Zentralbl Chir 2001; 126(8): 637-645
DOI: 10.1055/s-2001-16564
Bibliothek des Chirurgen

J.A.Barth Verlag in Medizinverlage Heidelberg GmbH & Co.KG

Anmerkungen zur Geschichte der Chirurgie in Straßburg (Teil 2)

Notes on the surgical history of Strasbourg (part 2)Louis F. Hollender, Emmanuelle During-Hollender
  • (Strasbourg)
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Publication Date:
23 August 2001 (online)

1750 - Die Fakultät lehnt die Einrichtung eines Lehrstuhls für Chirurgie ab

Im Jahre 1749 schlug der königliche Prätor François-Joseph de Klinglin (1687-1753) vor, in der Fakultät einen vierten Lehrstuhl ausschließlich für Chirurgie einzurichten. Sein Kandidat war Nicolas Le Riche (1702-1750), Doktor der Chirurgie und Chirurg am Militärhospital. Klinglin versuchte damit, einen Franzosen in die Straßburger Fakultät einzuschleusen... Aber die Fakultät wies dieses Ansinnen entschieden zurück mit dem Argument: „Er ist des Lateinischen nicht mächtig, und vor allem ist er weder Doktor der Medizin noch Elsässer noch Protestant.”

Die Chirurgie im Bürgerhospital

Im Jahre 1697 stellte das Hospital einen Chirurgen und einen beigeordneten Chirurgen ein.

Die chirurgische Abteilung wurde in der entlegensten Ecke des Hospitalhofes untergebracht und umfaßte nur zwanzig Betten in kleinen und schlecht gelüfteten Sälen. Erst Ehrmann brachte die Dinge in Bewegung. Er erreichte, daß seine Abteilung in das große Hospitalgebäude verlegt, auf vierzig Betten erweitert und mit einem Operationssaal ausgestattet wurde. Dieser lag unglücklicherweise genau über dem Seziersaal, was dazu führte, daß es häufig zu schweren infektiösen Komplikationen nach den Operationen kam.

Ein weiterer Chirurg dieser Epoche war François-Laurent Marchal (1746-1814), der seit 1773 am Hospital arbeitete. Wie Lobstein operierte er Tränendrüsen und Katarakte ebenso wie eingeklemmte Brüche, „indem er die beiden Darmenden mittels eines durch das Mesenterium geführten Fadens an der Hautwunde befestigte”, schreibt Eugène Michel. Ferner entfernte er regelmäßig Harnblasensteine, was zu einer beachtlichen Steinsammlung führte, die noch im 19. Jahrhundert von dem Sohn seines Neffen, Professor Laurent-Anselme Marchal, sorgfältig aufbewahrt wurde. François-Laurent Marchal soll als erster einen von Krebs befallenen Gebärmutterhals entfernt haben. Aufgrund seines Rufes wurde er zum Leibarzt der württembergischen und bayerischen Könige ernannt.

Oscar Berger-Levrault weist darauf hin, daß das Amt des Chefchirurgen im Hospital mehr als hundert Jahre lang in derselben Familie verblieb. François-Laurent Marchal war der Neffe von Jean-Erasme Boecler (?-1773), Chirurg am Hospital von 1735 bis 1773. Er wiederum war der Schwiegersohn von Pierre-François Lemaire (1672-1751), der von 1710 bis 1751 Chirurg am Hospital war.

Die Chirurgie am Militärhospital

Das Straßburger Militärhospital (Abb. [6]) war ein wichtiges Lehrzentrum für Chirurgie. Zahlreiche Medizinstudenten ließen sich hier ausbilden, was häufig auf die Mißbilligung der Professoren der Fakultät, insbesondere Eisenmanns, stieß. Das Militärhospital rivalisierte mit dem Bürgerhospital; ihr Verhältnis zueinander glich dem feindlicher Brüder. Zuweilen kam es jedoch auch vor, daß ein Chirurg im Bürger- und im Militärhospital zugleich praktizierte, wie es bei Boecler und Lemaire der Fall war.

Die Chirurgie in der Stadt

Für die Ausübung der Chirurgie in der Stadt unterschied eine Stadtverordnung aus dem Jahre 1757, welche diejenige von 1731 ergänzte, deutlich zwischen den Badern und den Scherer-Chirurgen.

Den Badern war es nicht gestattet, außerhalb ihres Ladens zu rasieren oder Schröpfköpfe zu setzen. Sie durften keine Gesellen beschäftigen. Die Scherer-Chirurgen, die man auch kurz Chirurgen zu nennen begann, mußten bereits seit dem Mittelalter dem „Stamm” (neue Bezeichnung) der Zunft angehören, die sich - wie schon erläutert ” „Zur Luzern” versammelte und daher diese Bezeichnung übernahm. Die Anzahl ihrer Läden war grundsätzlich auf zwanzig beschränkt. Ihre Behandlung hatte sich auf chirurgische Eingriffe und Geschlechtskrankheiten zu beschränken. Sie durften nicht in den Bereich der Medizin, also der inneren Krankheiten übergreifen. Fünf Chirurgen praktizierten als Gerichtschirurgen. Ihre Aufgabe war es, im Falle von Streitigkeiten zwischen einem Chirurgen und seinem Patienten zu schlichten (man nannte sie auch „Wunden-Beseher”), Prüfungen abzunehmen und Obduktionen durchzuführen.

