Gesundheitswesen 2001; 63(12): 769-774
DOI: 10.1055/s-2001-18835
Originalarbeit
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Bemerkungen zur Aussagefähigkeit der Todesursachenziffer „ischämische Herzkrankheiten”

Remarks to statement from the rate of cause of death due to ischaemic heart diseasesA. Schubert
  • 1Neustrelitz
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Publication Date:
05 December 2001 (online)

Zusammenfassung

Die Todesursachenziffer „ischämische Herzkrankheiten” ist ein Endereignis der atherosklerotischen Grunderkrankung. Ihre Größe wird bestimmt durch die Inzidenz und Prävalenz kardiovaskulärer Erkrankungen sowie von der Erkrankungsdauer. Sowohl die relative Häufigkeit des Erkrankens als Widerspiegelung des Erkrankungsrisikos als auch die Größe der Erkranktenpopulation sind nicht oder nur unzureichend bekannt. Damit kann auch die Frage nicht beantwortet werden, wie sich in Anbetracht der hohen Anteilsterbeziffer IHK an der Gesamtsterblichkeit der Bevölkerung das Risiko verhält, an koronarer Herzerkrankung zu erkranken. Erkennbaren Einfluss auf die Todesursachenziffer IHK haben Erkrankungsdauer, zunehmende mittlere Lebenserwartung sowie das Vorgehen beim Kodieren der Totenscheine und der Auswahl des Grundleidens. So ist der abrupte Anstieg der Infarktmortalität nach der Wende in den neuen Bundesländern wie auch in Mecklenburg-Vorpommern auf die Angleichung des Kodierverfahrens zurückzuführen. Der weiterhin steigende Trend der Sterbeziffer IHK bis 1995 in Mecklenburg-Vorpommern lässt auf eine Verkürzung der individuellen Erkrankungsdauer bestehender koronarer Herzkrankheiten in der Erkranktenpopulation schließen. Nach diesem zeitlich begrenzten Exkurs der Infarktmortalität deutet der Rückgang dieser Ziffer auf eine wieder eintretende Verlängerung der Erkrankungsdauer hin.

Die Todesursachenziffer „ischämische Herzkrankheiten” ist auch ein Endereignis des Lebens. Der Verlauf der altersspezifischen Sterblichkeit lässt erkennen, dass mit zunehmendem Lebensverlängerungsprozess der Schwerpunkt der Todesursachenstruktur in den hochbetagten Altersklassen hin zur Sterblichkeit ischämischer Herzkrankheiten verlagert wird. Aus dem damit einhergehenden sinkenden Trend der Sterblichkeit akuter koronarer Ereignisse in den jüngeren und mittleren Altersklassen resultiert ein Rückgang der Gesamtsterblichkeit.

Auch die Suche nach einer Diagnose auf dem Leichenschauschein spiegelt sich in der Todesursachenstatistik wider, was anhand des Vergleichs der Ziffern „ischämische Herzkrankheiten” und „Altersschwäche, Symptome und ungenau bezeichnete Zustände” belegt werden kann. Unübersehbar ist der Unterschied zwischen den alten und den neuen Bundesländern, so auch in Mecklenburg-Vorpommern. Zusammenfassend kann festgehalten werden, die Todesursachenziffer „ischämische Herzkrankheiten” ist von begrenzter Aussagefähigkeit hinsichtlich der Gefährdung durch die atherosklerotische Grunderkrankung. Sie ist nur im Zusammenhang mit der Altersstruktur der Bevölkerung und der Struktur aller Todesursachen zu sehen. Die Validität der Todesursache „ischämische Herzkrankheit” ist in der Berichtspraxis nicht sehr groß.

Abstract

The rate of cause of death due to IHD (‘ischaemic heart diseases’) represents a terminal occurrence of the arteriosclerotic basic disease. lts extent is determined by the incidence of cardiovascular diseases, prevalence and duration of sickness. The relative frequency of falling ill as well as the reflection of the risk of falling ill and the extent of the population fallen ill are not known at all or only very insufficiently. Thus the question cannot be answered how the risk to fall ill with the coronary heart disease must be considered in view of the high mortality rate IHD of the population in the total mortality of the population.

There are recognizable influences on the rate of cause of death due to IHD, such as the duration of sickness, the increasing average life expectancy and the procedure of coding death certificates and the selection of the basic disease. So the abrupt increase of the infarct mortality after the turn in the new federal states, as well as in Mecklenburg-Western Pomerania is to be attributed to the adoption to the coding procedure.

The increasing trend of the mortality rate of IHD up to 1995 in Mecklenburg-Western Pomeranian infers an individual shortening of the sickness of existing coronary heart diseases among the population. After this temporary increase of infarct mortality the decrease of this figure suggests prolongation of the duration of sickness.

The rate of cause of death from ‘ischaemic heart diseases’ also represents a terminal occurrence in life. The development of specific mortality in advanced age leads to the observation that the emphasis within the cause of death structure among those classifications of the elderly at an extremely advanced age, gradually shifts towards mortality caused by ischaemic heart disease.

From the accompanying decreasing trend of mortality from acute coronary events in the younger and medium age classes a decrease in the total mortality can be concluded.

Even the search for diagnosis during post mortems is reflected in the cause of death statistics, which can be evidenced on the basis of comparisons made between the figures of death from ‘ischaemic heart diseases’ and from ‘senility, other symptoms, and imprecisely described conditions’. The difference between the original federal states and the new federal states of Eastern Germany, as also in the Federal State of Mecklenburg-Western Pomerania is obvious.

Summing up, it can therefore be said, that the cause of death rate from ‘ischaemic heart diseases’ is only of limited significance as regards the hazards from the underlying arteriosclerotic disease of the blood vessels. lt can only be assessed in connection with the age structure of the population and the structure of all causes of death. The validity of the cause of death from ‘ischaemic heart diseases’ is therefore not very great in reporting practice.

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Dr. med. Alfred Schubert

Mecklenburger Allee 22

17235 Neustrelitz

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