Einleitung
Einleitung
Das Konzept des Sentinel-Lymphknotens stellt einen Meilenstein in der klinischen Onkologie
dar und ist eine der interessantesten Entwicklungen des letzten Jahrzehnts. Das „lymphatic
mapping” mittels dynamischer Lymphabflussszintigraphie hat das Wissen über die Anatomie
und Physiologie des Lymphsystems verbessert und trägt so zu einem besseren Verständnis
der lymphogenen Metastasierung von Tumoren bei [1 ]. Die minimal-invasive chirurgische Technik der Sentinel Lymphonodektomie (SLNE)
spiegelt den Trend zu einer konservativen operativen Vorgehensweise bei Tumorpatienten
wider.
Insbesondere ist es nun möglich, auf die ungezielte prophylaktische Entfernung der
regionären Lymphknoten im Sinne einer elektiven Lymphknotendissektion zu verzichten.
Dieser morbiditätsträchtige Eingriff wurde über Jahrzehnte bei malignen Hauttumoren
unter der Annahme durchgeführt, hierdurch frühzeitig, bei noch geringer Tumorlast,
den Metastasierungsweg zu unterbrechen, um möglicherweise eine Lebensverlängerung
zu erzielen.
Die SLNE hat sich in der Primärtherapie des malignen Melanoms mittlerweile etabliert
[3 ]
[4 ]
[8 ]
[30 ]. Erfahrungen bei anderen Hautmalignomen sind begrenzt. Wie unsere Ergebnisse zeigen,
lässt sich diese Technik aber problemlos auf alle lymphogen metastasierenden Tumoren
der Haut übertragen [5 ].
Der SLN ist ein zuverlässiger Prädiktor für das Vorliegen bzw. Fehlen von lymphogenen
Metastasen [6 ]
[21 ]
[25 ]. Aus seiner Auswertung ergeben sich entscheidende Konsequenzen hinsichtlich der
klinischen Stadieneinteilung und weiterführender Therapiemaßnahmen. Zudem sollten
die psychologischen Auswirkungen auf den Patienten nicht außer Acht gelassen werden,
die durch die Kenntnis von Tumorzellen in den Lymphknoten entstehen. Die Bedeutung
des SLN erfordert deshalb die Notwendigkeit von Standards in der Durchführung der
SLNE und der sich ergebenden Folgemaßnahmen.
Präoperative Identifikation des SLN
Präoperative Identifikation des SLN
Die Identifikation und Definition des SLN erfolgt präoperativ durch eine Lymphabflussszintigraphie.
Um eine Bahn im Szintigramm zu sehen und das zeitliche Erscheinen des Lymphknotens
festzulegen, benötigt man eine hohe Konzentration des Radiotracers im Lymphgefäßsystem
und eine sequenzielle Aufnahmetechnik. Bei malignen Hauttumoren erfolgt nach intrakutaner
Injektion des Tracers der Abfluss sehr rasch, so dass bei sofortigem Beginn der Frühaufnahmen
post injectionem, gefolgt von Spätaufnahmen, die Bahnen und der SLN frühzeitig sichtbar
werden.
Kolloidales Technetium 99m(99m Tc)-markiertes Humanalbumin (Nanocoll, Fa. Nycomed, Amersham) oder 99m Tc-Zinn-(2)Sulfid (Lymphoscint, Fa. Nycomed, Amersham) wird streng intradermal in
einem Abstand von 5 mm um den Tumor bzw. die Vorexzisionsnarbe in Form von 4 -12 Aktivitätsdepots
injiziert. Die Teilchengröße liegt unter 80 nm, das Injektionsvolumen beträgt weniger
als 0,2 ml, die Gesamtradioaktivitätsmenge beträgt 80 MBq.
Da die Injektionsspritze bei der intrakutanen Injektion unter großem Druck steht,
erhöht sich die Kontaminationsgefahr mit Auftauchen von unklaren „hot spots” in der
Nachbarschaft der Injektionsstelle, weshalb diese abgedeckt werden sollte. Außerdem
gehen ca. 25 % der zu applizierenden Aktivität durch Austritt aus der Einstichstelle
und als Aktivitätsrest in der Spritze verloren.
