Abstract
In der psychoanalytischen Theorie, aber auch umgangssprachlich, wird unter Narzissmus
Eigenliebe und Ich-Bezogenheit verstanden. Ich plädiere für eine intersubjektive Definition
des Begriffs: Narzissmus entsteht im Spiegel der Umwelt.
Schon der primärnarzisstische Säugling ist bekanntlich auf die Mutter angewiesen,
die ihn hält - und ihr Lächeln gibt ihm eine erste Ahnung davon, wer er ist. Im narzisstischen
Erleben ist virtuell stets ein Anderer präsent, von dem das Selbst gesehen, geliebt
oder anerkannt werden möchte. So lässt sich der gesunde Narzissmus als inneres Erbe
jener Objektbeziehungen verstehen, die uns ein Grundgefühl von Identität und Sicherheit
vermitteln. Das Fehlen eines solchen Grundgefühls führt hingegen zu stillen oder lärmenden
Kompensationsversuchen, wie wir sie bei der narzisstischen Störung erleben.
Im medialen Narzissmus ist seine intersubjektive Dimension gewissermaßen auf den zeitgenössischen
Begriff gekommen. Die Spiegelkabinette der postmodernen Lebenswelt bieten nämlich
ungeahnte Reflexionsräume für narzisstische Identitätsbildung: Wir betrachten dabei
insgeheim den Anderen, wie er uns betrachtet.
Key words
Narzissmus - narzisstische Störung - medialer Narzissmus - Identität - Intersubjektivität
- Spiegelung - Postmoderne
1 Theoretisch entwickelt in: Altmeyer M. Narzissmus und Objekt. Ein intersubjektives
Verständnis der Selbstbezogenheit. Göttingen 2000; Anwendungen in: Altmeyer M. Im
Spiegel des Anderen. Anwendungen einer relationalen Psychoanalyse. Gießen 2003.
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