Einleitung
Einleitung
Zur Zeit der Wende zum 20. Jahrhundert waren an vielen deutschen Universitäten Bestrebungen
im Gange, selbständige Polikliniken und Kliniken der Dermatologie zu errichten. Einige
Vorläufer hatten sich bereits Ende des 19. Jahrhunderts, zum Beispiel in Berlin, Breslau,
München und Würzburg etabliert [1]. Das mecklenburgische Ministerium in Schwerin tat sich jedoch auf den Rostocker
Antrag von 1900 recht schwer, indem erst nach langem Tauziehen am 21. 1. 1902 die
Genehmigung zur Errichtung einer Poliklinik für Haut- und Geschlechtskrankheiten als
Universitätsinstitut unter der Leitung eines außerordentlichen Professors für Dermatologie
erteilt wurde [2]. Der Lehrstuhl, der neunte in Deutschland, wurde mit dem bekannten Kliniker und
Forscher Maximilian Wolters aus Bonn besetzt. Die erste am 24. 4. 1902 [2] übergebene Hautklinik war zunächst in der räumlichen und materiellen Ausstattung
recht dürftig. Wolters gelang es aber, innerhalb kurzer Zeit die Bedingungen deutlich
zu verbessern und die Klinik räumlich zu erweitern.
Im Laufe der nun vergangenen hundert Jahre hatte die Klinik bis heute mit großen baulichen
Schwierigkeiten zu kämpfen. Es gelang Wolters und der medizinischen Fakultät, den
Neubau einer Hautklinik (Abb. [1]), die am 1. 10. 1908 eingeweiht wurde, zu erwirken. Dieser Bau war durchaus architektonisch
ansprechend im für Kliniken typischen Zeitstil errichtet worden. Mit der Erweiterung
1926 und 1930 durch Professor Frieboes verfügte Rostock über eine für die damalige
Zeit recht moderne Hautklinik. Doch der Zweite Weltkrieg, durch den die Klinik und
Poliklinik am 24. 4. 1942 vollständig zerstört wurde, bedeutete zunächst einmal das
Ende der Klinik und den Beginn von Provisorien. Der vorläufige Höhepunkt in der provisorischen
Einrichtung einer Hautklinik bis zu einem geplanten, aber nie realisierten Neubau
war dann am 28. 5. 1954 die Übergabe eines Poliklinikneubaus in einer Kriegslücke
zwischen den als Bettenstationen dienenden Wohnhäusern in der Augustenstraße. Dieser
Standort ist heute noch der Stammsitz der Klinik und Poliklinik, wenn auch die Bettenstationen
inzwischen verlagert wurden.
Abb. 1 Die erste, später erweiterte und im Krieg zerstörte Universitäts-Hautklinik in Rostock.
Betrachtung zur baulichen Gestaltung der Klinik
Betrachtung zur baulichen Gestaltung der Klinik
Vorwiegend bestehen neben Laienfotos auch solche, die von Meistern der Fotografie
angefertigt wurden. Leider sind Bilder von der 1942 zerstörten Klinik nur noch in
Reproduktionen vorhanden. Von dem nach der Lückenbebauung in den 50er Jahren geschaffenen
Ensemble der Klinik in der Augustenstraße 80-85 liegen noch mehrere Detail- und Übersichtsaufnahmen
vor. Bei der einzigen Gesamtaufnahme handelt es sich allerdings um eine Fotomontage
(Abb. [2]), da sich aufgrund der engen Straßenverhältnisse das Klinikgebäude nicht günstig
im gesamten Ausmaß fotografieren lässt. Bei dieser Übersicht fällt die gelungene Einbeziehung
der seitlichen Wohnhäuser in das Gesamtensemble auf, obgleich aus ökonomischen Gründen
wesentliche Änderungen nicht vorgenommen werden konnten. Durch die etwa gleiche Höhe
der Seitengebäude und durch die Anpassung des Neubaus an das links sich anschließende
alte Gebäude entstand scheinbar ein einheitliches Ensemble, das durch den Eingangsbereich
eine stark betonte Mittelgliederung erhielt. Neben der gelungenen Einbeziehung der
seitlichen Wohnhäuser fällt die im architektonischen Stil der 50er Jahre des vergangenen
Jahrhunderts gut und funktional gestaltete Fassade auf (entwerfender Architekt: Prof.
Matthias Schubert, geb. 1928). Die Schaffung dieses einheitlichen äußeren Bildes ist
umso erstaunlicher, als im Inneren vier verschiedene Etagenniveaus bestehen, die über
Treppen verbunden sind und der dreigeschossige Neubau mit dem zweigeschossigen alten
Wohnhaus verbunden werden musste.
Abb. 2 Fotomontage einer Gesamtansicht der Anfang der 50er Jahre des vergangenen Jahrhunderts
durch Lückenbebauung geschaffenen Universitäts-Klinik und Poliklinik für Hautkrankheiten.
Dieser einheitliche Aspekt ist heute etwas verlorengegangen, da das rechts außen stehende,
früher nur angemietete Gebäude, wegen Baufälligkeit nicht mehr genutzt werden konnte,
vom Besitzer inzwischen rekonstruiert wurde und nunmehr als Caritas-Zentrum dient.
