Schizophrenien treten weltweit mit einer Lebenszeitprävalenz von etwa 1 % auf. Wieso
ist eine teilweise erblich bedingte und oft schwer verlaufende Erkrankung so weit
verbreitet und tritt relativ häufig auf? Eine mögliche Erklärung besagt, dass es neben
den Krankheitssymptomen auch Auswirkungen der Disposition oder der Erkrankung selbst
gibt, die sich - zumindest bei Familienangehörigen oder nur leicht Erkrankten - positiv
auswirken. Ein möglicher Grund ist das Fehlen der latenten Inhibition bisher unwichtiger
Reize bei schizophrenen Patienten: Wird in einer Versuchsanordnung eine Vielzahl von
Reizen präsentiert, von denen aber nur ein einziger als Hinweisreiz fungiert, auf
den reagiert werden muss, um eine Belohnung zu erzielen, filtern Gesunde die unwichtigen
Reize schnell aus. Wechselt aber unangekündigt die Versuchsanordnung und ein bisher
unwichtiger Reiz ist nun der Hinweisreiz, dann brauchen Gesunde meist recht lange,
um den Reiz zu entdecken. Von latenter Inhibition wird gesprochen, weil Gesunde sehr
viel länger brauchen, den Reiz zu entdecken, wenn er bereits vorhanden, aber bisher
unwichtig war, als wenn er neu in der Situation auftritt. Die bisherige Bedeutungslosigkeit
des Reizes „hemmt” also seine Wahrnehmung als Hinweisreiz. Anders ist dies bei schizophrenen
Patienten: Sie hemmen die Wahrnehmung des bisher unwichtigen Reizes offenbar weniger
effektiv, so dass sie ihn schneller erkennen können, wenn er beim Wechsel der Versuchsbedingungen
zum Hinweisreiz wird. Zwar brauchen sie insgesamt oft deutlich länger als Gesunde,
um die Versuchsanordnung zu bewältigen, gemessen an ihrer üblichen Reaktionszeit gelingt
ihnen der Wechsel auf die neue Reizkonstellation aber schneller als den Gesunden [2]. Schizophrene Menschen können also in unüblichen oder neuartigen Situationen beobachten,
dass ein vermeintlich wohl bekanntes Zeichen seine Bedeutung ändert und dies einen
Hinweis auf das Verständnis der Situation geben könnte - vielleicht ein Grund dafür,
dass psychotische Erfahrungen viele Künstler zu Beginn des 20. Jahrhunderts stark
beeinflusst haben, die die Situation des Menschen in der Industriegesellschaft neu
verstehen wollten [3].
Im vorliegenden Schwerpunktheft sollen die Entstehung und Behandlung der Schizophrenien
vorgestellt und ihre Differentialdiagnose und Früherkennung diskutiert werden. Andreas
Heinz und Georg Juckel geben einen Überblick über Entwicklung und Stand der Erklärungsmodelle
schizophrener Psychosen. Eine derzeit vielversprechende Theorie erklärt schizophrene
Psychosen als Folge einer entwicklungsgeschichtlich früh erworbenen Störung der Vernetzung
kortikaler Hirnzentren; stressabhängig kann es dann nach der Pubertät zu einer Enthemmung
der subkortikalen Dopaminfreisetzung kommen. Die Entstehung kognitiver, affektiver
und produktiv psychotischer Symptome wird erklärt und Behandlungsmöglichkeiten und
Nebenwirkungen der Medikamente werden erörtert. Jürgen Gallinat, Christiane Montag
und Andreas Heinz beschreiben die Differentialdiagnose schizophrener Erkrankungen.
Bei schizophrenen Patienten finden sich Funktionsstörungen im Bereich des frontalen
Kortex, die mit kognitiven Einschränkungen in Verbindung stehen. Patienten mit familiär
gehäuften affektiven Störungen zeigen dagegen Änderungen des regionalen Blutflusses
und Glukoseumsatzes im orbitofrontalen Kortex und den Amygdalae, die mit der emotionalen
Reizverarbeitung in Verbindung stehen. Georg Juckel, Frauke Schultze-Lutter und Stephan
Ruhrmann diskutieren Möglichkeiten zur Früherkennung schizophrener Psychosen. Bildgebende
Studien weisen darauf hin, dass beim Fortschreiten der schizophrenen Erkrankung auch
die Hirnatrophie zunehmen kann. Eine frühe Diagnosestellung und Intervention eröffnet
dagegen die Perspektive, das Fortschreiten der Erkrankung durch psychotherapeutische
und gegebenenfalls medikamentöse Therapie günstig zu beeinflussen.
Ziel der Auseinandersetzung mit der Entstehung und Behandlung schizophrener Erkrankungen
ist es also, den Verlauf der Erkrankung günstig zu beeinflussen, die medikamentösen
Nebenwirkungen so weit wie möglich zu verringern und den Patienten beim Verständnis
der oft verwirrenden Erlebnisse und Symptome zu helfen [1]. Die Entmystifizierung schizophrener Erfahrungen sollte zur Entstigmatisierung der
Patienten führen.