Meilensteine in der Entwicklung einer effektiven Therapie des Parkinson-Syndroms waren
Belladonna, Levo-Dopa mit Decarboxylase-Hemmung, die Einführung des ersten DopaminAgonisten
Pravidel, die MAO-Hemmer, die COMT-Hemmer, die Antiglutamatergika und in letzter Zeit
wieder vermehrt die operativen Verfahren.
Die Entwicklung der modernen Parkinson-Therapie besteht aus zufälligen Entdeckungen
über die Wirksamkeit von Substanzen wie z.B. Amantadin oder aus gezielten Entwicklungen
wie z.B. die Einführung von Nichtergolin-Dopaminagonisten.
Während man früher noch glaubte, dass die Parkinson-Erkrankung eine reine Dopamin-Mangel-Krankheit
ist, weiß man heute, dass auch das glutamaterge, adrenerge, noradrenerge, serotonerge,
cholinerge und wohl weitere Transmittersysteme in ihrer Balance gestört sind. Aus
der Grundlagenforschung sind darüber hinaus neue Erkenntnisse zur Entstehung des nigralen
Zelltodes bekannt (Apoptose, oxidativer Stress, Komplex-I-Mangel der Atmungskette,
Synukleinopathie, Proteinabbaustörung, entzündliche Vorgänge, u.v.a.), so dass es
aus meiner Sicht vermessen wäre, darauf zu hoffen, dass ein einzelnes Medikament alle
Mechanismen korrigiert und somit zur Behandlung multipler Transmitterstörungen ausreichen
würde. Dies bedeutet, dass es zum Konflikt mit einer preisdiktierten Verschreibungspolitik
kommen muss. Die Therapievorschläge in diesem Artikel erscheinen zwar zunächst kostenintensiv,
sind aber aus meiner praktischen Erfahrung heraus ein Garant dafür, dass die Patienten
überwiegend und lange ambulant behandelt werden können und auch bei entsprechendem
Alter arbeitsfähig bleiben können. Aus Arbeiten von Dodel und Mitarbeitern [2] ist klar ersichtlich, dass die Patienten in den Spätstadien ungleich „teurer” werden
als in den Frühstadien, so dass es nicht nur aus ärztlich-ethischen Gründen, sondern
bei genauerem Nachdenken auch aus ökonomischen Gründen ratsam ist, die Frühphasen
der Krankheit optimal, frei von jeglichem Kostendenken, zu behandeln.
Frühbehandlung
Frühbehandlung
Wichtige Ziele der Frühbehandlung sind die Unterdrückung der Symptome (symptomatische
Kontrolle), das Vermeiden von Levo-Dopa-Spätfolgen durch sparsamen Umgang mit Levo-Dopa
und eventuell die bevorzugte Verwendung von Medikamenten mit möglicher Neuroprotektion.
Während in den letzten Jahren noch die einhellige Meinung bestand, dass der Einsatz
von Levo-Dopa den besten symptomatischen Erfolg bei den geringsten Nebenwirkungen
garantiert, kann dies heute als widerlegt gelten. So haben z.B. Rascol und Kollegen
[8] in einem Doppel-blind-Design nachweisen können, dass in den Hoehn und Yahr Stadien
I und II der Dopamin-Agonist Ropinirol genauso effektiv ist wie Levo-Dopa. Aus dieser
und ähnlichen Studien folgert man, dass Dopamin-Agonisten zur Frühbehandlung der Parkinson-Krankheit
eingesetzt werden sollten. Ein weiterer Grund dafür ist die Tatsache, dass Dopamin-Agonisten
bei weitem weniger Dyskinesien auslösen als Levo-Dopa. Ähnlich wie in der Epileptologie
und der Depressionsbehandlung muss für jeden einzelnen Patienten aufgrund seines Verträglichkeitsprofils,
seiner biografischen Daten und seiner Ko-Morbidität individuell der best geeignete
Dopamin-Agonist ausgewählt werden. Es stehen uns dafür kurz wirksame (Apomorphin,
Lisurid), extrem langwirksame (Cabergolin) und Agonisten mit einer mittellangen Halbwertszeit
zur Verfügung. Außerdem sind Dopamin-Agonisten mit unterschiedlichen Rezeptoraffinitäten
im Handel [Tab. 1]. Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt für die Auswahl von Dopamin-Agonisten ist
ihre unterschiedlich lange Eindosierzeit [Tab. 2]. Man muss den Eindruck gewinnen, dass die Marktführer in Deutschland die Dopamin-Agonisten
sind, die sich nach einem besonders einfachen Schema aufdosieren lassen. In absehbarer
Zeit werden Dopamin-Agonisten nicht nur oral, sondern auch als Pflaster und als slow-release
Präparate zur Verfügung stehen.
