Suchttherapie 2002; 3(1): 29-34
DOI: 10.1055/s-2002-23532
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Abstinenzzuversicht und ihre Bedeutung für Therapieplanung und Prognose bei alkoholabhängigen Therapiewiederholern

Self-Efficacy Expectation in Maintaining Alcohol Abstinence of Therapy RepeatersSylvia Schneider, Roland Brenner, Wilma Funke, Dieter Garbe
  • 1Kliniken Wied
Further Information

Dr. Wilma Funke

Ltd. Psychologin der Kliniken Wied

Mühlental

57629 Wied

Email: wilma.funke@kliniken-wied.de

Publication History

Publication Date:
02 April 2002 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Hintergrund: Empirische Studien in der Rückfallforschung zum von Bandura geprägten Begriff der Selbstwirksamkeit belegen einen positiven Zusammenhang zwischen der alkoholbezogenen Selbstwirksamkeitserwartung und der Fähigkeit zur Suchtmittelabstinenz. Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist dieser Zusammenhang für alkoholabhängige Therapiewiederholer, die sich einer stationären Auffangbehandlung unterziehen. Methode: Die Abstinenzzuversicht wird mit dem von Körkel und Schindler entwickelten „Kurzfragebogen zur Abstinenzzuversicht” (KAZ-35) erfasst. Die Patient(inn)en (n = 76) bearbeiteten diesen Fragebogen jeweils zu Beginn und Ende der Behandlung. Drei und zwölf Monate nach Entlassung erfolgte eine katamnestische Befragung zur Abstinenz und zum Therapieerfolg. Ergebnisse: Die Ergebnisse zeigen, dass Therapiewiederholer trotz ihrer Rückfallerfahrung bereits eine hohe Abstinenzzuversicht zu Behandlungsbeginn aufweisen, die eine unrealistische Selbsteinschätzung widerspiegeln könnte. Die Gruppe der Abstinenten weist im Vergleich zu den Rückfälligen einen signifikant geringeren Anstieg der Abstinenzzuversicht in 3 von 4 Skalen vom Behandlungsbeginn zum -ende auf. Eine prognostische Bedeutung der Abstinenzzuversicht am Therapieende kann durch unsere Befunde nicht unterstützt werden. Schlussfolgerung: Es wird vorgeschlagen, die Validität des KAZ-35 hinsichtlich der Erfassung handlungsrelevanter Abstinenzzuversicht zu überprüfen bzw. interagierende Variablen zusätzlich zu erfassen. Die klinische Gruppe der Therapiewiederholer sollte in weiteren Studien untersucht werden, um Therapieplanung und Prognosegüte zu optimieren.

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Abstract

Background: The expectation of self-efficacy sensu Bandura has been proved to be a powerful cognitive variable in relapse prevention. This study examines the correlation between this specific concept and the process and outcome of treatment in patients who relapsed after a first inpatient tratment of their alcohol dependency (F10.2) and are now undergoing a specific inpatient relapse treatment program for therapy repeaters. Method: Expectation of self-efficacy is measured by the „Kurzfragebogen zur Abstinenzzuversicht” (KAZ-35; Körkel and Schindler, 2000) in n = 76 persons at the beginning and the end of treatment. At follow-ups after 3 and 12 months the persons are asked to report about their abstinence status and their view of therapy success. Results: Therapy repeaters show a high degree of self-efficacy expectation in withstanding alcohol related risk situations at the beginning of the intervention. This may be an unrealistic hope neglecting their previous experience of failure in staying abstinent. The subgroup of those who are abstinent at the time of the follow-ups show a significantly smaller increase in their confidence at the end of the intervention in 3 out of 4 subscales of the KAZ-35. There is no evidence of a prognostic value of expectation of self-efficacy for the follow-ups, neither at the beginning nor at the end of inpatient treatment. Conclusion: The validity of the KAZ-35 has to be proved as far as prediction of relapse behavior is concerned. The subgroup of therapy repeaters should have more attention in empirical therapy research to optimize intervention strategies and prediction of outcome.

