Suchttherapie 2001; 2(4): 237-239
DOI: 10.1055/s-2001-19219
Diskurs
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Zur Rolle der Kommissionen bei der Methadonsubstitution

The Role of Commissions in Maintenance TreatmentHerbert Elias
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Herbert Elias

Mendelssohnstraße 41

60325 Frankfurt am Main

Email: Herbertelias@compuserve.com

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Publication Date:
02 January 2002 (online)

Table of Contents #

Eine neue Rubrik: Diskurs

Mit diesem Heft führen wir eine neue Rubrik in unsere Zeitschrift ein: Diskurs. Der Titel spricht für sich und braucht deshalb nicht weiter erläutert zu werden; den Grund, warum wir diese Rubrik einführen, schon.

In wissenschaftlichen Beiträgen und Fachinformationen wird aus persönlicher Distanz über verschiedene Aspekte von Suchttherapie informiert. Was dabei unberücksichtigt bleiben musste und blieb ist der kollegiale und auch persönliche fachliche Austausch. Dies schließt auch grundsätzlich Streit mit ein, ob nun von Behandlungsschulen, verschiedenen Konzepten oder politischen Bedingungen. Die Rubrik Diskurs soll dabei helfen diesen Austausch zu beleben. Unter diesem Titel kann Bezug genommen werden auf etwas, was bereits publiziert wurde, es ist aber auch möglich gewissermaßen als Solist einen Streit vom Zaun zu brechen.

Wir eröffnen diese Rubrik mit einem Beitrag von Herbert Elias, den in der Substitutionsbehandlung beheimateten Kollegen sicherlich als engagierten Vorkämpfer bekannten Streiter bekannt. Wir hoffen auch in Zukunft auf lebendige und engagierte Beiträge und möchten dazu anregen, sich an diesem Forum zu beteiligen.

1991 wurden innerhalb der Landes-Kven Kommissionen gegründet, um die in der Präambel der NUB-Richlinien festgelegte Einschränkung der Indikation zur Methadonbehandlung zu überwachen. Diese Indikationsbeschränkungen wurden hauptsächlich unter der Vorstellung geschaffen, die Methadonbehandlung halte die Kranken von dem Erreichen des Abstinenzzieles ab (ein solcher Standpunkt kann seriös nicht vertreten werden). Die Kommissionen entscheiden darüber, welcher Patient zu Lasten der Krankenkassen behandelt werden darf. Der behandelnde Arzt muss einen Antrag stellen, damit er mit der Behandlung beginnen kann und die Krankenkassen bezahlen die Behandlung erst von dem Tag der Zustimmung der Kommission ab.

Das Kommissionswesen beruht darauf, dass die Methadonbehandlung 1991 zu einer „Neuen Behandlungsmethode” erklärt worden ist und dass dieser Status bis heute beibehalten wurde. Die Rechtsgrundlage sind die Bestimmungen über „Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden”[1]. Dies sind Bestimmungen, durch die Kranke in begründeten Einzelfällen auch in den Genuss von Behandlungen und Untersuchungen kommen sollen, deren Wert und Nutzen noch nicht hinreichend wissenschaftlich untersucht werden konnte. Im Wesentlichen müssen hier Einzelfallentscheidungen greifen, die von ärztlichen Kommissionen und im Zweifelsfall von Sozialgerichten getroffen werden müssen. Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden werden von der Arzneimittelkommission der Ärzte und Krankenkassen zuerst bewertend eingestuft, wobei zwei Gruppen unterschieden werden: Anerkannte neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (AUB) und nicht anerkannte neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden. AUB, zu denen auch die Methadonsubstitution gehört, müssen in Einzelfällen von den Krankenkassen bezahlt werden, weil sie als ausreichend evaluiert und dokumentiert eingestuft werden, um in Einzelfällen angewendet zu werden, aber noch nicht ausreichend, um in das allgemeine EBM als Regelleistung aufgenommen zu werden. Eine zeitliche Befristung dieser Einstufung durch die Kommission gibt es nicht, auch keine Begrenzung der Anzahl von Einzelfällen, in der die Methode nach Antrag angewendet werden darf. Es ist auch nicht festgelegt, wieviele und welche Evaluationsstudien durchgeführt werden müssen, um eine „Neue Behandlung” zu einer normalen EBM Leistung werden zu lassen. Die Einstufung ist mehr oder weniger willkürlich. Eine Behandlung kann also im Prinzip bis zum jüngsten Tag als „neu” eingestuft bleiben und unter dieser Einzelfallregelung bei der Hälfte der Bevölkerung angewendet werden. Wahrscheinlich sollen in der Bundesrepublik ähnliche Verhältnisse etabliert werden, wie in den USA, wo die Methadonbehandlung seit vierzig Jahren als im Experimentalzustand befindlich deklariert ist, woraus ganz ähnliche Verhältnisse resultieren.

