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DOI: 10.1055/s-2001-18401
Die unsichtbare Disziplin?!
The Invisible Discipline?!Publication History
Publication Date:
12 November 2001 (online)
Suchtmedizin ist offensichtlich „en vogue”. Es gibt organisatorische Veränderungen, ein wachsendes fachpolitisches Bemühen um die im Bereich der Suchttherapie tätigen Ärzte und es gibt eine größere fachöffentliche Aufmerksamkeit. Veröffentlichungen im Deutschen Ärzteblatt, die Richtlinien für die Substitution, die heutigen AUB-Richtlinien, werden nicht mehr klaglos hingenommen, und sogar die Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren e.V. bemüht sich um die Suchtmediziner mit einer Schwerpunktveranstaltung.
Obwohl der Anteil an der Versorgung Suchtkranker, der von verschiedenen Teilen medizinischer Fachdisziplinen geleistet wurde, schon immer relevant und gut sichtbar war, setzt sich offensichtlich die Auffassung durch, dass es in der bisherigen Form nicht weitergeht und eine Standortbestimmung nicht nur der Medizin in der Suchttherapie, sondern auch der gesundheitspolitisch Verantwortlichen für die weitere Entwicklung Suchtkrankenversorgung notwendig ist.
Süchte verlaufen chronisch und sind nicht kurzfristig heilbar. Es gibt aber viele Interventionsformen, die den Krankheitsverlauf mildern und Komplikationen verhüten. Seit Jahren ist die Wirksamkeit vieler Interventionen wie Substitution, psychosoziale Intervention, Raucherentwöhnungstherapien nachgewiesen, die Kosten werden aber aufgrund von Willkürentscheidungen des für die Finanzierung zuständigen Bundesausschusses „Ärzte und Krankenkassen” nicht von der GKV übernommen.
In dem scharfen innermedizinischen Wettbewerb um Ressourcen verfügen psychisch Kranke wie Suchtkranke über eine bisher unzureichende Lobby. Die Geschichte der Substitution in unserem Land bis heute macht dies nur zu deutlich. Entgegen aller Standards wird bis heute die psychosoziale Betreuung, z. B. für Heroinabhängige in Substitution, nicht von den Krankenversicherungen getragen und auch die ärztliche Betreuung nur zu einem unzureichenden Prozentsatz finanziert.
Dies verdeutlicht, dass es zum einen Veränderungen der strukturellen und finanziellen Rahmenbedingungen der Suchtkrankenversorgung bedarf, die sicherstellen, dass effektive Therapien in optimaler Form den Patientinnen und Patienten zugute kommen und helfen, den Verlauf positiv zu beeinflussen. Zum anderen muss sich die Medizin im Rahmen der Suchttherapie neu positionieren und zwar als interdisziplinäres Fach mit ausreichender Spezialisierung und Berücksichtigung sowohl der notwendigen Interventionen im Bereich der körperlichen Gesundheit als auch der psychischen Stabilisierung, in sich interdisziplinär und offen vernetzt mit anderen, in der Suchthilfe tätigen Disziplinen.
Eine in diesem Sinne profilierte Suchtmedizin ist auch eine wichtige Grundlage für die wirksame Interessenvertretung der Betroffenen und ihrer Familien und eine sinnvolle Verwendung der begrenzten ökonomischen Ressourcen im Hilfesystem. Dies hat sich die Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin zum wichtigsten Anliegen gemacht.
Sucht in ihren verschiedenen Formen ist ein gesellschaftliches und sozialmedizinisches Massenphänomen. Die Grundversorgung wird nach wie vor insbesondere durch die Allgemeinmedizin geleistet. Nur ein sehr kleiner Teil der Betroffenen erhält spezialisierte therapeutische Angebote. Die Allgemeinmedizin, gerade im ambulanten Bereich, steht hier vor enormen Anforderungen, will sie dazu beitragen, dass die gewachsenen Behandlungsmöglichkeiten ihren Patientinnen und Patienten zugute kommen.
Das Verhältnis zwischen suchtmedizinischer Grundversorgung und spezialisierter Behandlung im somatischen sowie im psychiatrischen Bereich setzt eine klare Standortbestimmung ebenso wie bessere Kooperationsbeziehungen und Qualifikationen voraus. Der Hausarzt ist in den meisten Fällen die erste Anlaufstelle und die niedrigschwelligste Möglichkeit der Hilfe und Beratung. Seine Aufmerksamkeit und Kenntnis entscheiden wesentlich darüber mit, ob ein Problem rechtzeitig erkannt und das notwendige Hilfspotenzial mobilisiert wird.
In diese Kooperation müssen von Anfang an andere Einrichtungen der Suchtkrankenhilfe einbezogen werden, müssen geeignete einfache Formen der Finanzierung dazu beitragen, dass durch rechtzeitige und intensive Interventionen das frühzeitige Ausscheiden aus dem Berufsleben und lange komplikationsreiche Verläufe verhindert werden.
Die Allgemeinmedizin spielt ohne Frage in allen suchttherapeutischen Bereichen eine Schlüsselrolle. Sie muss sowohl ökonomisch als auch fachlich in die Lage versetzt werden, die wachsenden Möglichkeiten der Suchttherapie sowie der Behandlung der psychiatrischen wie somatischen Komorbidität wirkungsvoll zu organisieren.
