Intervention
Ziel des Spiralcurriculums „Fit und stark fürs Leben” ist die frühzeitige und kontinuierliche
Förderung der psychosozialen Kompetenzen von Kindern sowie die Primärprävention des
Rauchens. Das Programm basiert auf dem „Lebenskompetenzansatz” (life skills training)
[1]. Es besteht aus drei aufeinander aufbauenden Unterrichtsmanualen für die Klassenstufen
1-2, 3-4 und 5-6. Jedes Manual enthält 20 Unterrichtsabschnitte. Die Manuale sind
weitgehend unabhängig voneinander konzipiert und können auch dann eingesetzt werden,
wenn die Schüler nicht an einer früheren Stufe des Curriculums teilgenommen haben.
In allen Manualen werden die nachfolgend skizzierten Lebenskompetenzbereiche altersadäquat umgesetzt:
-
Selbstwahrnehmung und Einfühlungsvermögen:
Durch eine Steigerung des Selbstwertgefühls und des Selbstvertrauens sollen die Kinder
unabhängiger von externen Maßstäben werden und infolgedessen auch Gruppendruck besser
widerstehen können. Darüber hinaus wird die Empathiefähigkeit der Schüler gefördert.
-
Umgang mit Stress und negativen Emotionen:
Hier wird ein effektiverer Umgang mit belastenden Situationen angestrebt. Als Bewältigungstechniken
üben die Kinder Problemlösestrategien und Entspannungsverfahren ein. Weiterhin werden
Fertigkeiten zum Umgang mit negativen Emotionen vermittelt (Angst, Ärger, Wut, Neid).
-
Kommunikation:
Hier sollen die Kinder ihr Repertoire an verbalen und nonverbalen Ausdrucksmöglichkeiten
vergrößern. Grundlegende Kommunikationsregeln wie z. B. adäquates Zuhören und Erzählen
werden durch spielerische Übungen vermittelt. Ab der 3. Klassenstufe wird sozial kompetentes
Kommunikationsverhalten in Rollenspielen eingeübt (z. B. bei der Kontaktaufnahme).
-
Kritisches Denken/Standfestigkeit:
Dieser Themenbereich ist vor allem wichtig, um negative Beeinflussungen durch die
„peer group” oder durch Medien zu verhindern. In den Klassenstufen 1 und 2 werden
zunächst Voraussetzungen wie Selbstwahrnehmungs- oder Kommunikationsfertigkeiten eingeübt.
Ab der 3. Klassenstufe werden Standfestigkeit gegenüber Gruppendruck und das selbstsichere
Ablehnen von Zigarettenangeboten vermittelt.
-
Problemlösen:
Diese Fähigkeit soll langfristig zur Steigerung der Selbstwirksamkeitserwartung beitragen.
In den ersten beiden Klassenstufen werden grundlegende Schritte des Problemlösens,
wie das Erkennen einfacher Alltagsprobleme und das Benennen verschiedener Handlungsmöglichkeiten,
eingeführt. Später lernen die Kinder das Abwägen verschiedener Lösungsmöglichkeiten
und die Bewertung von Handlungskonsequenzen.
-
Information/Gesundheitsrelevantes Wissen:
Ein Teilziel dieser Dimension ist es, den eigenen Körper besser kennen zu lernen,
um so langfristig die Verantwortlichkeit für die eigene Gesundheit zu fördern. Durch
das verbesserte Körperbewusstsein soll auch der Grundstein zum Verständnis relevanter
Körperfunktionen (Atmung) und schließlich ihrer Beeinflussung durch Tabakkonsum gelegt
werden. Ab der 3. Klassenstufe werden ausgewählte Informationen über Schadstoffe des
Rauchens und deren gesundheitliche Folgen vermittelt. So erfolgen Schilderungen unmittelbarer
negativer Effekte des Rauchens (z. B. gelbe Zähne, schlechter Atem) bzw. Demonstrationen
in Form eines „Teerexperimentes”. In diesem Zusammenhang wird auch die Argumentierfähigkeit
der Kinder gefördert.
