Der Klinikarzt 2004; 33(1/02): 4-8
DOI: 10.1055/s-2004-819020
GI-Erkrankungen

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Therapie des Kolonkarzinoms - Neue Substanzen und Behandlungskonzepte bereichern die Optionen

Treatment of Cancer of the Colon - New Substances and Therapeutic Concepts Extend the OptionsA. Eickhoff1 , R. Jakobs1 , J.F. Riemann1
  • 1Medizinische Klinik C, Klinikum der Stadt Ludwigshafen gGmbH (Direktor: Prof. Dr. J.F. Riemann)
Further Information
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Anschrift für die Verfasser

Dr. Axel Eickhoff

Medizinische Klinik C

Klinikum der Stadt Ludwigshafen gGmbH

Bremserstraße 79

67063 Ludwigshafen

Publication History

Publication Date:
16 February 2004 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Die Prognose des kolorektalen Karzinoms (KRK) hat sich in den letzten 20 Jahren durch eine breit gefächerte Erweiterung des therapeutischen Armamentariums überzeugend verbessert. Im lokalisierten Stadium I und II kann eine onkologisch radikale Operation mit R0-Resektion zur Heilung führen. Eine adjuvante Nachbehandlung mit 5-Fluorouracil (5-FU) und Leucovorin (LV) über sechs Monate ist im Stadium III nach R0-Resektion etabliert. Im metastasierten Stadium IV führt eine 5-FU-basierte Chemotherapie gegenüber einer rein symptomatischen Behandlung zur signifikanten Überlebensverlängerung. Durch die Einführung neuer Substanzen aus der Gruppe der Platinderivate und der Topoisomeraseinhibitoren konnte im Stadium IV eine deutliche Prognoseverbesserung erzielt werden. Zur Erstlinienbehandlung stehen heute neben den 5-FU/LV-basierten Protokollen orale Prodrugs auf Basis der Fluoropyrimidine und die Kombinationstherapien von 5-FU/LV mit Irinotecan oder Oxaliplatin zur Verfügung. Viel versprechend erscheinen neue molekulare Ansätze wie die Antiangiogenese oder die Hemmung der mit dem epidermalen Wachstumsfaktorrezeptor assoziierten Signaltransduktion in Kombination mit der konventionellen Chemotherapie.

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Summary

Over the past 20 years, the prognosis of colorectal carcinoma (CRC) has been improved appreciably by a wide-ranging extension of the therapeutic armamentarium. In localized stage I and stage II tumours, oncologically radical surgery with an R0 resection can cure the patient. For stage III, adjuvant follow-up treatment with 5-fluorouracil (5-FU) and leucovorin (LV) over a period of six months following an R0 resection is now established treatment. In metastasizing stage IV disease, 5-FU-based chemotherapy achieves a significant prolongation of survival as compared with purely symptomatic treatment. The introduction of new substances from the groups of platinum derivatives and topoisomerase inhibitors has led to an appreciable improvement in the prognosis of stage IV patients. Today, oral prodrugs based on fluoropyrimidine, and combination therapies of 5-FU/LV with irinotecan or oxaliplatin have been added to 5-FU/LV-based protocols as first-line treatment. New molecular approaches such as antiangiogenesis or the inhibition of signal transduction associated with the epidermal growth factor receptor, in combination with conventional chemotherapy, appear highly promising.

Das Lebenszeitrisiko, an einem kolorektalen Karzinom (KRK) zu erkranken, beträgt 4-6 % und hängt vom Alter der Patienten ab. In Deutschland versterben jährlich fast 30000 Menschen an den Folgen eines kolorektalen Karzinoms; pro Jahr sind 52000 Neuerkrankungen zu verzeichnen. Wird der Tumor rechtzeitig erkannt, lässt sich jedoch die Überlebensrate erwiesenermaßen signifikant verbessern. Doch nur 35 % aller kolorektalen Karzinome werden in primär kurablen Stadien (Stadium I und II) diagnostiziert. Fast 38 % aller Tumore werden im Stadium III und insgesamt 22 % erst im metastasierten Stadium IV erkannt.

