Patienten mit malignen Melanomen geringer Dicke sind mit hoher Wahrscheinlichkeit
durch eine Exzision mit ausreichendem Sicherheitsabstand kurativ behandelbar. Die
mediane Tumordicke bei Patienten mit malignen Melanomen im Bereich des Tumorzentrums
München liegt derzeit bei etwa 0,75 mm, und die Lebenserwartung bei Patienten mit
einem Melanom dieser Dicke unterscheidet sich statistisch nicht von jener der gesunden
Vergleichsbevölkerung [1 ]. Die Prognose verschlechtert sich erheblich mit zunehmender Tumordicke und insbesondere
bei Auftreten von Fernmetastasen (Stadium IV). Die durchschnittliche Lebenserwartung
bei Fernmetastasierung liegt entsprechend gängiger Lehrbücher bei 4 - 6 Monaten, bei
Behandlung mit intensiven Protokollen bei etwa 10-12 Monaten [2 ]. Von prognostischer Bedeutung ist, welche Organe betroffen sind [3 ]
[4 ]. Patienten mit Lebermetastasen haben eine kürzere erwartete Überlebenszeit als Patienten
mit Lungenmetastasen. Kurative Behandlungsmöglichkeiten in diesem fortgeschrittenen
Stadium sind trotz intensiver Bemühungen mittels operativer Reduktion der Tumormassen,
Chemotherapie, Immuntherapie oder experimenteller Therapieformen begrenzt, und eine
Therapie erfolgt unter palliativen Gesichtspunkten [5 ]
[6 ].
Standard der systemischen Behandlung ist weiterhin eine Monochemotherapie mit Dacarbazin.
Die Ansprechrate liegt nur bei etwa 20 %. Die subjektive Verträglichkeit konnte durch
den Einsatz neuerer zentral wirksamer Antiemetika (HT3-Antagonisten) deutlich verbessert
werden [7 ]
[8 ]. Alternativ stehen Polychemotherapieprotokolle zur Verfügung, mit denen in einzelnen
Studien höhere Ansprechraten erzielt wurden. Von besonderer Bedeutung ist die Frage,
ob in Einzelfällen auch länger anhaltende Remissionen erreicht werden können, da letztlich
nur dies den Einsatz der Protokolle und die mit ihnen verbundene Toxizität rechtfertigen.
Im Folgenden wird über den Krankheitsverlauf bei 5 Patienten mit fernmetastasierten
malignen Melanomen berichtet, bei denen durch eine Polychemotherapie nach dem BOLD-Protokoll
(Bleomycin, Oncovin [Vincristin], Lomustin [CCNU] und Dacarbazin) eine langanhaltende
Remission erzielt werden konnte.
Patienten/Methoden
Bei 5 Patienten (3 Frauen, 2 Männer; Alter 44 - 69 Jahre, mittleres Alter 58,6 Jahre)
wurde eine Polychemotherapie nach dem BOLD-Protokoll durchgeführt (Bleomycin 15 mg
Tag 1 und 4 i. v.; Vincristin 1 mg/m² Tag 1 und 5 i. v.; CCNU [Lomustin] 80 mg/m²
p. o. Tag 1; DTIC 200 mg/m² i. v. Tag 1 bis 5; Wiederholung ab Tag 28) [9 ].
Patient 1
68-jähriger Patient. Noduläres malignes Melanom (NMM) rechter Oberarm 3/98, Tumordicke
1,8 mm. 8/98 Satellitenmetastase rechter Oberarm sowie Lymphknotenmetastase rechte
Axilla; Exzision der Satellitenmetastase und Axilladissektion rechts. 9/98 Beginn
einer adjuvanten Therapie mit Interferon alpha. 4/99 Progression mit Lymphknotenmetastasen
axillär beidseits und ausgedehnter mediastinaler Lymphknotenmetastasierung.
