Psychother Psychosom Med Psychol 2004; 54(3/4): 187-188
DOI: 10.1055/s-2003-814812
Interview
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Der bescheidene Infragesteller - Hans H. Strupp

The Modest ChallengerFranz  Caspar1
  • 1Klinische und Entwicklungspsychiatrie, Psychologisches Institut der Universität Freiburg
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Publication Date:
23 March 2004 (online)

Prof. Dr. Hans H. Strupp.

Hans Strupp und seine kritisch wohlwollenden Fragen, sein engagierter, auch ohne Power Point spannender Vortrag, gegenüber Etabliertem und Selbstzufriedenem respektlos: Ich war ihnen vor bald 20 Jahren zum ersten Mal und dann immer wieder begegnet. Zuletzt hatte ich Hans Strupp in Santa Barbara am Kongress der Society for Psychotherapy Research gesehen, den er, stark beeinträchtigt durch seine Parkinson-Erkrankung nur ganz kurz besucht hatte.

Ein halbes Jahr später fragte ich vorsichtig an, ob seine Gesundheit ein Interview erlauben würde, das ich gerne für PPmP mit ihm machen würde. Nun hatten er und seine Frau Lottie mich in üblicher Herzlichkeit sogar am Flughafen in Nashville abgeholt. Seine Krankheit war nicht besser geworden. Er hatte zudem seit unserem letzten Treffen den Tod seines Sohnes, als Arzt selber machtlos gegen ein Krebsleiden, erleben müssen und noch längst nicht verkraftet.

Das Haus der Strupps, voller Kultur, viel Hundertwasser, eine Studierstube, in der er in kleinen Stücken, aber wenn immer möglich jeden Tag an seinen Memoiren schreibt, ohne Unterstützung und entsprechend langsam. Sie haben vor einigen Jahren das Haus, in dem ihre Kinder aufgewachsen sind, hinter sich gelassen und sind in ein komfortableres Haus ohne gefährliche Treppen gezogen. Bemerkenswerterweise, weil ihre Freunde und Bekannten immer älter wurden und sie gerne Besuch haben.

Wie kam er nach Nashville, eine der reichsten Städte der USA, bekannt als Weltmetropole des Country, was Strupp aber wenig kümmert? Vor den Nazis floh seine Familie aus Frankfurt, erleichtert durch die Zuteilung zu einem französischen Kontingent, weil seine Mutter aus dem Elsass stammte. Sein Vater war gestorben, als er neun war. Der junge Hans Strupp übernahm früh Verantwortung und betrieb mit den elterlichen Krämerladen in Frankfurt, bis die Gefahr zu groß wurde. Hans Strupp, 1986 Ehrendoktor an der Universität Ulm als eine von vielen Auszeichnungen, beherrscht Deutsch fließend. Ich habe ihn einmal an einer Konferenz in Bern mit vielen wissenschaftsfeindlichen Teilnehmern erlebt: Er hielt seinen Vortrag in Englisch. Für die Aussage „Die wissenschaftliche Psychotherapieforschung hat viele interessante Ergebnisse gebracht, die zur Kenntnis genommen werden müssen!” schaltete er kurz auf Deutsch um, um in dieser für ihn zentralen Aussage wirklich gehört und verstanden zu werden. Unser Interview heute führt er lieber in Englisch; ich lasse offen, warum.

Die Zeit nach der Flucht? Er hat erst in Manhattan, dann in Washington tags als Buchhalter gearbeitet, nachts die Schule besucht. 1962 wurde er Professor für Psychologie an der University of North Carolina in Chapel Hill. Für diese Position entschied er sich, gegen Harvard, weil die Stelle für seine Familie sicherer war. 1966 wurde er Professor in Nashville.

Wie stieg er in die Psychotherapie und die Psychotherapieforschung ein? Eine formelle Psychotherapieausbildung zu machen war ihm nicht möglich gewesen. Ein Forschungsprojekt war seine Eintrittskarte: Er legte Therapeuten Karten mit Patientenäußerungen vor und bat sie um Kommentare. Statt sich in ausgetretenen Pfaden zu bewegen trat er die Flucht nach vorne an, kreierte seinen eigenen Forschungsansatz und fand damit Beachtung.

Die verschiedenen Therapierichtungen. „Ich wuchs mit der Psychoanalyse auf und mag diesen Ansatz immer noch. Vielleicht ist da ein Temperamentsfaktor. Die kognitive Verhaltenstherapie hat mich nie beeindruckt. Jeder Therapeut entwickelt seine eigenen Präferenzen.” Seine Tochter Karen ist Psychoanalytikerin. Was würde er davon halten, wenn ein Enkelkind beschlösse, Psychotherapeut zu werden? „Gute Idee.” Und wenn er Verhaltenstherapeut werden wollte? „Es gibt Schlimmeres!” Strupp hat eine tiefsitzende Skepsis, dass Verhaltenstherapie tief genug geht. „Es gibt einen Unterschied zwischen Symptomerleichterung und einem gründlichen Durcharbeiten von Konflikten”. Und die Katamneseergebnisse, dass Verhaltenstherapie über viele Jahre stabile Veränderungen, nicht nur in Symptomen, bewirken kann? Schon, aber an seinen Präferenzen vermag das wenig zu ändern. Klar, es gibt schon neue Ansätze …

Kann man überhaupt über Psychotherapie eingeteilt nach Richtungen sinnvoll diskutieren? „Etiketten geben ein bisschen Orientierung, sagen aber wenig darüber aus, was wirklich läuft.”

