Aktuelle Dermatologie 2002; 28(12): 449-452
DOI: 10.1055/s-2002-36959
Kasuistik
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Spätreaktion auf Röntgenkontrastmittel

Delayed Reaction After Radiographic Contrast MediumB.  Dierbach1
  • 1Hautklinik Klinikum Wuppertal GmbH (Direktor: Prof. Dr. P. Lehmann)
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Dr. B. Dierbach

Zentrum für Dermatologie · Allergologie und Umweltmedizin · Hautklinik Klinikum Wuppertal GmbH

Arrenbergerstraße 20 · 42117 Wuppertal

Publication History





Publication Date:
29 January 2003 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Anaphylaktoide Symptome sowie Exantheme können Stunden bis Tage nach der Gabe von Röntgenkontrastmitteln (KM) auftreten. Bei einer Patientin kam es eine Stunde nach einer Kontrastmitteluntersuchung zu einer anaphylaktoiden Unverträglichkeitsreaktion und vier Tage später zu einem makulo-papulösen Exanthem im Sinne einer Typ-IV-Spätreaktion. In Epikutan- und Intrakutantesten mit einigen ionischen und nicht-ionischen KM konnten positive Reaktionen nach 24 und 48 Stunden gegen das nicht-ionische KM Iopamidol nachgewiesen werden. Positive Hautteste auf KM können auf einen möglichen immunologischen Mechanismus von Spätreaktionen auf KM hinweisen.

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Abstract

Anaphylactoid reactions as well as exanthema can occur hours or even days after application of radiographic contrast medium (KM). One hour after contrast examination a female patient showed an intolerance reaction and four days later a maculopapulous exanthema in accordance with a delayed hypersensitivity reaction. In patch and intracutaneous tests with several ionic and non-ionic KM Iopamidol could be seen after 24 and 48 hours. Positive skin tests for KM can indicate a possible immunological mechanism of late reactions to KM.

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Einleitung

Die neueren jodhaltigen, nicht-ionischen Kontrastmittel (KM) und ionischen Dimere besitzen eine deutlich geringere nahezu blutisotone Osmolarität und damit eine bessere Verträglichkeit bezüglich Sofortreaktionen im Vergleich zu älteren ionischen KM. Dafür werden nahezu gleich viele Spätreaktionen beobachtet. Allerdings wurden in letzter Zeit auch bei den nicht-ionischen KM schwere Reaktionen und Todesfälle in Form anaphylaktoider Unverträglichkeitsreaktionen (Sofortreaktion) gesehen.

Zunehmend interessant werden die seit einigen Jahren in ca. 4 - 8 % beschriebenen anaphylaktoiden Spätreaktionen.

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Kasuistik

Patientin: K. E. 67 Jahre

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Anamnese

Die Patientin entwickelte etwa 1 Stunde nach einer Computertomographie des Abdomens mit dem nicht-ionischen KM Solutrast (Iopamidol) ein generalisiertes Hitzegefühl und Schmerzen im Gürtelbereich und 4 Tage danach ein generalisiertes, juckendes, makulo-papulöses Exanthem.

Frühere KM-Untersuchungen mit jodhaltigen KM sowie Jodsalbenanwendung wurden vertragen. In der Familien- und Eigenanamnese waren keine Atopie oder Allergien bekannt.

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Dermatologischer Befund

Bei Aufnahme fand sich ein generalisiertes makulo-papulöses Exanthem. Histologie gut passend zu makulo-papulösem Exanthem (Abb. [1]). Die Hautveränderungen heilten unter Behandlung mit oralen Kortikosteroiden innerhalb weniger Tage ab.

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Abb. 1 Generalisiertes makulo-papulöses Exanthem auf Solutrast®.

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Allergologische Diagnostik

Die 2 Monate später durchgeführten allergologischen Untersuchungen mittels Epikutantesten (Ablesung nach 48, 72 und 96 Stunden) sowie Prick- und Intrakutantesten (Ablesung nach 20 Minuten, 48, 72 und 96 Stunden) auf das ionische Kontrastmittel PeritrastR (L-Lysinamidotrizoat) sowie die nicht-ionischen ImeronR (Iomeprol) und UltravistR (Iopromid) in verschiedenen Konzentrationen fielen sämtlich negativ aus.

Während die Ablesungen auf SolutrastR nach 20 Minuten keine Sofortreaktionen zeigten, wurden nach 24 und 48 Stunden im Prick- und Intrakutantest (Abb. [2]) sowie nach 48 Stunden im Epikutantest (Abb. [3]) Spätreaktionen gesehen (Tab. [1]). Dabei fand sich nach 24 Stunden über den Intrakutantestort am linken Unterarm hinausgehend ein juckendes, gerötetes, papulöses Infiltrat (Abb. [4]), das 48 Stunden nach der Testung in ein generalisiertes makulo-papulöses Exanthem mit Akzentuierung an den übrigen Teststellen überzugehen begann (Abb. [5]).