4/99 bis 10/99 Therapie mit 5 Zyklen nach dem BOLD-Protokoll. 8/99 (nach 3 Therapie-Zyklen)
Nachweis einer Teilremission mittels Computertomographie (Tumorreduktion axillär rechts
um 60 %, links um 40 %, mediastinal um 60 %). Nach 5 Zyklen computertomographisch
stabile Teilremission. Zur weiteren Konsolidierung von 11/99 bis 8/00 12 Zyklen Eldisine
(Vindesin, 3 mg/kg KG), darunter Remission weiter stabil. Bei der letzten Nachsorgeuntersuchung
8/00 mit computertomographischer Kontrolle Dokumentation einer stabilen Teilremission
seit insgesamt 16 Monaten.
Patient 2
44-jähriger Patient. Superfiziell spreitendes malignes Melanom (SSM) linker Daumen
4/96, Tumordicke 1,0 mm. 1/99 Progression mit Auftreten multipler Lungenmetastasen
beidseits, 3 Lebermetastasen sowie Lymphknotenmetastasen (inguinal beidseits und axillär
rechts).
2/99 bis 7/99 Therapie mit 5 Zyklen nach dem BOLD-Protokoll. 7/99 computertomographisch
kein Nachweis von Lungenmetastasen, 2 Lebermetastasen deutlich regredient, eine nicht
mehr nachweisbar. Axillär rechts noch ein einzelner pathologischer Lymphknoten.
Ab 8/99 Therapie mit Interferon alpha (3 × 3 Mio IE s. c./Woche), darunter stabile
Teilremission seit 12 Monaten (letzte computertomographische Kontrolle 3/00, letzte
klinische Nachsorge mit Sonographie der Lymphknoten 7/00).
Patientin 3
56-jährige Patientin. Noduläres malignes Melanom (NMM) linke Ferse 7/98, Tumordicke
3,0 mm. Ab 9/98 adjuvante Therapie mit Interferon alpha (3 × 3 Mio IE s. c./Woche).
7/99 Progression mit Auftreten multipler Lungenfiliae beidseits und hilärer Lymphknotenmetastasen.
8/98 bis 3/00 Therapie mit 5 Zyklen nach dem BOLD-Protokoll. 11/99 computertomographisch
Vollremission, lediglich ein unspezifischer Lymphknoten rechts hilär. Ab 4/00 Therapie
mit Interferon alpha, darunter seit 8 Monaten stabile Vollremission bis zur letzten
computertomographischen Kontrolle 7/00.
Patientin 4
69-jährige Patientin. Superfiziell spreitendes malignes Melanom (SSM) Hüfte links
3/87, Tumordicke 2,25 mm. Zweites SSM Rücken rechts, Tumordicke 0,7 mm 4/87. 11/97
Talkumpleurodese bei malignem Pleuraerguss (Nachweis von Melanomzellen). Bei erneutem
Staging 7/98 Nachweis zweier großer Lungenmetastasen rechts basal (Abb. [1 ]).
Abb. 1 Röntgen-Thorax p. a. von 7/1998: Zwei große Lungenmetastasen rechts basal.
7/98 bis 9/98 Therapie mit 3 Zyklen nach dem BOLD-Protokoll. 8/98 kein Nachweis von
Metastasen mittels Röntgen-Thorax (Abb. [2 ]) und 9/98 mittels Computertomographie. Stabile Vollremission seit 23 Monaten bis
zur letzten computertomographischen Kontrolle 1/00, der letzten Röntgen-Thoraxaufnahme
sowie Sonographie des Abdomens 7/00 und zur letzten klinischen Nachsorge mit Sonographie
der Lymphknoten 8/00.
Abb. 2 Röntgen-Thorax p. a. von 8/1998: Nach BOLD-Chemotherapie kein Nachweis von Metastasen.
Patientin 5
56-jährige Patientin. Noduläres malignes Melanom (NMM) linker Unterschenkel 11/93,
Tumordicke 3,1 mm. 12/94 Leistendissektion links bei Lymphknotenmetastasen. 5/95 multiple
Lungenmetastasen, mediastinale Metastasen und 4 Knochenmetastasen an der Wirbelsäule.
6/95 bis 10/95 Therapie mit 5 Zyklen nach dem BOLD-Protokoll. 10/95 computertomographisch
kein Nachweis von Lungenmetastasen oder Lymphknotenmetastasen. Die Skelettmetastasen
im Bereich der Wirbelsäule szintigraphisch bis 8/95 größenprogredient, dann bis 11/95
größenkonstant nachweisbar. 12/95 bis 1/96 Kobalt-Bestrahlung mit 35 Gy, daraufhin
Vollremission (skelettszintigraphisch 12/96 keine Metastasen nachweisbar). 3/96 bis
3/98 adjuvante Therapie mit Interferon alpha (3 × 3 Mio IE s. c./Woche).