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Hintergrund

In den letzten Jahren hat die Forschung zum Thema Rückfälligkeit stetig zugenommen und sich qualitativ weiterentwickelt [1]. In diesem Zusammenhang hat das auf der sozial-kognitiven Lerntheorie von Bandura [2] basierende Konzept der alkoholbezogenen Kompetenzerwartung an Bedeutung gewonnen, das die Auftretenswahrscheinlichkeit menschlichen Verhaltens in Abhängigkeit von den kognitiven Erwartungen der handelnden Person vorhersagt. Der von Bandura geprägte Begriff der Selbstwirksamkeitserwartung wird seit einigen Jahren auch im Bereich der Bewältigung von Suchtproblemen als ein zentrales Konstrukt angesehen [3]. Insbesondere die in der Praxis und Forschung viel beachteten sozial-kognitiven Rückfalltheorien [4] [5] integrieren das Konzept der Selbstwirksamkeitserwartung in ihre Modellannahmen und gehen davon aus, dass die erfolgreiche Bewältigung einer hochrisikorreichen Situation entscheidend davon abhängt, inwieweit ein Suchtmittelabhängiger von seinen Bewältigungskompetenzen überzeugt ist.

Nach DiClemente, Faihurst & Plotrowski [6] definiert sich die alkoholbezogene Selbstwirksamkeitserwartung bzw. Abstinenzzuversicht des Abhängigen durch seine Erwartung, mit dem Trinken aufhören, in Versuchungssituationen, dem erneuten Konsum widerstehen und nach einem kurzzeitigen Ausrutscher wieder zur Abstinenz zurückfinden zu können. Bislang konnten empirische Studien erste Belege dafür liefern, dass ein positiver Zusammenhang zwischen der Abstinenzzuversicht einer Person und anschließender Abstinenz existiert bzw. dass Patienten mit einer hohen Selbstwirksamkeitserwartung weniger schwere Rückfälle hatten [7 9].

Weitere Autoren beschäftigen sich mit der Entwicklung der Abstinenzzuversicht während einer stationären Entwöhnungsbehandlung und gehen von der Annahme aus, dass ein Anstieg der Abstinenzzuversicht von Behandlungsbeginn zum Behandlungsende gewissermaßen als Therapieeffekt zu erwarten ist. Rist und Watzl [10] überprüften die rückfallbezogenen Selbstwirksamkeitserwartungen von Alkoholikerinnen zu Beginn und Ende ihrer stationären Therapie und konnten einen Anstieg der Abstinenzzuversicht nachweisen. Schindler, Körkel, Grohe und Stern [11] konnten belegen, dass die Zuversicht ihrer Probanden, dem Trinken widerstehen zu können, während der Therapie situationsübergreifend ansteigt. Auch die Studie von Burling, Reilly, Moltzen und Ziff [12] betont die Bedeutung des Zuwachses an Abstinenzzuversicht während stationärer Behandlung. Ihren Ergebnissen zufolge lässt sich der Behandlungserfolg in Form poststationärer Abstinenz jedoch weniger aus den höheren Selbstwirksamkeitserwartungen am Therapieende als vielmehr aufgrund des Zuwachses an Selbstwirksamkeitserwartung im Behandlungsverlauf vorhersagen.

Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die Abstinenzzuversicht bei der besonderen Klientel der Therapiewiederholer zu untersuchen, um hieraus Hinweise für Therapieplanung und Prognose abzuleiten. Nach unserer Erfahrung stellt diese Patientengruppe aufgrund der vorhandenen Therapie- und Rückfallerfahrung besondere Anforderungen an die strategische Planung und psychodiagnostische Urteilsbildung der Psychotherapeuten. Auf dem Hintergrund der beschriebenen Ergebnisse der Rückfallforschung ist die erfolgreiche Bewältigung von Risikosituationen nicht allein von der Verfügbarkeit angemessener Verhaltensweisen und Problemlösestrategien abhängig. Vielmehr sollte eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung und Abstinenzzuversicht prognostisch günstige Auswirkungen haben.

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Hypothesen

In Anlehnung an die zentralen Aussagen der sozial-kognitiven Lerntheorie [2] formulieren wir in unserer ersten Hypothese die Erwartung, dass die Abstinenzzuversicht ein wichtiger Prädiktor für das spätere Verhalten in suchtspezifischen Risikosituationen darstellt:

Hypothese 1: Die Gruppe der später Abstinenten weist am Therapieende eine signifikant höhere Abstinenzzuversicht auf als die Gruppe der später Rückfälligen.

