Die Betreuung von Suchtpatienten in oder außerhalb von
Substitutionsprogrammen zielt zunehmend auf einen mehrjährigen
Behandlungszeitraum ab. Insbesondere in Substitutionsprogrammen führen
kurze Behandlungsdauern zu erhöhten Rückfallquoten. Auch die
psychosoziale Stabilisierung und der Rückgang des Beigebrauches
korrelieren positiv mit der Substitutionsdauer [1]
[2]. Aus der Überlegung heraus, dass die Substitution
verstärkt als Langzeittherapie durchgeführt wird, müsste bei
entsprechender Indikation auch die Behandlung der cHC zunehmend parallel
verlaufen. Prognostisch scheint die Gruppe der Süchtigen allgemein ein
günstiges Profil zu haben mit Überwiegen des Virus-Genotyps 3,
geringer Viruslast und Alter zumeist unter 40 Jahren [3].
Patienten mit Suchtkrankheiten haben jedoch eine hohe psychiatrische
Komorbiditätsrate. Drogenpsychosen, Depressionen oder Angsterkrankungen
dominieren neben Persönlichkeitsstörungen (narzisstisch, antisozial,
borderline) [4]
[5].
Insbesondere Patienten mit antisozialen Persönlichkeitsstörungen
haben aufgrund gesundheitsgefährdender Verhaltensweisen wie Nadeltausch
ein erhöhtes Infektionsrisiko für Hepatitis C und HIV
[6]
[7].
Persönlichkeitsstörungen erschweren die Führbarkeit der
Patienten während einer Hepatitis-Therapie. Sie beinhalten eine schlechte
Compliance, fehlende soziale Wahrnehmungsfähigkeit, häufiges
Missachten von Abmachungen und Regeln, Stimmungsinstabilität mit oft
gereiztem Verhalten und die Neigung zum Agieren. Zudem ist in dieser
Patientengruppe Suizidalität ein häufig anzutreffendes Problem
[8].
Psychische Erkrankungen gelten weiterhin als Kontraindikation
für die Behandlung mit Interferonen. Die Literatur deutet aber eher darauf
hin, dass nur der aktuelle affektive Zustand bei Therapiebeginn mit
auftretenden unerwünschten psychiatrischen Zuständen korreliert
[9]. Schon Renault und Mitarbeiter
[10] konnten eine eigene oder familiäre
Vorgeschichte nicht als Risikofaktor für die Entwicklung psychiatrischer
Komplikationen während einer Interferontherapie identifizieren. Zwei
aktuelle Arbeiten zeigen ebenfalls, dass psychiatrische Erkrankungen per se
eine Therapie mit Interferonen nicht verhindern müssen
[11]
[12]. Auch
Langzeiterfahrungen mit Interferon-β-1b weisen eher auf eine Besserung
depressiver Symptome zumindest bei Patienten mit multipler Sklerose innerhalb
einer ein- bis zweijährigen Therapiedauer hin [13].
Neuro-psychiatrische Symptome bei chronisch
HCV-Infizierten
Neuro-psychiatrische Symptome bei chronisch
HCV-Infizierten
Auch ohne IFN-Therapie sind bei über 30 %
HCV-infizierter Patienten neuropsychiatrische Auffälligkeiten zu finden
[14]. 35-60 % klagen über
ständige Müdigkeit und Abgeschlagenheit. Bei 11 %
wurden schwerere neuro-psychiatrische Syndrome, darunter Somnolenz und
Verwirrtheit, beschrieben. Bei 13-47 % fand sich eine
psychomotorische Verlangsamung [10]
[15]. Je nach Kollektiv können in
2-30 % depressive Syndrome diagnostiziert werden, von denen
ca. 25 % eine Indikation zur antidepressiven Behandlung
hätten [16]
[17]. Auch
bei drogenabhängigen Patienten mit Hepatitis C kommen Depressionen ca.
10 % häufiger vor als bei Nicht-Infizierten
[18].
