Myasthenia gravis Klinik
Erstes Symptom der Myasthenia gravis kann ein nur uncharakteristisches Schwächegefühl sein, das bei Belastung zunimmt und nicht selten fälschlicherweise den Verdacht auf eine psychosomatische Erkrankung oder Depression lenkt. Aber auch ein rascher Beginn der Symptomatik mit deutlicher Schwäche ist möglich.
Unterschieden werden eine generalisierte Form und eine okuläre Form der Myasthenia gravis. Bei der rein okulären Form sind ausschließlich die äußeren Augenmuskeln betroffen. In ca. 50-60 % der Fälle beginnt die Myasthenie mit okulären Symptomen; bei bis zu 80 % dieser Patienten kommt es innerhalb der folgenden drei Jahre zur Generalisierung der Symptomatik. Nur bei 10-20 % der Patienten wird eine rein okuläre Form beobachtet [2]. Kennzeichnend sind eine Spontanptosis (meist asymmetrisch und beide Augen wechselnd ausgeprägt betreffend) und Doppelbilder; am Morgen sind die Beschwerden typischerweise deutlich geringer oder gar nicht vorhanden und nehmen im Tagesverlauf - unter Belastung - zu.
Die generalisierte Form der Myasthenia gravis kann ebenfalls asymmetrisch auftreten und schwerpunktmäßig bestimmte Muskelgruppen betreffen, z.B. die proximale Muskulatur der Extremitäten oder die pharyngeale Muskulatur. Der Patient beklagt dann z.B. bei zunehmender Belastung Probleme beim Treppensteigen, Haarewaschen, oder auch beim Schlucken, Kauen, Sprechen. Bedrohlich kann die Symptomatik werden, wenn durch die Schluckstörung Aspirationsgefahr oder bei Beteiligung der Atemmuskulatur die Gefahr einer Ateminsuffizienz besteht (myasthene Krise).
Pathogenese
Hervorgerufen wird die Myasthenia gravis durch Autoantikörper, die sich gegen den postsynaptischen Azetylcholinrezeptor [Abb. 1] richten. Als Folge dessen werden eine Komplementaktivierung und konsekutiv die Verminderung oder Zerstörung der postsynaptischen Muskelzellmembran, ein gesteigerter Abbau von Azetylcholinrezeptoren, eine direkte Beeinflussung des Ionenkanals und auch eine direkte Blockade des Rezeptors durch den Antikörper vermutet [10].
Bei 3-4 % der Patienten findet sich eine familiäre Häufung der Myasthenie oder die Assoziation mit anderen Autoimmunerkrankungen (z.B. Autoimmunthyreopathie, juveniler Diabetes mellitus, Mb. Addison etc.). Die Assoziation zu bestimmten HLA-Merkmalen wurde beschrieben (z.B. HLA-B8, -DR3, -DQ-b).
Ein Zusammenhang zwischen Myasthenia gravis und Thymusveränderungen ist schon seit Ende des 19. Jahrhunderts bekannt. Bei ca. 10 % der Patienten lässt sich ein Thymom nachweisen, das semimaligne oder maligne sein kann. Andererseits entwickeln 30-61 % der Patienten mit einem Thymom eine Myasthenie. Bei den meisten Patienten, insbesondere bei Frauen unter dem 40. Lebensjahr, findet sich eine Thymushyperplasie („Thymitis”).
Wahrscheinlich spielt beim Thymom ein mit dem Azetylcholinrezeptor kreuzreagierendes Protein als Autoantigen eine Rolle. Bei der Thymushyperplasie hingegen werden histologisch Keimzentren als Ausdruck eines aktiven immunologischen Prozesses gesehen; möglicherweise kommt den so genannten Myoidzellen eine bedeutende Rolle in der Pathogenese zu, die Azetylcholinrezeptoren exprimieren. Außerdem können B-Lymphozyten und Plasmazellen Azetylcholinrezeptoren exprimieren [10]
[20].
Diagnostik
Die Azetylcholinrezeptor-Antikörper sind bei etwa 80 bis 90 % der Patienten mit generalisierter Myasthenia gravis nachweisbar [17]
[18]; bei der okulären Form lässt sich der Antikörper nur in ca. 50 % nachweisen. Ein fehlender Azetylcholinrezeptor-Antikörper-Nachweis schließt also eine Myasthenia gravis keinesfalls aus. Die Höhe des Antikörper-Titers korreliert nicht mit der Schwere der myasthenen Symptomatik. Ein Anstieg oder ein Rückgang des Titers geht beim selben Patienten jedoch oft parallel mit einer Verschlechterung oder Verbesserung der Symptomatik einher.
