Pneumologie 2003; 57(2): 69-70
DOI: 10.1055/s-2003-37156
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Spezifische Immuntherapie bei allergischem Asthma bronchiale?

Specific Immunotherapy for Allergic Asthma?R.  Buhl1 , K.-M.  Beeh1
  • 1Schwerpunkt Pneumologie, III. Medizinische Klinik, Klinikum der Johannes-Gutenberg-Universität, Mainz
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Univ.-Prof. Dr. med. Roland Buhl

Schwerpunkt Pneumologie · III. Medizinische Klinik · Klinikum der Johannes Gutenberg-Universität

Langenbeckstraße 1

55131 Mainz

eMail: r.buhl@3-med.klinik.uni-mainz.de

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
11. Februar 2003 (online)

Inhaltsübersicht

Die spezifische Immuntherapie (SIT) ist prinzipiell eine faszinierende Perspektive in der Therapie allergischer Erkrankungen, birgt dieses Verfahren doch das Potenzial zur Primär- und Sekundärprävention in sich und kommt so dem Ideal einer Vorbeugung bzw. Heilung dieser Volksseuche nahe. Bergmann wirft aktuell wieder die Frage nach dem Stellenwert der SIT im Rahmen der Therapie des allergischen Asthma bronchiale auf [1]. Darf die Indikation zur SIT bei Insektengiftallergie und allergischer Rhinokonjunktivitis als etabliert gelten, so ist die weiterhin offene Debatte über das Für und Wider der SIT in der Indikation allergisches Asthma nicht ohne Tradition in der Pneumologie [2] [3] [4] [5] [6] [7].

In Zeiten evidenzbasierter Medizin muss sich die SIT wie jedes Therapieverfahren an der in kontrollierten klinischen Studien dokumentierten Effektivität messen lassen. Werden die klassischen Erfolgsparameter der Asthmatherapie an die SIT angelegt, so zeigt sich ein Effekt auf Symptome, Medikamentenverbrauch und die unspezifische und allergenspezifische Hyperreagibilität. Parameter der Lungenfunktion, insbesondere Peak flow oder Sekundenkapazität, werden kaum beeinflusst [8]. Dies bedeutet zwangsläufig, dass die SIT bei der überwiegenden Zahl der Patienten mit bereits bestehendem allergischen Asthma die medikamentöse Therapie möglicherweise ergänzen, jedoch nicht ersetzen kann. Bergmann weist zu Recht auf diesen Aspekt hin. Dies gilt umso mehr, als der tatsächliche Nutzen der SIT bei bestehendem Asthma schlecht einzuschätzen ist [8], da bislang aussagekräftige Studien weder zur SIT in der adjuvanten Asthmatherapie noch zum Ausmaß eines eventuellen kortikoidsparenden Effekts der SIT bei allergischem Asthma vorliegen. Ein direkter Vergleich der SIT mit effektiven Asthmatherapeutika ist angesichts der zu erwartenden erheblichen Wirksamkeitsunterschiede ethisch ohnehin nicht zu rechtfertigen. Eine aktuelle klinische Prüfung mit einem gegen Immunglobulin E gerichteten monoklonalen Antikörper zeigt, dass die SIT das Potenzial einer immunmodulatorischen Therapie selbst bei Patienten mit allergischer Rhinokonjunktivitis zumindest nach einjähriger Behandlungsdauer nicht ausschöpfen kann [9]. Insgesamt ist die Schlussfolgerung zulässig, dass die direkten klinischen Effekte der SIT bei bestehendem allergischen Asthma im Vergleich zur medikamentösen Asthmatherapie begrenzt sind [10].

Vor diesem Hintergrund ist wichtig, dass die SIT möglicherweise nur für einen begrenzten Zeitraum von einigen Jahren durchgeführt werden muss, um einen dauerhaften Effekt zu erzielen. Erste Hinweise speziell bei Patienten mit gleichzeitig bestehender allergischer Rhinokonjunktivitis und allergischem Asthma liegen vor [11] und bedürfen der Bestätigung in aussagekräftigen Langzeituntersuchungen. Gegen diesen Vorteil müssen allerdings der mit der SIT für den Patienten verbundene Aufwand und das zwar sehr geringe, aber nicht von der Hand zu weisende Risiko schwerer Nebenwirkungen bis hin zu tödlichen Zwischenfällen abgewogen werden.