Die Auswirkungen auf das Überleben hängen jedoch signifikant vom Tumorstadium bei Diagnose ab. So beträgt die Fünf-Jahres-Überlebensrate im lokalisierten Stadium (Stadium I und II) über 90 %. Auch wenn bereits Lymphknotenmetastasen vorliegen (Stadium III) überleben immerhin noch 69 % der Patienten über fünf Jahre. Bei Patienten mit Fernmetastasierung (Stadium IV) sinkt die Fünf-Jahres-Überlebensrate auf nur noch 6 %, damit hat dieses fortgeschrittene Tumorstadium fast immer eine infauste Prognose. Im Mittel versterben Patienten mit Kolonkarzinom 13 Jahre vor ihrer statistisch errechneten Lebenserwartung.

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Therapieoptionen

Die Prognose hängt entscheidend von der primären Ausdehnung des Tumors bei der Diagnose und der biologischen Aggressivität der Tumorzellen ab. Die heute zur Verfügung stehenden therapeutischen Möglichkeiten umfassen exakte chirurgische Maßnahmen inklusive Lymphknotenstaging und Metastasenresektion sowie eine adäquate systemische Chemotherapie (adjuvant oder palliativ). Das Auftreten von Lokalrezidiven und Fernmetastasen bestimmt die postoperative Prognose der Patienten: Insbesondere in den ersten beiden Jahren nach der Operation entwickeln etwa 75 % aller Patienten nach R0-Resektion lokale, regionale oder Fernmetastasen. Als Ursache hierfür gelten bereits bei der Operation vorhandene, jedoch mit der derzeitigen Technik nicht diagnostizierbare Mikrometastasen (z.B. im Knochenmark).

Andererseits konnten Fortschritte in der chirurgischen Technik und vor allem in der systemischen Chemotherapie in den letzten 20 Jahren die Überlebenszeit signifikant verlängern und gleichzeitig die Prognose verbessern. Dies gilt beispielsweise für den Einsatz einer Chemotherapie nach einer R0-Resektion (adjuvant) oder im fortgeschrittenen Stadium (palliativ). Doch nicht nur hinsichtlich der chemotherapeutischen Optionen hat sich das Spektrum der Behandlungsoptionen, die momentan zur Verfügung stehen, enorm erweitert. Zur so genannten „multimodalen” Therapie zählen inzwischen Immuntherapeutika (so genannte „new age drugs”), lokal-interventionelle Ablationsverfahren von Metastasen sowie verschiedene chirurgische Therapieoptionen.

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Adjuvante Situation

Eine adjuvante Chemotherapie soll Mikrometastasen, die bereits zum Zeitpunkt der Operation vorhanden sind, behandeln und so potenzielle Rezidive verhindern. Voraussetzung ist natürlich eine chirurgische R0-Resektion. Nach den Richtlinien der Fachgesellschaften ist die adjuvante Chemotherapie nach R0-Resektion ab dem Stadium UICC III („Union Internationale Contre le Cancer”) über sechs Monate indiziert. Mehrere randomisierte Studien demonstrierten eine signifikante Prognoseverbesserung um 16 % durch diesen Ansatz. Die Fünf-Jahres-Überlebensrate erhöhte sich signifikant von 55 auf 71 %.

In mehreren prospektiven Studien konnte durch die Kombination von 5-Fluorouracil (5-FU) und Leucovorin (LV) im Vergleich zu 5-FU/Levamisol ein deutlich besseres Tumoransprechen erzielt werden, sodass die Kombination 5-FU/LV derzeit als Standardtherapie für die adjuvante Therapie beim Kolonkarzinom gilt. Wahlweise sollte das Roswell-Park-Protokoll (einmal wöchentlich 500 mg/m2 5-FU + 500 mg/m2 Leucovorin über sechs Wochen) oder das Mayo-Klinik-Protokoll (425 mg/m2 5-FU + 20 mg/m2 Leucovorin als Bolus über fünf Tage alle vier bis fünf Wochen) zum Einsatz kommen.

Als optimaler Zeitpunkt für den Beginn der adjuvanten Therapie gelten die ersten acht Wochen nach der Operation. Ein späterer Beginn ist mit einer deutlich schlechteren Effektivität behaftet. Auch ältere Patienten im Stadium III (über 70 Jahre) profitieren von einer adjuvanten Therapie nach R0-Resektion. Sechs randomisierte Studien zu dieser Fragestellung belegen eine 24 %ige Reduktion der Mortalität, die Rezidivrate sank um immerhin 32 % im weiteren Verlauf.