Noch nicht entschieden ist die Frage, ob Dopamin-Agonisten wie Ropinirol und Pramipexol
wegen ihres möglichen neuroprotektiven Ansatzes bevorzugt verwendet werden sollten.
Für beide Substanzen konnte nuklearmedizinisch eine um ca. 7 % niedrigere jährliche
Verlustrate an dopaminergen Neuronen im Vergleich zu Levo-Dopa gezeigt werden. Es
ist dabei wegen eines jeweils fehlenden Plazebo-Armes aber nicht geklärt worden, ob
der Dopamin-Agonist neuroprotektiv oder Levo-Dopa neurotoxisch ist oder ob beide Möglichkeiten
zutreffen. Weiter gibt es Kritiker, die bemängeln, dass die Dopamin-Agonisten evtl.
mit den Rezeptoren so interagieren, dass Kunstprodukte gemessen wurden. Es wird daher
notwendig, dieser Frage nachzugehen, obwohl Spezialisten wie Brooks [1] davon ausgehen, dass sie die tatsächlich vorhandene Situation mit ihren nuklearmedizinischen
Methoden widerspiegeln.
Während der Einsatz von Dopamin-Agonisten zur Vermeidung von Dyskinesien in der Frühphase
der Behandlung unumstritten sind [6]
[9], ist die Situation bzgl. der MAO-B-Hemmer wesentlich kontroverser. Die DATATOP-Studie
hat gezeigt, dass durch den frühen Einsatz von Selegilin der Beginn von Levo-Dopa
um neun Monate verschoben werden kann. Man geht heute aber davon aus, dass es sich
dabei um eine symptomatische und nicht neuroprotektive Wirkung von Selegilin handelt.
Nachdem die Substanz im Labor aber eindeutig neuroprotektive Eigenschaften aufweist,
wurden zwei Studien aufgelegt, die nachwiesen, dass Patienten, die neben Levo-Dopa
oder einem Dopamin-Agonisten noch Selegilin erhielten, nach Absetzen aller Präparate
länger beweglich blieben. Außerdem gibt es neue Überlegungen bzgl. der Halbwertzeit
von Selegilin [4]. Ich verwende daher weiterhin Selegilin in der Frühphase der Parkinson-Krankheit,
um Dopaminergika zu sparen und eine mögliche Neuroprotektion für den Patienten nicht
zu verpassen.
An den „medium spiny neurones” des Striatum herrscht eine Dysbalance zwischen einer
dopaminergen Unterstimulation und einer glutamatergen Überstimulation, so dass das
Konzept des frühen Einsatzes von Amantadin oder Budipin (Cave: Sondervorschriften
wegen Gefahr der Entstehung von torsades de pointes) ein gewichtiges ist. Amantadin
ist sehr gut wirksam gegen Rigor und Bradykinese und verhindert Dyskinesien, Budipin
ist besonders gut gegen Tremor wirksam, so dass der Einsatz eines der beiden Antiglutamatergika
von Seiten der Symptomverbesserung hilfreich ist. Dazu kommt zumindest für das Amantadin
die theoretische Möglichkeit der Neuroprotektion, zumindest indirekt dadurch, dass
der NMDA-Rezeptor gehemmt wird und somit kein Kalzium in die Zelle fließen kann und
deren Untergang mit auslösen kann. Gelegentlich wird initial eine Dopamin-Agonisten-Monotherapie
oder eine Kombination aus Amantadin und Selegilin propagiert. Nachdem es keine Vergleichsstudien
dazu gibt, muss offen bleiben, was die optimale Initialtherapie ist. Nach wissenschaftlichen
Gesichtspunkten spricht nichts gegen eine initiale Kombination mit allen drei Substanzen,
um sie niedrig einsetzen zu können und so ein günstiges Nebenwirkungsprofil bei additiv
guten symptomatischen Effekten zu erzielen [Abb. 1].