Psychiatrische Nebenwirkungen von IFN-α
Psychiatrische Nebenwirkungen von IFN-α
Die am häufigsten auftretenden psychiatrischen
unerwünschten Wirkungen von Interferon-alpha sind in Tab. [1]
aufgeführt. Leistungsminderung von 10-30 %,
erhöhte Erschöpfbarkeit und Müdigkeit,
Konzentrationsstörungen, Antriebs- und Lustlosigkeit sowie
Schlafstörungen entwickeln sich schon während der ersten Wochen.
Ängste, innere Unruhe, Gereiztheit, Interessenverlust und sozialer
Rückzug, Depression und Suizidalität sowie Paranoia bis hin zu
psychotischen Reaktionen treten seltener und zumeist später auf
[19 21].
Tab. 1 Psychiatrische
unerwünschte Wirkungen von IFN-α
Anorexie
|
- Gewichtsabnahme |
Angst
|
- Unruhe |
- Panikattacken |
Schlafstörungen
|
- Insomnie |
-
Hypersomnie |
Psychovegetative
Störungen
|
- Müdigkeit |
-
Antriebsstörungen |
-
Leistungsverlust |
Reizbarkeit
|
- Aggressivität |
- Suchtdruck (Drogen und
Alkohol) |
Psychosen
|
- formale
Denkstörungen |
- Paranoia |
- Halluzinationen |
Depression (leicht):
|
-
spontanes Weinen |
- Stimmungsinstabilitäten
|
- reduziertes
Selbstbewusstsein |
- Interessenverlust |
-
Gedankenkreisen |
- Ambivalenz |
Depression
(schwer):
|
- sozialer Rückzug |
- emotionale
Gleichgültigkeit |
- Affektstarre |
- Hoffnungslosigkeit
|
- Suizidgedanken |
-
Suizidversuch |
Delir
|
-
Gedächtnisstörung |
-
Konzentrationsstörungen |
- psychomotorische Verlangsamung
|
- Desorientierung
|
-
Wesensänderung |
Psychische Nebenwirkungen von IFN-α werden in ihrer
Häufigkeit und Bedeutung für die therapeutische Compliance oft
unterschätzt. Die Prävalenz wird in bisherigen Studien mit
10-20 % angegeben. In Dosisfindungsstudien stellten sie mit
13 % die zweithäufigste Ursache für vorzeitige
Therapieabbrüche dar [22]. Psychiatrisch
kontrollierte Daten zeigen jedoch, dass die Häufigkeit psychischer
unerwünschter Wirkungen wesentlich höher einzuschätzen ist
[23]. Die psychischen Nebenwirkungen sind nicht
zeitgebunden. Seltener treten sie in den ersten drei bis vier Therapiewochen
auf. Zumeist entwickeln sich psychische Syndrome erst nach zwei bis drei
Therapiemonaten, gelegentlich aber auch für alle Beteiligten unerwartet
nach fünf bis sechs Monaten. Insbesondere hirnorganische
Wesensänderungen, organische Psychosen und Delire zeigen sich oft erst
spät während einer niedrig dosierten Behandlung mit IFN-α.
Häufigkeit von psychiatrischen Nebenwirkungen bei der
Hepatitis-Behandlung
Häufigkeit von psychiatrischen Nebenwirkungen bei der
Hepatitis-Behandlung
Miyaoka und Mitarbeiter [24]
diagnostizierten unter 66 Patienten bei 4,5 % eine Depression vor
Beginn der Interferontherapie. Nach 4 Wochen waren 21,9 %, nach
12 Wochen 38,3 % und nach 24 Wochen 27,1 % der
behandelten Patienten depressiv. Suizidale Syndrome traten bei
3,0 % der Patienten auf. Drop-outs wegen schwerer Depressionen
wurden bei 6,0 % berichtet. Wir fanden bei ca. 12 %
der Patienten ohne psychiatrische Erkrankungen Depressionen unter
Interferontherapien im Vergleich zu 24 % bei
Methadonsubstituierten und 29 % bei ehemals drogenabhängigen
Patienten [23]. Suizidgedanken traten bei
5 % der Patienten unabhängig von einer Drogenanamnese auf.