Ein zweiter Schwerpunkt unserer Fragestellung ist die Veränderung der Abstinenzzuversicht im Behandlungsverlauf. Ausgehend von unserer klinischen Erfahrung, dass Therapiewiederholer zu Behandlungsbeginn bereits eine hohe Abstinenzzuversicht aufweisen (unrealistische Selbsteinschätzung, „Zwangsoptimismus”), soll des Weiteren überprüft werden, inwiefern sich später abstinente Patient(inn)en von später rückfälligen Personen im Ausmaß der Veränderung der Abstinenzzuversicht im Behandlungsverlauf unterscheiden:

Hypothese 2: Die Gruppe der später Abstinenten unterscheidet sich signifikant von der Gruppe der später Rückfälligen im Ausmaß der Veränderung ihrer Abstinenzzuversicht im Therapieverlauf.

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Methode

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Therapieprogramm

Die von den Kliniken Wied speziell für Therapiewiederholer entwickelte Auffangbehandlung wird im Rahmen eines stark strukturierten Therapieplanes für Patient(inn)en angeboten, die nach einer erfolgreich abgeschlossenen (Erst-)Entwöhnungsmaßnahme innerhalb von bis zu drei Jahren vorwiegend aufgrund von Verhaltensdefiziten wieder rückfällig wurden. Wesentliche Bestandteile der Auffangbehandlung sind Bezugs- und Indikationsgruppentherapie, Einzelgespräche und Sozialberatung, Diagnostik, Ergo- und Bewegungstherapie, Angehörigenseminare sowie ärztliche Betreuung. Die Behandlungsdauer beträgt 6-10 Wochen. Ausgehend von der Annahme, dass diese Patient(inn)en aufgrund der vorangegangenen Entwöhnungsbehandlung über ein gewisses Maß an Krankheitsinformation und -verständnis verfügen, liegt der Schwerpunkt auf einer individuellen Rückfallanalyse auf der Grundlage der sozial-kognitiven Rückfalltheorien von Marlatt und Gordon [5] sowie von Annis [4]. Der Therapiefokus liegt daran anschließend auf dem Aufbau und Training förderlicher Verhaltensweisen zum Erkennen und Bewältigen von Risikosituationen. (Anm.: Eine ausführliche Beschreibung des Auffangprogramms kann unter der Korrespondenzadresse angefordert werden.)

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Erhebungsinstrumente und Durchführung

Zur Erfassung der Abstinenzzuversicht verwendeten wir den „Kurzfragebogen zur Abstinenzzuversicht” (KAZ-35) von Körkel und Schindler [13]. Als Weiterentwicklung des Situational Confidence Questionnaire [14] stellt der KAZ-35 das erste deutschsprachige, testtheoretisch geprüfte Messinstrument zur Erhebung der alkoholbezogenen Selbstwirksamkeitserwartungen dar. Mittels 35 Items wird auf 6-stufigen Ratingskalen (0 - 20 - 40 - 60 - 80 - 100 %) die Zuversichtserwartung erfasst, in bestimmten abstinenzgefährdenden Situationen dem Trinken widerstehen zu können. Die Items lassen sich vier faktorenanalytisch gewonnenen Dimensionen zuordnen: „unangenehme Gefühle” (NEG), „sozialer Druck” (SOZ), „Gedanken an das Austesten der eigenen Kontrollmöglichkeiten” (TST) und „angenehme Gefühle” (POS).

Jeweils zu Beginn und zum Ende der stationären Behandlung füllten alle beteiligten Patient(inn)en im Aufnahme- bzw. Abschlussgespräch diesen Fragebogen aus. Drei und zwölf Monate nach Entlassung wurden die Personen postalisch mittels Fragebogen hinsichtlich ihrer Abstinenz und anderer Therapieerfolgsmerkmale untersucht. Es wurden bis zu drei Erinnerungsschreiben versandt.