Behandlung in späteren Stadien
Behandlung in späteren Stadien
In späteren Stadien der Erkrankung oder bei Patienten mit hoher Komorbidität wird
Levo-Dopa zum Einsatz kommen. Häufig wird es gelingen, Levo-Dopa mit einem Agonisten
zu kombinieren, so dass Levo-Dopa möglichst lange nicht höher als mit 400-600 mg/Tag
dosiert werden muss und somit das Dyskinesie-Risiko überschaubar ist. Levo-Dopa hat
eine Halbwertszeit von ca. 1,5 bis 2,5 Stunden, so dass es eine phasische Stimulation
des Dopamin-Rezeptors bedingt, wohingegen die modernen Dopamin-Agonisten mit ihrer
deutlich längeren Halbwertzeit eine tonische Stimulation bewirken. Chase geht davon
aus, dass die tonische Stimulation des Dopamin-Rezeptors die Voraussetzung für die
Verhinderung von Dyskinesien ist - ein Konzept, das allerdings nicht allein richtig
sein kann, da auch der Einsatz von Apomorphin, das eine Halbwertszeit von lediglich
20 Minuten hat, zu wenig Dyskinesien führt. Die Wirkung von Levo-Dopa kann durch COMT-Hemmer
verlängert werden, womit wearing-off verkürzt und verhindert werden können. Sobald
die Daten der Triple-Tablette vorliegen werden (Tablette mit Levo-Dopa, Decarboxylase-Hemmer
und Entacapon) wird es spannend werden, zu sehen, ob dies zu einem weiteren Vorteil
bzgl. Wirkung und Dyskinesie-Vermeidung führt.
Tiefe Hirnstimulation
Tiefe Hirnstimulation
Die nächsten Jahre werden uns auch hoffentlich Daten zur Frage liefern, ob die tiefe
Hirnstimulation, wie es bis jetzt der Fall ist, erst bei medikamentös nicht mehr korrigierbaren
Hyperkinesien und Parkinsonsymptomen oder bereits früher eingesetzt werden sollte.
Unsere eigenen Erfahrungen untermauern, dass es sich um eine hoch potente Möglichkeit
handelt, schwere Dyskinesien, die man auch durch Amantadin und Dopamin-Agonisten-Hochdosistherapie
[5] nicht mehr korrigieren kann, meist fast komplett zum Sistieren zu bringen. Es muss
betont werden, dass nicht nur die Operation „gekonnt” sein muss, sondern dass auch
im Vorfeld und in der Nachbetreuung z.B. beim Einstellen der Stimulationsparameter
oder beim Festsetzen der Begleitmedikation ein sehr erfahrener Parkinson-Stimulationsspezialist
vor Ort sein muss. Einer Ausweitung der Methode auf immer kleinere Zentren sind daher
Grenzen gesetzt.
Transplantation von dopaminergen embryonalen Zellen
Transplantation von dopaminergen embryonalen Zellen
Die Transplantation von dopaminergen embryonalen Zellen hat sich in Deutschland im
Gegensatz z.B. zu Schweden nicht etabliert. Zu groß sind die Bedenken gegen die Tatsache,
dass zur Transplantation von genügend mesenzephalen Zellen acht Schwangerschaften
gleichzeitig unterbrochen werden müssen. Zwei Publikationen aus der jüngsten Zeit
[3]
[7] scheinen zu beweisen, dass die Methode nur Patienten unter dem 60. Lebensjahr hilft
und dies auch nur in manchen Fällen. Ein gänzlich anderer Ansatz wird darin bestehen,
aus der Retina eines verstorbenen Frühgeborenen gewonnene dopaminerge Zellen mittels
Mikrogelatine-Partikel zu vermehren und dann zu implantierten. Erste Erfolge konnten
bei Patienten verzeichnet werden, die schon vor zwei Jahren operiert wurden [10].
Stammzell-Therapie
Stammzell-Therapie
Besondere Zurückhaltung scheint bei der Abschätzung der Erfolgsaussichten der Stammzell-Therapie
angezeigt. Unstrittig ist die Parkinson-Krankheit mit ihrem Dopaminmangel eine Modellkrankheit,
um durch die Implantation von Dopamin-produzierenden Stammzellen eine Korrektur und
vielleicht Heilung dieser Krankheit zu erzielen. Problematisch ist beim Einsatz von
embryonalen Zellen aber die Gefahr der Abstoßung oder der Entwicklung von Teratomen,
wie dies in Tierversuchen der Fall war. Beim Einsatz von embryonalen oder adulten
Stammzellen muss weiter abgewartet werden, wie sich die Implantation von ungesteuert
Dopamin-produzierenden Zellen auf die Symptome des Patienten auswirken wird. Es ist
anzunehmen, dass man mit der Implantation lediglich die Basisversorgung gewährleisten
darf, um keine Hyperkinesien auszulösen. Somit werden auch diese Patienten individuell
auf ihre Bedürfnisse angepasste Medikationen erhalten müssen. Dabei ist noch unklar,
ob/wie Stammzellen und Medikamente interagieren werden. Stammzellen des Patienten
zu gewinnen und zu Dopamin-produzierenden Neurone zu transformieren, erscheint auf
den ersten Blick vielversprechend, könnte aber das Problem mit sich bringen, dass
sogar Stammzellen die Ursache der Parkinson-Krankheit in sich bergen. Derzeit kann
den Patienten somit m. E. noch keine große Hoffnungen auf die Stammzelltherapie gemacht
werden.