Allerdings werden die BUB-Richtlinien durch ein solches Vorgehen zweckentfremdet. Die Methadonbehandlung ist seit vierzig Jahren eingeführt und wird derzeit bei mehreren Millionen Kranken in der ganzen Welt langfristig angewendet, allein in unserem Land bei weit über fünfzigtausend Kranken. Es gibt über sie mehr Auswertungen und Evaluationsstudien als für die meisten anderen medikamentösen Behandlungen. Sie ist also nicht neu und auch nicht ununtersucht, außerdem wird sie auch bei uns längst nicht mehr nur in Einzelfällen, sondern flächendeckend angewendet. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die BUB-Richtlinien nicht für derartige Behandlungen geschaffen worden sind. Während sie als Übergangslösung bei wirklich neuen Behandlungen menschenfreundlich und sinnvoll sind, führen sie, auf die Methadonbehandlung angewendet, zu medizinisch und juristisch äußerst fragwürdigen Verhältnissen.

Auf der Grundlage dieser Fiktion ist es zum Beispiel möglich, die Kranken und ihre Ärzte wichtiger Grundrechte zu berauben. Zum Beispiel müssen die Kranken ihre Ärzte von ihrer Schweigepflicht gegenüber den Kommissionsmitgliedern entbinden, um in den Genuss dieser lebensrettenden ärztlichen Behandlung ihrer Krankheit zu gelangen, man macht also den Verzicht auf ein wichtiges Bürgerrecht zur Bedingung für eine ärztliche Behandlung der Kranken. Die Kommissionen können außerdem durch das Entziehen der Kassenerlaubnis laufende Behandlungen wieder abbrechen. Zum Beispiel kann eine Schwangerensubstitution nach der Entbindung abgebrochen werden und eine Substitution wegen Hepatitis C nach erfolgreicher Interferonbehandlung. Auch Beigebrauch anderer Suchtstoffe ist für die Kommissionen ein Abbruchgrund. Sie machen reichlich Gebrauch von dieser Möglichkeit. Im Frankfurter Raum wurden im Jahr 2000 über fünfzig Substitutionsbehandlungen durch die Substitutionskommission abgebrochen. Die Tendenz ist steigend, so dass im Jahr 2001 wahrscheinlich noch mehr Behandlungen abgebrochen werden. Kranke, denen auf solche Weise ärztliche Hilfe entzogen wird, können danach nicht einfach einen anderen Arzt aufsuchen. Da nämlich der neue Arzt wiederum einen Behandlungsantrag bei derselben Kommission stellen muss, werden sie nicht nur von der Hilfe ihres bis dahin behandelnden Arztes ausgeschlossen, sondern auch von jeder anderen ärztlichen Hilfe. Man muss dabei wissen, dass schwer Drogensüchtige ohne Methadon auch wegen anderer Erkrankungen keinen Arzt konsultieren. Die Kommissionen entziehen in Frankfurt wegen Beigebrauchs auch zahlreichen HIV-infizierten und anderen schwerkranken Patienten ihre ärztliche Behandlung.