Die Geschicklichkeit einiger dieser Chirurgen war legendär. So gelang es einem gewissen Bruder Jacques (1651-1720), der sich als Franziskaner ausgab und dessen Familienname Beaulieu oder Baulot war, im Jahre 1711 bei einem siebenjährigen Kind in 43 Sekunden einen Blasenstein zu entfernen, und dies in Anwesenheit von Professor Jean-Valentin Scheid, der über diese Tat berichtet hat.

Die Ausbildung der Chirurgen

Die erste offizielle Zulassungsordnung für die Straßburger Chirurgen geht auf den 1. Dezember 1731 zurück. Sie wurde auf Betreiben der Chirurgen der Stadt vom Rat der XV erlassen. Nach dem Beispiel mehrerer Städte in Frankreich und in Deutschland forderten diese Chirurgen eine praktische Prüfung der Kandidaten, die nicht nur die Bereitung von Pomaden und Wundpflastern beinhalten sollte, sondern vor allem „chirurgische Operationen, damit die Kandidaten ihr Augenmerk verstärkt auf diese richten mögen und dies der Bevölkerung zu größerem Wohle gereiche”.

Am 26. Februar 1757 wurde wiederum auf Antrag der Chirurgen eine Neufassung dieser Ordnung unter dem Titel „Erneuerte und verbesserte Artikel eines loeblichen Corps der Chirurgorum oder Wundaerzte der Stadt Straßburg” veröffentlicht. Diese Ordnung umfaßte 64 Artikel, welche die Bedingungen für die Meisterprüfung sowie die Rechte und Pflichten der Lehrlinge, Gesellen, Meister, d. h. der diplomierten Chirurgen, und der Gerichtschirurgen festlegten. Lehrlinge mußten drei Jahre lang bei einem Meister arbeiten. (Dem Sohn eines Chirurgen wurden 6 Monate erlassen.) Danach legte er seine Gesellenprüfung ab, womit eine wahre „Rundreise durch Europa” begann, die fünf Jahre dauerte. Ein Examen und zwei Jahre Assistenz und praktische Arbeit bei einem Straßburger Chirurgen waren von nun an Pflicht. Ausländer, welche die Prüfung ablegen wollten, mußten sich zuvor in ein Universitätsregister (Matricula) eintragen, das getrennt von dem Register der Medizinstudenten geführt wurde und in dem u. a. auch die Tanzlehrer eingeschrieben waren! Im Jahre 1770 wurde dieses Register in drei Listen unterteilt, von denen eine endlich nur noch die Prüfungskandidaten für Chirurgie umfaßte.

Zur Vorbereitung der Studenten auf die Meisterprüfung verlangten die Chirurgen, Lehrgänge abhalten zu dürfen. Dies wurde ihnen jedoch im Jahre 1730 mit dem Hinweis verwehrt, dieses Privileg sei den Professoren der Medizinischen Fakultät vorbehalten. Dafür wurde es der Fakultät im Jahre 1779 verboten, bei Chirurgiekandidaten Prüfungen abzunehmen. Diese Prüfungen fanden vor einem Prüfungskomitee statt, das den Dekan und den stellvertretenden Dekan des Collegium medicum der Stadt, den Anatomie- und Chirurgieprofessor der Medizinischen Fakultät und drei Gerichtschirurgen umfaßte.

Nach einer mündlichen Prüfung in Anatomie, Chirurgie, Knochenbrüchen und Verrenkungen folgte die praktische Prüfung. Ab 1731 gehörten dazu auch die Kenntnis der Osteologie und ein Operationsvorgang an einer Leiche. So entstand eine Klasse relativ gut ausgebildeter Chirurgen, deren Wissensstand sich dem der Ärzte von Jahr zu Jahr näherte.

Der berühmteste in Straßburg ausgebildete Chirurg dieser Zeit war Johann Ulrich Bilguer (1720 1796), den Friedrich der Große zum Chefchirurgen seiner Armeen ernannte. Sein größtes Verdienst besteht darin, die systematische Amputation von zertrümmerten Gliedmaßen im Felde, die zu dieser Zeit üblich war, durch eine konservierende Behandlung ersetzt zu haben.

Unter den Straßburger Chirurgen gab es bereits bestimmte „Fachrichtungen”, die allerdings nicht durch ein weiteres Diplom bescheinigt wurden, sondern allein auf dem Ruf der einzelnen Personen begründet waren. So gab es Augenchirurgen, Blasensteinchirurgen und Leistenbruchchirurgen.

Doch erst im Jahre 1794 wurde die Chirurgie in Straßburg von der Medizinischen Fakultät als eine eigenständige Studiendisziplin anerkannt.

Prof. Dr. h.c. mult. Louis F. Hollender

2, Rue Blessig

F-67000 Strasbourg

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