Ausblick
Ausblick
Was wird die Zukunft noch bringen? Wir werden sicherlich durch die Beeinflussung neuer
Transmittersysteme versuchen, der Komplexität der Parkinson-Krankheit therapeutisch
noch besser gerecht zu werden. Vielleicht werden der Einsatz von Coenzym Q oder von
Immunophilinen kleine Fortschritte bringen, man wird weitere MAO-B-Hemmer mit zumindest
im Labor noch besserer Neuroprotektion zulassen und eine neue noch besser lösliche
Levo-Dopa-Formulierung auf den Markt bringen. Aber eine Wunderdroge ist meines Wissens
immer noch nicht in der „Pipeline”. Wir werden uns daher weiter bemühen müssen, mit
den vielen uns glücklicherweise zur Verfügung stehenden Medikamenten unsere Patienten
nach bestem Erkenntnisstand zu therapieren. Die Therapie des idiopathischen Parkinsonsyndroms
ist eine Herausforderung, aber gleichzeitig auch eine große Freude, wenn man daran
denkt, wie weit die Möglichkeiten der positiven Einflussnahme auf die Symptome im
Vergleich zu allen anderen neurodegenerativen Erkrankungen schon gediehen sind. Gerade
diesen hoffnungsvollen Aspekt muss man den Patienten immer wieder vermitteln und durch
die optimierte Therapie unterstreichen.
Abb. 1
Tab. 1 Dopamin-Agonisten und ihre pharmakokinetischen Eigenschaften
Dopamin-Agonist
|
D1 Rezeptor
|
D2 Rezeptor
|
D3 Rezeptor
|
Plasma-Halbwertszeit
|
Dopamin |
+ |
+++ |
+ |
1,5 Stunden |
Apomorphin |
+ |
++ |
++ |
20 Minuten |
Pergolid |
+ |
+++ |
++ |
18 Stunden |
Bromocriptin |
- |
+++ |
+ |
3 Stunden |
Lisurid |
Partiell + |
+++ |
+ |
2 Stunden |
α-DH-Ergocriptin |
Partiell + |
++ |
? |
12 Stunden |
Ropinirol |
- |
+++ |
+++ |
6 Stunden |
Pramipexol |
- |
+++ |
+++ |
8 Stunden |
Cabergolin |
Partiell/+ |
+++ |
? |
68 Stunden |
Tab. 2 Dosierung in mg/Titration
|
Bromocriptin
|
Cabergolin
|
α-DHEC
|
Lisurid
|
Pergolid
|
Pramipexol
|
Ropinirol
|
1. Woche |
1x1,25 |
1x1,0 |
2x5 |
1x0,1 |
Startpackung |
3x0,088 |
3x0,25 |
2. Woche |
2x1,25 |
1x1,0 |
2x5 |
2x0,1 |
1x0,125+2x0,25 |
3x0,18 |
3x0,5 |
3. Woche |
3x1,25 |
1x2,0 |
2x10 |
3x0,1 |
1x0,25+2x0,5 |
3x0,36 |
3x0,75 |
4. Woche |
2x1,25 + 1x2,5 |
1x2,0 |
2x10 |
2x0,1+1x0,2 |
1x0,5+2x1,0 |
|
3x1,0 |
5. Woche |
1x1,25 + 2x2,5 |
1x3,0 |
2x15 |
2x0,2+1x0,1 |
|
|
3x2,0 |
6. Woche |
|
|
2x15 |
3x0,2 |
|
|
3x3,0 |
7. Woche |
|
|
2x20 |
2x0,2+1+0,3 |
|
|
|
8. Woche |
|
|
2x20 |
3x0,25 |
|
|
|
9. Woche |
|
|
1x10+2x20 |
2x0,25+1x0,5 |
|
|
|
10. Woche |
|
|
1x10+2x20 |
2x0,5+1x0,25 |
|
|
|
11. Woche |
|
|
3x20 |
|
|
|
|
Durchschnittliche Tagesdosis (mg) erreicht ab Woche |
8 |
5 |
11 |
10 |
5 |
3 |
6 |
Durchschnittliche Tagesdosis (mg) |
15 |
3,0 |
60 |
1,25 |
2,5 |
1,08 |
9,0 |
Maximale Tagesdosis (mg) |
30 |
6,0 |
120 |
2,0 |
5,0 |
3,3 |
24 |
Dosisbereich (mg) pro Tag |
12,5-30 |
2,0-6,0 |
40-120 |
0,6-2,0 |
0,75-5,0 |
0,246-3,3 |
3-24 |