Inwieweit eine adjuvante Therapie auch im Stadium UICC II sinnvoll ist, untersuchen zurzeit mehrere große prospektive Studien. Bislang haben die Daten verschiedener Studien und Metaanalysen jedoch keinen Vorteil der adjuvanten Chemotherapie in diesem Tumorstadium nachweisen können. Daher sollten diese Patienten nur im Rahmen von kontrollierten Studien behandelt werden.

Ähnlich wie in der palliativen Situation können die Patienten im adjuvanten Setting mit einem 5-FU/LV-Bolusregime (Mayo-Klinik-Protokoll), einer 5-FU/LV-Dauerinfusion oder einer einmalig wöchentlichen 24-Stunden-Infusion behandelt werden. Im metastasierten Stadium scheint die 5-FU-Dauerinfusion einen geringfügigen, jedoch statistisch signifikanten Vorteil bezüglich des Überlebens gegenüber der Bolustherapie zu bieten. In der adjuvanten Behandlung gelang dies jedoch nicht - obwohl verschiedene Studien zu dieser Fragestellung existieren. Daher kann in dieser Situation wahlweise ein 5-FU-Bolusregime oder die 5-FU/LV-Dauerinfusion eingesetzt werden. Als mögliche Alternative können zukünftig die oralen Fluoropyrimidine infrage kommen. Diese Substanzen gleichen in ihrer Wirkungsweise und ihrem Nebenwirkungsspektrum der 5-FU-Dauerinfusion und versprechen zumindest in palliativer Intention vergleichbare Ansprechraten.

Analog zur Therapie im metastasierten Stadium stellt sich zudem die Frage, ob durch eine frühe aggressive Therapie mit Medikamenten wie Oxaliplatin oder Irinotecan im adjuvanten Setting das tumorfreie Überleben verlängert und die Rezidivrate gesenkt werden kann. Hierzu gibt es jedoch bislang noch keine eindeutigen Ergebnisse aus kontrollierten Studien. Erste Ergebnisse einer Phase-III-Studie zum Einsatz von Oxaliplatin in der adjuvanten Therapie wurden auf dem ASCO[1]-Kongress 2003 vorgestellt. In der so genannten MOSAIC[2]-Studie wurden insgesamt 2248 Patienten im Stadium II oder III nach R0-Resektion entweder mit 5-FU/LV (de-Gramont-Schema) oder dem FOLFOX[3]-4-Schema für sechs Monate behandelt. Im FOLFOX[3]-Arm traten 23 % weniger Rezidive oder Todesfälle auf, nach drei Jahren war die Wahrscheinlichkeit des krankheitsfreien Überlebens um etwa 5 % höher (77,8 versus 72,9 %). Besonders groß war dieser Unterschied bei Patienten im Stadium III. Daten zum Gesamtüberleben wurden noch nicht vorgestellt, vermutlich wird jedoch der Unterschied im krankheitsfreien Überleben auch zu einer Verbesserung des Gesamtüberlebens führen [5]. Auf der Basis der heute zur Verfügung stehenden Daten scheint jedoch eine Kombination aus 5-FU/LV und Oxaliplatin oder Irinotecan im Vergleich zur konventionellen Therapie mit einer deutlich höheren Nebenwirkungsrate verbunden zu sein. Aus diesen Gründen sollten Patienten nur im Rahmen von Studien mit solchen Protokollen behandelt werden.

Trotz einiger zunächst ermutigender Ergebnisse spielt die Immuntherapie im adjuvanten Setting aufgrund fehlender kontrollierter Daten aus größeren Studien gegenwärtig noch keine Rolle. In Zukunft sollte es jedoch möglich sein, durch die Risikostratifizierung mithilfe bestimmter tumorassoziierter Kriterien und molekularbiologischer Konstellationen bereits im Vorfeld einer Therapie zu klären, welcher Patient einer aggressiven Therapie, einer Therapie im Stadium UICC II oder keiner systemischen Chemotherapie bedarf.