Unmittelbar nach der Injektion und ca. 1- 6 h p. i. werden planare Szintigramme in
mind. 2 Ebenen (Sophy-Kamera DSX, LEAP-Kollimator, 100 000 counts/Bild oder 10 min
Akquisitionszeit, Matrixgröße 128 × 128) unter Abdeckung der Injektionsstelle angefertigt
(Abb. [1 ]). Diese Bedingungen sind für die früh- und spätstatischen Aufnahmeserien gleich.
In den frühstatischen Aufnahmen sieht man die zu einem oder mehreren Lymphknoten führenden
Lymphbahnen. Insbesondere im Kopf-Hals-Bereich muss aufgrund eines schnellen Lymphabflusses
und der engen räumlichen Beziehung von Primärtumor und regionärer Lymphknotenstation
die Akquisitationszeit pro Bild gelegentlich verkürzt werden, um die sichtbaren Lymphbahnen
korrekt zu erfassen. Zudem empfiehlt es sich, das Injektionsvolumen im Bereich des
Kopfes auf < 0,1 ml zu reduzieren. Die Frühaufnahmen werden abgebrochen, sobald jede
sichtbare Bahn in einen Lymphknoten gemündet hat. Der erste speichernde Lymphknoten,
in den eine Abstrombahn mündet, wird als SLN bezeichnet. Führen mehrere Bahnen zu
unterschiedlichen Lymphknoten, wird jeder einzelne als SLN angesehen. Diese müssen
später alle entfernt werden. In den Spätaufnahmen lassen sich die einzelnen Lymphknoten
klar darstellen, die Abstrombahnen sind nicht mehr sichtbar. Sobald der Untersucher
eine klare räumliche Vorstellung von der Lage des SLN hat, wird die Aufnahmeserie
beendet. Anschließend ist es zweckmäßig, den SLN mit Hilfe der Szintillationsmesssonde
auf der Haut zu markieren. Falls durch die eben beschriebenen Maßnahmen keine eindeutige
Identifikation des SLN erreicht werden kann, besteht die Möglichkeit nach einer nochmaligen
Injektion von ca. 20 MBq unter verbesserter Positionierung des Patienten den Abtransport
des Radiotracers zu kontrollieren. Die Charakteristika des SLN im Szintigramm sind
aus Tab. [1 ] ersichtlich [34 ].
Abb. 1 Lymphabflussszintigramm
Tab. 1 Charakteristika des SLN im Szintigramm (nach Vogt et al.)
1. eigene Lymphbahn
2. frühe Erscheinungszeit
3. persistierende, starke Anreicherung
4. nahe Lage zum Primärtumor
Erfolgt die Entfernung des SLN am Tage nach der Lymphabflussszintigraphie, ist keine
Nachinjektion des Radionuklids erforderlich, da die gespeicherte Radioaktivitätsmenge
ausreicht, um den SLN intraoperativ mit der Gammasonde zu lokalisieren. Bei zu erwartenden
längeren Zeitintervallen wird die präoperative Lymphabflussszintigraphie mit ca. 40
Mbq 99m Tc-Nanokolloid durchgeführt und es erfolgt am Operationstag mind. 1 h präoperativ
eine Zweitinjektion mit einer analogen Radioaktivitätsmenge.
Intraoperative Lokalisationsdiagnostik
Intraoperative Lokalisationsdiagnostik
Grundsätzlich halten wir ein 2-Tages-Protokoll für sinnvoll. Dies bedeutet Lymphabflussszintigraphie
am Tag 1, chirurgische Entfernung des SLN am darauffolgenden Tag 2. Um den SLN intraoperativ
aufzufinden, gibt es prinzipiell zwei Möglichkeiten. Die Kombination beider Techniken
ist am günstigsten.
Farbstoffmethode
Morton [22 ], der das Konzept des SLN erstmals beim malignen Melanom beschrieb, benutzte zunächst
Patentblau V zur intraoperativen Darstellung des SLN.