Jede Unterrichtseinheit weist einen einheitlichen Ablauf auf:
-
Eröffnung: Zu Beginn jedes Unterrichtsabschnittes werden Lieder, „Aufwärmspiele” oder
kurze Gesprächskreise vorgeschlagen.
-
Hausaufgabenbesprechung: Bei den Hausaufgaben handelt es sich um kindgerecht gestaltete
Selbstbeobachtungsaufgaben - sog. Detektivaufträge. Mit ihrer Hilfe sollen adäquate
Verhaltensweisen zusätzlich eingeübt und im alltäglichen Umgang mit anderen schließlich
manifestiert werden.
-
Entspannungsteil: Als regelmäßiger Entspannungsbaustein kommen hauptsächlich thematisch
zugeschnittene Fantasiereisen sowie Atemübungen zum Einsatz.
-
Hauptthema: In diesem Teil wird gezielt an den Lebenskompetenzen gearbeitet. Mit altersgemäßen
Methoden (Interaktionsspiele, Brainstorming, Malen, Singen, Basteln etc.) wird in
die jeweiligen Themen eingeführt. Besonderer Wert wird darauf gelegt, den Kindern
möglichst oft die Gelegenheit zur handlungsorientierten Einübung der Inhalte zu geben.
Darüber hinaus wird häufig in Kleingruppen mit verteilten Rollen gearbeitet (Beobachter
- Akteure). Zur Förderung sozialer Kompetenz und Widerstandsfähigkeit gegenüber Gruppendruck
werden ab der 3. Klassenstufe komplexere Rollenspiele durchgeführt.
-
Gemeinsamer Abschluss: Die hier vorgeschlagenen Aktivitäten dienen dem Ausklang der
jeweiligen Stunde und der Konsolidierung der Lerninhalte.
Um die Unterrichtsvorbereitungszeiten so gering wie möglich zu halten, werden Übungen,
Lieder und Spiele in den Manualen detailliert beschrieben; benötigte Materialien liegen
als Kopiervorlage bei. Weiterhin wurde auf eine reichhaltige Illustration der Arbeitsmaterialien
Wert gelegt. Alle drei Manuale wurden in einem Schulbuchverlag publiziert .
Forschungsdesign
Probanden und Design
Drei kontrollierte Interventionsstudien wurden zur Wirksamkeitsüberprüfung des Curriculums
durchgeführt. Dabei wurden Schulklassen entweder der Interventionsbedingung zugeordnet
und nahmen an dem Programm „Fit und stark fürs Leben” teil, oder sie wurden der Kontrollbedingung
zugeordnet, in der keine spezifische Intervention erfolgte. Tab. [1] führt deskriptive Merkmale der untersuchten Stichproben auf.
Tab. 1 Größe und deskriptive Merkmale der Stichproben
| Studie |
Variable |
Interventionsgruppe |
Kontrollgruppe |
p < |
|
n |
523 |
323 |
|
| Klassenstufen 1-2 [5]
[6]
|
mittleres Alter in Jahren |
8,3 |
8,0 |
0,001 |
|
Mädchenanteil |
49 % |
53 % |
n. s. |
|
n |
562 |
436 |
|
| Klassenstufen 3-4 [6]
|
mittleres Alter in Jahren |
9,1 |
9,2 |
n. s. |
|
Mädchenanteil |
49 % |
54 % |
n. s. |
|
n |
921 |
704 |
|
| Klassenstufen 5-6 [7]
|
mittleres Alter in Jahren |
11,42 |
11,59 |
0,01 |
|
Mädchenanteil |
50 % |
46 % |
n. s.[*]
|
|
Anmerkung: n = Anzahl der Schüler mit Datensätzen über alle Messzeitpunkte
|
Insgesamt wurden in den drei Erhebungen direkt vor der Programmteilnahme n = 3865
Schüler untersucht. Datensätze über alle Messzeitpunkte liegen von insgesamt 3469
Schülern vor. Dies entspricht 90 % der ursprünglich untersuchten Schüler. Diese Ausschöpfungsquote
ist zufrieden stellend. In den beiden ersten Untersuchungen [5]
[6] wurden die präventiven Interventionen über den Zeitraum eines Schulhalbjahres implementiert.