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Palliative Situation

Patienten im metastasierten Stadium UICC IV überleben ohne spezifische systemische Chemotherapie im Mittel nur 5-7,5 Monate. Insbesondere in dieser palliativen Situation konnten innerhalb der letzten 20 Jahre erhebliche Therapiefortschritte beim Kolonkarzinom erzielt werden. So lassen sich mit den heute verfügbaren modernen Kombinationschemotherapien mittlere Überlebenszeiten von bis zu 18 Monaten erreichen. Alle Patienten im Stadium UICC IV sollten - falls Alter und klinischer Zustand dies zulassen - bereits vor dem Auftreten von Symptomen einer palliativen Chemotherapie zugeführt werden. Durch diese Therapie wird nicht nur das Überleben signifikant verlängert, sondern auch die Lebensqualität entscheidend verbessert [11].

Wesentlicher Bestandteil der Chemotherapie ist auch hier das 5-Fluorouracil, das bereits seit über 30 Jahren beim Kolonkarzinom eingesetzt wird. Zur Biomodulation dieser Substanz bieten sich Leucovorin und Levamisol an. Im Vergleich zur 5-FU-Monotherapie zeigen die Kombinationen deutlich höhere Ansprechraten (23 versus 11 %). Die Kombination von 5-FU/LV zählt dabei zur effektivsten Kombinationsform und gilt deshalb als Standardtherapie in der Erstlinienbehandlung des metastasierten Kolonkarzinoms.

In den letzten Jahren wurden verschiedene Konzepte der Applikation ausführlich untersucht. Dabei ist zwischen einer 5-FU-Bolusapplikation und der 5-FU-Dauerinfusion zu differenzieren, denn damit sind pathogenetische Unterschiede bezüglich der molekularen Wirkungsweise von 5-Fluorouracil verbunden. Mehrere kontrollierte Studien konnten eine gering signifikante Verbesserung des Ansprechens (22 versus 14 %) und der Überlebenszeit (12,1 versus 11,3 Monate) durch eine 5-FU-Dauerinfusion im Vergleich zur Bolusapplikation dokumentieren. Daher wird für Patienten im metastasierten Stadium UICC IV die 5-FU-Dauerinfusion/Leucovorin als Erstlinienbehandlung favorisiert. Vor allem in Europa wird heute alternativ ein modifiziertes Therapieschema gewählt, nämlich eine 5-FU-Dauerinfusion mit einer wöchentlichen Applikation von Leucovorin über 24-48 Stunden. Dieses Protokoll zeigt ebenfalls im Vergleich zur Bolusgabe eine signifikant bessere Ansprechrate mit Verlängerung des progressionsfreien Überlebens bei gleichzeitig deutlich reduzierter Toxizität.

Seit einigen Jahren stehen mehrere oral verfügbare Substanzen („Fluoropyrimidine”) zur Verfügung. Diese „Prodrugs” werden nach enteraler Resorption über mehrere Zwischenstufen zu 5-Fluorouracil metabolisiert. Capeticabin (Xeloda®) ist inzwischen zur Therapie des metastasierten kolorektalen Karzinoms in Deutschland zugelassen, nachdem zwei kontrollierte Studien eine vergleichbare Effektivität und Wirksamkeit gegenüber der 5-FU-Bolusgabe mit Leucovorin demonstrieren konnten. Ein Vergleich der oralen 5-FU-Prodrugs und den 5-FU-Dauerinfusionsprotokollen liegt derzeit noch nicht vor. Auch die Ergebnisse prospektiver kontrollierter Studien zur Kombination der oralen 5-FU-Prodrugs mit Oxaliplatin oder Irinotecan stehen bislang noch aus, sodass ihre Wirksamkeit noch nicht abschließend zu beurteilen ist. Gleichwohl bieten die oralen Prodrugs einen deutlichen Zugewinn an Therapiekomfort und Lebensqualität für die Patienten [10].

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Stellenwert von Oxaliplatin

Oxaliplatin zählt zu den Platinanaloga der dritten Generation, die über eine Quervernetzung der DNA vermehrt Apoptose induzieren. In der Primärtherapie erzielte die Kombination aus 5-Fluorouracil mit Leucovorin und Oxaliplatin signifikant bessere Ansprechraten (etwa 50 versus 20 %) und progressionsfreie Überlebenszeiten (neun versus sechs Monate) als die bisherige Standardtherapie mit 5-FU/LV (Bolus- oder Dauerinfusion). Inzwischen existieren für die Primärtherapie mehrere Kombinationsprotokolle, die Oxaliplatin und 5-FU/LV in unterschiedlichen Dosierungen einsetzen.