Nun sind der Beginn, vor allem aber der Abbruch einer Behandlung sehr wichtige, tief eingreifende Entscheidungen, die aus guten Gründen normalerweise dem behandelnden Arzt vorbehalten sind, die Substitutionskommissionen treffen also ohne Zweifel Behandlungsentscheidungen. Sie tun dies oft gegen den ausdrücklichen, schriftlich niedergelegten Willen des behandelnden Arztes. Der behandelnde Arzt hat keine Möglichkeit, sich ihren Entscheidungen zu widersetzen und sieht sich insofern in die Rolle eines weisungsgebundenen Behandlungshelfers versetzt, etwa wie ein Assistenzarzt in der Klinik, wobei den Kommissionen die Rolle des Chefarztes zukommt.

Die Ärzte sind zwar den Umgang mit Ober- und Chefärzten aus der Klinik gewohnt, aber hier liegen andere Verhältnisse vor. Während nämlich in der Klinik ihr Verhältnis zu ihren ärztlichen Vorgesetzten von Vertrauen und Verantwortung getragen wird, ist ihr Verhältnis zu den Substitutionskommissionen weder von Vertrauen geprägt, noch von Verantwortung. Was das Vertrauen betrifft, so werden die behandelnden Ärzte regelmässig durch die Kommissionsentscheide in schwerste Gewissenskonflikte gestürzt, was oft dazu führt, dass die Ärzte die Medikamente ihrer Patienten selbst bezahlen, um deren Leben zu beschützen.

Was die Verantwortung betrifft, so liegen hier einzigartige juristische Verhältnisse vor, die den eigentlichen Kern des Problems darstellen. In der Klinik tragen nämlich vorgesetzte Ärzte die Verantwortung für ihre Behandlungsentscheidungen und haften auch rechtlich dafür, etwa bei strafrechtlichen Ermittlungen oder in Kunstfehlerprozessen. Bei den Substitutionskommissionen ist dies nicht der Fall. Weder die Kommission noch ihre Mitglieder haften in irgendeiner Form für ihre Behandlungsentscheidungen.

Was geschieht folglich, wenn ein Suchtkranker durch einen solchen kunstfehlerhaften Behandlungsabbruch ums Leben kommt? Wir haben dann eine Tat, aber keinen juristisch greifbaren Täter, denn weder der eigentlich behandelnde Arzt, noch die Kommission, noch sonst irgendjemand haftet für die Folgen dieser Behandlungsentscheidung. Wir haben hier also eine juristisches Konstruktion, bei der ein Straftäter auch bei öfter oder oft wiederholten Tötungsdelikten sicher straffrei bleibt. Juristen nennen solche Verhältnisse einen „rechtsfreien Raum”. Der rechtsfreie Raum, in dem Drogensüchtige und ihre behandelnden Ärzte sich befinden, ist dabei ziemlich gross, es halten sich darin fast eine halbe Million Menschen auf, deren Grundrechte im Prinzip nicht gelten oder stark eingeschränkt sind. Man kann also ganz ohne Übertreibung sagen, dass in unserem Land Drogensüchtige vogelfrei sind.

Für einen Arzt, der solche Behandlungen durchführt, ist es unter solchen Umständen außerordentlich schwierig, Kassenbehandlungen ärztlich und juristisch sauber durchzuführen. Akzeptiert er einfach die Kommissionsentscheide, obwohl sie nach seinem besseren Wissen als behandelnder Arzt schwer kunstfehlerhaft sind, dann übernimmt er Mitverantwortung dafür. Grundsätzlich gilt deshalb, dass kunstgerechte und ethisch und rechtlich einwandfreie Substitutionsbehandlungen gegenwärtig nur auf der Basis privater Finanzierung durchgeführt werden können. Hier können ganz normale Behandlungen unter normalen Rechtsbedingungen durchgeführt werden. Andererseits können die meisten Kranken, und gerade diejenigen, die der Behandlung am meisten bedürfen, Privatbehandlungen nicht bezahlen. Wenn ein suchtmedizinisch kompetenter Arzt solche Behandlungen in Bausch und Bogen ablehnt, dann macht er sich deshalb andererseits der unterlassenen ärztlichen Hilfeleistung schuldig. Was kann er also tun, um zu vermeiden, an schwersten Behandlungsfehlern mitschuldig zu werden?