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Stichprobe

Die Gesamtstichprobe umfasst 76 konsekutiv aufgenommene Patient(inn)en mit der Erstdiagnose Alkoholabhängigkeit (ICD-10 F10.2), die in der Zeit von Dezember 1997 bis Februar 1999 eine Auffangbehandlung in den Kliniken Wied absolviert haben. Hierbei handelt es sich ausschließlich um rückfallerfahrene Patienten, die in ihrer Vorgeschichte mindestens eine stationäre Entwöhnungsbehandlung (im Sinne einer suchtspezifischen Rehabilitationsbehandlung) abgeschlossen hatten, wobei 45 % mehr als eine vorherige stationäre Entwöhnungsbehandlung aufwiesen. 62 % der Patienten sind Männer. Das Durchschnittsalter der Befragten lag bei 46 Jahren (Standardabweichung 6,25 Jahre). 48 % der Patienten waren bei Therapiebeginn allein stehend; die Arbeitslosenquote zu Beginn der Behandlung betrug 39 %. Die durchschnittliche Behandlungsdauer betrug 59 Tage (Standardabweichung 12,9 Tage).

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Auswertung

Alle Berechnungen wurden mit dem Statistikprogramm SPSS durchgeführt. Zur Überprüfung der Hypothesen wurden bei normalverteilten Rohwerten t-Tests gerechnet, bei deutlich von der Normalverteilung abweichenden Rohwertverteilungen wurden nonparametrische Verfahren (Wilcoxon- bzw. Mann-Whitney-U-Test) eingesetzt. Zur Berechnung der Test-Retest-Korrelationen wurde die Pearson-Produkt-Momentkorrelation berechnet. Als Prüfkriterium für Signifikanz wurde p < 0,05 zugrunde gelegt. Gemäß unserem Ziel, Aussagen über die Unterschiede der Abstinenzzuversicht von später Rückfälligen und später Abstinenten treffen zu können, bezogen wir uns ausschließlich auf Daten von gesichert abstinenten und rückfälligen Patienten, d. h., in die Berechnungen gingen lediglich die Antworter ein, nicht berücksichtigt wurden Nichtantworter, Verstorbene, unbekannt Verzogene (Kriterien der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie: DGSS 2; [15]).

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Ergebnisse

Tab. 1 Abstinenzzuversichtswerte am Ende der Behandlung (für Abstinente und Rückfällige nach 3 Monaten)
KAZ-SkalaAbstinenteRückfällige []
MSDnMSDnz-Wertedf
Skala NEG81,1220,312785,4311,2714-.1640
Skala SOZ93,5010,662793,3311,3314-.07740
Skala TST64,7235,562569,0038,7214-.6538
Skala POS90,7414,572791,67(16,11)14-.07440
NEG = unangenehme Gefühle; SOZ = sozialer Druck; TST = Austesten der eigenen Kontrollmöglichkeiten; POS = angenehme Gefühle; Mann-Whitney-U-Test; * signifikant = p < 0,05. Die abweichenden Stichprobengrößen basieren auf Fehl- bzw. unzureichenden Angaben der Probanden.
Tab. 2 Abstinenzzuversichtswerte am Ende der Behandlung (für Abstinente und Rückfällige nach 1 Jahr)
KAZ-SkalaAbstinenteRückfällige[]
MSDnMSDnz-Wertedf
Skala NEG79,5821,771986,3114,8113-.9431
Skala SOZ95,208,391993,1611,6313-.6031
Skala TST60,7834,841868,4636,1713-.5230
Skala POS91,0512,721995,1311,0213-1,1331
NEG = unangenehme Gefühle; SOZ = sozialer Druck; TST = Austesten der eigenen Kontrollmöglichkeiten; POS = angenehme Gefühle; Mann-Whitney-U-Test; * signifikant = p <0,05. Die abweichenden Stichprobengrößen basieren auf Fehl- bzw. unzureichenden Angaben der Probanden.