0,5 -1,0 ml 2,5 %iges Patentblau V (2,4-Disulfo-5-Hydroxy-4',4''- bis (diäthylamino)-triphenylcarbinolmononatriumsalz)
wird um den verdächtigen Hauttumor bzw., sofern dieser bereits exzidiert worden ist,
um die Vorexzisionsnarbe streng intradermal injiziert. Anschließend wird über der
drainierenden Lymphknotenstation, die tags zuvor mittels einer Lymphabflussszintigraphie
dargestellt wurde, inzidiert und ein entsprechend großer Hautlappen gehoben. Dabei
ist zu beachten, dass das Zeitfenster in dem der SLN eine Blaufärbung aufweist, begrenzt
ist. Bei dieser Methode muss also die SLNE vor der Exzision des Primärtumors bzw.
der Nachexzision durchgeführt werden. Unter sorgfältiger Präparation in die Tiefe,
möglichst unter Belassen der ebenfalls blau gefärbten Lymphbahnen sucht man den blau
angefärbten SLN auf (Abb. [2 ]). Da der Farbstoff sehr schnell wieder aus den Lymphknoten verschwindet, muss gelegentlich
nachinjiziert werden. Dies hat bei entsprechender Lage des Primärtumors, z. B. am
Rücken, unter Umständen mehrere Umlagerungen zur Folge. Der SLN wird dann unter sorgfältiger
Ligatur der zu- und abführenden Lymphbahnen im Ganzen exstirpiert und sogleich in
Formalin eingelegt. Sind im Szintigramm mehrere SLN beschrieben, müssen alle in eben
beschriebener Weise entfernt werden. Anschließend wird der Defekt schichtweise verschlossen,
ggf. unter Einlage einer Redonsaugdrainage. Heutzutage kann die Entfernung des SLN
mit der Farbstoffmethode allein nicht mehr empfohlen werden, da sie einige Nachteile
gegenüber der Gammasondentechnik aufweist.
Abb. 2 Operationssitus mit Patentblau.
Gammasondentechnik
1993 beschrieben Alex und Krag [3 ] erstmals die Markierung des SLN mit einem Radiotracer und die nachfolgende intraoperative
Lokalisation mittels einer Gammasonde.
Diese Technik ist wesentlich einfacher zu handhaben, bietet im Vergleich zur Farbstoffmethode
viele Vorteile und weist bei fachgerechter Anwendung eine Sensitivität von nahezu
100 % auf.
Die am Vortag zur Anfertigung des Lymphabflussszintigramms injizierte Menge des Tracers
(i. d. R. 80 MBq) reicht in der Regel aus, um mittels Radioaktivitätsmessungen den
SLN während der am nächsten Tag stattfindenden Operation zu lokalisieren. Mittlerweile
existieren verschiedene Sondensysteme unterschiedlicher Hersteller. Es ist für die
Reproduzierbarkeit der Methode unabdingbar, eine Sonde zu verwenden, die die Qualitätskriterien
bezüglich Ortsselektivität, Nachweisempfindlichkeit, Abschirmung, Energiediskriminierung
und Handhabbarkeit erfüllt (Details s. [35 ]).
Malignes Melanom
Wir empfehlen bei Verdacht auf ein malignes Melanom folgendes Vorgehen (Abb. [3 ]). Bei In-situ-Tumoren wird im ersten Schritt der verdächtige Hauttumor inklusive
des peritumoralen Radioaktivitätsdepots mit einem Sicherheitsabstand von 1 cm nach
allen Seiten, tiefenwärts bis auf Faszienebene exzidiert und sogleich zur histologischen
intraoperativen Schnellschnittuntersuchung abgegeben. Dieser Eingriff kann in jedem
Fall in Lokalanästhesie erfolgen. Bei vorliegender Diagnose entfällt dieser Schritt.
Da Nachexzision und SLNE i. A. in Allgemeinanästhesie durchgeführt werden, sollte
der Patient bereits im Vorfeld für eine Intubationsnarkose vorbereitet werden und
kann sofort nach Erhalt des Schnellschnittergebnisses in das Op-Programm eingeschleust
werden.
Abb. 3 Flussschema malignes Melanom.
Im Falle einer Bestätigung des Malignitätsverdachtes und bei einem vertikalen Tumordurchmesser
nach Breslow von über 0,75 mm, wird der Patient in das SLNE-Protokoll eingeschleust.
Zunächst wird die Primärexzisionsstelle tumordickenabhängig, also ggf. nach weiterer
Exzision mit den in den DDG-Richtlinien [24 ] empfohlenen Sicherheitsabständen und anschließender plastischer Deckung, versorgt.
