Die bisher nicht abschließend die Therapie der ersten Wahl bei Kelchsteinen darstellt,
bezieht sich lediglich auf Steine mit einem Durchmesser von 10-15 bzw. 20 mm. Für
größere (>/= 15 bzw. 20 mm) besteht Konsens dahingehend, dass der Stein primär perkutan
beseitigt werden sollte. Nur in besonderen Situationen (Kontraindikationen gegen PCNL
in Vollnarkose, Wunsch des Patienten) wäre die ESWL mit Harnleiterschienung durchzuführen.
Andererseits wird bei Konkrementen < 10 mm zunächst die ESWL, oder in erfahrenen Zentren
die flexible URS eingesetzt. Dies ist die übereinstimmende Einschätzung verschiedener
Fachgruppen (DGU, EAU, Lower Pole Study Group, International Consultation on Stone
Disease). Für die hier zu diskutierenden Steine von 10-15 bzw. 20 mm Durchmesser muss
zwischen ESWL und PCNL mit ihren unterschiedlichen Effektivitäts- und Risikoprofilen
entschieden werden.
Steinmasse und -durchmesser entscheidend
Steinmasse und -durchmesser entscheidend
Bei der ESWL werden die Steine, meist in Analgosedierung, in spontan abgangsfähige
Fragmente (£ 3 mm) desintegriert. Ggf. sind wiederholte ESWL-Sitzungen erforderlich.
Die Fragmente müssen in einer vertretbaren Zeit (1-3 Monate) den Harntrakt passieren,
um komplette Steinfreiheit zu erreichen. In einigen Fällen werden auxiliäre Maßnahmen,
wie z.B. Harnleiterschienen, zur Behandlung von Symptomen während des Fragmentabganges
erforderlich. Sowohl die Desintegrationsrate als auch der Abgang der Fragmente ist
deutlich von der Steinmasse und damit vom maximalen Steindurchmesser abhängig (Steinfreiheitsrate
74 bzw. 33% bei Steindurchmesser < 10 bzw. > 20 mm ).
Kelchanatomie beeinflusst Steinfreiheitsrate
Kelchanatomie beeinflusst Steinfreiheitsrate
Der ausschlaggebende Grund für die begrenzten ESWL-Erfolge liegt am erschwerten Abgang
der Fragmente aus dem Unterkelch. Verschiedene Arbeiten haben versucht nachzuweisen,
dass lange (> 30 mm), enge (< 5 mm) und steilstehende (Winkel zwischen Kelchachse
und Ureter je nach Definition der Messung 90 bzw. 45°) Unterkelche besonders ungünstige
Voraussetzungen darstellen. Unter günstigen Bedingungen wurden jedoch Steinfreiheitsraten
von 90 bis 100% erreicht. Zum Einfluss der Kelch-Anatomie auf das ESWL-Ergebnis muss
jedoch kritisch angemerkt werden, dass etwa gleich viel Publikationen existieren,
die den Einfluss dieser anatomischen Parameter nachweisen bzw. nicht nachweisen konnten.
Demzufolge kann heute noch nicht aus diesen anatomischen Gegebenheiten auf eine Kontraindikation
gegen die ESWL geschlossen werden. Allenfalls in Grenzfällen mit z.B. besonders großen
Steinen kann dies als mögliches Einflusskriterium herangezogen werden, um zwischen
ESWL und PCNL zu entscheiden. Um die Steinpassage gerade aus dem Unterkelch zu fördern,
können adjuvante Maßnahmen wie Vibrationsmassage in Kopftieflage und intensivierte
Hydratation die endgültige Steinfreiheitsrate noch zusätzlich steigern (zusätzlich
40% steinfrei von denjenigen, die nach 3 Monaten noch Reststeine besaßen).
Patient wird minimal belastet
Patient wird minimal belastet
Hinsichtlich der Morbidität bietet die ESWL deutlich geringere Komplikationsraten
als die PCNL. Verletzungen von Nachbarorganen werden mit den aktuellen Lithotripter
praktisch nie beobachtet, ein klinisch signifikantes perirenales Hämatom wird in weiniger
als 1% der Fälle beobachtet. Eine Narkose ist nicht erforderlich und nach einer Beobachtungsdauer
von ca. 24 Stunden sind Komplikationen kaum noch zu beobachten, so dass der Patient
in aller Regel entlassungsfähig ist.
Die Kosten der ESWL werden zwar durch die hohen Investitionen belastet, aber durch
kurze Krankenhausaufenthalte und die Narkosefreiheit gering gehalten. Sie steigen
allenfalls durch Wiederbehandlungen und Auxilärmaßnahmen in der Zeit bis zum vollständigen
Fragmentabgang an. Bei der PCNL sind die Kosten durch die routinemäßige Narkose und
den längeren Krankenhausaufenthalt bestimmt.
Die PCNL ist im Vergleich zur ESWL im Wesentlichen unabhängig von der Steingröße effektiv,
da die Steine nach direkter Desintegration unmittelbar entfernt werden können. Dieses
Verfahren ist jedoch durch die Notwendigkeit einer Narkose, der passageren Nephrostomie
und durch signifikante Risiken belastet. Nebenwirkungen bis hin zu schweren Komplikationen
(transfusionspflichtige Blutung, Nierenverlust, Darmperforation, Sepsis) werden beschrieben.
Bei Abwägung von Effektivität und Risiko sollte der Unterkelchstein mittels ESWL beseitigt
werden.