Für die gesamte Stichprobe von n = 76 lagen vollständig Erst- und Zweitmessungen mit dem KAZ-35 vor. Nach 3 Monaten sandten 42 ehemalige Patienten (55,3 % der Gesamtgruppe von n = 76 Personen), nach 1 Jahr 35 ehemalige Patienten (46,1 % der Gesamtgruppe von n = 76) den ausgefüllten Katamnesefragebogen zurück. Die in unserer ersten Hypothese formulierte Erwartung, dass signifikante Zusammenhänge zwischen der subjektiven Abstinenzzuversicht am Therapieende und späterer Abstinenz bestehen, konnte durch die Katamneseinformationen nicht bestätigt werden (siehe Tab. [1]). Die Einschätzung der Abstinenzzuversicht am Ende der Behandlung eignete sich weder zur Vorhersage der poststationären Abstinenz nach drei Monaten noch nach einem Jahr (siehe Tab. [2]). Auf drei der vier KAZ-Skalen ergab sich in der Gesamtstichprobe jedoch ein signifikanter Zuwachs der Abstinenzzuversicht („unangenehme Gefühle” NEG: z = -4,20; „sozialer Druck” SOZ: z = -3,61; „angenehme Gefühle”, POS: z = -2,32; Wilcoxon-Test, n = 76, df = 75) im Therapieverlauf. Hinsichtlich der Skala „Austesten der eigenen Kontrollmöglichkeiten” zeigte sich keine Veränderung der durchschnittlichen Abstinenzzuversicht zwischen Anfang und Ende der Behandlung (TST: z = -0,04; n = 76, df = 75). Die Test-Retest-Korrelationen ergaben durchweg signifikant positive Korrelationen für alle vier Subskalen (siehe Tab. [3]).

Die Gruppe der später Abstinenten zeigte hinsichtlich aller Skalen einen geringeren Zuwachs der Abstinenzzuversicht im Behandlungsverlauf gegenüber der Gruppe der später Rückfälligen. Betrachtet man die Befunde getrennt nach 3-Monats- und 1-Jahres-Katamnesen, so weisen die nach drei Monaten noch abstinent lebenden Patient(inn)en auf den Skalen „angenehme Gefühle” (POS) und „unangenehme Gefühle” (NEG) signifikant geringere Veränderungen im Therapieverlauf auf als die nach drei Monaten rückfälligen Patienten. Allerdings zeigte sich auch auf der Skala „sozialer Druck” (SOZ) die deutliche Tendenz einer geringeren Zunahme der Abstinenzzuversicht für die später Abstinenten. Die Skala „Austesten der eigenen Kontrollmöglichkeiten” (TST) wies für die nach drei Monaten Abstinenten ein tendenzielles Absinken der mittleren Abstinenzzuversicht auf (siehe Abb. [1]).

Die Ergebnisse der 1-Jahres-Katamnese zeigen nur noch für die Skala „angenehme Gefühle” (POS) eine signifikant unterschiedliche Veränderung: Die später Rückfälligen weisen einen höheren Zuwachs hinsichtlich dieser bereichsspezifischen Abstinenzzuversicht zwischen Beginn und Ende der Behandlung auf. Hinsichtlich der Skala „unangenehme Gefühle” (NEG) ergaben sich keine Unterschiede zwischen nach einem Jahr Abstinenten und Rückfälligen, während bezüglich der Skalen „sozialer Druck” (SOZ) und „Austesten eigener Kontrollmöglichkeiten” (TST) sich wie bei der 3-Monats- Katamnese Tendenzen einer geringeren Veränderung bei den abstinenten Patient(inn)en zeigten (siehe Abb. [2]).