Der Ansatz der Managed Care mit seinem Bestreben, Therapien auf Teufel komm raus zu verkürzen, macht ihm Sorgen. „Man kann einen Ansatz nicht beliebig verwässern. Therapien sollten so lange dauern, wie es braucht, und so intensiv sein wie nötig. Was du reinsteckst, bekommst Du raus!”

Ich versuche vor dem Hintergrund des Irakkonfliktes etwas zu politisieren. Macht es einen großen Unterschied in dieser Welt, ob wir Psychotherapie haben oder nicht? „Nicht viel! Psychotherapie vollbringt keine Wunder, ist kein Allheilmittel. In vielen Therapien sind die Effekte mäßig”. Hilft ihm sein psychotherapeutischer Hintergrund, mit Verlusten umzugehen? Strupp wird schweigsam. Ist es die immer wieder spürbare Erschöpfung im Interview? Wir unterbrechen es mehrfach für etwas Erholung mit einem Kaffee oder im Garten. Ist der Tod seines Sohnes noch zu nahe für solche nüchternen Fragen? Hilft sein psychotherapeutischer Hintergrund ihm, seine Parkinson-Erkrankung zu meistern? Strupp wird wieder wortkarg und das steht ihm auch zu.

Worauf kommt es denn in der Psychotherapie überhaupt an? „Die Person des Therapeuten und die Interaktion mit dem Patienten stehen im Vordergrund”. Er verweist auf Bergin und hebt an, mir seine Vanderbilt-Studie darzustellen, die ich natürlich längst kenne, das könnte er eigentlich voraussetzen. Die Art seiner Darstellung wirkt aber alles andere als desorientiert, eher, als sei er zu bescheiden, einfach anzunehmen, dass ich seine Studie kenne.

In der Studie wurden ausgebildete analytische Therapeuten mit freundlichen, warmen, ausgesuchten Professoren verglichen, und siehe da, erstere waren in therapeutischen Gesprächen keineswegs überlegen. Bei einzelnen ausgebildeten Therapeuten wurden sogar maligne Beziehungsmuster gefunden, die mit der Behandlungstechnik zusammenhingen.

„Man kann aber Therapeuten beibringen, was sie nicht tun sollen. Allerdings lernen die einen besser, die anderen weniger gut. Aber die Mehrheit ist doch ordentlich gut ausgebildet”. Was soll man denn nicht tun? „Respektlos sein gegenüber Patienten ist das Schlimmste. Abwertende Äußerungen sind um jeden Preis zu vermeiden”. Was bei Strupp wohl zu seiner Person und seiner Ethik gehört, macht heute einen Teil der aktuellen „Ressourcenorientierung” aus. Strupp musste dies wohl nie eigens lernen.

„Sullivan sagte: ,Gott bewahre mich vor Fällen, die gut laufen‘. Man darf nicht selbstzufrieden werden aufgrund dessen, was man erreicht hat. Ich glaube nicht an self-congratulation. Narzistische Bedürfnisse soll ein Therapeut woanders befriedigen!”

Muss man nicht auch schon bei der Aufnahme von Therapeuten in Ausbildungsprogramme selegieren? „Sicher, es gibt mehr oder weniger talentierte Therapeuten. Die Bereitschaft, hart zu arbeiten, ist auf jeden Fall wichtig.” Nach welchen Kriterien ist denn zu selegieren? „Ich wüsste nicht genau nach welchen Kriterien. So etwas wie kognitive Komplexität kann wichtig sein, ein gewisses Maß an Besessenheit, wie man sie für alles braucht, was man gut machen will.”

Zurück zur Psychotherapieforschung. Strupp nahm auch an regierungsgesponserten Konferenzen mit handverlesenen Einladungen teil, die er nie sehr mochte. Er setzte sich konsequent für informelle Gruppentreffen ein, bei denen jeder seine Kosten selber zahlte und jeder zugelassen war. Er erinnert Konferenzen mit 30 Leuten, unter ihnen Kollegen wie Rogers und Bordin. Die Society for Psychotherapy Research, deren Präsident er 1972, 29 Jahre vor dem Interviewer, war, wurde ganz aus diesem Geist geboren. „Die SPR konnte etwas von diesem Geist bewahren. Dazu gehörte auch die freundliche Aufnahme von Nichtamerikanern in eine ursprünglich amerikanische Gesellschaft.”

In der Diskussion über die Vergangenheit nennt Strupp Namen wie Menninger, Rogers, Frank und zitiert Ortega y Gasset: „Wer die Vergangenheit nicht kennt, wiederholt”. Er scheint dies auf Psychotherapieforschung wie Politik zu beziehen. „Die wichtigste Veränderung in der Psychotherapie und Psychotherapieforschung war das Hinzukommen der kognitiven Verhaltenstherapie mit der Tendenz, an harter Wirksamkeitsforschung mehr Interesse zu haben als an Prozess und Wirkweise. Es besteht die Gefahr, dass die Welt der Psychotherapie auseinanderfällt in die Leute, die versuchen, ein tieferes Verständnis zu erreichen und die, die vor allem nach Effekten schauen”. Obwohl er sicher nicht aufrechterhalten würde, dass hier ein strikter Gegensatz besteht, sieht er sicherlich eine gewisse Divergenz. Klar ist „wichtige Schlüsse müssen durch experimentelle Forschung erhärtet werden. Es bleibt noch einiges zu tun!”

Prof. Dr. Franz Caspar

Klinische und Entwicklungspsychiatrie · Psychologisches Institut der Universität

Engelbergerstraße 41

79085 Freiburg

Email: caspar@psychologie.uni-freiburg.de

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