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DOI: 10.1055/s-2002-35518
Interdisziplinäre schmerz- und suchttherapeutische Therapie bei einem Patienten mit chronischer Pankreatitis und Opioidabhängigkeit
Ein FallberichtInterdisciplinary Pain and Addiction Treatment in a Patient with Chronic Pancreatitis and Opiate Addiction
K Zbieranek
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Klinik und Poliklinik
für Anästhesiologie
Martinistraße 52
20246 Hamburg
Email: zbieranek@uke.uni-hamburg.de
Publication History
Publication Date:
19 November 2002 (online)
Einleitung
Die folgende Kasuistik schildert den Fall eines 42-jährigen Patienten mit chronischer Pankreatitis, der aufgrund seiner langjährigen Schmerzsymptomatik und ungerichteter analgetischer Eigenmedikation eine Opioidabhängigkeit entwickelte. Dargestellt werden die Grundzüge einer interdisziplinären schmerz- und suchttherapeutischen Behandlung.
#Fallbericht
Im April diesen Jahres wurde dem Konsiliar unserer Einrichtung ein Patient vorgestellt, der in der Klinik für Allgemeinchirurgie zur duodenumerhaltenden Pankreaskopfresektion bei seit 18 Jahren bestehender chronisch kalzifizierender Pankreatitis aufgenommen worden war. Anlass für das erbetene schmerztherapeutische Konsil war eine außergewöhnlich hohe analgetische Selbstmedikation des Patienten, die eine stationäre Führung im Rahmen eines geregelten Stationsablaufs, insbesondere in Hinblick auf eine zu erwartende postoperative Schmerztherapie, deutlich erschwerte. Der Patient applizierte sich laut Konsilanforderung zu diesem Zeitpunkt täglich insgesamt 2,5 g Pethidin (Dolantin®) und 2 g Buthylscopolamin (Buscopan®) auf unterschiedlichstem parenteralen Wege selbst.
Der Patient, Herr A., befand sich zum Zeitpunkt des ersten Patientenkontakts in einem leicht adipösen Ernährungs- und in gutem Allgemeinzustand. Abgesehen vom pankreatitistypischen Druckschmerz im Epigastrium und multiplen Spritzenabszessen unterschiedlichster Abheilungsstadien ließen sich bei der orientierenden Untersuchung keinerlei pathologische Befunde erheben. Im Anamnesegespräch präsentiert sich ein intensiv kontaktsuchender, intelligenter Patient, der wortreich und sehr detailverhaftet erzählt: Aufgewachsen bei den Großeltern in der DDR. Ausbildung zum Kranführer, dabei erster nennenswerter regelmäßiger Alkoholkonsum. Im Alter von 18 Jahren Erstdiagnose einer wahrscheinlich alkoholinduzierten Pankreatitis, daraufhin mehrere stationäre Krankenhausaufenthalte zur konservativen Therapie. Während einer dreijährigen Haftstrafe wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt in alkoholisiertem Zustand Exazerbation der Pankreatitis mit lebensbedrohlicher Gewichtsabnahme. Hier zum ersten Mal analgetische Therapie mit Opioiden. Nach vorzeitiger Haftentlassung Freundschaft mit einer deutlich jüngeren Krankenschwester, die er während seines Haftkrankenhausaufenthalts kennen lernte, und Ausübung verschiedener Berufe. Mit dem Mauerfall 1990 Schließung der ersten Ehe, im Weiteren kontinuierliche Zunahme der Beschwerden mit langsamer konsekutiver Steigerung der Opioiddosierungen, deren parenterale Applikation zunächst nur von Ärzten durchgeführt wurde. 1996 Trennung von der damals alkoholkranken Ehefrau. Seitdem Opioide in weiterhin langsam steigenden Dosen selbst gespritzt. 1997 Suizidversuch. Ein Jahr später 2. Ehe, die bis heute fortbesteht. Außer einem insulinpflichtigen Diabetes keine weiteren Vorerkrankungen. Herr A. äußert im ersten Gespräch den dringlichen Wunsch nach Schmerzreduktion und Opioidentzug, da er seine derzeitige Situation für unerträglich halte und neuerlich drängenden suizidalen Gedanken ausgesetzt sei. Die derzeitigen Schmerzen stufte der Patient auf einer visuellen Analogskala (VAS 0 = kein Schmerz, 10 = stärkster vorstellbarer Schmerz) auch unter Opioidmedikation bei etwa 7-8 ein.
Die Operationsindikation wurde zunächst zurückgestellt und Herr A. in die Schmerzklinik übernommen. Im Rahmen einer interdisziplinären Schmerzkonferenz wurde eine therapeutische Strategie entwickelt, die zunächst die Weiterführung und Dokumentation der Bedarfsmedikation mit Pethidin und Buthylscopolamin vorsah. Unter kontinuierlicher Plexus-coeliacus-Blockade und konsekutiver Plexus-coeliacus-Destruktion sollte die parenterale Opioidmedikation auf retardierte Opioide umgestellt und diese schließlich im Laufe von ca. drei Wochen unter flankierender neuroprotektiver Therapie mit Carbamazepin und Clonidin möglichst vollständig ausgeschlichen werden. Währenddessen war eine tägliche psychiatrische Mitbehandlung durch die Suchtambulanz vorgesehen und dem Patienten eine poststationäre ambulante psychosomatische Weiterbehandlung empfohlen worden. Herr A. bestätigte sein Einverständnis für diese therapeutische Strategie im Rahmen eines schriftlichen Behandlungsvertrags.