Das Sauberste unter den heute vorliegenden Verhältnissen mögliche Vorgehen ist, jede Ablehnung einer Behandlung und jeden Behandlungsabbruch gegen seinen Willen mit einer Klage beim zuständigen Sozialgericht zu beantworten. Es entlastet den behandelnden Arzt zwar nicht von moralischer, wohl aber von juristischer Verantwortung. In Frankfurt wird oft geklagt und auch in anderen Städten laufen sehr viele Prozesse dieser Art. Der Grund für diese Prozesse ist sehr einfach: Die Kollegen haben tatsächlich gar keine andere Möglichkeit.

Für einen suchtmedizinisch kompetenten Arzt sind solche Verhältnisse über längere Zeiträume hinweg nicht tolerierbar. Es ist deshalb auf Dauer zu befürchten, dass sich die besten Kollegen aus der Suchtmedizin zurückziehen und es werden sich kaum Ärzte mit gesundem Selbstwertgefühl finden, die in eine solche Art von Medizin neu einsteigen wollen. Sie wird so allmählich zur Domäne von Ärzten werden, die sich in solchen Verhältnissen wohlfühlen. Für die Kranken ist das eine Katastrophe. Es ist auch eine Katastrophe für die deutsche Medizin insgesamt, denn solche Verhältnisse entsprechen gewissen Wunschvorstellungen und haben Modellcharakter. Sie können jederzeit auf die übrige Medizin übergreifen.

Ambulante Behandlungen durften bisher nur von niedergelassenen Ärzten und von Universitätsambulanzen durchgeführt werden. Heute werden ambulante Behandlungen auch von mit diktatorischen Vollmachten ausgestatteten Substitutionskommissionen durchgeführt. Suchtmediziner werden durch diese Kommissionen entmündigt und zu Barfußärzten degradiert. Die Kranken werden von der ärztlichen Behandlung abgedrängt und gerade Schwerstkranke, die ärztliche Hilfe am nötigsten brauchen, werden in den unbehandelten Zustand zurückversetzt. Es liegt auf der Hand, dass dies schlimme Folgen haben muss. Wahrscheinlich ist die Kommissionsmedizin derzeit eine der Hauptursachen für den Drogentod in der Bundesrepublik.

Alles in allem ist der Raum für ärztliche Suchtkrankenbehandlung zurzeit sehr eng. Suchtkranken kann keine wirksame ärztliche Hilfe zuteil werden, solange derartige Rechtsverhältnisse vorliegen. Sie können erst durchgeführt werden, wenn die Rechtslage sich normalisiert hat. Im Augenblick geht der Trend eher in die umgekehrte Richtung. Da nämlich Privatbehandlungen noch lege artis durchgeführt werden können, steht eher zu befürchten, dass demnächst in irgendeiner Form ein Angriff auf die Privatbehandlungen erfolgen wird. Das würde die letzte verbliebene ärztliche Behandlungsmöglichkeit Drogenkranker zerstören.

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1 Sie sind heute enthalten in den Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Bewertung ärztlicher Untersuchungs- und Behandlungsmethoden gemäß §135 Abs.1 SGB V (BUB-Richtlinien). Diese BUB-Richtlinien haben die alten NUB-Richtlinien am 22.3.00 abgelöst. Die Richtlinien (24 Seiten) sind im Internet abrufbar unter www.kbv.de

Herbert Elias

Mendelssohnstraße 41

60325 Frankfurt am Main

Email: Herbertelias@compuserve.com

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1 Sie sind heute enthalten in den Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Bewertung ärztlicher Untersuchungs- und Behandlungsmethoden gemäß §135 Abs.1 SGB V (BUB-Richtlinien). Diese BUB-Richtlinien haben die alten NUB-Richtlinien am 22.3.00 abgelöst. Die Richtlinien (24 Seiten) sind im Internet abrufbar unter www.kbv.de

Herbert Elias

Mendelssohnstraße 41

60325 Frankfurt am Main

Email: Herbertelias@compuserve.com