Die Datenerhebung fand unmittelbar vor Beginn der Intervention und direkt im Anschluss
an die Intervention zum Ende des Halbjahres statt. Eine Nacherhebung konnte nicht
realisiert werden. Die Intervention in der dritten Untersuchung [7] wurde über einen Zeitraum von 3 Monaten durchgeführt; eine Nachuntersuchung 12 Monate
nach Ende der Intervention.
Während sich im Hinblick auf die Geschlechtsverteilung in den Untersuchungen zwischen
den Gruppen keine statistisch bedeutsamen Unterschiede ergeben, zeigen sich in zwei
Untersuchungen signifikante Unterschiede im Hinblick auf das Lebensalter. Diese sind
jedoch numerisch äußerst gering und gehen auf die Größe der Stichproben zurück.
Ergebnisse
Lebenskompetenztraining in der Grundschule
Schüler, die an dem Curriculum in der 1. und 2. Klassenstufe teilnahmen, wiesen nach
der Teilnahme nach der Einschätzung ihrer Lehrkräfte weniger aggressive Verhaltensweisen
auf als Schüler, die nicht am Curriculum teilnahmen. Für Schüler der Klassenstufen
3 und 4, die an dem Unterrichtsprogramm teilnahmen, zeigten sich ebenfalls im Lehrerurteil
in Bezug auf die untersuchten Variablen „Angst/Depressivität”, „soziale Probleme”
und „delinquentes Verhalten” Verbesserungen, die größer waren als in der Kontrollgruppe.
Ferner zeigte sich, dass die Schüler der Klassenstufen 3 und 4 mit Programmteilnahme
im Vergleich zur Kontrollgruppe a) eine geringere Erwartung, in der Zukunft zu rauchen,
b) eine negativere Einstellung zum Rauchen, c) eine stärkere Erwartung subjektiver
und genereller negativer Konsequenzen durch das Rauchen sowie d) ein verbessertes
Körperbewusstsein aufwiesen. Der Anteil der Dritt- und Viertklässler, die angaben,
schon öfter geraucht zu haben, stieg in der Kontrollgruppe im untersuchten Zeitraum
signifikant von 5,6 % auf 9,2 % [8], während der Anteil dieser Schüler in der Interventionsgruppe unverändert blieb
(prä: 5,8 %, post: 5,4 %).
Lebenskompetenztraining in weiterführenden Schulen
Während 40 % der Fünft- und Sechstklässler in der Interventionsgruppe zum Nachuntersuchungszeitpunkt
12 Monate nach Ende der Intervention noch niemals in ihrem Leben geraucht hatten,
waren dies lediglich 35 % der Kontrollgruppe. Diese Differenz ist statistisch nicht
signifikant, aber tendenziell bedeutsam. Dies gilt auch für die „Probierer”, d. h.
diejenigen Schüler, die in ihrem Leben bereits Zigaretten probiert haben, derzeit
aber nicht rauchen (28,8 vs. 32,3 %). Im Hinblick auf das aktuelle Rauchverhalten
unterschieden sich die beiden Gruppen nicht bedeutsam voneinander. Durch die Intervention
hat sich das Wissen der Schüler um die Gesundheitsgefahren des Rauchens bedeutsam
verbessert und auch das Klassenklima ist positiv beeinflusst worden. Ferner traten
zum Nachuntersuchungszeitpunkt keine Unterschiede mehr zwischen den Gruppen bezogen
auf die soziale Kompetenz auf.