Kürzlich konnte gezeigt werden, dass bei ca. zwei Drittel der „seronegativen” (ohne Azetylcholinrezeptor-Nachweis) Patienten ein Antikörper vorkommt, der sich gegen die muskelspezifische Kinase (MuSK) richtet [6].
Antikörper gegen quergestreifte Muskulatur werden bei 80 % der Patienten mit Thymom gefunden, sind jedoch nicht spezifisch für ein Thymom. Antikörper gegen Titin, ein Muskelprotein, sind bei bis zu über 90 % der Myasthenie-Patienten mit Thymom nachweisbar, aber bis zu 47 % auch bei Patienten mit Thymusinvolution, bis zu 6 % bei Thymushyperplasie [1]
[4]
[19].
Elektrophysiologische Diagnostik ist insbesondere mit der repetitiven Stimulation von 3 Hz („Myasthenie-Test”) und dem Nachweis eines pathologischen Dekrements wesentlicher Bestandteil der Diagnostik (siehe Beitrag von M. Kornhuber: „Diagnostische Möglichkeiten bei neuromuskulären Krankheiten” in diesem Heft).
Der Tensilon-Test® ist für die Diagnosestellung vor allem dann entscheidend, wenn trotz typischer Anamnese und klinischem Befund die Azetylcholinrezeptor-Antikörper im Serum negativ sind. Edrophoniumchlorid (Tensilon®) hemmt die Cholinesterase und führt zu einem größeren Angebot von Azetylcholin im synaptischen Spalt. Bereits wenige Sekunden nach intravenöser Applikation der Substanz wird eine deutliche Besserung der Symptomatik (z.B. der Ptosis) sichtbar.
Bildgebende Diagnostik umfasst die Computertomographie oder Magnetresonanztomographie mit der Frage, ob ein Thymom nachweisbar ist. Die Octreotid-Szintigraphie kann ergänzend bei der Suche nach einem Thymom eingesetzt werden [8].
Therapie
Unterschieden werden die rein symptomatische Therapie mit Cholinesterasehemmern und das Immunsystem beeinflussende Therapien wie Kortikosteroide, Azathioprin und Plasmapherese. Neue Immunsuppressiva wie Mycophenolat mofetil sowie die intravenöse Gabe von Immunglobulinen stellen eine Erweiterung der bisherigen therapeutischen Möglichkeiten dar.
Die Thymektomie wird bei Patienten mit generalisierter Form der Myasthenia gravis im Alter zwischen 10 und 65 Jahren und bei Patienten mit Thymom empfohlen [11]. Remissionen wurden bei 60 % der Patienten mit juvenil auftretender Myasthenie beschrieben [9]. Bei isolierter okulärer Form wird die Indikation kontrovers gehandhabt. Gute Ergebnisse wurden hier vor allem bei jüngeren Patienten mit einer Krankheitsdauer unter zwei Jahren erzielt [5]
[15]
[16]. Schumm et al. [15] zeigten, dass keiner von 18 Patienten mit okulärer Myasthenie nach Thymektomie generalisierte Symptome entwickelte. Im Kontrast dazu hatten Kupersmith et al. [7] berichtet, dass nur drei von 32 Patienten (9 %) mit rein okulärer Symptomatik nach Therapie mit Prednisolon generalisierte Symptome beklagten. Letztlich wird man die Indikation zur Thymektomie bei okulärer Form der Myasthenie auch vom Alter des Patienten und Begleiterkrankungen sowie vom Erfolg der medikamentösen Therapie abhängig machen.
Kongenitale Myasthenie-Syndrome
Die kongenitalen Myasthenie-Syndrome sind sehr selten. Den klinisch verschiedenen Formen liegen unterschiedliche Ursachen zugrunde, die entweder präsynaptisch z.B. Größe und Freisetzung der Azetylcholin-Vesikel betreffen oder postsynaptisch z.B. eine Veränderung der Funktion des Azetylcholinrezeptors bedingen; Beispiele sind in Tabelle 1 aufgeführt [Tab. 1].
Leitsymptome sind Ptose, Ophthalmoplegie und Schwäche der Gesichtsmuskulatur; proximal betonte Paresen werden häufig beobachtet. Die für die Myasthenia gravis typische myasthene Symptomatik mit Kraftminderung im Verlauf körperlicher Belastung wird hier kaum beklagt. Ein hereditäres kongenitales myasthenes Syndrom kann sich sowohl in der frühen Kindheit als auch im höheren Erwachsenenalter manifestieren.
Azetylcholinrezeptor-Antikörper sind bei diesen Patienten nicht nachweisbar; durch den Antikörper-Nachweis gelingt in der Regel die Abgrenzung zur Myasthenia gravis.