Viel häufiger wurden Müdigkeit, Schlafstörungen, Reizbarkeit und
Konzentrationsstörungen angegeben (60-80 %). Ehemals
Drogenabhängige brachen signifikant häufiger als
Methadonsubstituierte und gesunde Kontrollen die HCV-Therapie mit IFN-α
ab und scheinen bezüglich ihrer Suchterkrankung unter der Therapie
instabiler zu werden als methadonsubstituierte Patienten. Psychiatrisch
geführte Studien und Daten zur genauen Einschätzung von
Häufigkeiten, Art und Schwere neuropsychiatrischer Nebenwirkungen unter
pegylierten Interferonen liegen bisher noch nicht vor. Daten aus
Zulassungsstudien weisen bisher nicht auf eine deutlich reduzierte
Häufigkeit von Depressionen unter der wöchentlichen Einmalgabe von
pegylierten Interferonen im Vergleich zur dreimaligen Gabe hin (Tab. [2]).
Tab. 2 Häufigkeit
unerwünschter psychiatrischer Nebenwirkungen von pegyliertem
Interferon-alpha 2b (PegIntron®) [46]
[*]
|
PegIntron® 1,5 µg/kg |
PegIntron® 0,5 µg/kg |
IntronA® 3 × 3
MU |
Depression
|
31 % |
29 % |
34 % |
Schlafstörungen
|
40 % |
40 % |
41 % |
Reizbarkeit
|
35 % |
34 % |
34 % |
Konzentration
|
17 % |
16 % |
21 %
|
Anorexia
|
32 % |
29 % |
27 % |
Müdigkeit
|
64 % |
62 % |
60 % |
Die Unterschiede sind nicht signifikant. Als
Infektionsgrund wird bei 21% Transfusionen und bei 64% ein i.v.
Drogenkonsum angegeben. Bei 15% ist die Infektionsursache unbekannt.
Somit besteht das behandelte Kollektiv weitgehend aus ehemaligen Konsumenten
illegaler Drogen.
|
Spezielle Nebenwirkungen bei Süchtigen
Spezielle Nebenwirkungen bei Süchtigen
Ein besonderes Problem bei Drogensüchtigen stellt die
Ähnlichkeit somatischer Nebenwirkungen (Fieberkrämpfe, Zittern,
Muskelkrämpfe, Unruhe, Schlaflosigkeit) mit Entzugserscheinungen dar.
Dieses führt zu einem erhöhten Rückfallrisiko in der
Fehlannahme, durch Drogenkonsum die Beschwerden bessern zu können. Aber
auch die oft gesehene Zunahme von Reizbarkeit bis hin zu Aggressivität
kann den Umgang mit schon primär impulskontrollgestörten
Suchtpatienten erschweren.
Renault et al. [10] suchten
Prädiktoren für psychiatrische Nebenwirkungen unter IFN-α. Sie
fanden bei Patienten mit vorbekannter zerebraler Vorschädigung, bei
Patienten mit Zirrhose und milden hirnorganischen Psychosyndromen sowie bei
Drogen- oder Alkoholabusus erhöhte Risiken. Besonders seien Suchtpatienten
gefährdet, die unter Interferon außer gehäuften Ängsten
und Schlaflosigkeit auch zunehmend Rückfälle in die Sucht zeigten,
selbst nach jahrelanger Abstinenz.
McDonald et al. [25] wiesen auf die
besonderen Gefahren der Interferontherapie vor allem bei HIV-positiven
Patienten hin. Unter der Therapie wurden 63 % der Patienten
psychiatrisch behandlungsbedürftig. Es fand sich eine allerdings nicht
signifikante Tendenz zu erhöhten Risiken für HIV-positive Patienten.
Insgesamt schlussfolgerten die Autoren, dass IFN-α die psychiatrische
Morbidität signifikant steigert, die Nebenwirkungen nach Abbruch der
Therapie aber rückgängig sind. Es fanden sich hauptsächlich
Angststörungen, Depressionen und Verschlimmerungen vorbestehender
neurotischer Konflikte. Nach unseren Erfahrungen neigen Patienten mit
Polytoxikomanie wahrscheinlich aufgrund der substanzinduzierten zentralen
Vorschädigung vermehrt zu psychotischen Reaktionen unter IFN-α
[20].