Im nächsten Schritt wurde mit einer für 99m Tc optimierten und kollimierten Szintillationsmesssonde (C-Trak®-System, Fa. Care-Wise,
Morgan Hill, Kalifornien) der SLN von außen aufgesucht. Hierbei leistet die tags zuvor
angebrachte Hautmarkierung eine wertvolle Orientierungshilfe. Im Bereich des Aktivitätsmaximums
wird eine kleine Hautinzision angelegt und der Lymphknoten unter Führung der Gammasonde
sorgfältig unter Ligatur der zu- und abführenden Lymphbahnen exstirpiert (Abb. [4 ]). Erst wenn durch Aktivitätsmessungen im Operationsgebiet und am Exstirpationspräparat
die Vollständigkeit der Entfernung überprüft worden ist, erfolgt der schichtweise
Verschluss der Wunde, wobei ggf. eine Saugdrainage eingelegt werden kann. In der Regel
weist der SLN die höchste Radioaktivität auf.
Abb. 4 Operationssitus mit Gammasonde.
Gelegentlich wird ein Konglomerat aus mehreren Lymphknoten entfernt. In diesem Fall
werden sämtliche entfernten Knoten auf ihren Radioaktivitätsgehalt hin überprüft,
durchnummeriert und der eigentliche SLN mit einem Faden markiert. Anschließend werden
sie in Formalin eingelegt.
Nicht-melanozytäre Hautmalignome
Bei V. a. einen nicht-melanozytären malignen Hauttumor wird in der Regel zunächst
eine 4-mm-Stanzbiopsie zur Diagnosesicherung entnommen. Erst nach Erhalt des histologischen
Untersuchungsergebnisses wird anhand einer Risikoabschätzung hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit
einer lymphogenen Metastasierung entschieden, ob der Patient in das SLNE-Protokoll
eingeschleust wird. Ansonsten entspricht das Vorgehen dem oben Beschriebenen.
Histologische Untersuchung des Sentinel-Lymphknotens
Histologische Untersuchung des Sentinel-Lymphknotens
Nähere Details in diesem Heft. In Kürze: Nach eintägiger Formalinfixierung wird der
Lymphknoten weiterverarbeitet. Er wird in max. 1 mm dünne Scheiben entlang der Längsachse
vollständig auflamelliert. Von jedem Schnitt werden neben Hämatoxy-Eosin, immunhistochemische
Färbungen entsprechend der Tumorentität angefertigt. Damit lassen sich Mikrometastasen
leichter entdecken [12 ]. Werden im SLN Tumorzellen nachgewiesen, so erfolgt in einer zweiten Operation die
radikale Ausräumung der entsprechenden Lymphknotenregion. Die entnommenen Dissektate
werden in eben beschriebener Weise histologisch aufgearbeitet.
Ergebnisse
Ergebnisse
Betrachtet man die Ergebnisse verschiedener Arbeitsgruppen (Tab. [2 ]), so wird deutlich, dass die Entfernung des SLN beim malignen Melanom eine Methode
mit hoher Sensitivität darstellt. Mit der intraoperativen Detektion mittels Gammasonde
lassen sich Erfolgsraten bis 100 % erzielen. Dagegen bringt die Farbstofftechnik deutlich
schlechtere Resultate (82 - 99 %). Der Anteil an Patienten mit Metastasen im SLN schwankt
von 12 - 23 %. Die Falschnegativ-Rate liegt im Bereich von 0 - 2 %.
Tab. 2 Ergebnisse der SLNE beim malignen Melanom
Autor
Zahl
Indikation
Methode
SLN identif. (%)
SLN+ (%)
falsch neg. (%)
Morton
223
Klin. Stad. I, II
Farbstoff
82
21
1
Thompson
118
Klin. Stad. I, II
Farbstoff
87
21
0
Glass
132
> 0,75 mm
Farbstoff
99
23
nicht best.
Krag
121
Klin. Stad. I, II
Gamma
98
12
0
Albertini
106
> 0,75 mm
beide
96
15
0
Pijpers
135
Klin. Stad. I, II
beide
100
21
0
Bachter
412
Klin. Stad. I, II
beide
99
21
0,3
Über die Anwendung der Sentinel-node-Technik bei nicht-melanozytären malignen Hauttumoren
gibt es bisher kaum größere Untersuchungen. Unsere Erfahrungen bei 37 Patienten mit
unterschiedlichen Hautmalignomen bestätigen die Ergebnisse, die hinsichtlich der Durchführbarkeit
beim malignen Melanom beschrieben werden (Sensitivität 100 %, Falschnegativ-Rate 0
%) [5 ].
