NOTARZT 2004; 20(4): 142-143
DOI: 10.1055/s-2003-814999
Fortbildung
Der toxikologische Notfall
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die Mutprobe

F.  Martens1
  • 1Charité - Universitätsmedizin Berlin, Campus Virchow Klinikum, Klinik für Nephrologie und internistische Intensivmedizin (Direktor: Prof. Dr. Ulrich Frei), Berlin
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Publication Date:
23 July 2004 (online)

Der Fall

Kurz nach Mitternacht wird der Notarzt in eine Laubenkolonie unter dem Stichwort „plötzliche Bewusstlosigkeit” alarmiert. Die Mannschaft des kurz zuvor eingetroffenen RTW hatte in einer größeren Laube in der Küche einen jungen Mann auf dem Rücken in Erbrochenem liegend vorgefunden. Da dieser tief bewusstlos war, Atmung und Kreislauf jedoch nicht eingeschränkt schienen, hatten sie ihn zunächst in stabile Seitenlage gebracht und das Eintreffen des Notarztes abgewartet. Dieser sah einen 17-jährigen, asthenischen, komatösen Patienten (GCS 3), Puls 90/min, RR 80/60 mm Hg und mit einer pulsoxymetrischen Sättigung von 70 %. Er lag in einer Lache von Erbrochenem und hatte zudem reichlich eingenässt. Während der Vorbereitungen zur Intubation konnten die umstehenden, alkoholisierten Jugendlichen zur Vorgeschichte befragt werden. Sie hätten eine Party gefeiert und zum Abschluss sei eine Mutprobe veranstaltet worden. Diese hatte darin bestanden, welcher der Partygäste am schnellsten jeweils eine große Flasche Whisky austrinken könne. Der Patient habe dies in weniger als fünf Minuten geschafft. Die anderen hätten weit weniger getrunken. Einige Zeit später sei ihnen aufgefallen, dass ihr „Sieger” in der Küche geschlafen habe und nicht mehr erweckbar gewesen sei. Daraufhin hätten sie die Feuerwehr alarmiert.

Nach Legen zweier periphervenöser Zugänge konnte der Patient ohne Gabe von Narkotika problemlos orotracheal intubiert werden. Über die danach platzierte nasogastrale Sonde entleerte sich noch etwas bräunliche Flüssigkeit. Der Blutzucker, gemessen mittels Teststreifen lag bei 140 mg/dl. Anschließend wurde der Patient unter der Verdachtsdiagnose einer akuten Ethanolintoxikation in ein nahe liegendes Krankenhaus gefahren. Dort ergab die Messung des Serumalkohols einen Wert von 5,5 g/l (Promille). Nach 14 Stunden Beatmung ohne zusätzliche Analgosedierung zeigte der Patient Spontanbewegungen, nach weiteren zwei Stunden öffnete er auf Ansprache die Augen und wurde bei akzeptablen Blutgasen nach insgesamt 18 Stunden Beatmung extubiert. An das Ereignis der Party und insbesondere an die Mutprobe erinnerte er sich nicht. Bis zum Folgetag blieb er in stationärer Überwachung und wurde bei fehlenden Zeichen akuter Organschäden in die elterliche Obhut entlassen.

Offenbar hatte das Erbrechen nach Genuss der großen Whiskydosis die Entstehung einer noch schwereren Vergiftung verhindert. Rechnerisch hätte sich nach Einnahme von einem Liter Whisky, ca. 400 ml Ethanol, entsprechend etwa 320 g, und einem Körpergewicht des Patienten von 60 kg entsprechend einem Verteilungsraum von etwa 40 kg, eine Ethanolkonzentration von etwa 7 - 8 g/l einstellen können. Andererseits ist die Resorptionsquote von Ethanol begrenzt, sodass die gemessene Alkoholkonzentration zum Teil von vorangegangenem Alkoholgenuss während der Party herrührt.

Literatur

  • 1 Mann K, Heinz A. Neurobiologie der Alkoholabhängigkeit.  Dt Ärztebl. 2001;  98 A 2279-2283
  • 2 Palmstierna T. A Model for Predicting Alcohol Withdrawal Delirium.  Psychiatric Services. 2001;  52 820-823

Priv.-Doz. Dr. Frank Martens

Charité - Universitätsmedizin Berlin · Campus Virchow Klinikum · Klinik für Nephrologie und internistische Intensivmedizin

Augustenburger Platz 1

13353 Berlin

Email: frank.martens@charite.de

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