Neurologische Nebenwirkungen
Neurologische Nebenwirkungen
Akute neurotoxische Nebenwirkungen wurden eher nach hoch dosierten
intravenösen, intramuskulären oder sogar intrathekalen Therapien mit
IFN-α berichtet [26]
[27]. Mögliche neurologische Nebenwirkungen von
Interferonen sind in Tab. [3] aufgelistet. Alle
schwerwiegenderen zentralen Störungen sollten bis zur Klärung der
wahrscheinlichen Ursache zum Absetzen von IFN-α führen. Wegen der
erhöhten klinischen Relevanz bei Suchtpatienten soll hier kurz auf
zerebrale Anfälle und Polyneuropathien unter Interferonen eingegangen
werden.
Tab. 3 Neurologische
unerwünschte Wirkungen von IFN-α
Bewusstseinsstörungen
|
- Lethargie |
- Somnolenz |
- Koma (sehr
selten) |
-
katatoner Stupor (intrathekal) |
Epileptische
Anfälle
|
- generalisiert
tonisch-klonisch |
- Status epilepticus |
Kleinhirnsymptome
|
- Ataxie |
- Apraxie |
- Schwindel |
-
Gangstörungen |
- Hirnstammsymptome |
-
Wernicke-Korsakoff-Enzephalopathie |
- spastische
Paraplegie |
Cortex
|
- Leukenzephalopathien |
- kortikale
Blindheit |
-
Autoimmunvaskulitiden |
- Demenz |
- Hirnatrophie |
Extrapyramidale
Syndrome
|
- Parkinson |
- Akathisie |
- Tremor |
- tardive Dyskinesien |
Motorische
Veränderungen
|
- reversible Okulomotoriusparese
|
- Muskelkrämpfe |
Polyneuropathien
|
- sensibel u./o.
motorisch |
-
Geschmacksstörungen |
Epileptische Anfälle treten in ca. 1 % der
behandelten Patienten abhängig von Dosis und Art der Applikation auf.
Beschrieben sind generalisiert tonisch-klonische Anfälle bis hin zum
Status epilepticus. Das allgemeine Prozedere besteht im Absetzen der
Behandlung, in der Dosisreduktion oder in kontinuierlich parallel verlaufender
antikonvulsiver Therapie unter Berücksichtigung der möglichen
Hepatotoxizität [28]
[29]. Bei den Polyneuropathien können sensibles und
motorisches System betroffen sein. Zumeist kommt es nur zu einer partiellen
Rückbildung bei Dosisreduktion. Eine Readministration von IFN-α kann
zum Wiederauftreten der polyneuropatischen Beschwerden führen. Ein
erhöhtes Risiko muss bei Vorbehandlung mit neurotoxischen Medikamenten und
Alkoholmissbrauch angenommen werden [30]
[31].
Ursachen psychiatrischer Nebenwirkungen von IFN-α
Ursachen psychiatrischer Nebenwirkungen von IFN-α
Eine toxische Hyper- oder Hypothyreose unter IFN-α sollte bei
psychiatrischen Veränderungen abgeklärt und behandelt werden.
Interferon induziert auch andere Zytokine, die aufgrund zentraltoxischer
Wirkungen Konzentrations- und Gedächtnisstörungen oder
hirnorganischen Veränderungen zur Folge haben können. Inwieweit
Interferone die Bluthirnschranke passieren können, ist weitgehend unklar.
Bei chronischen Infektionen kann jedoch die Barrierefunktion der
Bluthirnschranke gestört sein. Interferone beeinflussen verschiedene
Neurotransmittersysteme. Sie wirken agonistisch an Opiatrezeptoren und
können über diese zentrale serotonerge, dopaminerge und glutamaterge
Veränderungen bewirken [21]. Ein zentraler
Tryptophan- bzw. Serotoninmangel scheint an der Entstehung von Depressionen
ursächlich beteiligt zu sein und würde die gute therapeutische
Wirksamkeit von Serotoninwiederaufnahmehemmern erklären.
Veränderungen im glutamatergen System führen ebenso wie direkte
Wirkungen an Opiatrezeptoren vor allem bei Suchtpatienten zu
entzugsähnlichen Symptomen oder erhöhtem Suchtdruck. Psychotische
Symptome können durch Aktivierung des glutamatergen und dopaminergen
Systems ausgelöst werden. Als Risikofaktoren für das Auftreten
psychiatrischer Nebenwirkungen gelten Dosis und Art der Applikation
(intrathekal > i. v. > i. m.