Diskussion
Diskussion
Die Entfernung des Sentinel-Lymphknotens führte zu einem grundlegenden Wandel im operativen
Tumormanagement [26 ]. Die SLNE ersetzt die ELND, welche über Jahrzehnte insbesondere beim malignen Melanom
sehr kontrovers diskutiert worden war, letztendlich aber den eindeutigen Beweis eines
Benefits schuldig geblieben ist [9 ]
[10 ]
[28 ]
[33 ]. Wenngleich in einigen retrospektiven Studien bestimmte Untergruppen von Melanompatienten
davon zu profitieren schienen [11 ]
[20 ], so lässt es sich nicht leugnen, dass ein Großteil der Patienten einer unnötigen
Operation mit einem hohen Morbiditätsrisiko unterzogen worden war [32 ]. Auch bei potenziell lymphogen metastasierenden nicht-melanozytären Malignomen gehörte
und gehört eine ELND häufig zum Standardrepertoire in der operativen Behandlung. Aus
unserer Sicht ist sie auch hier nicht mehr zeitgemäß, da wir mit der SLNE nun ein
minimal invasives Operationsverfahren zur Hand haben, welches ein exaktes Staging
der dem Primärtumor zugehörigen Lymphknotenregion ermöglicht. Diese Methode reserviert
die frühzeitige Entfernung der regionären Lymphknoten gezielt den Patienten mit klinisch
okkulten Lymphknotenmetastasen.
Obwohl diese Operationstechnik auf den ersten Blick einfach scheint, muss gerade im
Hinblick auf die Bedeutung, die dem SLN zugemessen wird, eine Standardisierung in
der präoperativen Identifikation und der chirurgischen Entfernung gewährleistet sein.
Entscheidend für den Erfolg dieser Methode ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Nuklearmediziner
und Operateur. Wir bevorzugen ein 2-Tages-Protokoll, weil hierdurch eine optimale
präoperative Diagnostik ohne Zeitdruck gewährleistet wird, die wiederum eine Zeitersparnis
in Bezug auf die Operationsdauer mit sich bringt. Es hat sich bewährt, dass entweder
der Nuklearmediziner bei der Operation mit am Tisch steht oder dass der Operateur
bei der Lymphabflussszintigraphie anwesend ist. Insbesondere in schwierigen anatomischen
Regionen wie z. B. im Kopf-Hals-Gebiet kann die präoperative Identifikation und das
nachfolgende intraoperative Auffinden schwierig sein, weshalb genaue Kenntnisse des
Lymphabflusses entscheidend sind [1 ]
[23 ].
Grundsätzlich muss die präoperative Identifikation mittels einer dynamischen Lymphabflussszintigraphie
erfolgen [18 ]
[34 ]. Die frühstatischen Aufnahmen müssen unmittelbar nach der Injektion beginnen. Die
zum Lymphknoten führende Bahn muss so lange verfolgt werden, bis sie in einen Lymphknoten
mündet. Dieser ist per definitionem der SLN. Tauchen mehrere Bahnen auf, muss jede
bis zu ihrem Endpunkt verfolgt werden, so dass u. U. mehrere SLN innerhalb einer Lymphknotenregion
existieren können. Ebenso gibt es, abhängig vom Sitz des Primärtumors gelegentlich
mehrere SLN in unterschiedlichen Regionen. Entscheidend ist, dass in jedem Fall alle
SLN entfernt werden.
Mit zunehmender Dauer ab Injektionszeitpunkt wird der Radiotracer auch in weiter proximal
gelegene Lymphknoten transportiert. Die Sensitivität der Lokalisationsdiagnostik litt
darunter aber keinesfalls, da intraoperativ das Radioaktivitätsverhältnis von SLN
zu den weiter proximal liegenden Lymphknoten immer dem der präoperativen Voruntersuchung
entsprach.
Liegt der Primärtumor in unmittelbarer Nähe zur drainierenden Lymphknotenstation,
kann die Identifikation problematisch sein. Der SLN kann durch das Radioaktivitätsdepot
der Injektionsstelle überlagert werden und es können nachgeschaltete Lymphknoten erscheinen,
die bei nicht sichtbaren Bahnen nicht vom SLN differenziert werden können. Lösungsmöglichkeiten
bestehen in einer Reduktion des Injektionsvolumens bei gleichbleibender Radioaktivitätsmenge,
da hierdurch eine geringere Verteilung in das umliegende Gewebe resultiert und einer
Verkürzung der Akquisitionszeit pro Aufnahme [31 ]
[34 ].
