Aktuelle Urol 2004; 35(2): 87-88
DOI: 10.1055/s-2004-829452
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ein Viertel der Transplantatverluste durch Todesfälle bedingt

Nierentransplantate
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15 July 2004 (online)

 
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Viele Patienten nach einer Nierentransplantation sterben mit einem funktionierenden Transplantat. Nach einer Untersuchung in Ägypten ist mehr als ein Viertel der Transplantatverluste auf solche Todesfälle zurückzuführen. Die Hauptursachen: Infektionen und kardiovaskuläre Erkrankungen (Am J Neprol 2003; 23: 186-193).

An der Untersuchung wurden retrospektiv die Daten aller 1400 Patienten ausgewertet, die am Universitätsklinikum Mansoura von März 1976 bis Januar 2002 eine Niere von einem Lebendspender erhalten hatten. Im Untersuchungszeitraum gingen 515 Nierentransplantate (37%) verloren. 257 Patienten starben, davon 131 mit einem funktionierenden Transplantat, berichten die Wissenschaftler.

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Heute versterben weniger Patienten mit einem intakten Transplantat

27% aller Transplantatverluste waren auf Todesfälle von Patienten mit funktionierenden Nieren zurückzuführen. Die Patienten waren im Mittel 35 Jahr alt, die Zeit von der Transplantation bis zum Tod betrug im Mittel 37 Monate. Unterteilt nach Zeiträumen, in denen die Nieren verpflanzt worden waren (70er-, 80er-, 90er- Jahre und seit 2000), nahm der Anteil der Patienten, die mit einem funktionierenden Transplantat starben, deutlich ab von anfangs 38 auf jetzt 20%. Die 5-Jahres-Transplantat-Überlebensraten erhöhten sich - allerdings nicht signifikant - von 48% in den 70er-Jahren bis auf 78% in den 90er-Jahren. Die 5-Jahres-Überlebensraten nahmen in den genannten Zeiträumen signifikant zu von 48% bis auf 82 bis 90%.

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Situs nach Nierentransplantation. Der Anteil der Patienten, die mit einem funktionierenden Transplantat starben, nahm in den letzten Jahrzehnten deutlich ab (Bild: Thiemes Innere Medizin, Thieme, 2000).

Bei Patienten, die mit einem funktionierenden Transplantat gestorben waren, waren deutlich häufiger akute Abstoßungsreaktionen aufgetreten als bei noch lebenden Patienten, berichten die Wissenschaftler weiter (64 vs. 45%). Keinen Einfluss auf die Sterblichkeit hatte die Grunderkrankung, die zur Nierentransplantation geführt hatte.

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Infektionen und Sepsis als Todesursache

Häufigste Todesursache der Patienten waren schwere Infektionen und Sepsis (35,6%), die sich vor allem zwischen dem zweiten und zwölften Monat nach der Transplantation ereigneten. Am häufigsten waren Pneumonien, deren Auftreten eng mit der Intensität der Immunotherapie korrelierte. Auf den weiteren Plätzen der Todesursachen folgten kardiovaskuläre Erkrankungen (18%), Leberversagen (11%) und Krebserkrankungen. Die relativ hohe Mortalität nach Nierentransplantation ist zum Teil auf Komorbiditäten der Patienten und auf transplantationsassoziierte Faktoren wie der Immunsuppression zurückzuführen, schreiben die Autoren. Todesfälle mit funktionierenden Transplantaten sollten bei der Beurteilung der Transplantat-Überlebens- zeiten berücksichtigt wer den.

Roland Fath, Frankfurt

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Erster Kommentar

Im Vergleich zu gleichaltrigen Kontrollpopulationen haben Empfänger einer Nierentransplantation nach wie vor eine bis zu 14fach erhöhte Mortalität. Eine wichtige Subgruppe stellen solche Patienten dar, die mit funktionierendem Transplantat versterben (Death with graft function, DWF). In der Literatur wurde deren Anteil mit bis zu 43% beziffert.