Alle bisher vorhandenen Daten, die zu diesen so genannten FOLFOX[3]-Regimen zur Verfügung stehen, kommen zu dem Schluss, dass diese Dreifachkombination eine sehr effektive und gut verträgliche Primärtherapie ist - auch wenn in den großen randomisierten Studien bisher keine signifikant verlängerte Überlebenszeit nachzuweisen war ([Tab. 1]; [4]). Damit bleibt bislang die Frage offen, ob eine Kombination aus 5-FU/LV/Oxaliplatin bei allen Patienten als Erstlinientherapie oder erst bei Versagen der primären 5-FU/LV-Therapie als Salvage-Therapie zum Einsatz kommen sollte. Konsens besteht darüber, dass die FOLFOX-Kombination bei allen jungen Patienten in gutem Allgemeinzustand sowie bei Patienten mit rasch progredientem Tumorwachstum zur schnellen Remissionsinduktion eingesetzt werden sollte.

In der Sekundärtherapie kann diese Kombination Ansprechraten von bis zu 46 % erreichen, in bis zu 40 % der Fälle kann die Tumorerkrankung stabilisiert werden. Zusammenfassend kann konstatiert werden, dass die Kombination aus 5-FU/LV/Oxaliplatin als Salvage-Therapie nach Versagen der Primärtherapie eine Option mit sehr guter Verträglichkeit und Ansprechrate ist.

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Stellenwert von Irinotecan

Gut wirksam ist auch der Topoisomerasehemmer Irinotecan. Hierbei handelt es sich um ein Camptothecinanalogon, das die Topoisomerase I hemmt und dadurch die DNA-Replikation blockiert. In der Primärtherapie konnten zwei große randomisierte Studien eine signifikante Verlängerung der Überlebenszeit um zwei bis drei Monate sowie ein signifikant besseres Ansprechen durch die Kombination aus 5-FU-Bolus/Leucovorin/Irinotecan gegenüber der konventionellen 5-FU/LV-Therapie aufzeigen ([Tab. 1]; [9]). Die amerikanische FDA („Food and Drug Administration”) hat daher im Jahr 2000 auf der Basis dieser Daten die Kombination aus 5-FU/LV/Irinotecan zur Standardtherapie in der Erstlinienbehandlung des metastasierten Kolonkarzinoms erklärt. Unklar ist jedoch, ob eine sequenzielle Therapie mit 5-Fluorouracil und Leucovorin gefolgt von einer Monotherapie mit Irinotecan nicht eine vergleichbare Effektivität besitzt.

Zwei Folgestudien untersuchten die Kombination von Irinotecan und einem 5-FU-Bolus/LV-Protokoll und berichteten übereinstimmend eine deutlich erhöhte Toxizität und Rate an therapieassoziierten Todesfällen (2,5 und 3,5 %) aufgrund dieser Kombination. Anders war dies in einer europäischen Studie mit einem 5-FU-Infusionsprotokoll: Hier wurden keine vermehrten therapieassoziierten Todesfälle festgestellt. Die aktuelle EORTC[4]-Studie zum Vergleich des so genannten AIO[5]-Protokolls mit einer wöchentlichen Kombination des dosisreduzierten AIO-Protokolls (5-FU; 2000 mg/m2) und Irinotecan (FUFIRI[6]) zeigte für die Kombination eine signifikante Verbesserung der objektiven Ansprechrate (54,2 versus 31,5 %) und des progressionsfreien Überlebens (8,5 versus 6,4 Monate) [7]. Momentan wird die Kombination von Oxaliplatin und Irinotecan als Erstlinienbehandlung gegenüber der konventionellen Standardtherapie untersucht. Die endgültigen Daten aus diesen Studien stehen zurzeit noch aus.

Ähnlich wie bei der Therapie mit Oxaliplatin ist zurzeit noch nicht klar, ob eine Kombination von 5-FU/LV/Irinotecan (so genanntes FOLFIRI[7]-Protokoll) allen Patienten - unabhängig vom Alter, vom Allgemeinzustand oder von der Tumoraggressivität - in der Erstlinienbehandlung gegeben werden sollte. Als aktuelle Richtlinie kann jedoch gelten, dass die FOLFIRI-Kombination insbesondere bei jungen Patienten in gutem Allgemeinzustand oder bei hoher Tumorlast zur Induktion einer schnellen Remission indiziert ist.