Von Bedeutung scheint auch die Art des verwendeten Radiotracers zu sein [16 ]. Zu Beginn verwendeten wir 99m Tc-Zinn (2)-Sulfid. Obgleich der Hersteller eine Teilchengröße von unter 80 nm für
das von uns verwendete Schwefelkolloid angibt, könnte dieses nach Erhitzen der Lösung
in wesentlich größeren Einheiten vorgelegen haben. Es ist bekannt, dass sich große
Partikel langsam bzw. überhaupt nicht von der Injektionsstelle bewegen, während sehr
kleine Partikel rasch abtransportiert werden. Krag [17 ] gibt eine 10 %ige Versagerquote des SLN-Nachweises bei der Verwendung von Schwefelkolloid
an. Wir konnten diese hohe Fehlerquote nicht bestätigen, lediglich bei 3 Patienten
fand kein Lymphabfluss statt. Möglicherweise liegt dies an der Tatsache, dass es sich
bei ihm meist um voroperierte Patienten handelte. Neuerdings verwenden wir zur Lymphabstromszintigraphie
kolloidales Tc-markiertes Humanalbumin, das hinsichtlich der Partikelgröße die besser
definierte Substanz zu sein scheint. Damit traten in der Folgezeit keine derartigen
Probleme mehr auf, was natürlich auch an der zunehmenden Erfahrung in der Diagnostik
begründet sein kann und nicht unbedingt auf die Tracereigenschaften zurückzuführen
sein muss.
Ein bisher noch nicht eindeutig einordenbares Problem stellen sog. Intervalllymphknoten
dar [25 ]. Hierbei handelt es sich um Anreicherungen, die auf der Strecke zwischen Primärtumor
und regionärer Lymphknotenstation liegen. In solchen Fällen müssen kurzzeitige Speicherungen,
welche nach wenigen Stunden wieder verschwinden, von wahren SLN unterschieden werden.
Beide kommen gehäuft bei voroperierten Patienten vor. Bei ersteren handelt es sich
möglicherweise lediglich um lakunenartige Erweiterungen von Lymphgefäßen oder um zwischengeschaltete
Lymphknoten, die keine Filterfunktion im eigentlichen Sinne besitzen. In einigen Fällen
fanden wir SLN in der Kniekehle bzw. Ellenbeuge. Die Bestätigung der Richtigkeit wurde
in einem Fall durch das Vorhandensein von Tumorzellen bestätigt. Schwieriger wird
die daraus resultierende Konsequenz des weitergehenden chirurgischen Vorgehens hinsichtlich
der Entscheidung wo die radikale Dissektion durchgeführt werden soll, also ob in derartigen
Fällen die nächste Lymphknotenstation disseziert werden sollte.
In der intraoperativen Lokalisation des SLN hat die Farbstofftechnik als alleinige
Methode ausgedient, da sie deutliche Nachteile gegenüber dem gammasondengesteuerten
Verfahren aufweist (Tab. [3 ]). Sie ist in der Kombination hilfreich, da die Blauanfärbung der Lymphknoten deren
intraoperatives Auffinden erleichtert und dadurch die Operationszeit verkürzt. Der
SLN färbt sich nicht in allen Fällen mit Patentblau an [22 ], woraus eine geringere Sensitivität resultiert [14 ]. Insbesondere bei Tumorlokalisationen am Rumpf und im Gesichts-/Hals-Bereich ist
die Versagerquote relativ hoch. Der Operateur benötigt große Erfahrung, es ist eine
größere Anzahl von Eingriffen nötig, um diese Technik zu beherrschen, die Lernkurve
ist länger als bei der SLNE mittels einer Gammasonde. Zum Auffinden des SLN müssen
längere Inzisionen angelegt werden und oft ist es notwendig, größere Hautlappen zu
heben, um eine ausreichende Übersicht über den Operationssitus zu bekommen. Hieraus
ergibt sich eine stärkere Gewebstraumatisierung, die Operationszeit ist länger, die
kosmetischen Ergebnisse unschöner. Da der Farbstoff zudem sehr schnell wieder aus
den Lymphknoten verschwindet, muss gelegentlich nachinjiziert werden. Dies hat bei
entsprechender Lage des Primärtumors, z. B. am Rücken, unter Umständen mehrere Umlagerungen
zur Folge. Seltene Komplikationen sind permanente Farbstofftätowierungen, die wir
bisher zweimal beobachteten, des Weiteren Einzelfallberichte über allergische Reaktionen
auf den Farbstoff [15 ]. Im Kopf-Hals-Bereich verzichten wir auf die Injektion von Patentblau, da einerseits
der Operationssitus unübersichtlich wird, da der Farbstoff auch in tiefere Schichten
diffundiert und dort die Gefahr wichtige Strukturen zu verletzen größer ist. Zudem
kann das Risiko einer permanenten Farbstofftätowierung in diesem ästhetisch exponierten
Bereich nicht in Kauf genommen werden. Obligat ist nach der Farbstoffinjektion eine
Grünverfärbung des Urins, was zu großer Aufregung bei Patient und medizinischem Personal
führen kann. Einmal wurde bei einer schlanken blassen Patientin eine Blauverfärbung
des gesamten Integuments beobachtet.