Die CT-gesteuerte Anlage eines Katheters an den Plexus coeliacus Abb. [1] und die drei Tage später CT-gesteuerte chemische Destruktion des Plexus erfolgte problemlos und bewirkte zunächst eine völlige Schmerzfreiheit unter bereits umgesetzten äquipotenten Dosierungen retardierten Morphins (2400 mg/die). Der analgetische Erfolg dieser ersten Destruktion hielt jedoch lediglich vier Tage an. Zur Überbrückung der Zeit bis zur wiederholten chemischen Destruktion wurde Herr A. mit einer kontinuierlichen Periduralanästhesie schmerzfrei gehalten. Mit der zweiten Destruktion konnte schließlich eine deutliche und insbesondere dauerhafte Schmerzreduktion erzielt werden. Abweichend von der ursprünglichen Zielsetzung entließen wir Herrn A. nach ca. 5-wöchigem stationären Aufenthalt und nach protrahierter Reduktion der Morphintagesdosis mit einer retardierten Opioidmedikation von 450 mg Morphin/d. Eine psychotherapeutische Anschlussbehandlung und eine spätere ambulante psychotherapeutische Weiterbehandlung war zu diesem Zeitpunkt bereits gebahnt. Die operative Sanierung der chronischen Pankreatitis wurde von Herrn A. bei der Entlassung bis auf weiteres abgelehnt.

Abb. 1 CT-Abdomen ca. 4 cm oberhalb der A. mesenterica superior; A = Aorta, reL = rechter Lungenunterlappen, WK = Brustwirbelkörper 12; Dargestellt ist der transkutan eingebrachte Katheter nach Injektion von ca. 10 ml Kontrastmittel (Isovist 300® + NaCl 0,9%). Das Kontrastmittel breitet sich im retrokruralen Raum in einer horizontalen Ausdehnung von ca. 6 cm periaortal aus. Die Strukturen des periaortal gelegenen Plexus coeliaus können mit CT nicht direkt sichtbar gemacht werden.
Heute, vier Monate später, unterhält Herr A. weiterhin unregelmäßigen telefonischen Kontakt zur Schmerzklinik und hat - eigenen Angaben zur Folge - die Opioidmedikation weder in Art noch Dosierung geändert. Die aktuellen Schmerzen ordnet Herr A. auf der visuellen Analogskala bei 2-3 ein.
#Diskussion
Eine chronische Pankreatitis geht mit heftigsten, je nach Verlauf der Grunderkrankung schubartigen Schmerzen einher, die sehr häufig nur mithilfe potenter Opioide befriedigend zu behandeln sind [1]. Eine unkontrollierte Opioideinnahme, die sich nicht an Grundregeln der medikamentösen Schmerztherapie orientiert (festes Zeitschema nach dem Prinzip der Antizipation, ausreichende Dosierung, Einsatz retardierter Medikamente) birgt die Gefahr der unkontrollierten Dosiseskalation mit konsekutiver psychischer und körperlicher Opioidabhängigkeit [2] [3].
In dem geschilderten Kasus wurde die Steuerung der Schmerztherapie dem Patienten im Verlauf seiner Erkrankung selbst überlassen; sukzessive entwickelte sich eine Opioidabhängigkeit. War zunächst nur der Wunsch nach Schmerzfreiheit führend, erhielt im weiteren Verlauf die auch unabhängig von der Schmerzsymptomatik eingesetzte euphorisierende Medikation eine Eigenfunktion (u. a. Stimmungsaufhellung, Ausblenden von Alltagskonflikten, Entspannung). In der Entzugsbehandlung machte sich der Verlust der Eigenfunktion und der Selbststeuerung der Applikation insbesondere zum Zeitpunkt der Umstellung auf retardierte Opioide bemerkbar: Wenngleich die Morphindosis bewusst großzügig berechnet wurde, gab der Patient zunächst stärkste Schmerzen an, die nur mit weiteren Opioidinjektionen zu behandeln seien. Im Rahmen des stationären schmerztherapeutischen Settings und der engmaschigen psychiatrischen Betreuung, in der insbesondere die Funktion der eigengesteuerten Opioidapplikation bearbeitet wurde, war eine vollständige Umstellung auf ein systematisiertes Protokoll mit einem retardierten Morphin letztendlich jedoch möglich.