Bei den begleitenden wissenschaftlichen Untersuchungen zur Prüfung der Effektivität
des Curriculums handelt es sich um kontrollierte, aber nicht randomisierte Interventionsstudien.
Eine Randomisierung konnte schon deswegen nicht erfolgen, weil die Schüler nicht zufällig
einer Untersuchungsbedingung zugeordnet werden konnten. Es musste vielmehr auf bereits
bestehende Klassenverbände zurückgegriffen werden, diese wurden den Untersuchungsbedingungen
zugeordnet. Somit wurden quasiexperimentelle Versuchspläne realisiert, bei denen eine
kausale Interpretation der Ergebnisse nicht so stringent vorgenommen werden kann wie
bei echten experimentellen Designs. Ferner erfolgte die Auswertung der Datensätze
nicht auf der Klassenebene, sondern auf Ebene der einzelnen Schüler.
Obwohl eine Studie eine Katamnese von 12 Monaten realisiert hat, wären längerfristige
Nachuntersuchungen sinnvoll und wünschenswert. Die vorliegenden Ergebnisse sagen vorrangig
etwas über den kurzfristigen Effekt der präventiven Intervention aus.
Als Stärke der Untersuchungen ist festzuhalten, dass es sich um kontrollierte prospektive
Studien handelt, in denen eine große Anzahl von Schülern untersucht wurde: Von 3469
Kindern unterschiedlicher Altersgruppen (8, 9, und 11 Jahre bei Erstuntersuchung)
liegen Datensätze zu den verschiedenen Messzeitpunkten vor. Die Ergebnisse belegen,
dass der in den angloamerikanischen Staaten entwickelte Ansatz des Lebenskompetenztrainings
auch in Deutschland umgesetzt werden kann. Begleitende Prozessevaluationen [7]
[9] zeigen auf, dass sowohl die Lehrkräfte als auch die Schüler einen derartigen modernen
Unterricht zur Gesundheitserziehung begrüßen und die entwickelten Unterrichtseinheiten
im Schulalltag umgesetzt werden können. Voraussetzung für eine adäquate Umsetzung
an Schulen ist jedoch die vorherige Fortbildung der Lehrkräfte [10], da diese häufig mit den interaktiven Methoden der Lebenskompetenztrainings wie
beispielsweise den Rollenspielen noch nicht vertraut sind. Die Befunde aller drei
Untersuchungen zu den Auswirkungen der Lebenskompetenztrainings belegen, dass sich
durch derartige Interventionen die psychosozialen Kompetenzen der Schüler verbessern
können. Dies ist als Ergebnis an sich sehr begrüßenswert. Bei den älteren Schülern
der Klassenstufen 5 und 6 zeigen sich darüber hinaus eine Wissensverbesserung um die
Gesundheitsgefahren des Rauchens und ein positiver Effekt auf den Klassenzusammenhalt
(Klassenklima). Ferner werden die Einstellungen der Schüler ab der 3. Klassenstufe
in Richtung einer negativeren Einstellung dem Rauchen gegenüber beeinflusst.
Im Hinblick auf das tatsächliche Rauchverhalten ist das Ergebnis, das in der Grundschule
erzielt werden konnte, angesichts der niedrigen Basisrate des Rauchens in diesem Lebensabschnitt
durchaus beachtlich.
Betrachtet man die Ergebnisse der „ALF-Studie” [11] zusammen mit denen der eigenen Studie mit Fünft- und Sechstklässlern, so muss festgehalten
werden, dass die in nordamerikanischen Untersuchungen beschriebenen präventiven Wirkungen
der Lebenskompetenztrainings [1] bisher in Deutschland nicht in diesem Ausmaß nachgewiesen werden konnten. Die Ergebnisse
der vorliegenden Studien - insbesondere die Ergebnisse der beiden Untersuchungen aus
dem Primarschulbereich - sind jedoch so ermutigend, dass eine Längsschnittuntersuchung
sinnvoll erscheint.