Zentralbl Gynakol 2002; 124(5): 247-248
DOI: 10.1055/s-2002-34097
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Editorial

M. Kaufmann, D. Berg
  • Klinik für Geburtshilfe und Gynäkologie, Frankfurt am Main
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Publication Date:
16 September 2002 (online)

Diese Ausgabe enthält unter anderem evidenzbasierte Empfehlungen der AGO-Organ-Kommission „Mammakarzinom” zur Primärbehandlung von Mammakarzinomen sowie eine Arbeit zur Behandlung von lokoregionären fernmetastasierten Mammakarzinomen. Beide Beiträge stellen eine wertvolle Basis für die nationale Leitlinie „Mammakarzinom” der Deutschen Krebsgesellschaft dar, welche in Bälde publiziert werden soll. Diese Leitlinie ist mit allen  betreffenden wissenschaftlichen Fachgesellschaften besprochen und abgestimmt worden. Die Prüfung der Evidenz der Aussagen erfolgte durch eine interdisziplinär besetzte Arbeitsgruppe von Experten, welche auch für methodische Fragen zuständig sind. In ganz wesentlichen Teilen basieren sie auf der hier vorgestellten Arbeitsunterlage der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie (AGO) der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe und der Deutschen Krebsgesellschaft. Den Beteiligten kann für ihre enorme Arbeit, einschließlich der Prüfung der Evidenz ihrer Aussagen, nicht hoch genug gedankt werden.

Die Schwierigkeit, eine solche Leitlinie zu erstellen, ergibt sich im Wesentlichen dadurch, dass Mammakarzinome interdisziplinär diagnostiziert und behandelt werden müssen.  Zum anderen können weite Bereiche der Diagnostik und Therapie sowohl ambulant als auch stationär geschehen.

Folgende Anforderungen sind grundsätzlich  an Leitlinien zu stellen:

evidenzbasierte Empfehlungen; umfassender allgemeiner Konsens; Kostenaspekte müssen berücksichtigt werden; die Erarbeitung muss fachgruppenübergreifend erfolgen.

Gerade die Interdisziplinarität erschwert verständlicherweise die Leitlinienerstellung beim Mammakarzinom. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von Problemen, welche die Erarbeitung von Leitlinien typischerweise kennzeichnen. So kann es z. B. zu wenig geeignete Daten geben; auch ist eine Selektion durch Experten stets möglich, und schließlich bedeutet ein gefundener Minimalkonsens nicht immer einen optimalen Konsens. Dazu kommt noch die relative Unverbindlichkeit von Leitlinien: Es gibt keinen Umsetzungszwang und keine Überprüfungsmöglichkeit, ganz abgesehen davon, dass es bislang schwer ist, bei Nichteinhaltung von Leitlinien Sanktionen zu ermöglichen.

Dennoch sind Leitlinien ein unverzichtbares Instrument geworden, um die Qualität von Diagnostik und Therapie zu sichern und zu verbessern. Sie sind international bereits mehrfach erstellt worden und dienten auch als Basis für die Erstellung der in dieser Ausgabe vorgestellten nationalen Leitlinie.

Im Einzelnen kann in diesem Zusammenhang auf folgende Leitlinien verwiesen werden:

NBCCAustralian National Breast Cancer CentreEarly Breast Cancer 10/1995Advanced Breast Cancer 1/2001 ICSIInstitute für Clinical Systems Improvement Diagnosis of Breast Cancer 11/2001Breast Cancer Treatment 8/2001 ESOEuropean School of Oncology/START (State of the Art Oncology) 9/2001 NCCNNational Comprehensive Cancer Network Breast Cancer 1/2002Breast Screening 1/2001Breast Cancer Risk Reduction 1/2001 NIHNational Health Consensus Statement Adjuvant Therapy for Breast Cancer 11/2000 St. GallenInternational Consensus Panel on the Treatmentof Primary Breast Cancer 2/2001 NCINational Cancer Institute Breast Cancer 4/2002

Gerade in Deutschland ist die Erstellung von Leitlinien für das Mammakarzinom besonders wichtig, da hier zu Lande, wie wohl bei keinem anderen bösartigen Tumor, der „Cult for the Individual” [1] vorherrscht. Mit anderen Worten, die vorherrschende deutsche therapeutische Mentalität besteht darin, die jeweils „beste” Behandlung für die einzelne Patientin zu wählen, wobei die Entscheidung, was die beste Behandlung sei, nach strikt individualistischen Kriterien getroffen wird.

Ein ganz wesentlicher Bestandteil einer leitlinienorientierten Diagnostik und Therapie ist daher eine entsprechende Qualitätssicherung. Voraussetzungen für ihren Erfolg sind:

flächendeckende Teilnahme; vollständige und sorgfältige Dokumentation; Etablierung eines Krebsregisters; Überprüfung der Ergebnisse einschließlich Erfassung chronischer oder Spättoxizitäten; Erfassung psychosozialer Veränderungen und des Nutzens rehabilitativer Möglichkeiten.

In Zukunft ist mit einem enormen Umbruch in der Früherkennung, Diagnostik und Therapie von Mammakarzinomen zu rechnen. Für die Früherkennung des Brustkrebses in Deutschland liegt eine S3-Leitlinie vor [2].

Die Einführung von Diagnosis-Related Groups (DRG) sowie die Tatsache, dass das Mammakarzinom neben dem Diabetes mellitus als Disease-Management-Projekt (DMP) von der Regierung gewählt wurde, ergibt neue Möglichkeiten, welche hoffentlich zur Verbesserung der Situation der Frauen zur Früherkennung und Therapie von Brustkrebs in Deutschland beitragen werden.

Ganz im Mittelpunkt des DMP beim Mammakarzinom stehen die Definierung und Etablierung von sog. Brustkrebszentren. Die strukturellen Voraussetzungen auf europäischer Ebene wurden bereits im Jahr 2000 in einem Positionspapier der European Society of Mastology (EUSOMA) genannt [3]. Eine fast direkte Umsetzung auf deutsche Verhältnisse ist relativ rasch möglich. Die Auffassung „Jeder weiß alles, jeder kann alles, jeder darf alles” wird jedenfalls zukünftig nicht mehr haltbar sein. Vorschläge zur Zertifizierung und Dokumentation müssen jedoch im Detail noch gemacht werden.

Entsprechend den Europäischen Leitlinien wären für Deutschland ca. 250 bis 300 Brustkrebszentren denkbar und sinnvoll, einschließlich von 5 bis 7 sog. Größerer Brustkrebs-Kompetenz-Zentren. Voraussetzung all dieser notwendigen Änderungen und der damit verbundenen Verbesserungen ist eine allgemein anerkannte und für ganz Deutschland verbindliche „Leitlinie Brustkrebs”.

Literatur

Prof. Dr. M. Kaufmann

Univ. Frauenklinik Frankfurt

Theodor-Stern-Kai 7

60590 Frankfurt am Main

Prof. Dr. D. BergLeitlinienbeauftragter der DGGG 

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