Im Vergleich zur Entgiftung bei reiner Opioidabhängigkeit lag die Problematik dieses Kasus in der Austarierung einer suffizienten analgetischen Therapie bei zeitgleicher suchttherapeutischer Behandlung. Die besondere Herausforderung stellt die adäquate Einschätzung der Schmerzsymptomatik auf dem Boden der chronischen Pankreatitis und vor dem Hintergrund der Abhängigkeitsentwicklung dar.
Wie in verschiedenen Untersuchungen gezeigt werden konnte, ist die Destruktion des Plexus coeliacus in der Hand des Geübten ein Erfolg versprechendes Verfahren zur mittel- und langfristigen Behandlung von viszeralen Schmerzen im Epigastrium, wie sie insbesondere bei der chronischen Pankreatitis zu beobachten sind [4]. Die CT-gesteuerte Platzierung eines dünnen Katheters erlaubt dabei sowohl eine kontinuierliche Blockade mittels Lokalanästhetika als auch eine - gegebenenfalls mehrfache - Neurodestruktion mit hochkonzentriertem Alkohol (s. Abb. [1]).
Im Rahmen der kombinierten Schmerz- und Suchttherapie spielt die Therapiezielvereinbarung zwischen Arzt und Patient eine besondere Rolle, da lediglich der Patient in der Lage ist, den schmerztherapeutischen Erfolg zu beurteilen. Mit dem Zustandekommen dieser Vereinbarung war die Grundlage für eine Reduktion der Opioide auf ein therapeutisches Maß und der Reflexion der situativen Schmerzsymptomatik einschließlich der Auflösung von suchtspezifischen Anteilen gegeben. So war Herrn A. gegen Ende der stationären Behandlung es durchaus wieder möglich, zwischen Abhängigkeitssymptomatik und Schmerz zu unterscheiden, so dass eine sinnvolle schmerztherapeutische „Restmedikation” durchaus gerechtfertigt war. Dass es sich dabei immer noch um eine relativ hohe Morphintagesdosis handelt, muss unter dem Gesichtspunkt der physischen Opioidgewöhnung betrachtet werden. Eine weitere Reduktion dieser Dosis halten wir jedoch unter einer weiteren schmerztherapeutischen Intervention zu einem späteren Zeitpunkt für durchaus möglich.
Die suffiziente opioidunabhängige Schmerztherapie (Plexusdestruktion) bildete die Grundlage der Behandlung, die Umsetzung der systematisierten analgetischen Therapie im stationären schmerztherapeutischen Setting im Zusammenhang mit einer suchttherapeutischen Behandlung bereitete die Basis für einen längerfristigen Therapieerfolg.
Dieser Fallbericht zeigt, dass die interventionelle Schmerztherapie ein unverzichtbares Instrument in der Behandlung von Patienten mit chronischen Schmerzen und einer Abhängigkeitsentwicklung sein kann, der dauerhafte Erfolg in diesen Fällen jedoch nur in der engen Zusammenarbeit von Psychiatern und Schmerztherapeuten möglich ist.
#Literatur
- 1 Glasbrenner B, Adler G. Evaluating pain and the quality of life in chronic pancreatitis. Int J Pancreatol. 1997; 22 163-170
- 2 Aronoff G M. Opioids in chronic pain management: is there a significant risk of addiction?. Curr Rev Pain. 2000; 4 112-121
- 3 Heit H A. The truth about pain management: the difference between a pain patient and an addicted patient. Eur J Pain. 2001; 5 27-29
- 4 Schneider B, Richter G M, Roeren T. et al . [CT-guided neurolysis. Status of the technique and current results]. Radiologe. 1996; 36 692-699
K Zbieranek
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Klinik und Poliklinik
für Anästhesiologie
Martinistraße 52
20246 Hamburg
Email: zbieranek@uke.uni-hamburg.de
Literatur
- 1 Glasbrenner B, Adler G. Evaluating pain and the quality of life in chronic pancreatitis. Int J Pancreatol. 1997; 22 163-170
- 2 Aronoff G M. Opioids in chronic pain management: is there a significant risk of addiction?. Curr Rev Pain. 2000; 4 112-121
- 3 Heit H A. The truth about pain management: the difference between a pain patient and an addicted patient. Eur J Pain. 2001; 5 27-29
- 4 Schneider B, Richter G M, Roeren T. et al . [CT-guided neurolysis. Status of the technique and current results]. Radiologe. 1996; 36 692-699
K Zbieranek
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Klinik und Poliklinik
für Anästhesiologie
Martinistraße 52
20246 Hamburg
Email: zbieranek@uke.uni-hamburg.de

Abb. 1 CT-Abdomen ca. 4 cm oberhalb der A. mesenterica superior; A = Aorta, reL = rechter Lungenunterlappen, WK = Brustwirbelkörper 12; Dargestellt ist der transkutan eingebrachte Katheter nach Injektion von ca. 10 ml Kontrastmittel (Isovist 300® + NaCl 0,9%). Das Kontrastmittel breitet sich im retrokruralen Raum in einer horizontalen Ausdehnung von ca. 6 cm periaortal aus. Die Strukturen des periaortal gelegenen Plexus coeliaus können mit CT nicht direkt sichtbar gemacht werden.