommen von den 301 Patientinnen nur 92 Patientinnen der inhomogenen
Population mit einer mittleren Nachbeobachtungsdauer von 12,3 Monaten. Das Interesse
an den Ergebnissen der Untersuchung reduziert sich für den Leser hierdurch mehr
auf die Aussage, denn auf absolute Zahlen und Prozentwerte. Die objektive Heilungsrate
ist mit 92% (negativer Stresstest stehend und in Steinschnittlagerung) wie zu erwarten
signifikant besser als die subjektive Heilungsrate mit 89% (keine Inkontinenz oder
Besserung der Symptomatik um > 50% im Selbstbewertungsfragebogen).
Weiterhin wurde festgestellt, dass die befragenden Ärzte die Inkontinenzsymptome
der Patientinnen um durchschnittlich 10-50% unterbewerten und somit zu besseren
Ergebnissen kommen, als wenn Patientinnen entsprechende Fragebogen in Eigenregie
ausfüllen.
Die Diskussion der Untersuchung wird durch die pathophysiologische These eingeleitet,
wonach durch das DUPS-Verfahren die Urethra an die Symphyse angenähert und hierdurch
bei Belastung einem effektiveren Einfluss der Levatormuskulatur unterliegt. Als
dorsales Widerlager soll die Polyprophylenschlinge (DUPS) einen zusätzlichen Kontinenzmechanismus
bilden.
Da die Kosten für die hier genutzte Polypropylenschlinge mit 15 Dollar weit unter
dem europäischen Kostenaufwand liegen, öffnet sich der amerikanische Markt (sinngemäß
laut Herausgeberkommentar) auch der Dritten Welt.
Die Schlussfolgerung reduziert sich u.E. auf die Aussage, dass die Bewertung eines
Verfahrens zur Therapie der Inkontinenz multimodal und standardisert erfolgen muss
und subjektive Bewertungskriterien hierbei integraler Bestandteil sein sollten.
Sollten Kosten und Effektivität der DUPS in der Praxis ihre Bestätigung finden,
wird der hart umkämpfte Markt für Polypropylenschlingen sich dem Kostendruck nicht
entziehen können. Die inhomogene Patientinnenpopulation mit und ohne Veränderungen
der Blasen-Genitalanatomie lässt doch erhebliche Zweifel an den Ergebnissen bei
sehr kurzer Beobachtungszeit aufkommen.
Dr. Mike Lenor, Prof. Udo Rebmann, Dessau
Zweiter Kommentar
Die operative Therapie der weiblichen Stressharninkontinenz zielt auf verschiedene
Komponenten, die am Verschlussmechanismus des Blasenauslasses ansetzen, ab. So reicht
das Spektrum der Techniken in der Wiederherstellung eines suffizienten, suburethralen
Widerlagers, in einer Stabilisierung des urethrovesikalen Überganges und des urethralen
Aufhängemechanismus und letztlich in der Imitation der urethralen Schließmuskelfunktion.
Die abdominale Kolposuspension stellt das klassische Standardverfahren bei weiblicher
Stressharninkontinenz mit seinem Therapieansatz am urethrovesikalen Übergang, dar.
Die Erfolgsraten liegen nach 10 Jahren subjektiv bei 78%, objektiv bei 65%. Die
Kolposuspension ist die am längsten nachbeobachtete Operationsmethode. Untersuchungen
von Stanton beschreiben sogar Erfolgsraten nach 20 Jahren von 78%. Als Hauptprobleme
der Kolposuspension werden Blasenentleerungsstörungen bis zu 20%, De-Novo-Urgency
Beschwerden zwischen 10 und 15%, sowie die Bildung von Enterozelen in 7 bis 35%
berichtet.
Zahlreiche Untersuchungen zielen darauf ab, die endoskopische Kolposuspension als
minimalinvasive Variante der offenen Technik gegenüberzustellen. Die Cochrane Database
hat im Jahr 2002 acht randomisierte Studien (233 laparoskopische Eingriffe vs. 254
offene Kolposuspensionen) analysiert und einen 10%igen Heilungsunterschied zugunsten
der offenen Methode aufzeigen können.