Die vorliegende Arbeit hatte zum Ziel, die Rate und Ursachen für den Tod mit funktionierendem Transplantat in dem Kollektiv der Patienten des Urologie- und Nephrologiezentrums der Mansoura-Universität, Ägypten, zu untersuchen. Hierzu wurden die Daten sämtlicher Patienten (insgesamt 1349), die seit März 1976 eine Lebendnierentransplantation erhielten, retrospektiv untersucht. DWF wurde als Tod vor Rückkehr an die Dialyse oder Transplantatektomie definiert.

In diesem Kollektiv hat das Patienten-5-Jahres-Überleben signifikant von 48 bis 90% zugenommen. Insgesamt starben 257 Patienten (19%), davon 131 mit funktionierendem Transplantat (51%). DWF macht immerhin 27,2% aller Transplantatverluste aus, allerdings insgesamt mit abnehmender Häufigkeit, was sicherlich zum Teil dadurch erklärlich ist, dass das Zentrum nach wie vor die Transplantation älterer Patienten zurückhaltend handhabt.

Die Hauptursache des DWF waren Infektionen und Sepsis, gefolgt von kardiovaskulären sowie hepatischen Ursachen. Die Inzidenz der Infektionen hat seit den 70er-Jahren abgenommen (37,5 auf 28,1%), die der kardiovaskulären Ereignisse von 12,5 auf 17,2% zugenommen. Alle Patienten mit DWF hatten eine gute Transplantatfunktion mit einem Serumkreatinin von < 2 mg/dl.

Diese Verteilung ist sicherlich eine Besonderheit dieses Zentrums, in anderen (europäischen und nordamerikanischen) Studien überwiegen kardiovaskuläre Todesursachen. In der vorliegenden Arbeit findet sich ein besonderes ethnisches Kollektiv, welches sicherlich einen reduzierten sozioökonomischen Standard im Vergleich zu europäischen Kollektiven und damit ein erhöhtes Infektionsrisiko aufweist. Zum anderen sind die hepatischen Komplikationen eine relativ häufige Ursache eines DWF, was durch eine hohe Durchseuchung mit Hepatitis C und Schistosomen zu erklären ist.

Ein wichtiger Risikofaktor für DWF in anderen Studien war ein höheres Patientenalter (> 60 Jahre). Patienten über 60 Jahre werden in diesem Zentrum nicht für eine Transplantation akzeptiert, ebenso wenig wie Patienten mit einem bestehenden Diabetes mellitus. Der einzige Risikofaktor, der sich in dieser Studie in uni- und multivariater Analyse erheben ließ, war eine Infektion nach Transplantation.

Diese Studie macht deutlich, welch hohen Stellenwert der Tod mit funktionierendem Transplantat in der Beobachtung und Einschätzung von Transplantationsverläufen haben sollte, da der DWF einen nicht unerheblichen Anteil der leider immer noch relativ hohen Mortalität von Patienten nach Nierentransplantation ausmacht. Allerdings sind die Beobachtungen dieser Arbeitsgruppe sicherlich aufgrund des besonderen ethnischen Kollektives nur mit Zurückhaltung auf andere (europäische) Kollektive übertragbar.

Dr. W. Kaluza-Schilling, Mainz

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Zweiter Kommentar

Es besteht kein Zweifel daran, dass die Nierentransplantation im Vergleich zu den anderen Verfahren der Nierenersatztherapie (z.B. Hämodialyse) zu einer besseren Lebensqualität und höheren Lebenserwartung führt. Dieses gilt insbesondere für die Lebendspendentransplantation.

Während die Häufigkeit abstoßungsbedingter Transplantatverluste durch neue Immunsuppressiva und maßgeschneiderte immunsuppressive Schemata in den letzten Jahren immer mehr reduziert werden konnte, stellt der Tod mit funktionierendem Transplantat, der in den meisten Statistiken ebenfalls als Transplantatverlust dargestellt wird, ein Problem dar, das sich negativ auf die Betrachtung der Transplantatüberlebenskurven auswirkt.