Tab. 3 Nachteile der Farbstoffmethode zur intraoperativen SLN-Lokalisation
1. geringere Sensitivität - SLN färbt sich nicht immer blau an
2. längere Lernkurve des Operateurs
3. größere Inzisionen nötig, stärkere Gewebstraumatisierung
4. zeitaufwändiger
5. enges Zeitfenster der Farbstoffanreicherung, evtl. Nachinjektionen und Umlagern
des Patienten notwendig
6. unübersichtliches Operationsgebiet im Bereich der Injektionsstelle, insbesondere
im Gesicht problematisch
7. permanente Farbstofftätowierungen
8. allergische Reaktionen auf Patentblau (sehr selten)
Alle mit Patentblau angefärbten SLN speicherten auch das Radionuklid. Zusätzliche
blaue, aber nicht radioaktiv markierte Lymphknoten fanden sich nie. Dies deckt sich
auch mit den Ergebnissen anderer Arbeitsgruppen [2 ]
[25 ].
Die Exstirpation unter Führung einer Gammasonde ist sehr schnell erlernbar und unter
Beachtung der Besonderheiten einfach durchzuführen [2 ]
[3 ]
[4 ]
[13 ]
[23 ]. Durch die exakte Ortung können Richtungsabweichungen bei der Präparation selbst
in schwierigen anatomischen Regionen korrigiert werden, so dass eine äußerst gewebeschonende
Entfernung möglich wird. Die Inzisionen können sehr klein gehalten werden, wodurch
hervorragende kosmetische Ergebnisse erzielt werden können. Der Eingriff kann sogar
in Lokalanästhesie erfolgen. Wir konnten den SLN bis auf zwei Ausnahmen problemlos
lokalisieren und entfernen. Bei beiden Versagern handelte es sich um Primärtumoren
am Hals, wo sich der SLN in der Supraklavikulargrube darstellte. Aufgrund eines sehr
hohen Backgrounds der Injektionsstelle konnte intraoperativ die umschriebene Anreicherung
des SLN nicht differenziert werden. Ebenfalls nicht unbedeutend ist die Beschaffenheit
der verwendeten Gammasonde [35 ]. Sie sollte den beschriebenen Kriterien entsprechen. Insbesondere sollte die Möglichkeit
zur Änderung der Ortsselektivität, z. B. durch verschiedene Kollimatoraufsätze, gegeben
sein, da hierdurch in schwierigen anatomischen Regionen eine zielgerichtete Präparation
unter Schonung von Nerven und Gefäßen möglich wird [18 ]. Nennenswerte Komplikationen traten nicht auf. Gelegentlich kam es postoperativ
zu kleinen Seromen bzw. Hämatomen, die jedoch mit den üblichen Therapiemodalitäten
gut beherrschbar waren.
Eine immer wieder gestellte Frage ist die Strahlenexposition der Operateure und der
Pathologen. Im Rahmen der SLNE ist die Strahlenbelastung für den Chirurgen am höchsten
[7 ]. 24 h nach Injektion von 40 MBq Nanokolloid liegt die Dosisleistung in 0,5 m Abstand
von der Injektionsstelle bei ca. 0,1 µSv/h. Berücksichtigt man diese Werte und Stellungnahme
der Strahlenschutzkommission, so kann abgeschätzt werden, dass sowohl für das Op-Personal
als auch für die Mitarbeiter in der Pathologie die Strahlenexposition von 1 mSv/Jahr
nicht erreicht werden kann. Es sind folglich keine zusätzlichen Strahlenschutzmaßnahmen
notwendig.