> s.c), höheres Alter, hirnorganische Vorschädigung
(Atrophie, Traumata, Metastasen), Drogen- und Alkoholabhängigkeit,
HIV-Infektion oder AIDS und eine vorbestehende depressive Symptomatik
[10]
[24]
[25]
[32]
[33].
Verlauf der Nebenwirkungen
Verlauf der Nebenwirkungen
Insbesondere bei niedrig dosierten subkutanen Behandlungen sieht man
in den allermeisten Fällen spontane Rückbildungen der
unerwünschten Wirkungen nach Absetzen von Interferonen. Die
Rückbildung erfolgt innerhalb von drei Wochen. Selten persistieren
psychische Nebenwirkungen. Hierbei besteht keine klare Dosisabhängigkeit.
Das Risiko irreversibler neuropsychiatrischer Störungen scheint von der
Applikationsart (intrathekal > i. v. > s. c.)
und Häufigkeit (tgl. > 3 × pro Woche)
abzuhängen.
Prävention und Therapie psychiatrischer
Nebenwirkungen
Prävention und Therapie psychiatrischer
Nebenwirkungen
Als Präventivmaßnahme sollten eine intensive
Aufklärung, Beratung und engmaschige Betreuung der Patienten erfolgen.
Unerwünschte psychische Wirkungen werden bei intensiver Vorbesprechung
besser toleriert und können vom Patienten der medikamentösen Therapie
zugeordnet werden. So vermeidet man Situationen, in denen der Patient oder auch
Angehörige durch auftretende psychische Veränderungen überrascht
werden [34].
Die soziale und die Drogensituation sollten in den letzten 3 bis 6
Monaten vor Interferontherapie weitgehend stabil gewesen sein. Ein fester
Wohnsitz ist wünschenswert. Bei vorbestehenden Depressionen sollte
zunächst die affektive Stabilisierung erfolgen. Weiterhin muss vor
Therapiebeginn eine aktuelle Suizidalität ausgeschlossen werden, eine
stabile antidepressive Medikation sollte belassen werden. Ebenso sollten
bestehende psychotische Symptome zunächst medikamentös stabilisiert
werden. Patienten mit Persönlichkeitsstörungen sollten in mehreren
Vorgesprächen auf ihre Motivation und Zuverlässigkeit geprüft
werden.
Psychische Verschlechterungen im Zusammenhang mit einer
Interferontherapie sollten vor Abwägung eines Therapieabbruches
interdisziplinär und symptomorientiert behandelt werden. Ambulant
behandelbar sind Patienten, die eine ausreichende Compliance besitzen und
Kontrolltermine zuverlässig wahrnehmen. Positiv sind zusätzliche
Hilfspersonen (Partner, Verwandte), die die Patienten während dieser Zeit
begleiten.
Schlafstörungen: Wichtig ist bei auftretenden
Schlafstörungen eine frühzeitige Schlafregulation. Vorteilhaft wegen
des geringeren Abhängigkeitsrisikos sind neuere Substanzen wie Zolpidem
bei Einschlaf- und Zopiclon bei Durchschlafstörungen. Alternative
Einschlafhilfen sind niederpotente Neuroleptika oder Mirtazapin in niedriger
Dosierung. Bei kombinierter Gabe mit Interferon-alpha ist mit einer
Wirkungsverstärkung aller sedierenden Medikamente zu rechnen. Durch
rechtzeitige Verbesserung der Schlafstörungen können Reizbarkeit und
Tagesmüdigkeit reduziert und gelegentlich sogar depressive Symptome
gelindert werden. Bei Hypersomnie und massiver Tagesmüdigkeit kann ein
Versuch mit Serotoninwiederaufnahmehemmern (SSRI) gemacht werden.