Deshalb fordern viele Autoren neben konventionellen Analysen der Transplantatfunktion (inklusive Tod mit funktionierendem Transplantat) parallel hierzu eine funktionelle Datenanalyse, wobei das Transplantatüberleben bis zum Tod eines Transplantatempfängers gerechnet wird (death-censored data“). Diese Forderung ergibt sich aus der Tatsache, dass ein Teil der Todesfälle mit funktionierendem Transplantat nicht durch die Transplantation selbst, sondern beispielsweise durch präexistente Risiken des Empfängers (Alter, Dialysedauer, Grunderkrankung, insbesondere Diabetes usw.) bzw. Begleiterkrankungen (Übergewicht, Hypertonie, kardiovaskuläre Vorerkrankungen etc.) bedingt sind.

Andererseits können Komplikationen der Transplantation selbst und Nebenwirkungen der Immunsuppression (Hypertonie, Diabetes, Infektionen, Sepsis, Begünstigung der Entstehung maligner Tumoren etc.) zum Tod des Transplantatempfängers führen.

Es ist wichtig, die Ursachen des Todes mit funktionierendem Transplantat kritisch zu analysieren, mit dem Ziel, die Risiken letaler Komplikationen nach, aber auch vor der Transplantation zu reduzieren.

Die retrospektive Analyse der Autoren von 1400 Lebendspender-Nierentransplantationen, die im Zeitraum 1976 bis 2002 in der Urologischen Universitätsklinik Mansoura/Ägypten durchgeführt worden waren, ergab den Tod mit funktionierendem Transplantat bei 27% aller Transplantatverluste. Häufigste Ursachen waren Infektionen und Sepsis (35,9% aller Todesursachen), gefolgt von kardiovaskulären Ursachen (33,3%).

Eine genaue und kritische Analyse der Todesursachen nach Nierentransplantation muss Bestandteil von Qualitätssicherungsmaß- nahmen sein.

Während die Häufigkeit letaler Infektionen am Anteil der Todesursachen von 37,5 auf 28,1% reduziert werden konnte, ist die Inzidenz letaler kardiovaskulärer Komplikationen von 12,5 auf 17,3% angestiegen. Die Reduktion infektiöser Komplikationen dürfte am ehesten Folge der verbesserten Immunsuppression, der Anstieg kardiovaskulärer Komplikationen auf eine Erweiterung der Indikation zur Transplantation zurückzuführen sein. In 12,5% war die Todesursache der mit funktionierendem Transplantat verstorbenen Patienten auf ein Leberversagen zurückzuführen, bei allenfalls ca. 12,5% war die Todesursache unbekannt. Eine multivariable Analyse zeigte, dass infektionsbedingte Komplikationen das einzige signifikante Risiko für den Tod mit funktionierendem Transplantat darstellte.

Wichtige Schlussfolgerungen der Arbeit sind:

1. Die Patienten-Überlebens- und -Trans- plantatfunktionsraten haben sich in den letzten Jahrzehnten verbessert.

2. Die Lebensqualität und die Überlebensrate nach (Lebend-)Nierentransplantation sind besser als bei anderen Verfahren der Nierenersatztherapie.

3. Infektionen und kardiovaskuläre Ereignisse sind die häufigsten und wichtigsten Todesursachen bei Patienten, die mit funktionierendem Transplantat versterben.

4. Die Analyse von Transplantationsergebnissen sollte ohne und mit death-censoring“ erfolgen.

5. Das Ziel einer integrativen“ Behandlung von terminal niereninsuffizienten Patienten muss die Prophylaxe bzw. die frühe Reduktion von Risiken und Komplikationen der terminalen Niereninsuffizienz sein, insbesondere von Begleit- und Folgeerkrankungen. Präexistente, bereits zum Zeitpunkt der Transplantation bestehende Risikofaktoren verschlechtern die Transplantationsergebnisse. Eine sorgfältige Evaluierung der potenziellen Transplantatempfänger vor der Transplantation, mit dem Ziel, präexistente Risiken - soweit möglich - zu minimieren, ist von eminenter Bedeutung für den Erfolg der Transplantation. 6. Eine genaue und kritische Analyse der Todesursachen nach Nierentransplantation muss Bestandteil von Qualitäts-Sicherungsmaßnahmen sein.

Prof. Kurt Dreikorn, Bremen

 
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Situs nach Nierentransplantation. Der Anteil der Patienten, die mit einem funktionierenden Transplantat starben, nahm in den letzten Jahrzehnten deutlich ab (Bild: Thiemes Innere Medizin, Thieme, 2000).