Gerade in der Therapie schwerer psychischer Störungen und Sucht liegt das Hauptaufgabenfeld der Kolleginnen und Kollegen aus Psychiatrie und Psychotherapie. Viel zu wenig vernetzt mit der suchtmedizinischen Grundversorgung und durch interne Spezialisierungen oft zu wenig vorbereitet auf eine wirkungsvolle psychiatrische Behandlung von Komorbidität liegt sowohl im stationären als auch im ambulanten Bereich ein zentrales Aufgabenfeld in der Entwicklung der Suchttherapie.
Gesundheitsplaner ebenso wie Kostenträger und Suchtmediziner sollten über neue Formen der Kooperation gerade bei stärkerer tagesklinischer und ambulanter Versorgung von Suchtpatienten nachdenken, um die vielfältigen Probleme im Wechselspiel von psychischen Störungen und Sucht noch wirkungsvoller zu therapieren.
Zwar ist es zu begrüßen, dass in vielerlei Hinsicht in der Psychiatrie klinische wie wissenschaftliche Veränderungen in Gang kommen. Im Verhältnis zur Größenordnung des Problems ist dies aber erst ein sehr begrenzter und unzureichender Beginn. Im Verhältnis der verschiedenen Fachdisziplinen untereinander herrscht überwiegend der medizinische Taylorismus vor. Es gibt selten kontinuierliche, auf definierte Behandlungsziele abgesteckte therapeutische Prozesse, sondern vielmehr regelhafte Kontinuitätsbrüche zwischen Entgiftung, medizinischen Krisen, der Standardversorgung und der Behandlung von somatischen oder psychiatrischen Komplikationen.
Was für die gesamte Medizin gilt, gilt auch für die Suchtmedizin. Soll man im Interesse der Patienten zu einer umfassenden Stabilisierung des Gesundheitszustandes beitragen, muss sich die Behandlungsorganisation an den Syndromen und an den Prozessen und nicht am Denken in Disziplinen orientieren. Eine wirkungsvolle Behandlung, z. B. der bei Drogenabhängigen immer mehr zunehmenden Hepatitiden, erfordert somatisches Fachwissen und suchtmedizinische Kenntnisse.
Die Therapie auf einen substituierenden Arzt, einen für die Somatik, vielleicht sogar noch einen für die Psychiatrie, aufzuteilen, funktioniert nicht. Gerade im klinischen Bereich und bei schwer kranken Patientinnen und Patienten, die oft die Masse der Ressourcen in der Medizin verbrauchen, haben wir es mit multimorbiden Klienten zu tun. Das bedeutet für die weitere Diskussion in der Medizin sowohl ein Aufgreifen der Frage von Vernetzung, des Verhältnisses von suchtmedizinischer Basisversorgung und Spezialisierung, als auch einer Umorganisation der Behandlungskette.
Bei solchen Versuchen sind bisher auch die Kostenträger wenig hilfreich. Es wird wenig über Innovation diskutiert und nachgedacht, sondern im Wesentlichen über angebliche oder tatsächliche Einsparnotwendigkeiten. Vor allem die verschiedenen Kostenträger untereinander bemühen sich möglichst viel Patienten bzw. Indikationen hin und herzuschieben, ohne dass es dafür eine, wie auch immer geartete, fachliche Begründung gibt.
Diese neue Verortung muss Konsequenzen haben für die Forschung, für die medizinische Aus- und Weiterbildung, für die Vergütung und Organisation der Versorgung sowie für die Fach- und Gesundheitspolitik. Dieser Prozess ist erst am Anfang und wir wollen ihn sowohl mit der Arbeit der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin als auch mit dieser Tagung begleiten.
Die Suchtmedizin kann eine sehr konstruktive Rolle in diesem Prozess spielen, wenn sie es schafft, die Erfahrungen und das Potenzial aus dem klinisch-wissenschaftlichen und dem ambulanten Bereich zu bündeln und die Grenzen zwischen den verschiedenen, oft sprachlos nebeneinander stehenden Fachdisziplinen zu überwinden. Nicht als potenzieller Konkurrent zu anderen Fächern in der Suchttherapie, sondern als profilierter Partner, mit einem qualifizierten und klar definierten Auftrag.
Das Thema des 10. Suchtmedizinischen Kongresses „Was heilt Sucht? Erfolgreiche Konzepte der Suchtmedizin - differentielle Therapie oder Königsweg?” möchte sowohl diese Diskussionen aufgreifen als auch anregen und damit zu zukünftigen therapeutischen Strategien und der Klärung der Rolle der Suchtmedizin beitragen.
#Zum Gelingen des Kongresses haben neben vielen Personen auch pharmazeutische Firmen und Institutionen mit finanzieller Förderung beigetragen. Wir danken daher
Aventis Pharma Deutschland
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Dental/Analgetika
Königsteiner Straße
10
65812 Bad Soden a. Ts.
Bio-Rad Laboratories
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Heidemannstraße 164
80939 München
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