Seit 62 Monaten stabile Vollremission (letzte klinische Untersuchung 8/00, letzte
computertomographische Kontrolle 6/00).
Nebenwirkungen der Therapie und Verträglichkeit
Von allen Patienten wurde die Therapie subjektiv gut vertragen. Bei 3 Patienten trat
eine mäßige Myelosuppression auf, infolgedessen Reduktion der Dosis auf 75 % bei Patient
1 (3. bis 5. Zyklus), bei Patient 2 (2. Zyklus) und bei Patientin 3 (4. Zyklus).
Diskussion
Trotz intensiver wissenschaftlicher und klinischer Anstrengungen in den vergangenen
Jahrzehnten steht derzeit für Patienten mit fernmetastasierten malignen Melanomen
keine sicher wirksame Therapie zur Verfügung.
Das wichtigste Chemotherapeutikum ist weiterhin Dacarbazin mit Ansprechraten von etwa
20 %. Allerdings ist bisher nicht geprüft, ob durch diese Therapie tatsächlich eine
Lebenszeitverlängerung erzielt wird oder nur eine Selektion von Patienten geschieht,
die auch ohne Therapie länger gelebt hätten [10 ]. Es ist allerdings nicht anzunehmen, dass im Stadium der Fernmetastasierung des
malignen Melanoms jemals eine Substanz in einer kontrollierten, prospektiven Studie
in ihrer Überlegenheit gegenüber einem Beobachtungsarm überprüft werden kann. Aufgrund
der unbefriedigenden Ergebnisse, die mit einer Monotherapie erzielt werden konnten,
wurden zahlreiche Polychemotherapieprotokolle erprobt. Durch diese wurden in einzelnen
meist monozentrischen und nicht prospektiv randomisierten Studien bessere Ergebnisse
mit höheren Ansprechraten erzielt [10 ]
[11 ]
[12 ]. Sowohl eine prospektiv randomisierte Studie zum Vergleich der Wirksamkeit einer
Monotherapie mit Dacarbazin mit einer Polychemotherapie nach dem Dartmouth-Protokoll
[13 ], als auch eine Studie, die einer Monochemotherapie mit Dacarbazin eine Polychemotherapie
mit Dacarbazin und Vindesin oder eine Polychemotherapie mit Dacarbazin, Vindesin und
Cisplatin gegenüberstellte [14 ], wie auch weitere Studien [15 ]
[16 ]
[17 ] führten jedoch zu ernüchternden Ergebnissen ohne signifikante Vorteile für einen
Therapiearm.
Trotz der insgesamt äußerst unbefriedigenden Ergebnisse, die durch Chemotherapien
erzielt werden können, ist jedoch ein genereller Pessimismus oder gar ein therapeutischer
Nihilismus auch im Stadium der Fernmetastasierung des malignen Melanoms nicht gerechtfertigt.
Die vorgestellten Krankheitsverläufe zeigen, dass bei einzelnen Patienten auch im
Stadium der Fernmetastasierung zum Teil lang andauernde Remissionen erzielt werden
können. In prospektiven Studien sollte evaluiert werden, wie die Dauer einer Remission
weiter verlängert werden kann. Eine Fortsetzung der Chemotherapie erscheint aufgrund
limitierender Toxizität und möglicher negativer Effekte, wie beispielsweise die Selektion
chemotherapie-resistenter Zellklone, nicht sinnvoll. Erfolgversprechend könnte insbesondere
eine Fortsetzung der Behandlung durch eine niedrig dosierte Immuntherapie, wie beispielsweise
mit Interferon-alpha oder Interleukin-2, sein [18 ].
Danksagung
Für die Überlassung der Röntgen-Thorax-Aufnahmen danken wir Herrn Professor H. Ingrisch
(Radiologische Abteilung der Dermatologischen Klinik München, Thalkirchner Straße).