Elektrophysiologische Untersuchungen wie die Einzel- und Serienstimulation sind in der Diagnostik der kongenitalen myasthenen Syndrome oft wegweisend (siehe Beitrag von M. Kornhuber in diesem Heft).
In speziellen Zentren können in-vitro-Untersuchungen, spezielle histochemische Methoden und letztlich die Suche nach der zugrunde liegenden Mutation durchgeführt werden, um die Diagnose zu sichern.
Die Therapie gestaltet sich meist schwierig. Azetylcholinesterasehemmer sind nur bei einigen Syndromen wirksam (z.B. beim Azetylcholinrezeptormangel-Syndrom). Bei einem Mangel an Azetylcholinesterase können sie sich dagegen eher negativ auswirken.
Kalziumantagonisten können bei verlängerter Öffnungszeit der Kalziumkanäle des Azetylcholinrezeptors Symptome lindern.
Lambert-Eaton-Syndrom Klinik
Hauptsymptom ist eine Schwäche und abnorme Ermüdbarkeit der Rumpf- und bevorzugt der proximalen Extremitätenmuskulatur. Durch eine Beteiligung des autonomen Nervensystems werden z.B. auch Mundtrockenheit (bei 74 % der Patienten), Impotenz, Obstipation, Harnverhalt beklagt. Charakteristisch ist ein initialer Kraftzuwachs bei maximaler Willkürinnervation. Bei anhaltender Kraftanstrengung lässt die Kraft dann jedoch wieder nach.
Pathogenese
Das Lambert-Eaton myasthene Syndrom (LEMS) ist wie die Myasthenia gravis eine erworbene Autoimmunerkrankung. Ursache der Symptomatik sind Antikörper gegen spannungsabhängige Kalzium-Kanäle der präsynaptischen Membran an der neuromuskulären Synapse (voltage-gated calcium channel, VGCC) [Abb. 1]. Die Antikörperbindung hat zur Folge, dass die spannungsabhängigen Kalzium-Kanäle in ihrer Funktion gestört werden, folglich der Kalzium-Einstrom in die präsynaptische Nervenendigung reduziert und letztlich die Erregungsübertragung an der motorischen Endplatte vermindert wird.
In 60 % der Patienten ist das LEMS eine paraneoplastische Erkrankung (meist Assoziation mit kleinzelligem Bronchial-Karzinom). Bei ca. 85 % der Patienten mit LEMS sind die VGCC-Antikörper nachweisbar. Bei den übrigen 15 % kennt man die Ursache noch nicht; im Tierversuch konnte gezeigt werden, dass Serum von „seronegativen” Patienten mit LEMS die neuromuskuläre Übertragung stört. Ein Antikörper wird als Auslöser dieser Störung vermutet, konnte bisher jedoch noch nicht identifiziert werden [14].
Diagnostik
Der Nachweis der VGCC-Auto-Antikörper bestätigt die Verdachtsdiagnose (bei 85 % der Patienten nachweisbar). Gestützt wird die Diagnose durch elektrophysiologische Untersuchungen, insbesondere den LEMS-Test (siehe Beitrag von M. Kornhuber in diesem Heft): Nach supramaximaler Nervenstimulation ist initial ein deutlich reduziertes Muskelsummenaktionspotenzial darstellbar, welches nach kurzer maximaler Willkürinnervation deutlich (>100 %) ansteigt (Inkrement).
Wenn die Tumorsuche ohne Tumornachweis verlief, sollten dennoch Kontrolluntersuchungen folgen (halbjährlich für drei Jahre, dann jährlich bis fünf Jahre), da das LEMS dem Tumornachweis lange vorausgehen kann.
Therapie
Mit der Therapie des Tumors bessern sich bei der paraneoplastischen Form des LEMS die Symptome; bei einem Tumorrezidiv ist auch mit einer erneuten Verschlechterung des LEMS zu rechnen.
3,4-Diaminopyridin stellt eine symptomatische Therapieoption dar (15 bis 50 mg/d). Die Substanz verlängert die Dauer des präsynaptischen Aktionspotenzials durch Blockade des nach außen gerichteten Kaliumstroms, vergrößert den Kalzium-Einstrom in die Nervenendigung und dadurch die Menge des freigesetzten Azetylcholins. Es ist sowohl auf die motorischen als auch auf die autonomen Symptome wirksam.
Steroide werden bei sowohl paraneoplastischen als auch nicht paraneoplastischen LEMS eingesetzt, wenn die symptomatische Therapie nicht ausreicht.
Azathioprin kann eingesetzt werden bei nicht-paraneoplastischem LEMS, wenn die symptomatische Therapie nicht zu befriedigenden Ergebnissen führt.
Immunglobuline (IVIG) und Plasmapherese stehen als „Reserve-Therapien” zur Verfügung [12]
[13].