In einer Studie von Jyoti Upadhyay und seinen Kollegen, Toronto, Kanada, wurden 25
Kinder mit pränatal diagnostizierter Hydronephrose und primärem vesikoureteralem Reflux
mit 2 mg/kg Trimethroprim täglich behandelt und im Mittel über 48 Monate ab der Geburt
nachbeobachtet. Endpunkte der Studie waren eine komplette Rückbildung oder eine Verbesserung
des Refluxes, Harnwegsinfektionen, Miktionsstörungen (z.B. Urge-Symptomatik, Dysurie),
Funktion und Wachstum der Niere, Körperwachstum und Auftreten einer Hypertonie (J Urol 2003; 169: 1837-1841).
Von den 25 Patienten wurde bei 7 % ein Reflux Grad I, bei 20 % Grad II, bei 34 % Grad
III, bei 16 % Grad IV und bei 23 % Grad V diagnostiziert. 16 Jungen und 3 Mädchen
hatten einen bilateralen Reflux, 2 Jungen und 4 Mädchen einen einseitigen.
Blasenfunktion als prognostischer Faktor
Bei 13 Kindern (52 %) bildete sich der Reflux komplett zurück, bei 6 Patienten (24
%) besserte er sich. Bei Kindern mit Grad I bildete sich der Reflux in den Harnleitern
zu 100 % komplett zurück, bei Grad II zu 77 %, bei Grad III zu 53 %, bei Grad IV zu
28 % und bei Grad V 40 %. Die Besserungsraten betrugen für Grad II 13 %, Grad IV 14
% und Grad V 30 %.
Harnwegsinfektionen traten bei 4 Patienten mit einem Reflux Grad IV und V auf, Miktionsbeschwerden
bei 5 Kindern. Es bestand kein Unterschied in der Nierenlänge bei Patienten mit rückgebildetem
gegenüber solchen mit weiter bestehendem oder schwerem Reflux. Bei allen Kindern verlief
das Körperwachstum während der Beobachtungszeit normal, bei keinem trat ein Bluthochdruck
auf.
Insgesamt hatte sich der vesikoureterale Reflux im Alter von 4 Jahren in 76 % der
Harnleiter zurückgebildet oder gebessert. Ein Reflux hohen Grades bildete sich bei
59 % der betroffenen Nieren unter der abwartenden Haltung zurück. Auch die Patienten
mit einer hochgradigen Erkrankung hatten ein normales Nierenwachstum und eine normale
Nierenfunktion.
Bei den meisten Kindern, bei denen sich der Grad des Refluxes während der Beobachtungszeit
nicht verändert hatte, wurden Miktionsbeschwerden diagnostiziert. Störungen der Blasenfunktion
können demnach als negativer prognostischer Faktor für die Rückbildung eines Refluxes
gelten. Die abwartende Haltung ist sicher und sollte als erste Maßnahme bei einem
vesikoureteralen Reflux bei Neugeborenen in Erwägung gezogen werden, schließen die
Autoren.
Kommentar zur Studie
Die vorliegende prospektive Studie beschreibt den klinischen Verlauf, die Refluxmaturation
und Nierenparenchymbefunde bei 25 Kindern mit neonatal diagnostiziertem vesikoureteralen
Reflux (VUR) über einen durchschnittlichen Beobachtungszeitraum von mindestens 4 Jahren.
Mit dem intrauterinen und postnatalen sonographischen Nierenscreening hat sich in
den letzten Jahrzehnten das Verständnis der Refluxnephropathie erheblich verändert.
Bei den asymptomatischen Neugeborenen mit höhergradigem vesikorenalen Reflux, die
sonographisch durch eine Dilatation der Harnwege auffallen, handelt es sich um ein
gegenüber älteren, symptomatischen Kindern mit (rezidivierenden) Harnwegsinfektionen
völlig differentes Kollektiv. In ihm finden sich vorwiegend männliche Säuglinge; viele
refluxive Niereneinheiten weisen bereits konnatale Parenchymschäden auf. Der Anteil
von bereits chronisch niereninsuffizienten kleinen Patienten ist relativ hoch.