Ein weitaus größeres klinisches Potenzial besitzt die SIT möglicherweise in der Prävention der allergischen Sensibilisierung und der zusätzlichen Manifestation eines allergischen Asthmas (Etagenwechsel). Auch zu diesem Punkt liegen erste, durchaus vielversprechende Studien vor [12] [13]. Eine solche Indikation zur SIT stellt sich jedoch in erster Linie bei Kindern und Jugendlichen mit allergischer Rhinokonjunktivitis mit Mono- oder Oligosensibilisierungen, die ein hohes Risiko für eine Asthmamanifestation aufweisen. Im Erwachsenenalter sind solche Patienten viel seltener anzutreffen. In einer klinischen Studie mussten ca. 1000 Patienten gescreent werden, um schließlich 77 oligosensibilisierte Asthma-Patienten rekrutieren zu können, von denen 53 die zweijährige Behandlungsphase auch abschlossen [14]. Besonders interessant ist, dass ähnliche Resultate bei Risikokindern auch unter Therapie mit modernen Antihistaminika beobachtet werden konnten [15]. In beiden Fällen ist unklar, ob tatsächlich Neusensibilisierungen bzw. Asthmamanifestationen verhindert oder nur hinausgezögert werden. Es ist wiederum sicher noch zu früh, um bereits eine generelle Empfehlung zur SIT bei so definierten Patienten abzuleiten.

Ein anderer Standpunkt wird in den aktuellen Empfehlungen der Global Initiative for Asthma (GINA) vertreten [10]. Hier werden zunächst ebenfalls der günstige Einfluss der SIT insbesondere bei Patienten mit Rhinokonjunktivitis und Asthma und der in der Cochrane-Metaanalyse dokumentierte Effekt auf Symptome, Medikamentenverbrauch und Hyperreagibilität hervorgehoben. Dieser Feststellung wird jedoch eine Reihe kritischer Schlüsselfragen zum Stellenwert der SIT bei Asthma gegenübergestellt: Welche Patienten profitieren am ehesten? Bei welchen Aeroallergenen ist am ehesten ein Effekt zu erwarten? Wie ist die Langzeitwirkung der SIT im Vergleich zu anderen Formen der antientzündlichen Asthmatherapie? Welche Parameter der Erkrankung werden am ehesten von der SIT beeinflusst? Angesichts dieser weitgehend noch unbeantworteten Fragen und der relativ bescheidenen Wirkung der SIT bei Asthma wird eine strenge Abwägung zwischen dem möglichen Nutzen und den potenziell gravierenden Nebenwirkungen einschließlich des mit der SIT für die Patienten verbundenen Aufwands gefordert. Besonders der letzte Punkt ist nicht trivial. Von 122 196 Patienten amerikanischer Kostenträger mit dokumentierter Koexistenz von Rhinokonjunktivitis und Asthma wurde bei 2667 Patienten (2,2 %) eine SIT begonnen, die nur jeder dritte auch abschloss [16]. Aus diesen Fakten ziehen die Verfasser der GINA-Empfehlungen die Schlussfolgerung, dass eine SIT bei allergischem Asthma nur dann erwogen werden sollte, wenn alle Möglichkeiten der Allergenkarenz und medikamentösen Therapie unter Einschluss inhalierbarer Kortikoide konsequent ausgeschöpft und dennoch keine befriedigende Asthmakontrolle erzielt werden kann.

Das breite Spektrum der Meinungen namhafter Experten spiegelt das Dilemma der SIT in der Indikation allergisches Asthma wider [10] [17] [18] [19]. Die vorliegenden Studien belegen zwar einen im Ausmaß schwer einzuschätzenden antiasthmatischen Effekt und ein vielversprechendes Potenzial in der Primär- und Sekundärprävention allergischer Erkrankungen, lassen andererseits aber nahezu alle der genannten, zur Positionierung der SIT im Stufenschema der Asthmatherapie entscheidend wichtigen Fragen offen. Angesichts der hohen Kosten und der für die SIT unkalkulierbaren Ergebnisse [9] der prinzipiell dringend notwendigen Studien wird sich an dieser unbefriedigenden Situation auf absehbare Zeit wahrscheinlich wenig ändern. Umso mehr ist Bergmann zuzustimmen, dass die SIT bei allergischem Asthma ausschließlich in die Hand des allergologisch versierten Pneumologen gehört, der die Indikation streng nach definierten Kriterien prüfen wird. Es ist dennoch unschwer vorherzusagen, dass dies nicht die letzte Stellungnahme zum Für und Wider der SIT bei Patienten mit allergischem Asthma war.

Literatur

Univ.-Prof. Dr. med. Roland Buhl

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