Suchttherapie 2002; 3(1): 26-28
DOI: 10.1055/s-2002-23528
Kasuisitik
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Problem Kokainabhängigkeit

Problem Cocaine DependenceJochen Brack1 , Wolf Rößler2
  • 1Abteilung für Abhängigkeitserkrankungen
  • 2Klinikum Nord/Ochsenzoll Hamburg
Further Information

Dr. Jochen Brack

Klinikum Nord VII. Abteilung für Psychatrie und Psychotherapie, Klinisches Fachzentrum für Drogenabhängigkeit

22419 Hamburg

Email: ejbrack@freenet.de

Publication History

Publication Date:
02 April 2002 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Es wird über einen Patienten berichtet, der vorranging unter einer Kokainabhängigkeit leidet, die in engem Zusammenhang mit seiner Persönlichkeitsstruktur zu sehen ist.

Die psychiatrische Behandlung konzentriert sich auf haltgebende Elemente, unter Akzeptanz des Patienten und auf eine pharmakologische Behandlung mit Antidepressiva. Das ausgeprägte Craving nach erneuter Kokainzufuhr stellt sich als ungelöstes Problem dar.

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Abstract

fehlt  

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Einleitung

Der Konsum von Kokain hat in den letzten Jahren enorm zugenommen. Bei den von uns stationär behandelten heroinabhängigen Patienten konsumiert der größte Teil zusätzlich Kokain. Zunehmend kommen auch Patienten zur Aufnahme, die als Hauptdroge Kokain konsumieren und Heroin nur, um von dem Kokain wieder „herunterzukommen”.

Im Jahre 2000 konsumierten von den 1300 bei uns stationär behandelten Patienten 67 % Kokain, davon immerhin 49 % täglich. Der Hauptteil der Patienten (80 %) führte sich das Kokain intravenös zu, 16 % inhalativ und der Rest ausschließlich nasal.

Die Behandlung von kokainabhängigen Patienten stellt sich häufig als ein unlösbares Problem dar. Zum einen gibt es keine befriedigenden pharmakologischen Antworten, insbesondere was das ausgeprägte Craving nach Kokain angeht, zum anderen scheinen diese Patienten für längerfristige therapeutische Angebote schwerer erreichbar zu sein.

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Kasuistik

Die erstmalige Aufnahme in unserer suchtpsychiatrischen Abteilung erfolgte im Jahre 2000 als Verlegung aus einer allgemeinpsychiatrischen Abteilung. Der Patient war dort im Rahmen eines depressiven Syndroms mit akuter Suizidalität stationär behandelt worden, vor dem Hintergrund einer Kokainabhängigkeit.

Bis zum Ende des darauf folgenden Jahres erfolgten fünf weitere Aufnahmen in unserer Abteilung, einmal aufgrund des schlechten körperlichen Zustandes, weitere Male bei akuter Suizidalität. Der Patient wurde 1965 in Chile geboren und wuchs mit drei Schwestern, die eine jünger und die anderen älter, bei den leiblichen Eltern auf. Im März 1973 starb der Vater des Patienten an einem Herzinfarkt, im gleichen Jahr erfolgte die Verhaftung der Mutter infolge des Putsches in Chile. 1975 floh die Mutter gemeinsam mit ihren Kindern nach Deutschland. Der Patient begann nach dem Abitur ein Medizin-Studium, scheiterte jedoch bisher am Physikum. Er verdiente Geld mit Assistenzarbeiten bei Operationen in einer orthopädischen Klinik, war dort auch mit einem Assistenzarzt befreundet, der später Suizid beging. 1982 wurde seine Tochter geboren. Die Mutter des Kindes, von der der Patient mittlerweile getrennt lebt, ist drogenabhängig. In der Familie des Patienten kommen keine Suchterkrankungen vor. Das Kind lebt aktuell bei der Mutter des Patienten, da er selbst aufgrund des exzessiven Kokainkonsums nicht mehr dazu imstande gewesen war, sie zu versorgen. Bei Erstaufnahme konsumierte der Patient durchschnittlich ein Gramm Kokain pro Tag, in erster Linie nasal. Das Konsummuster änderte sich im Verlauf der Aufenthalte. Den ersten Kontakt mit Kokain hatte der Patient mit 21 Jahren, wobei er zunächst nasal konsumierte. Regelmäßig Kokain konsumiert er seit seinem 34. Lebensjahr, wobei hier auch erstmals ein intravenöser Konsum stattfand. Die Begründung für den intravenösen Konsum findet sich nach den Aussagen des Patienten in der größeren Wirksamkeit und vor allem Intensität unmittelbar nach der Applikation. Der „Kick” sei unbeschreiblich. Das Ganze sei „wie ein Orgasmus im Kopf”, alles „sei so unheimlich klar”. Man sei selbstbewusst und selbstsicher, das Persönlichkeitsgefühl sei insgesamt gehoben. Der Patient berichtete weiter, dass er nach Kokain ein anderes Verlangen verspüre als nach anderen Substanzen. Der Druck, erneut zu konsumieren, sei stärker als bei anderen Substanzen und trete im Übrigen schon kurz nach der Einnahme erneut auf.