Die noch von der Hautklinik genutzten Gebäude bedürfen äußerlich auch einer dringenden
Renovierung, was aber in Anbetracht einer geplanten Aufgabe des Standortes Augustenstraße
in dieser Weise nicht realisiert werden wird.
Fotografische Detailaufnahmen (Abb. [3]) beziehen sich auf den architektonisch am besten gelungenen Mittelteil, der durch
den Anbau eines behindertengerechten Zuganges jedoch heute etwas von seiner Harmonie
verloren hat.
Abb. 3 Detailaufnahme des schlicht und sachlich gestalteten Eingangsbereiches.
Im Gegensatz dazu bietet die Rückfront der Klinik (Abb. [4]) bis auf ein über drei Etagen reichendes Treppenhausfenster keine interessanten
Aspekte. Hier vermitteln die baulichen Bedingungen einen eher ungeordneten Eindruck.
Gleiches trifft auch für die Umgebung der Klinik zu, die durch Altbauten und neue
Lücken- bzw. Abrissbebauungen geprägt ist.
Abb. 4 Die Rückfront offenbart das Einbeziehen unterschiedlicher Häuser aus verschiedenen
Bauepochen. Die beiden rechten Häuser stammen aus der Erstbebauung des Stadtteils
gegen Ende des 19. Jahrhunderts.
Von besonderem Interesse ist aber, dass gerade diese scheinbar bauliche und räumliche
Unordnung Maler und Grafiker besonders inspirierte, von denen uns jedoch keine Darstellungen
der attraktiveren Vorderfront vorliegen.
Zur Veranschaulichung sollen zwei Beispiele künstlerischer Umsetzung herausgegriffen
werden.
Aus Anlass des 60. Geburtstages des damaligen Klinikdirektors Prof. Heinz Flegel im
Jahre 1983 hatten die Assistenten der Klinik den in Rostock bekannten Wissenschaftler
und Maler Lothar Kalbe (Dr. rer. nat. Lothar Kalbe, geb. 12. 2. 1927, wissenschaftlicher
Assistent am Institut für allgemeine Hygiene von 1957 - 1992) gebeten, ein Bild von
der Klinik zu malen. Das dann fertiggestellte Werk (Abb. [5]) verblüffte allgemein, indem es den baulich chaotischsten Bereich der Klinik beinhaltete.
Unter besonderer Betonung eines ohnehin störenden Schornsteins (siehe aktuelles Foto,
Abb. [6]) sind hier von der Rückseite die Gebäude aus den verschiedensten Bauepochen dargestellt.
Einmal handelt es sich um das Eckwohnhaus aus dem Ende des 19. Jahrhunderts mit dem
sich anschließenden ebenfalls rekonstruierten Gebäude, zum anderen um den 1952/53
erweiterten Flachbau des Hörsaals. Dieses Bild ist eigentlich recht dazu angetan,
den provisorischen Charakter der Verschmelzung unterschiedlicher Häuser als Notlösung
für den weiteren Klinik- und Lehrbetrieb zu demonstrieren.
Abb. 5 Ölgemälde (Original 32 × 32 cm) der Rückfront der Klinik mit Hörsaal von Lothar Kalbe
(aus dem Besitz des früheren Klinikdirektors Prof. Dr. H. Flegel).
Abb. 6 Fotografische Aufnahme des aktuellen Zustandes; im Hintergrund das ursprüngliche Wohnhaus
aus dem 19. Jahrhundert.
Noch auffallender ist die spontane Umsetzung der Eindrücke im Bereich der Klinik durch
den bekannten Illustrator Werner Schinko während seines Aufenthaltes in der Klinik
im Jahre 1976/77. Der 1929 geborene Werner Schinko, der 1951 bis 1955 an der Hochschule
für bildende und angewandte Kunst in Berlin-Weißensee studierte und seit vielen Jahrzehnten
in Röbel in Mecklenburg sesshaft ist, gehört zu den gegenwärtig führenden Buchgrafikern
und Illustratoren. Die Gebäude der Klinik müssen den Künstler so wenig inspiriert
haben, dass sich unter den vielen angefertigten Zeichnungen keine befindet, die eine
Ansicht der Klinik selbst zeigt. Die Darstellungen von Werner Schinko lassen dagegen
den ungeordneten baulichen Zustand im Umfeld der Klinik erkennen (Abb. [7] u. [8]). Daneben zeigt er aber auch im Blick aus dem Fenster (Abb. [9]) das 24-geschossige Wohnhochhaus, das Ende 1969 praktisch im Garten der Klinik unter
Abriss von Nebengebäuden entstanden war und das das erste Gebäude des geplanten sozialistischen
Rostocker Stadtzentrums sein sollte. Der für die Klinik bedrückende Aspekt lässt sich
anhand dieser Zeichnung sehr gut nachempfinden. Der Zustand der Klinik selbst hat
den Künstler offensichtlich nicht zu weiteren Darstellungen animiert.
Abb. 7 Zeichnung aus dem Skizzenbuch des Grafikers Werner Schinko aus dem Jahre 1976 vom
Gartenbereich der Klinik.