Ängste: Zunächst können niederpotente Neuroleptika
oder klassische Antidepressiva therapeutisch eingesetzt werden. Auch
stimmungsstabilisierende Antiepileptika (z. B. Valproinsäure)
können innere Unruhe und Ängste vor allem dann wirkungsvoll
reduzieren, wenn diese entzugsbedingt sind oder im Rahmen von instabilisierten
Persönlichkeitsstörungen auftreten. Bei fehlender Wirksamkeit
können Benzodiazepine kurzzeitig unter enger Kontrolle verabreicht
werden.
Depressionen: Antidepressiva sollten dem Patienten frühzeitig
bei auftretenden depressiven Syndromen angeboten werden. Die meisten
Suchtpatienten kennen klassische Antidepressiva wie Doxepin oder Amitriptylin
durch Entzugsbehandlungen. Eine Verstärkung der sedierenden Wirkung
zusammen mit Interferonen sowie ein erhöhtes Delirrisiko durch
anticholinerge Nebenwirkungen der Antidepressiva sind zu beachten. Amitriptylin
kann bei Wunsch nach sedierenden Eigenschaften eines Antidepressivums durch
Mirtazapin (Remergil®) gut ersetzt werden. Zudem sollten aufgrund der
besseren Leberverträglichkeit SSRI bevorzugt eingesetzt werden. Positive
Erfahrungen mit SSRI liegen kasuistisch, aber nicht belegt durch kontrollierte
Studien vor [35 39]. Die antidepressive Wirkung
kann bei allen Substanzen erst nach 6-8 Tagen erwartet werden. Patienten
neigen häufig zum Abbruch bei Erfolglosigkeit in den ersten Tagen und
sollten über die Wirklatenz aufgeklärt werden. Bei guter Wirkung kann
die Medikation während der weiteren Interferonbehandlung belassen werden.
Oft sind als Erhaltungstherapie nur geringe Dosierungen notwendig
[37]. Daten über mögliche Einflüsse
der Antidepressiva auf eine antivirale Therapie liegen aber bisher nicht vor.
Antidepressiva scheinen auch präventiv affektive Nebenwirkungen unter
IFN-α vermindern zu können. Musselmann und Kollegen
[40] zeigten kürzlich, dass unter einer
14-tägigen Vorbehandlung mit Paroxetin bei 40 Patienten mit malignem
Melanom vor adjuvanter low-dose IFN-α-Therapie signifikant weniger
Depressionen in den ersten 3 Behandlungsmonaten auftraten als in der
Kontrollgruppe (11 % vs. 45 %). Auch die Zahl der
Abbrüche aufgrund von Depressionen war mit 5 % in der
Paroxetin-Gruppe signifikant geringer als in der Kontrollgruppe
(35 %). Studien an Patienten mit chronischer Hepatitis C gibt es
bisher jedoch nicht.
Reizbarkeit und Suchtdruck: Zunächst sollte ein
Behandlungsversuch mit SSRI zur Reduktion der Reizbarkeit erfolgen.
Aggressivere Verhaltensweisen sprechen unter kontrollierten Bedingungen eher
auf vorübergehende Gaben von niederpotenten Neuroleptika oder
Benzodiazepinen (z. B. Lorazepam oder Diazepam) an. Auch Naltrexon
(Nemexin®) als partieller Opiatantagonist scheint einen Teil der über
Opiatrezeptoren verursachten Nebenwirkungen zu vermindern. Sowohl bei
Konzentrationsstörungen, hohem Suchtdruck, Impulsivität als auch bei
Aggressivität wurden Besserungen beschrieben [41].
Bei schwereren Depressionen mit nicht einzuschätzender
Suizidalität bzw. Veränderungen der Verhaltensweisen im Sinne einer
organischen Wesensänderung sowie bei deliranten Zuständen mit
Verwirrtheit sind Dosisreduktion oder Behandlungspausen oft nicht vermeidbar.
Stationär-psychiatrische Aufnahmen werden notwendig, wenn aufgrund der
Nebenwirkungen schwer kontrollierbare Situationen entstehen und wenn die
Fortführung der Therapie mit Interferonen aufgrund der guten
internistischen Response allgemein erwünscht ist.