Die klassischen Schlingenoperationen ebenfalls an der proximalen Urtehra ansetzend,
werden neben der offenen Kolposuspension als äquieffektives Verfahren dargestellt.
Die 5-Jahres-Erfolgsraten liegen um die 90%, jedoch sind unmittelbare, postoperative
Komplikationen wie Blasenentleerungsstörungen, Dysurie, Infektionen und Fistelbildungen,
wie auch postoperative Spätkomplikationen in Form von Ulzerationen, Narbenschmerzen,
Hernien und Fistelbildungen vergleichsweise Ausdruck der doch höheren Invasivität.
Aufgrund der hohen Erfolgsraten (nach 5 Jahren: 90%) sollten diese Verfahren (alloplastische
Schlingen, Faszien-Zügel-Plastik nach Narik-Palmrich), insbesondere in der Therapie
der Rezidiv-Stressharninkontinenz, nicht in Vergessenheit geraten.
Mitte der 90er-Jahre wurde, allen voran durch die Entwicklung der spannungsfreien
Urethraschlinge der Tension- free-vaginal-Tape-Technik von Ulmsten eine neue Ära
der operativen Therapie der weiblichen Stressharninkontinenz eingeleitet. Der wesentliche
Unterschied zu den herkömmlichen Verfahren liegt im kurativen Ansatz an der mittleren
beziehungsweise distalen Urethra und dem Umstand, dass diese Technik in Lokalanästhesie
erfolgen kann. Mittlerweile wurden 13 weitere Techniken mit unterschiedlichen Materialien
entwickelt. Neue Verfahren sind in klinischer Erprobung - eine wahre Flut an Urethrabändern,
die den Markt überschwemmen, ist heute zu beobachten. Es liegen mittlerweile weit
über 200 Publikationen und Erfahrungsberichte über die TVT-Technik vor. In einer
Zusammenstellung der Ergebnisse 38 klinischer Studien mit einem Nachbeobachtungszeitraum
von 12 bis 56 Monaten lässt sich eine objektive und subjektive Heilungsrate von
90 bzw. 86% nachweisen.
Die heute vorliegenden Erfahrungen und Daten über die TVT-Technik sind vor allem
den skandinavischen Arbeitsgruppen zu verdanken, die mittlerweile Ergebnisse nach
56 Monaten veröffentlicht haben. Diese Untersuchungen zeigen Heilungsraten von knapp
85% bei primärer Stressharninkontinenz, 82% bei Rezidivinkontinenz und 74% bei Stressinkontinenz
mit hypotoner Urethra.
Mit dem Anspruch auf hohe Daten- und Ergebnisqualität bedarf es freilich auch hier
der Durchführung von Studien zur Erlangung eines hohen Evidenzniveaus. Hierzu sind
für die TVT-Technik derzeit 2 prospektiv, randomisierte Untersuchungen durchgeführt
worden. Die von Hilton in Großbritannien erfolgte Phase-III-Studie an der 14 Zentren
mit 344 Patientinnen teilnahmen, zeigte bei subtiler Aufarbeitung der postoperativen
Ergebnisse gleiche Heilungsraten der Kolposuspensions-Methode gegenüber der TVT-Technik
(Ergebnisse nach 2 Jahren: 59 vs. 65%). Eine weitere Phase-III-Studie läuft in den
Kliniken Halle, Prag und Schwerin. Die derzeit erhobenen Daten beschäftigen sich
mit dem Vergleich der Komplikationsraten zwischen Kolposuspension und der TVT-Schlingen-Methode,
ohne signifikante Unterschiede zwischen den beiden Techniken. Der Unterschied dieser
Phase-III-Studie zu der britischen Untersuchung liegt in der Tatsache, dass diese
lediglich an 3 Zentren unter Teilnahme ausschließlich, erfahrener urogynäkologischer
Operateure, erfolgte. Die mittlerweile vorhandenen Daten lassen den Schluss zu,
dass in der Hand des erfahrenen Operateurs die TVT-Methode im Vergleich zur Kolposuspension
eine ebenso sichere Operationstechnik darstellt. Untersuchungen zur Lebensqualität
von Patientinnen nach Inkontinenzoperationen sind bis dato nur gering veröffentlicht.