Daten zur Gabe von Irinotecan in der Sekundärtherapie bei Versagen der Erstlinienbehandlung gibt es bereits seit einigen Jahren. Insgesamt kann die Gabe von Irinotecan in der Sekundärtherapie 5-Fluorouracil-resistenter Kolonkarzinome die Überlebenszeit der Patienten im Vergleich zu einer rein supportiven Therapie, insbesondere aber auch gegenüber einer 5-FU-Infusionstherapie, signifikant verlängern. Die Ein-Jahres-Überlebensrate der Patienten erhöhte sich nach Versagen der Erstlinienbehandlung mit 5-Fluorouracil und Leucovorin in mehreren Studien signifikant um 26 % (versus supportive Therapie) und 12 % (versus 5-FU-Dauerinfusion) [Tab. 2].

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Bietet sich ein neuer Ansatz?

Da jedoch abschließende Daten noch fehlen, kann bislang keine „optimale” Chemotherapiesequenz zur Behandlung metastasierter Kolonkarzinome angegeben werden. So besteht weder für FOLFIRI noch für FOLFOX in der Primärtherapie - gefolgt von einem Cross-over bei Therapieversagen - ein signifikanter Unterschied hinsichtlich Effektivität und Überleben. Mehrere Phase-II-Studien untersuchen zurzeit das Konzept einer frühen und aggressiven Primärtherapie („hit hard and early”). Verwendet werden aggressive Protokolle einer Dreifachkombination mit Oxaliplatin/Irinotecan/5-FU/LV (Bolus- und Infusionstherapie). Erste Daten zeigten ein Ansprechen von über 50 % - bei allerdings deutlich erhöhter therapieassoziierter Toxizität. Es erscheint somit heute fraglich, das Konzept der sequenziellen Therapie zu verlassen und bereits in der Primärtherapie alle zur Verfügung stehenden hoch aktiven Substanzen einzusetzen.

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Molekulare Therapieansätze

Die enormen Fortschritte auf dem Gebiet der Grundlagenforschung, die wesentliche pathogenetische Zusammenhänge von intrazellulärer Wachstumsregulation und -differenzierung, Transformation von Tumorzellen und Apoptose aufzeigen, münden heute in einer Vielzahl breit gefächerter und viel versprechender Therapieansätze. So stehen gegenwärtig zum einen Substanzen, die wachstumsfaktorvermittelte zelluläre Proliferations- und Differenzierungsprozesse inhibieren, aber auch Konzepte zur Inhibition der Tumor-Angiogenese zur Verfügung.

Zum Antikörper IMC-C225 (Cetuximab®), der spezifisch gegen den „Epidermal-growth-faktor”(EGF)-Rezeptor wirkt, liegen bereits erste Studienergebnisse vor. Diese Therapieoption konnte bei Versagen einer auf Irinotecan basierten Behandlung immerhin in 23 % der Fälle eine Tumorremission hervorrufen. Weitere experimentelle Ansätze basieren auf der spezifischen Hemmung der EGF-Rezeptor-assoziierten Signaltransduktion mit der Inhibition der EGFR-Tyrosinkinase oder auf der Blockade des „Vascular-endothelial-growth-factor”(VEGF)-Rezeptors mit dem Angiogenese-Inhibitor Bevacizumab®. Auf dem letztjährigen ASCO-Meeting hat Hurwitz eine Phase-III-Studie mit 815 Patienten vorgestellt, die erstmals die Effektivität des Angiogeneseinhibitors Bevacizumab dokumentierte. Der Bevacizumab-Arm zeigte sich sowohl bezogen auf das Ansprechen, das progressionsfreie Überleben und das Gesamtüberleben gegenüber der Standardtherapie eindeutig überlegen [8]. Andere Konzepte schließen Metalloproteinasen, Farnesyltransferasen oder die Cyclooxygenase 2 (COX 2) ein. Letztlich ist der Stellenwert dieser neuen molekularen Therapieansätze und der molekularen Prädiktion des Therapieansprechens jedoch noch unklar, und es müssen weitere klinische Studien abgewartet werden [11].