Damit ist der neonatal diagnostizierte VUR durchaus nicht immer prognostisch so günstig,
wie die Schlussfolgerung der Autoren vordergründig suggeriert. Immerhin hatten die
Autoren primär 6 von ursprünglich 31 Kindern aus der Studie ausgeschlossen, bei denen
eine inkontinente Vesikostomie bei hochgradigem VUR und Nierenfunktionseinschränkung
(n = 3), eine Ureterreimplantation (n = 2) oder eine Nephrektomie erforderlich geworden
waren. Bei verbliebenen 25 Kindern wurde szintigraphisch in 23 % der refluxiven Niereneinheiten
eine erhebliche Einschränkung der ipsilateralen Nierenfunktion auf unter 35 % gefunden.
Zu denken gibt im Übrigen der Verlauf zweier refluxiver Niereneinheiten, bei denen
es zu einer Abnahme des ipsilateralen Funktionsanteiles von 34 auf 19 % bzw. von 45
auf 17 % kam, ohne dass Harnwegsinfektionen aufgetreten waren.
Bis auf diese beiden nicht näher begründeten Funktionsverschlechterungen sahen die
Autoren unter antibakterieller Infektionsprophylaxe keine relevanten klinischen Komplikationen
im Rahmen ihres konservativen Therapiekonzepts. Die häufige Beobachtung überraschend
weitgehender Rückgänge des Refluxgrades im ersten Lebensjahr ist nicht neu: In keiner
anderen Lebensphase findet ein vergleichbarer Wachstumsschub statt. Er hat einen erheblichen
Einfluss auf Ureterverlauf und -weite - nicht nur beim primären VUR, sondern auch
beim primären Megaureter. Die Folgen der konnatalen Refluxnephropathie werden von
der „Refluxmaturation” jedoch wahrscheinlich nicht beeinflusst.
Praktisch wichtig ist der Hinweis der Autoren auf die klinischen Symptome nicht neurogener
Blasenfunktionsstörungen bei 5 ihrer Patienten im Kleinkindesalter. Sie frühzeitig
zu erkennen und zu behandeln, ist unverzichtbarer Bestandteil des konservativen Therapiekonzepts
bei VUR. In der internationalen Refluxstudie wurde der Zusammenhang zwischen Blasenfunktionsstörungen
und Refluxpersistenz eindeutig belegt. Angesichts der niedrigen Komplikationsrate
und der - sofern untersucht - geringen Inzidenz von relevanten progressiven Nierenfunktionseinschränkungen
bestätigt die Studie das vielerorts verfolgte Konzept der konservativen Therapie bei
asymptomatischem dilatierenden Reflux. Mangels einer operativ versorgten Vergleichsgruppe
erlaubt die Studie jedoch keine abschließende Aussage über das optimale Therapiekonzept.
Während zahlreiche Untersuchungen zum natürlichen Verlauf bei älteren Refluxpatienten
existieren, fehlen uns bislang Follow-up-Studien bei neonatal diagnostiziertem, primär
asymptomatischen VUR. Längsschnittstudien über große Beobachtungszeiträume sind gerade
im Kindesalter enorm wichtig. Nur auf diese Weise können reifungs- und wachstumsbedingte
Veränderungen richtig eingeschätzt und beurteilt werden. Insofern ist diese Studie
ausgesprochen wertvoll. Sie stimuliert zur Bestätigung der Ergebnisse an größeren
Kollektiven und zur Konzeption randomisierter, prospektiver Studien mit der Frage
der Effektivität der antibakteriellen Infektionsprophylaxe oder der operativen Refluxkorrektur
bei primär asymptomatischen Refluxpatienten. Nicht zuletzt liefern sie Aussagen zum
Wert eines neonatalen Nierenscreenings, das in Deutschland bislang nicht als obligate
Vorsorgeleistung eingeführt ist.
Diese Studie ist ausgesprochen wertvoll: Sie liefert Aussagen zum Wert eines neonatalen
Nierenscreenings.
PD Rolf Beetz. Mainz