Obwohl die SLNE eine sehr sensitive und dabei komplikationsarme Operationstechnik
darstellt, muss man überlegen, bei welchen Patienten ihr Einsatz sinnvoll ist, zumal
sie mit einem beträchtlichen Personal- und Kostenaufwand verbunden ist. Lokalrezidive
nach SLNE treten selten auf ( 0-1,5 % ) [6 ]
[17 ]
[25 ]. In unserem Kollektiv entwickelte ein Patient von 324 (0,3 %) eine Lymphknotenmetastase
in der Leiste nach SLNE mit negativem SLN. Eine Erklärungsmöglichkeit könnte sein,
dass dieser Patient am Unterschenkel bereits voroperiert war. Dadurch könnten sich
die Verhältnisse des Lymphabflusses geändert haben und ein falscher Lymphknoten angesteuert
worden sein, der irrtümlich für den SLN gehalten wurde.
In der Primärtherapie des malignen Melanoms wird von den meisten Autoren die SLNE
ab einer Tumordicke von 1 mm empfohlen. In unserem Kollektiv fand sich kein positiver
SLN bei Patienten im Stadium I a. Dies deckt sich mit den Ergebnissen von Pijpers
et al. [25 ]. Krag et al. [17 ] fanden lediglich bei einem von 24 Patienten mit dünnen Melanomen einen SLN mit Tumorzellen.
Deshalb ist aus unserer Sicht die SLNE bei Melanomen im klinischen Stadium I a verzichtbar.
Da wir in einigen Fällen auch im Bereich zwischen 0,75 und 1 mm positive SLN fanden,
entschlossen wir uns ab Stadium I b zur SLNE. Letztendlich ist es aber noch unklar,
ab welcher Tumordicke eine SLNE indiziert ist. Die Grenzen schwanken erheblich und
liegen im Bereich von 0,75 -1,5 mm. Da insbesondere in den USA der Invasionslevel
nach Clark für die Stadieneinteilung wichtig ist, sind die Ergebnisse der einzelnen
Arbeiten nicht unbedingt vergleichbar.
Eine weitere, immer wieder aufgeworfene Frage ist, ob die SLNE als therapeutische
Maßnahme angesehen werden kann. In den Dissektaten nach konsekutiver radikaler Lymphknotenausräumung
der befallenen Region bei positivem SLN fanden sich in ca. 25 % zusätzliche Mikrometastasen,
abhängig vom Ausmaß des Tumorbefalls im SLN. In der Literatur schwanken die Angaben
diesbezüglich von 13 - 50 % [10 ]
[14 ]
[26 ]. Ein positiver SLN ist eine hypothetische Indikation zur RLND, zumal bis heute keine
gesicherten adjuvanten Therapien zur Eradikation von Melanomzellen existieren, wenngleich
der Nutzen einer derartigen Operation aber noch nicht bewiesen werden konnte.
Hinsichtlich nicht-melanozytärer Hautmalignome können die Erfahrungen, die wir beim
Melanom gemacht haben, in Bezug auf Sensitivität und Durchführbarkeit bestätigt werden
[5 ]. Natürlich sollte die Methode nur bei ausgewählten Hochrisikopatienten für eine
lymphogene Metastasierung zur Anwendung kommen, da in der Zwischenzeit ökonomische
Gesichtspunkte eine zunehmende Rolle spielen. Grundsätzlich muss diese Operationstechnik
zum gegenwärtigen Zeitpunkt bei nicht-melanozytären Hauttumoren als experimentell
eingestuft werden, da bisher größere Untersuchungen über homogene Patientenkollektive
fehlen.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die SLNE einen Meilenstein in der Tumorchirurgie
darstellt. Diese Technik erlaubt ein exaktes Staging und reserviert die frühzeitige
Entfernung der regionären Lymphknoten gezielt den Patienten mit nachgewiesenen Lymphknotenmetastasen.
Die ELND wird dadurch obsolet. Ihre Wertigkeit bezüglich der Gesamtüberlebenszeit
muss trotzdem noch weiter evaluiert werden.