Klinische Neurophysiologie 2003; 34(4): 145-146
DOI: 10.1055/s-2003-812574
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Neurophysiologische Epilepsiediagnostik

Neurophysiology of Epilepsy DiagnosticsA.  Ebner1
  • 1Abteilung Präoperative Intensivdiagnostik, Klinik Mara I, Epilepsie-Zentrum Bethel, Bielefeld
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Publication Date:
09 January 2004 (online)

Die Entwicklung der diagnostischen Möglichkeiten der Epilepsien kann als beispielhaft für die immensen Fortschritte, die die neurowissenschaftlichen Fächer in den letzten beiden Dekaden erfuhren, gelten. Struktur-Funktions-Beziehungen des Gehirns, die Neurologen von Anfang an beschäftigten (und faszinierten), sind heute in einem Ausmaß visualisierbar und erforschbar, wie es auch kühne Ausblicke noch vor wenigen Jahren nicht erwarten ließen.

Epileptische Anfälle sind Ausdruck einer zeitlich begrenzten Funktionsstörung des Kortex. Das EEG ist nach wie vor die wichtigste klinische Methode, die diese Funktionsstörung abbilden kann, entweder als interiktale epilepsietypische Aktivität oder als Anfallsaktivität, wenn eine Registrierung eines epileptischen Anfalls gelingt. Das klinische EEG blickt auf eine über 70-jährige Geschichte zurück, in der wahrscheinlich die meisten mit epileptischen Erkrankungen einhergehenden Veränderungen beschrieben wurden. Der Beitrag Hoppe u. Schulz über das EEG in der Epilepsiediagnostik basiert auf der langjährigen Erfahrung in einem Epilepsiezentrum und beschreibt den Stellenwert dieser Methode, die immer noch die unverzichtbare Basis zur Erkennung, Syndromklassifizierung, Differenzialdiagnose, und in gewissem Ausmaß auch Prognose von Anfallserkrankungen darstellt. Weitere Vorteile liegen in der Risikoarmut, raschen Verfügbarkeit und Wirtschaftlichkeit.

Die Geschichte der Magnetoenzephalographie (MEG) lässt sich etwa 20 Jahre zurückverfolgen. Sie hat sich im Bereich der präoperativen Epilepsiediagnostik zu einem Verfahren entwickelt, das häufig wichtige zusätzliche Informationen zu EEG-Befunden erbringt und daher nicht mehr als reine Forschungsmethode angesehen werden kann. Der Nachteil der MEG sind die hohen Kosten, die die Anwendung bislang auf wenige universitäre Institute beschränken. Der Beitrag von Stefan et al. beschreibt „the state of the art” der klinischen Anwendung der MEG in der präoperativen Diagnostik mit eindrucksvollen Belegen dafür, dass das MEG Befunde erbringt, die ein invasives Vorgehen erübrigen.

Gänzlich berschränkt auf die präoperative Epilepsiediagnostik sind die invasiven Verfahren zur näheren Eingrenzung des epileptischen Fokus und auch zur Identifizierung von so genannten essenziellen Kortexarealen, deren genaue Kenntnis bei einem individuellen Patienten Voraussetzung für einen epilepsiechirurgischen Eingriff vor allem bei extratemporalen Herden ist. Zunehmende Erfahrung mit den Ergebnissen der nicht-invasiven Techniken und vor allem verbesserte bildgebende Verfahren führen dazu, dass zunehmend häufiger auf invasive elektrophysiologische Methoden verzichtet werden kann. Dennoch bleibt eine Gruppe von Patienten, bei denen eine invasive Abklärung für die schwierige Entscheidung, wo wie viel Hirngewebe reseziert werden muss, um das angestrebte Ziel der Anfallsfreiheit ohne neurologische Ausfälle zu erreichen, erforderlich ist. Kenntnisse über Indikation, Aussagekraft und Risiken der invasiven Techniken sind auch für den Arzt, der Patienten zur präoperativen Abklärung überweist, hilfreich, da für viele Patienten Epilepsiechirurgie mit diesen Verfahren fest assoziiert ist und diese nicht selten bereits eine hohe Schwelle für eine Entscheidung zu dieser Abklärung darstellen. Noachtar u. Arnold beschreiben Möglichkeiten, Risiken und Grenzen der derzeit eingesetzten invasiven Methoden mit der nur durch langjährige Erfahrung erreichbaren Differenziertheit.

Der Trend zur Entscheidungsfindung ohne Einsatz invasiver Verfahren bei Patienten, die in der präoperativen Abklärung stehen, wird derzeit weiter durch die Möglichkeiten der funktionellen Bildgebung verstärkt, insbesondere der funktionellen Kernspintomographie (fMRT) und der Positronenemissionstomographie (PET). Beide Methoden tragen zum einen zur Verbesserung der Identifizierung der epileptogenen Zone wie auch zur Visualisierung funktionell essenzieller Hirnareale bei Herdepilepsien bei und sind somit hilfreich bei klinischen Fragestellungen. Zum anderen werden durch diese modernen Verfahren grundlegende pathophysiologische Erkenntnisse humaner Epilepsien, einschließlich der idiopathisch generalisierten Formen gewonnen. Die Beiträge von Koepp (PET) und Wörmann u. Mertens (fMRT) geben einen abgewogenen Überblick über den Kenntnisstand und die faszinierenden Möglichkeiten dieser in einer stürmischen Weiterentwicklung befindlichen Methoden.

Diagnostik ist in der Medizin nie Selbstzweck, sondern dient der Verbesserung der Therapie. Die Epileptologie ist ein gutes Beispiel dafür, dass die Verfeinerung der Diagnostik das therapeutische Spektrum erweitert, indem einer zunehmenden Zahl an Patienten eine operative Behandlung bei geringer werdenden Risiken angeboten werden kann.

Dr. med. Dipl.-Psych. Alois Ebner

Abteilung Präoperative Intensivdiagnostik · Klinik Mara I

Maraweg 21

33617 Bielefeld

Email: ae@mara.de

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