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Komplikationen unterscheiden sich deutlich
Komplikationen unterscheiden sich deutlich
Zu den Komplikationsraten gibt es eine große Anzahl an Publikationen, die eine erhebliche
Varianz aufweisen. Sehr aufschlussreich ist diesbezüglich die einzige prospektive,
randomisierte Studie der Lower Pole Study Group“. Hierbei wurden zwar in beiden Gruppen
ESWL (n = 59) und PCNL (n = 51) kein statistisch signifikanter Unterschied der Komplikationsrate
bei 12 vs. 23% gefunden. Betrachtet man jedoch die klinische Relevanz der aufgetretenen
Komplikationen so unterschieden sie sich deutlich: ein nichttransfusionspflichtiges
Hämatom nach ESWL gegenüber 3x Ileus, 1x Sepsis, 1x Transfusion, 1x arteriovenöse
Fistel nach PCNL. In aktuellen Studien wird die Transfusionsrate nach PCNL mit ca.
20% angegeben]. Für andere Zentren liegt sie bei 1% bis 5% liegt. Somit ist auch hier
ein deutlicher Einfluss von Technik und Erfahrung des Operateurs zu erwarten.
Nierensteine jeglicher Lokalisation sind bis zu 2 cm Größe eine primäre Indikation
für die ESWL (Bild: Praxis der Urologie, Thieme 2003).
Mit Einführung der MiniPCNL wurde versucht, die Transfusionsrate zu senken. Es existiert
aber noch keine Vergleichsstudie darüber, ob die Nutzung der sehr dünnen Instrumente
tatsächlich einen relevanten Vorteil bietet und die Transfusionsrate (von lediglich
1% in erfahrenen Händen) noch weiter senken kann. Es besteht eher die Gefahr, dass
durch die englumigen Arbeitskanäle die Fragmente nicht vollständig entfernt werden
können und damit der Vorteil der PCNL zunichte gemacht wird. Es ist zu vermuten, dass
die Blutungsrate eher durch den Operateur als vom Durchmesser des Nephroskopschaftes
bestimmt wird.
Bis heute wird die ESWL meist von Patienten und Urologen favorisiert. Denn Grundsatz
bei der Therapieentscheidung ist meist, dass die sicherere Option gewählt wird, wenn
eine annähernd vergleichbare Steinfreiheitsrate zu erwarten ist. Zusammenfassend ergibt
sich: Bei Abwägung von Effektivität und Risiko sollte der Unterkelchstein bis zu einem
Durchmesser von 20 mm mittels ESWL mit guter Steinfreiheitsrate und bei minimaler
Belastung beseitigt werden.
Fazit
Fazit
Die beiden vorstehenden Artikel diskutieren kritisch die Therapieoptionen des unteren
Nierenkelchsteines (UNK), der uns im praktischen Alltag immer wieder vor die Frage
der optimalen Therapie stellt. Die ESWL als ambulanter, wenig invasiver Eingriff bietet
den Vorteil der ubiquitären Verfügbarkeit und der guten Desintegration, ist jedoch
mit dem Nachteil der geringen Steinfreiheitsrate von 25-60% behaftet. Die Methode
der MiniPCNL“ bietet den Vorteil der hohen Steinfreiheitsrate, ist jedoch mit dem
potenziellen Nachteil der Invasivität und der derzeitigen Konzentration dieses Eingriffs
an Zentren verknüpft. Es stellt sich somit die Frage nach Selektionskriterien für
eine primäre ESWL bzw. eine primäre MiniPCNL bei Patienten mit UNK. In diesem Zusammenhang
wird von verschiedenen Arbeitsgruppen der Einfluss der radiologischen Anatomie des
unteren Nierenkelches und des Kelchhalses auf die Steinfreiheitsrate diskutiert. In
verschiedenen retrospektiven Untersuchungen wurde der Kelchhals-Nierenbeckenwinkel
als ein signifikanter Prädiktor der Steinfreiheit identifiziert, während alle anderen
Parameter wie Steingröße, Kelchhalsweite, Kelchhalslänge etc. keine Rolle für den
Therapieerfolg spielten. Ein Kelchhals-Nierenbeckenwinkel < 90° war mit einer signifikant
geringeren Steinfreiheitsrate von nur 34% gegenüber einer Clearancerate von 70% bei
einem Winkel > 90° und einer mittleren Anzahl von 2,76. ESWL-Sitzungen assoziiert.
Ähnliche Daten konnten ebenfalls für die Therapie des UNK im Kindesalter reproduziert
werden. Die prognostische Bedeutung des Kelchhals-Nierenbeckenwinkels für die Steinfreiheitsrate
wurde kürzlich in einer prospektiven Studie von Srivastava et al. [5] verifiziert:
Steinfreiheitsraten von 0 und 90% wurden bei einem Winkel < 90° bzw. > 90° erzielt;
zudem identifizierten die Autoren mittels Multivarianzanalyse die Steingröße (< 1cm)
als zusätzlichen signifikanten Prädiktor der Steinfreiheitsrate. Aus den genannten
Studien ergibt sich für den klinischen Alltag der folgende Kompromiss bezüglich einer
möglichst effektiven Therapie des UNK: Steine > 1 cm in Kombination mit einem NKNBW
< 90° sollten primär mit der Mini-PCNL angegangen werden, während sich bei den Patienten
mit günstigen Prognostikatoren ein ESWL-Versuch lohnt. Spätestens das erste Steinrezidiv,
länger als 3 Monate persistierende Residualfragmente sowie eine frustrane Desintegration
nach der ersten ESWL-Sitzung sollten mittels Mini-PCNL therapiert werden. Alternativ
steht der Mini-PCNL die URS mit elektrohydraulischer oder laserinduzierter Lithotripsie
und Fragementdesintegration zur Verfügung.
Prof. Dr. Axel Heidenreich, Klinik und Poliklinik für Urologie, Universität zu Köln,
Joseph-Stelzmann-Str. 9, 50931 Köln,
Email: axel.heidenreich@uk-koeln.de
Literatur beim Autor