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Abb. 2 Positiver Intrakutantest auf Solutrast®.

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Abb. 3 Positiver Epikutantest auf Solutrast®.

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Abb. 4 Positiver Intrakutantest mit lokaler Streureaktion auf Solutrast®.

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Abb. 5 Generalisierte makulo-papulöse Streureaktion auf Solutrast-Testung.

Tab. 1 Testreaktion auf KM Solutrast (Iopamidol)
20 min 24 h 48 h72 h
Epikutantest pur ++ nd
Pricktest pur negativ + + nd
Intrakutantest
1 : 100 negativ (+) + nd
1 : 10 negativ + ++ nd
pur negativ ++ +++ nd
nd = nicht ablesbar nach Steroidgabe
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Histologie (Intrakutantestreaktion)

Akanthotisch verbreiterte Epidermis mit spongiotisch aufgelockertem Plattenepithel, intraepidermale Vesikel mit teils nekrotischen Keratinozyten.

Im oberen und mittleren Corium perivaskuläre Rundzellinfiltrate vorwiegend aus Lymphozyten und Histiozyten und vereinzelten neutrophilen und eosinophilen Granulozyten mit Zellinvasion in die Epidermis (Abb. [6]).

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Abb. 6 Histologie der Intrakutantestreaktion.

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Beurteilung

In Zusammenschau von Klinik und den Spättypreaktionen der Hauttestungen mit Generalisation halten wir die aufgetretene Kontrastmittelreaktion für eine biphasige Reaktion. Zunächst trat nach einer Stunde eine anaphylaktoide Unverträglichkeitsreaktion auf und nach 4 Tagen eine Typ-IV-Spättypreaktion als makulo-papulöses Exanthem.

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Therapie und Verlauf

Unter Steroidgabe beginnend mit 1 mg/kg/KG waren die o. g. Hautveränderungen innerhalb weniger Tage rückläufig.

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Diskussion

Über eine ähnliche zweiphasige Reaktion mit Urtikaria unmittelbar nach KM-Gabe und einem generalisierten, juckenden, makulösen Exanthem 5 Tage danach wurde auch von Stovsky et al. berichtet [6]. Laut Ring [2] [4] ist das klinische Bild vergleichbar mit Soforttyp- und verzögerten Soforttyp-Reaktionen („Late-phase reactions”) bei einer IgE-vermittelten Allergie.

Daneben ist auch eine echte Typ-IV-Spätreaktion („delayed-type hypersensitivity”) sowie eine Kombination von pseudoallergischen anaphylaktoiden Sofortreaktionen und T-zellvermittelten Spättypreaktion (Typ IV) oder mit einer Immunkomplexreaktion (Typ III ) theoretisch denkbar [2].

In der Literatur sind vereinzelt positive Hauttestreaktionen bei Patienten mit Spätreaktion auf KM aufgeführt, wobei meist eine Typ-IV-Reaktion angenommen wird [3] [5] [7].

Gall konnte als Allergen der nicht-ionischen KM im positiven Epikutan-, Prick- und i. v. Provokationstest in Form einer Spättypreaktion (Typ IV) jeweils den jodhaltigen Komplex Iopamidol, Iomeprol und Iopromid identifizieren. Kreuzreaktionen untereinander sind zu erwarten. Die Testung von Kaliumjodid fiel negativ aus, so dass keine Gefahr hinsichtlich z. B. einer künftigen Anwendung jodhaltiger Externa bestand.

Anaphylaktoide Spätreaktionen, die zwischen einer Stunde bis mehreren Tagen nach Kontrastmittelgabe auftreten können, zeigen sich in der Hauptsache als Dauerschmerz am Injektionsort, grippeähnliche oder gastrointestinale Reaktionen sowie Exantheme und Pruritus und sind meist milde und selbstlimitierend. Selten werden Angioödeme sowie schwere Vaskulitiden und toxische epidermale Nekrolyse beobachtet.

Es scheint keinen Zusammenhang zwischen dem Auftreten einer Sofortreaktion und nachfolgender Spätreaktion zu geben. Beide kommen insbesondere bei Atopikern und Allergikern vor [1]. Bei unserer Patientin war der Atopiestatus negativ. Während für anaphylaktoide Sofortreaktionen ein pseudo-allergischer Pathomechanismus angenommen wird, z. B. direkte Histaminfreisetzung, Komplementaktivierung, Freisetzung weiterer Mediatorsubstanzen sowie eine Interaktion mit Plasmaproteinsystemen (z. B. Kinin, Gerinnung), ist die Pathogenese von Spätreaktionen auf KM noch weitgehend ungeklärt. Aufgrund der positiven Hauttestreaktionen unserer Patientin und der entsprechenden Histologie sowie der Literatur [3] [5] ist im Wesentlichen von einer spezifischen T-Zell-vermittelten Überreaktion auszugehen.