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Diskussion

Die Ergebnisse unserer Untersuchung an alkoholabhängigen Therapiewiederholern bestätigen nicht die in der Literatur beschriebenen Befunde zu alkoholbezogenen Selbstwirksamkeitserwartungen bei Suchtmittelabhängigen. Zwar konnten auch wir einen Zuwachs der Abstinenzzuversicht im Behandlungsverlauf feststellen. Eine prognostische Bedeutung der Abstinenzzuversicht am Therapieende für die Befunde der Nachbefragung wurde jedoch nicht deutlich. Angesichts der Resultate der gegenwärtigen Prognoseforschung erscheint dieses Ergebnis jedoch nicht verwunderlich. Mehrere Untersuchungen [16] [17] weisen darauf hin, dass es vor allem soziale und nicht psychologische Faktoren sind, die einen Vorhersagewert für den katamnestischen Therapieerfolg besitzen. Auch Körkel und Lauer [1] betonen die Bedeutung der sozialen Unterstützung bzw. der vorhandenen sozialen Netzwerke als wesentlich für das poststationäre Rückfallrisiko. Es werden allerdings zu Recht die methodischen Unzulänglichkeiten mancher empirischer Studien zur Erfolgsprognose kritisiert [18]. Zwar basiert unsere Arbeit auf vollständigen Eingangs- und Ausgangsmessungen. Allerdings ist die Gesamtstichprobe relativ klein und die katamnestische Ausschöpfungsquote niedrig, so dass eine Replikation unserer Befunde an einer größeren Stichprobe erforderlich ist, bevor weitere Aussagen zu treffen sind. Die Studie von Cramer et al. [19] zeigt beispielsweise, dass sich die Gruppe der Therapiewiederholer in einigen soziodemografischen Merkmalen von anderen Patientengruppen unterscheidet durch einen höheren Frauenanteil, einen höheren formalen Bildungsgrad, eine niedrigere Arbeitslosenquote, aber auch durch eine deutlich geringere Abstinenzquote nach einem Jahr. Weitere Untersuchungen sind erforderlich, um anhand größerer Stichproben Differenzierungen vornehmen zu können.

Im Gegensatz zu den Ergebnissen von Burling et al. [12], wonach sich die später Abstinenten durch einen größeren Zuwachs an Abstinenzzuversicht im Behandlungsverlauf auszeichneten, unterschied sich in unserer Studie die Gruppe der später Abstinenten von der Gruppe der später Rückfälligen durch einen geringeren Anstieg der Abstinenzzuversicht vom Therapiebeginn zum -ende. Insbesondere hinsichtlich der Skala „angenehme Gefühle” (POS) als Risikobereich wies die Gruppe der später Abstinenten zu beiden Katamnesezeitpunkten einen signifikant geringeren Zuwachs im Behandlungsverlauf auf als die später Rückfälligen. Dieser Befund könnte als Beleg für die möglicherweise ausgeprägteren Selbstüberschätzungstendenzen der Rückfälligen gewertet werden.

Die Befunde zur Skala „Gedanken an das Austesten der eigenen Kontrollmöglichkeiten” (TST) scheinen uns von besonderem Interesse. Nur in diesem Bereich der Selbstwirksamkeitserwartung sank der mittlere Wert im Therapieverlauf ab. Hier spiegeln sich möglicherweise Effekte der therapeutischen Arbeit im Auffangprogramm wider. In der Behandlung Suchtmittelabhängiger wird oft deutlich, dass allein der Gedanke an das kontrollierte Trinken zwangsläufig zum Rückfall führe. Letztlich führt eine solche Einstellung jedoch zum Missverständnis der entsprechenden Fragen im KAZ-35. Es sollte bei der Instruktion zu dieser Skala stets nochmals mündlich darauf hingewiesen werden, dass es hier lediglich um die Einschätzung der Zuversicht geht, solche Gedanken an eigene Kontrollmöglichkeiten ohne Suchtmittelkonsum bewältigen zu können.

In Anbetracht der ohnehin schon hohen Abstinenzzuversichtswerte zu Behandlungsbeginn stellt sich in Anlehnung an Petry [18] die Frage, ob die wahrgenommene Rückfallgefährdung nicht erheblich durch eine suchtspezifische Bagatellisierungstendenz überlagert ist. Die zu Behandlungsbeginn beobachteten hohen Abstinenzzuversichtswerte führten uns zu der grundsätzlicheren Frage, ob dieser „Deckeneffekt” ein Resultat unserer besonderen Stichprobeselektion darstellt. Auch andere Autoren konnten in ihren Studien mit anderen Stichproben darauf hinweisen, dass Abhängige zu Selbstüberschätzungen bzw. unrealistischen Einschätzungen der eigenen Widerstehensfertigkeiten neigen [19] [11]. Möglicherweise stellt aber das Problem der Selbstüberschätzung eine besondere Schwierigkeit in der Behandlung von Therapiewiederholern dar. Plausibel ist daher die Annahme, dass andere Aspekte, wie z. B. „Hoffnung auf Erfolg”, „soziale Erwünschtheit” oder ein gewisser „Zwangsoptimismus”, in die Beantwortung des KAZ-35 mit eingeflossen sind. Letztlich stellt sich dann die Frage, ob der KAZ-35 unabhängig von der Stichprobe dazu geeignet ist, die Abstinenzzuversicht im Sinne einer Selbstwirksamkeitserwartung zu erfassen.