Als Grund für seinen Kokainkonsum gab der Patient eine Erhöhung seiner Leistungsfähigkeit an, die ihm dazu verholfen habe, zumindest zu Beginn, alles besser bewerkstelligen zu können. Er habe gehofft, damit sein Studium, seine Arbeit neben dem Studium und die Versorgung seiner Tochter besser bewältigen zu können. Außerdem habe er eine höhere Alkoholtoleranz gehabt und habe weniger die sedierende Wirkung des Alkohols verspürt.

Heroin hatte der Patient vor seinem ersten Aufenthalt einmal mit 19 Jahren nasal probiert. Cannabis konsumierte er regelmäßig seit seinem 18. Lebensjahr. Einen regelmäßigen Alkoholkonsum betreibt der Patient seit seinem 15. Lebensjahr, zum Zeitpunkt der Erstaufnahme trank er etwa zehn Liter Bier täglich. Die zweite Aufnahme in unserer Klinik erfolgte etwa zweieinhalb Monate später, diesmal als eine Direktaufnahme nach vorheriger Anmeldung. Der Patient berichtete, nach der Entlassung rasch wieder Kokain konsumiert zu haben, etwa zwei- bis dreimal pro Woche ca. ein Gramm intravenös. Hinzugekommen war außerdem der etwa zweimal wöchentliche Konsum von ca. 1/10 g Heroin i. v. Außerdem konsumierte er weiterhin etwa zehn Liter Bier pro Tag.

Psychopathologisch ergaben sich bei den jeweiligen Aufnahmen die folgenden Auffälligkeiten: Die Stimmung war depressiv herabgesenkt, von Verzweiflung, Selbstvorwürfen, Perspektivlosigkeit und Schlaflosigkeit geprägt. Das formale Denken war sprunghaft und weitschweifig, eine Konzentrationsminderung fiel ebenfalls auf. Es zeigte sich immer wieder eine psychomotorische Unruhe mit ungerichtet gesteigertem Antriebsverhalten. Der Patient berichtete über Affektlabilität und zeigte teilweise aggressives Verhalten. Eine Störung des Ich-Erlebens, inhaltliche Denk- oder Wahrnehmungsstörungen waren nicht feststellbar.

In den Verläufen zeigte sich vorrangig eine schwere depressive Verstimmung, die wir auch als eine psychische Entzugssymptomatik vom Kokain werteten. Aus diesem Grunde verabreichten wir zunächst das Antidepressivum Mianserin in einer Dosierung von 60 mg täglich, was jedoch nicht den gewünschten Effekt der Stimmungsaufhellung erreichte, so dass auf 20 mg Citalopram umgestellt wurde. Relativ rasch kam es dann zu einer Stimmungsaufhellung sowie einer Normalisierung des Antriebs. Bei einer anderen stationären Aufnahme behandelten wir ebenfalls mit gutem Erfolg mit Amitriptylin. Bei einer weiteren stationären Aufnahme zeigte sich eine deutliche Entzugssymptomatik von Alkohol und Heroin, die mit Hilfe von Distraneurin und Methadon in ausschleichender Dosierung behandelt werden musste. Gleichzeitig nahm der Patient regelmäßig an einem auf unseren Stationen vorgehaltenen Akupunkturangebot teil und konnte davon profitieren. Er empfand die Akupunkturbehandlung, die täglich erfolgte, als „innerlich beruhigend” und den Hunger nach Kokain deutlich dämpfend. Immer wieder berichtete er über ein ausgeprägtes Craving nach erneuter Kokainzufuhr und meinte, das Kokain im Mund schmecken zu können.

Die Entlassungen erfolgten jeweils nicht regulär, sondern waren entweder Behandlungsabbrüche oder disziplinarische Entlassungen, da sich der Patient nicht an die Regeln der Station hielt. An seiner sozialen Situation änderte sich nichts, ebenso wenig wie an der Situation seiner Tochter. Bei den nächsten Aufenthalten war ein Rückgang des Heroin-Konsums zu beobachten, der Konsum von Kokain stand wieder im Vordergrund. Das Kokain konsumierte der Patient im Verlauf jedoch nicht mehr intravenös, sondern nur noch nasal. Schließlich gelang es, den Patienten zu einer stationären Langzeitentwöhnungsbehandlung zu motivieren. In Absprache mit dem Jugendamt und der die Tochter behandelnden kinderpsychiatrischen Klinik wurde als Perspektive eine gemeinsame stationäre Langzeittherapie erarbeitet. Am Abend vor der Verlegung wurde der Patient jedoch mit Alkohol rückfällig, leugnete dies aber und schob seine Atemalkoholkonzentration auf ein „Speiseeis”.