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Kasuistik

Im März 2000 diagnostizierten wir bei einem 56-jährigen Patienten ein C.-descendens-Adenokarzinom. Das präoperative Staging erbrachte keinen Hinweis auf Fernmetastasierung, sodass bei dem Patienten eine Linkshemikolektomie durchgeführt wurde. Postoperativ konnte ein Stadium pT3, N1, M0, G2, R0 evaluiert werden.

Der Patient erhielt deshalb von April bis Oktober 2000 eine adjuvante Chemotherapie mit 5-Fluorouracil und Leucovorin und wurde danach in die Nachsorge qentlassen. Wegen eines CEA-Anstiegs („carcinoembryonic antigen”) und eines Gewichtverlusts stellte sich der Patient im März 2002 erneut in unserer Klinik vor.

In der Computertomografie des Abdomens konnte eine große Lebermetastase diagnostiziert werden, im Röntgen-Thorax zeigten sich diffuse Lungenmetastasen. Daher wurden in palliativer Intention insgesamt drei Zyklen einer Chemotherapie nach dem „AIO-Schema” (2600 mg/m2 5-FU-Dauerinfusion, 500 mg/m2 Leucovorin) appliziert. Unter dieser Therapie kam es jedoch zur Progression der Lebermetastase mit Verschlechterung des klinischen Allgemeinzustandes.

Als Zweitlinienbehandung erhielt der Patient daher ab Oktober 2002 eine auf Oxaliplatin basierende Therapie nach dem FOLFOX-Protokoll. Nach sechs FOLFOX-Zyklen zeigte sich eine deutliche Regression der Lebermetastase und der multiplen Lungenmetastasen. Bei deutlicher Verbesserung des klinischen Zustands kann der Patient zumindest halbtags wieder seinen Beruf ausüben, und bis Mai 2003 zeigte sich kein erneuter Tumorprogress.

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Glossar

Irinotecan

Irinotecan oder CPT-11 ist ein Camptothecinanalogon, das die DNA-Topoisomerase I hemmt. Dieses nukleare Enzym bindet kovalent am 3'-Ende der DNA-Doppelhelix und spaltet den DNA-Strang passager, um die Replikation zu ermöglichen. Bindet der Inhibitor an die Topoisomerase werden jedoch irreversible Strangabbrüche induziert und so die DNA-Replikation und die Bildung von mRNA gestört.

Oxaliplatin

Oxaliplatin ist ein Platinderivat, das seit August 1999 in Deutschland zugelassen ist. Ähnlich wie Cisplatin bindet es vor allem an guaninhaltige Nukleotide der DNA und induziert auf diesem Wege Quervernetzungen der DNA und Apoptose.

Biologicals / „new age drugs”

Hierzu zählen Substanzen aus der Gruppe der so genannten zielgerichteten Krebstherapeutika. Angriffspunkte dieser Substanzen sind spezifische Zielmoleküle, die für wesentliche Mechanismen der intrazellulären Regulation von Wachstum, Differenzierung, Transformation und Apoptose von Tumorzellen verantwortlich sind.

Tab. 1 Kombination von 5-FU/LV + Oxaliplatin oder Irinotecan in der Primärtherapie (Phase-III-Studien)

Protokoll

Patienten (n)

Ansprechen

progressionsfreies Überleben

Überleben (Monate)

Quelle

5-FU/LV + Oxaliplatin

210

51 % (*)

9,0 (*)

16,2

(4)

versus 5-FU/LV

210

22 %

6,2

14,7

5-FU/LV + Oxaliplatin

53

53 (*)

8,7 (*)

19,4

(3)

versus 5-FU/LV

16

16

6,1

19,9

5-FU/LV + Irinotecan

231

39 (*)

7,0 (*)

14,8 (*)

(9)

versus 5-FU/LV

226

21

4,3

12,8

versus Irinotecan

226

18

4,2

12,0

5-FU/LV + Irinotecan

198

41(*)

6,7 (*)

17,4 (*)

(2)

versus 5-FU/LV

188

23

4,4

14,1

Tab. 2 Irinotecan in der Sekundärtherapie 5-FU-resistenter Kolon-karzinome (Phase-III-Studien)

Protokoll

Patienten (n)

Überleben (Monate)

Quelle

Irinotecan

189

9,2 (*)