Ohne entsprechende Kontrollinstrumente lässt sich der Einfluss der oben beschriebenen Antworttendenzen nur schwer abschätzen. In der klinischen Arbeit liefern hohe Ausprägungen bezüglich der KAZ-Skalen jedoch gutes Material für die Konfrontation der Patient(inn)en im Hinblick auf eine mögliche Unterschätzung des Rückfallrisikos. Weitere differenzierende empirische Untersuchungen zur Beschreibung und Vorhersage des Behandlungserfolgs bei Therapiewiederholern sind wünschenswert.

Tab. 3 Test-Retest-Korrelationen für die vier Unterskalen des KAZ-35 zu Therapiebeginn und Therapieende
KAZ-Skalarnp[]
Skala NEG0,49760,000*
Skala SOZ0,37760,002*
Skala TST0,38760,002*
Skala POS0,29760,014*
NEG = unangenehme Gefühle; SOZ = sozialer Druck; TST = Austesten der eigenen Kontrollmöglichkeiten; POS = angenehme Gefühle; r = Produkt-Moment-Korrelationskoeffizient; * signifikant = p < 0,05
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Danksagung

Wir danken Herrn Dipl.-Psych. Joachim Hoecker für die Unterstützung bei der statistischen Auswertung unserer Ergebnisse.

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Abb. 1 Veränderung der Abstinenzzuversicht im Mittelwert bei Abstinenten und Rückfälligen (3-Mo-Katamnese).
NEG = unangenehme Gefühle; SOZ = sozialer Druck; TST = Austesten der eigenen Kontrollmöglichkeiten; POS = angenehme Gefühle; * signifikant = p < 0,05

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Abb. 2 Veränderung der Abstinenzzuversicht im Mittelwert bei Abstinenten und Rückfälligen (1-Jahres-Katamnese).
NEG = unangenehme Gefühle; SOZ = sozialer Druck; TST = Austesten der eigenen Kontrollmöglichkeiten; POS = angenehme Gefühle;* signifikant = p < 0,05

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Literatur

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Dr. Wilma Funke

Ltd. Psychologin der Kliniken Wied

Mühlental

57629 Wied

Email: wilma.funke@kliniken-wied.de

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  • 18 Petry J. Behandlungsmotivation. Grundlagen und Anwendungen in der Suchttherapie. Weinheim; Psychologie Verlags-Union 1993
  • 19 Cramer T, Funke W, Garbe D. Selektive Indikation für Entwöhnungsprogramme: Empirische Überprüfung einer Realität. Fachverband Sucht e.V Rehabilitation Suchtkranker - mehr als Psychotherapie Geesthacht; Neuland 2001: 354-362
  • 20 Mayer J E, Koenigsmark C PS. Self efficacy, relapse and the possibility of posttreatment denial as a stage in alcoholism.  Alcoholism Treatment Quarterly. 1991;  8 1-16

Dr. Wilma Funke

Ltd. Psychologin der Kliniken Wied

Mühlental

57629 Wied

Email: wilma.funke@kliniken-wied.de

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Abb. 1 Veränderung der Abstinenzzuversicht im Mittelwert bei Abstinenten und Rückfälligen (3-Mo-Katamnese).
NEG = unangenehme Gefühle; SOZ = sozialer Druck; TST = Austesten der eigenen Kontrollmöglichkeiten; POS = angenehme Gefühle; * signifikant = p < 0,05

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Abb. 2 Veränderung der Abstinenzzuversicht im Mittelwert bei Abstinenten und Rückfälligen (1-Jahres-Katamnese).
NEG = unangenehme Gefühle; SOZ = sozialer Druck; TST = Austesten der eigenen Kontrollmöglichkeiten; POS = angenehme Gefühle;* signifikant = p < 0,05