Abb. 8 wie Abb. 7, Blick auf die Marienkirche.
Abb. 9 Skizze von W. Schinko mit der Bezeichnung „Mein Fensterplatz”; erdrückender Eindruck
eines auf dem Gelände der Klinik neu gebauten Wohnhochhauses.
Klinikimpressionen eines Künstlers
Klinikimpressionen eines Künstlers
Werner Schinko verdanken wir aber auch eine Reihe von Skizzenblättern vom Stationsalltag,
die durchaus die Sicht der Patienten wiedergeben. Sicher bedeutete dieses Skizzieren
für den Künstler auch eine gewisse Ablenkung bzw. Befreiung von eigenen gesundheitlichen
Problemen. So schreibt er selbst an einen Freund: „Das Milieu…, in dem ich mich seit
vier Wochen befinde, ist auch nur mit Sinn für das Drastische zu ertragen. Wer nie
eine Hautstation von innen sah, denkt, wenn er die Gestalten der Patienten in ihrer
Aufmachung sieht, unwillkürlich an den ,Chor der Gefangenen' in einer überrealistischen
Inszenierung”; und an anderer Stelle „geschrieben mit Teerpfoten in Plaste gehüllt
auf einem Bett der Station V” (zitiert bei [3]). Doch gerade diese „Teerpfoten” haben für eine Hautstation charakteristische Bilder
hervorgebracht, wie zum Beispiel den Mann mit dem Kopfverband (Abb. [10]). In mehreren Zeichnungen offenbart sich aber auch ein gewisses Ausgeliefertsein
dem medizinischen Personal gegenüber. Nur so ist die Darstellung der selbstbewussten
Haltung der Ärztin am Krankenbett (Abb. [11]) oder die des untersuchenden Arztes am Patienten (Abb. [12]) zu verstehen. Die in der Dermatologie notwendige Ganzkörperuntersuchung führt aber
auch offensichtlich zu gewissen gedanklichen Aversionen, die letztlich auch in der
Darstellung von Patient und untersuchendem Arzt ihren Ausdruck finden. Hier wird schließlich
gezeigt, dass sich hinter der allmächtigen Respektperson des Arztes unter dem schützenden
Kittel auch nur ein Mensch verbirgt (Abb. [12]). Die oftmals gedrückte Stimmung eines Hautpatienten wird indirekt über den unnahbaren
Gesichtsausdruck der behandelnden Ärzte übertragen.
Abb. 10 Der Mann mit dem Kopfverband; aus dem Skizzenbuch von W. Schinko.
Abb. 11 Ärztin am Krankenbett; Skizze von W. Schinko.
Abb. 12 Die Untersuchung des Hautpatienten; Radierung von W. Schinko.
Mittlerweile sind seit der Schaffung dieser Skizzen zwar 25 Jahre, ein Viertel der
Gesamtzeit des Klinikjubiläums, vergangen, doch dürfte diese Einstellung der Hautpatienten
auch heute im Wesentlichen noch unverändert sein. Hautkrankheiten werden von Betroffenen
emotional oftmals schwer verarbeitet. In diese Situation muss sich der Hautarzt hineinversetzen.
Die Moulagensammlung
Die Moulagensammlung
Die Betrachtung zur Kunst in der Rostocker Universitäts-Hautklinik wäre unvollständig,
wenn man nicht auch die historische Moulagensammlung erwähnen würde. Der Grundstein
dafür wurde von Professor Wolters mit der Gründung der Klinik gelegt. Durch die Kunstfertigkeit
der Moulageure wurden Meisterwerke geschaffen, die für die damalige Zeit einen sehr
hohen Stellenwert als Anschauungsmaterial in der Lehre und für Verlaufsbeobachtungen
von Hautkrankheiten [4] hatten.
In Rostock lag die Herstellung der Moulagen zuerst in den Händen von Fräulein Auguste
Kaltschmidt und später von Herrn Kurt Krug. Diese beiden schufen mit enormem Fleiß
schließlich eine Sammlung von etwa 3000 Moulagen [5]. Leider wurde diese Sammlung im Zweiten Weltkrieg 1942 mit der Klinik fast vollständig
zerstört. Lediglich 34 der künstlerisch wertvollen Moulagen konnten bis zum heutigen
Zeitpunkt gerettet werden [6]. Aus ihnen lassen sich einerseits gewisse Wandlungen bei den Krankheitsbildern ablesen,
andererseits ist manches Krankheitsbild aus heutiger Sicht neu zu klassifizieren,
da inzwischen neue Krankheiten beschrieben wurden. Es sind aber auch Moulagen von
Krankheiten, die heute überhaupt nicht mehr bei uns gesehen werden, wie Rotz und Fleckfieber,
darunter. Insgesamt überwiegt unter dem Rostocker Moulagenerbe - wie auch anderswo
- die Darstellung syphilitischer Krankheitsbilder.
Die Bewahrung dieses gesamten künstlerischen Erbes sollte für eine Klinik im Sinne
einer echten und verbindenden Traditionspflege eine ständige Verpflichtung sein.