(2)

versus supportive Therapie

90

6,5

Irinotecan

127

10,8 (*)

(5)

versus 5-FU-Infusion

129

8,5

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Literatur

  • 1 Cunningham D, Pyrhonen S, James RD. et al. . Randomised trial of irinotecan plus supportive care versus supportive care alone after fluorouracil failure for patients with metastatic colorectal cancer.  Lancet. 1998;  352 1413-1418
  • 2 Douillard JY, Cunningham D, Roth AD. et al. . Irinotecan combined with fluorouracil compared with fluorouracil alone as first-line treatment for metastatic colorectal cancer: a multicentre randomised trial.  Lancet. 2000;  355 1041-1047
  • 3 Giacchetti S, Perpoint B, Zidani R. et al. . Phase III multicenter randomized trial of oxaliplatin added to chronomodulated fluorouracil-leucovorin as first-line treatment of metastatic colorectal cancer.  J Clin Oncol. 2000;  18 136-147
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  • 6 Hurwitz H, Fehrenbacher L, Cartwright T. et al. . Bevacizumab prolongs survival in first-line colorectal cancer (CRC): Results of a phase III trial of bevacizumab in combination with bolus IFL (irinotecan, 5-fluorouracil, leucovorin) as first-line therapy in subjects with metastatic CRC.  Proc ASCO. 2003;  22 3646
  • 7 Köhne CH, van E Cutsem, Wils JA. et al. . Irinotecan improves the activity of the AIO regimen in metastatic colorectal cancer: Results of the EORTC GI Group study 40986.  Proc ASCO. 2003;  22 1018
  • 8 Rougier P, Van Cutsem E, Bajetta E. et al. . Randomised trial of irinotecan versus fluorouracil by continuous infusion after fluorouracil failure in patients with metastatic colorectal cancer.  Lancet. 1998;  352 1407-1412
  • 9 Saltz LB, Cox JV, Blanke C. et al. . Irinotecan plus fluorouracil and leucovorin for metastatic colorectal cancer.  N Engl J Med. 2000;  343 905-914
  • 10 Seufferlein T, Lutz MP, Adler G. Multimodale Therapiekonzepte beim Kolonkarzinom.  Internist. 2003;  44 322-335
  • 11 Vanhoefer U, Köhne CH. Chemotherapeutische Möglichkeiten beim metastasierten kolorektalen Karzinom.  Deutsches Ärzteblatt. 2003;  100 599-605

1 american society of clinical oncology

2 multicenter international study of oxaliplatin/5-FU-LV in the adjuvant treatment of colon cancer

3 5-Fluorouracil, Folsäure und Oxaliplatin

4 european organisation for research and treatment of cancer

5 Arbeitsgemeinschaft Internistische Onkologie

6 Folinsäure, 5-Fluorouracil, Irinotean

7 Irinotecan, 5-Fluorouracil und Leucovorin

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Anschrift für die Verfasser

Dr. Axel Eickhoff

Medizinische Klinik C

Klinikum der Stadt Ludwigshafen gGmbH

Bremserstraße 79

67063 Ludwigshafen

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Literatur

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  • 9 Saltz LB, Cox JV, Blanke C. et al. . Irinotecan plus fluorouracil and leucovorin for metastatic colorectal cancer.  N Engl J Med. 2000;  343 905-914
  • 10 Seufferlein T, Lutz MP, Adler G. Multimodale Therapiekonzepte beim Kolonkarzinom.  Internist. 2003;  44 322-335
  • 11 Vanhoefer U, Köhne CH. Chemotherapeutische Möglichkeiten beim metastasierten kolorektalen Karzinom.  Deutsches Ärzteblatt. 2003;  100 599-605

1 american society of clinical oncology

2 multicenter international study of oxaliplatin/5-FU-LV in the adjuvant treatment of colon cancer

3 5-Fluorouracil, Folsäure und Oxaliplatin

4 european organisation for research and treatment of cancer

5 Arbeitsgemeinschaft Internistische Onkologie

6 Folinsäure, 5-Fluorouracil, Irinotean

7 Irinotecan, 5-Fluorouracil und Leucovorin

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Anschrift für die Verfasser

Dr. Axel Eickhoff

Medizinische Klinik C

Klinikum der Stadt Ludwigshafen gGmbH

Bremserstraße 79

67063 Ludwigshafen