Die Aufnahme in der therapeutischen Einrichtung mit seiner Tochter erfolgte dennoch. Noch am gleichen Tag musste die Entlassung erfolgen, da sich der Patient nicht auf die Hausordnung einlassen konnte oder wollte. Später schließlich gelang es dem Patienten, eine dreimonatige Kurzzeittherapie zu absolvieren. Er wurde jedoch kurz nach dem Abschluss der Behandlung erneut mit Kokain rückfällig. Bei Betrachtung der stationären Aufenthalte wurde bei dem Patienten eine narzisstische Problematik sehr deutlich, die ihn immer wieder nach Überwinden der jeweilige Krisen bei Aufnahme als Co-Therapeuten in den Stationsgruppen auftreten ließ. Seine Rückfälle mit Kokain und/oder Alkohol bei den stationären Aufenthalten leugnete er über lange Strecken und es gelang ihm nur sehr schwer, sich damit in Zusammenhang zu bringen bzw. sich damit auseinander zu setzen.

Bei der körperlichen Untersuchung zeigten sich Injektionsstellen und Hämatome in beiden Ellenbeugen und an beiden Unterarmen, auf dem linken Arm ein beginnender Abszess. Röntgen-Thorax und das EKG waren ohne pathologischen Befund. Serologisch zeigte sich eine Immunität gegen Hepatitis B, für Hepatitis A und C ergab sich kein Anhaltspunkt. TPHA und HIV waren ebenfalls negativ. Ebenso ergab die übrige Laborroutine keinen richtungweisenden Befund.

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Diskussion

Bei dem Patienten zeigte sich bei den jeweiligen Aufnahmen eine ausgeprägte depressive Symptomatik, die einherging mit Suizidalität und einem Suizidversuch. Durch eine konsequente psychiatrische Krisenintervention unter Einbeziehung einer pharmakologischen Behandlung gelang es jeweils, den Patienten psychisch zu stabilisieren. Die Gabe von Antidepressiva stellte eine große Hilfe für den Patienten dar.

Die psychiatrische Behandlung muss zu Beginn den Schwerpunkt haben, den Patienten in der stationären Behandlung zu halten. Zusätzlich können bei Kokainabhängigen niederpotente Neuroleptika und in zugespitzten Situationen (ausgeprägtes Craving oder ausgeprägte psychomotorische Unruhe) auch Benzodiazepine zum Einsatz kommen.

Anti-Craving-Substanzen oder der Einsatz von Ritalin als Substitution bei Kokainabhängigen hat sich nach unseren Erfahrungen nicht bewährt und hat nicht zur Minderung des „Suchtdruckes” geführt.

Des Weiteren ist ein engmaschiger therapeutischer Kontakt zu den kokainabhängigen Patienten notwendig. In dem vorliegendem Fall geht der Konsum des Kokains eng mit der bestehenden Selbstwertproblematik und dem hohen Leistungsdruck, unter den sich der Patient setzt, einher. Die intravenöse Konsumform des Kokains stellte sich auch bei diesem Patienten als problematisch dar. Hieraus resultierten die entsprechenden Abszessbildungen. Durch die lokalanästhetische Wirkung des Kokains bemerken die Konsumenten nicht, dass sie sich ins Gewebe injizieren und nicht in die Vene. Die vorbehaltlosen erneuten Aufnahmen des Patienten bzw. seine Akzeptanz durch das Stationsteam war für ihn und sein Fortkommen von entscheidender Wichtigkeit. Häufige stationäre Aufnahmen können wie in der vorliegenden Kasuistik dazu führen, dass auf eine unproblematischere Konsumform (nasal) umgestiegen wird und sich eine weitergehende Motivation mit dem Patienten erarbeiten lässt.

Dr. Jochen Brack

Klinikum Nord VII. Abteilung für Psychatrie und Psychotherapie, Klinisches Fachzentrum für Drogenabhängigkeit

22419 Hamburg

Email: ejbrack@freenet.de

Dr. Jochen Brack

Klinikum Nord VII. Abteilung für Psychatrie und Psychotherapie, Klinisches Fachzentrum für Drogenabhängigkeit

22419 Hamburg

Email: ejbrack@freenet.de