Umgang mit Krisensituationen durch
Suchtrückfälle
Umgang mit Krisensituationen durch
Suchtrückfälle
Alkohol: Alkoholkonsum unter 10 g/Tag scheint bei fehlender
Zirrhose nicht grundsätzlich den Therapieerfolg zu gefährden
[42]. Alkoholmissbrauch sollte jedoch gerade bei
Suchtpatienten zu einer stationären Entgiftung oder zum Teilentzug
führen. Der Missbrauch von Alkohol während einer Interferonbehandlung
hat einen negativen Einfluss auf die Response und auf den Spontanverlauf
(Zirrhose, Leberzell-CA). Es konnten sogar Unterschiede in Subspezies des
Hepatitis-C-Virus bei Alkoholikern vs. Nicht-Alkoholikern gefunden werden, die
mit einer schlechteren Reaktion auf antivirale Mittel zusammenhängen
könnten [43].
Benzodiazepine und Tranquilizer: Auch ein Benzodiazepin-Missbrauch
sollte suchttherapeutisch (stationärer oder ambulanter Entzug) behandelt
werden. Der kontrollierte Einsatz von Benzodiazepinen ist ansonsten durchaus
als Krisenintervention in Einzelfällen bei psychiatrischen Nebenwirkungen
von IFN-α gerechtfertigt, da er bei akuten Unruhezuständen eine
rasche und zuverlässige Besserung des Allgemeinbefindens bringt.
Außer dem Abhängigkeitsrisiko, das im Einzelfall abzuwägen ist,
können Benzodiazepine zu einem Anstieg der Transaminasen führen mit
möglicher Fehldeutung als „HCV-Relapse”.
Beigebrauch von Cannabis: Der Beigebrauch von Cannabis ist allgemein
verbreitet, beeinflusst jedoch suchttherapeutisch die Durch- bzw.
Fortführung der Therapie nicht.
Beigebrauch oder Abusus von Heroin: Die bisherige Annahme, dass bei
intravenösen vorübergehenden Drogenrückfällen eine weitere
Therapie durch ein hohes Reinfektionsrisiko sinnlos und die
Interferonbehandlung in jedem Fall zu beenden wäre, konnte in einer
kürzlich erschienenen Studie weitgehend widerlegt werden
[44]. Somit ist hier im Einzelfall zu entscheiden, ob
eine erneute ambulante oder stationäre Entgiftung unter Fortsetzung der
Hepatitisbehandlung sinnvoll erscheint.
Fazit
Fazit
Entscheidend für die Compliance und die erfolgreiche Therapie
von Suchtpatienten sind eine hohe Motivation zur Therapie, ein weitgehend
stabiles soziales Umfeld, eine regelmäßige qualifizierte
suchtmedizinische Betreuung und eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit
während der Interferonbehandlung. Bisher zu allgemein aufgeführte
Kontraindikationen im psychiatrischen und Suchtbereich müssen neu
überdacht und genauer spezifiziert werden [45].
Vorschläge des Verfassers sind in Tab. [4]
zusammengefasst. Stabil eingestellte Psychosen und affektive Erkrankungen bei
Suchtpatienten stellen aus Sicht des Autors bei qualifizierter psychiatrischer
Mitbetreuung keine Kontraindikation für die Behandlung mit Interferonen
dar.
Tab. 4 Relative und absolute
psychiatrische Kontraindikationen für eine Behandlung mit IFN-α nach
Ansicht des
Autors
Relative psychiatrische
Kontraindikationen
|
- hoher aktueller
Suchtdruck |
-
oraler oder nasaler Beigebrauch illegaler
Drogen |
-
akute Depressionen mittel bis schwer |
- exazerbierte
Schizophrenien |
- exazerbierte
Drogenpsychosen |
- exazerbierte Angst- und
Panikstörungen |
- bekannt schlechte Compliance bei
Suchtbehandlung |
- kein fester Wohnsitz |
Absolute
Kontraindikationen
|
- akute
Suizidalität |
- exazerbierte
Persönlichkeitsstörungen |
- fortgesetzter intravenöser
Drogenkonsum |
- aktueller
Alkoholmissbrauch/Abhängigkeit |
- Zustände fehlender Einsichtsfähigkeit in die
Therapie |
-
Verwirrtheitszustände unklarere Ursache |
- organische
Wesensänderungen |
- Demenzen |