Trotz gewisser Unklarheiten über die Pathogenese der Spätreaktion auf KM ist es wichtig, auf die Möglichkeit dieser Unverträglichkeiten sowie deren diagnostische Abklärung hinzuweisen. Praxisrelevant ist besonders eine längere Nachbeobachtungszeit für Risikopatienten (ältere Patienen sowie Herz-, Nieren-, Lebererkrankte). Von prophetischen Prick- oder Intrakutantestungen oder Injektion kleinerer Mengen KM wird abgeraten, da die prädiktive Aussage gering ist und z. T. schwere anaphylaktoide Reaktionen auftreten können. Zur Prophylaxe anaphylaktoider Reaktionen hat sich die Gabe von H1- (Dimetinden 4 - 12 mg i. v. ) und H2-Antihistaminika (Cimetidin 5 mg/kg/KG i. v.) 5 min vor KM-Gabe bewährt. Nach neueren Empfehlungen [1] müssen die Steroide (3-mal 50 mg Prednisolon oral) 13, 7 und 1 Stunde vor der KM-Infusion eingenommen werden. Die Akutbehandlung richtet sich nach den Regeln der Schweregrade entsprechenden Behandlungen anaphylaktoider Reaktionen.

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Literatur

  • 1 Brockow K, Ring J. Anaphylaktoide Reaktionen nach Infusionen von Röntgenkontrastmitteln.  Allergologie. 1997;  20 400-406
  • 2 Brockow K, Kien M, Kleinheinz A. et al . „Spät”-Reaktionen nach Infusion von Röntgenkontrastmitteln - drei Fallberichte.  Allergo J. 2000;  9 276-279
  • 3 Gall H, Pillekamp H, Peters R U. Late-type Allergy to X-ray contrast medium Solutrast (Iopamidol).  Contact Dermatitis. 1999;  40 248-250
  • 4 Ring J. Angewandte Allergologie, 2 ed. München; MMV Verlag 1991
  • 5 Schick E, Weber L, Gall H. Delayed hypersensitivity reaction to non-ionic contrast medium iopromid.  Contact Dermatitis. 1996;  35 312
  • 6 Stovsky M D, Seftel A D, Resnick M I. Delayed hypersensitivity reaction after infusion of non-ionic intravenous contrast material for an excretory urogram.  J Urol. 1995;  153 1641-1643
  • 7 Watanabe H, Sueki H, Nakada . et al . Multiple fixed drug eruption caused by iomeprol (Iomeron), a non-ionic contrast medium.  Dermatology. 1999;  198 291-294

Dr. B. Dierbach

Zentrum für Dermatologie · Allergologie und Umweltmedizin · Hautklinik Klinikum Wuppertal GmbH

Arrenbergerstraße 20 · 42117 Wuppertal

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Literatur

  • 1 Brockow K, Ring J. Anaphylaktoide Reaktionen nach Infusionen von Röntgenkontrastmitteln.  Allergologie. 1997;  20 400-406
  • 2 Brockow K, Kien M, Kleinheinz A. et al . „Spät”-Reaktionen nach Infusion von Röntgenkontrastmitteln - drei Fallberichte.  Allergo J. 2000;  9 276-279
  • 3 Gall H, Pillekamp H, Peters R U. Late-type Allergy to X-ray contrast medium Solutrast (Iopamidol).  Contact Dermatitis. 1999;  40 248-250
  • 4 Ring J. Angewandte Allergologie, 2 ed. München; MMV Verlag 1991
  • 5 Schick E, Weber L, Gall H. Delayed hypersensitivity reaction to non-ionic contrast medium iopromid.  Contact Dermatitis. 1996;  35 312
  • 6 Stovsky M D, Seftel A D, Resnick M I. Delayed hypersensitivity reaction after infusion of non-ionic intravenous contrast material for an excretory urogram.  J Urol. 1995;  153 1641-1643
  • 7 Watanabe H, Sueki H, Nakada . et al . Multiple fixed drug eruption caused by iomeprol (Iomeron), a non-ionic contrast medium.  Dermatology. 1999;  198 291-294

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Abb. 1 Generalisiertes makulo-papulöses Exanthem auf Solutrast®.

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Abb. 2 Positiver Intrakutantest auf Solutrast®.

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Abb. 3 Positiver Epikutantest auf Solutrast®.

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Abb. 4 Positiver Intrakutantest mit lokaler Streureaktion auf Solutrast®.

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Abb. 5 Generalisierte makulo-papulöse Streureaktion auf Solutrast-Testung.

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Abb. 6 Histologie der Intrakutantestreaktion.