In einer eigenen Untersuchung an 70 Patientinnen zwischen 40 und 76 Jahren konnten
wir Heilungsraten, 1 Jahr nach TVT, von 87,5% erheben.
Die TVT-Technik eröffnet gerade in der kombinierten Behandlung vaginal-rekonstruktiver
Eingriffe am Beckenboden zur Sanierung von Deszensus und Prolaps die Option des
gleichen Zuganges zur Behandlung der Stressharninkontinenz. Eigene Erfahrungen zeigen
Kontinenzraten nach 24 Monaten von 96% bei simultaner Durchführung der TVT-Operation
mit unterschiedlichen, rekonstruktiven Eingriffen am Beckenboden (Vaginaefixatio
sacrospinalis, vordere, hintere Kolporraphie etc.). Die bis dato vorliegenden Berichte
über Komplikationen sind relativ klar definiert. So sind De-Novo Urgency-Beschwerden
in 15%, Blasenentleerungsstörungen in bis zu 10%, Hämatomentwicklungen in 4%, Blutungen
in 16%, Blasenperforationen zwischen 0 und 23%, vaginale Bandarrosionen in 2% recht
einheitlich überliefert. Kasuistische Berichte über Obturatoriusläsionen, Darmperforationen,
Läsionen der Iliakalgefäße, Urethraarrosionen sind ebenfalls veröffentlicht worden.
Demgegenüber fallen bis dato vorliegende Erkenntnisse über andere Urethraschlingen
eher bescheiden aus. Die intravaginale Schlingentechnik (IVS) ist ein ähnliches
Verfahren wie die TVT-Operation mit Erfolgsraten von 81%, 4 Jahre postoperativ nachuntersucht.
Die Technik unterscheidet sich im Wesentlichen von der TVT-Methode durch das Equipment
und die Beschaffenheit des Prolenebandes (Band, Applikator).
Die Sparc-Methode (Supra pubic arc) ermöglicht sowohl den abdomino-vaginalen wie
vagino-abdominalen Zugang und unterscheidet sich von der TVT- Technik in der Beschaffenheit
des Netzes, der dünneren Nadeln. Uratape, Uretex, Sabre, Safyre, stellen weitere
Urethraschlingen dar, die sich in Form, Netzbeschaffenheit vom TVT-Band unterscheiden.
Die bis dato, lediglich in Abstractform, überlieferten Ergebnisse, an 30-50 Patienten
erprobt, zeigen ähnlich hohe Heilungsraten wie die TVT-Methode. Allerdings liegen
noch ungenügende Nachbeobachtungszeiträume für diese Techniken vor. Neben dem retropubischen
Zugang der TVT-Technik wurden neue Verfahren mit transobturatorsichem Zugang (Monarc,
Obtape, TVTO) entwickelt. Der Vorteil soll hier in der schonenderen suburethralen
Platzierung des Bandes, vor allem unter Aussparung des Cavum Retzii (Gefahr der
Blasenperforation, Hämatomentstehung) liegen.
Die in der Arbeit von Rodriguez und Raz vorgestellte Technik stellt eine durchaus
plausible Modifikation der TVT-Technik dar. Der retropubische Zugangsweg ist dem
TVT-Verfahren gleich. Vor allem erscheint hier der Verzicht auf das aufwändige und
teure Einmal-TVT-Trokarsystem als vorteilhaft. Allerdings liegen hier wie auch in
vielen anderen Publikationen ebenfalls lediglich Kontrolldaten nach 12 Monaten mit
92% Erfolgsraten bei immerhin 302 Patienten vor, und weitere Untersuchungsergebnisse
nach 3 und 5 Jahren bleiben abzuwarten.
Ähnlich wie für die TVT-Methode ist aber auch für alle diese neuen Methoden zu fordern,
dass sie sich an validierten Verfahren vergleichen zu haben - dies, wenn möglich,
im Rahmen von prospektiv kontrollierten Studien.
Prof. Dr. Heinz Kölbl, Mainz
Literatur beim Autor