Anamnese
Anamnese
Ein 65-jähriger Mann stellte sich wegen seit einem Jahr progredienter, therapieresistenter
Ulzerationen an Füßen, Fußsohlen und Knöchelregionen vor. Weiterhin bemerkte er seit
4 Jahren an den Hand- und Fußrücken zunehmende Rötungen mit Schuppung, welche zeitweise
jucken würden.
Vorerkrankungen: Seit 18 Jahren bekannte chronisch-myeloische Leukämie. Zunächst über
6 Jahre Therapie mit Busulfan (Myleran®), anschließend seit 12 Jahren systemische
Gabe von Hydroxyurea (Litalir®), zuletzt 3000 mg täglich. Zwischenzeitlich über 6 Jahre zusätzliche Therapie mit
Interferon alpha (Intron A®), die bei Verdacht auf vaskulitische Veränderungen an
den Händen abgesetzt wurde. Seit 6 Jahren insulinpflichtiger Diabetes mellitus Typ
IIb und arterielle Hypertonie.
Aktuelle Medikation: Hydroxyurea 3000 mg/die, Ramipril 10 mg/die, Triamteren 50 mg/die,
Hydrochlorothiazid 25 mg/die, humanes Depot-Insulin 20-0-8 IE/die.
Dermatologischer Befund
Dermatologischer Befund
An Hand- und Fingerrücken mit Betonung der Metakarpophalangeal- und Interphalangealgelenke
streifige, schuppende Erytheme mit atrophischen, z. T. hyperpigmentierten, z. T. lividen
Arealen (Abb. [1]). Gleichartige Hautveränderungen in geringerer Ausprägung an den Zehenrücken mit
Übergreifen auf die Fußrücken und Fußsohlen.
Abb. 1Klinischer Befund der linken Hand.
An den Fußsohlen, der rechten Großzehe und der 2. Zehe rechts 4 sehr schmerzhafte,
maximal 11 × 8 mm große Hyperkeratosen mit zentraler Ulzeration; am rechten Außenknöchel
ein 30 × 16 mm großes, schmierig belegtes Ulkus (Abb. [2]).
Abb. 2Klinischer Befund der Vorfüße.
Histopathologie
Histopathologie
Probebiopsie (rechter Handrücken): Kompakte massive Hyperkeratose mit z. T. parakeratotischer
Verhornung. Diskrete Akanthose, fokal geringe Atrophie der Epidermis, leichte Zell-
und Kernpolymorphie der basalen Keratinozyten. Zahlreiche erweiterte Blutgefäße sowie
diskrete Fibrosierung in der oberen Dermis, kein Entzündungsinfiltrat (Abb. [3]).
Abb. 3Histologischer Befund einer Biopsie vom rechten Handrücken (HE, × 400).
Labor und Zusatzuntersuchungen
Labor und Zusatzuntersuchungen
BSG 31/65 mm n. W., Kalium 5,5 mmol/l, Glukose 104 mg/dl, Leukozyten 9200/µl, Erythrozyten
3,0 Mio./µl, Thrombozyten 740 000/µl, Hämoglobin 12,6 g/dl, Hämatokrit 40 %, Anisozytose,
Makrozytose, übriges Routinelabor unauffällig. Kreatinkinase im Serum normwertig.
Kreatin im 24-h-Urin und Kreatinin-Clearance normwertig. ANA-Titer 1:160, homogenes
Muster ohne Mitosen. ENA-Screen negativ. Gesamt-IgE auf 487 kU/l erhöht. AST auf 4,0
IE/ml erhöht, ASL normwertig, CRP auf 12,7 mg/l erhöht. Borrelien-Serologie: IgG im
ELISA und Western-Blot positiv, im Immunfluoreszenztest (IFT) grenzwertig (Titer 1:20),
IgM im ELISA und IFT negativ.
Mykologie: Füße und Zehennägel: Trichophyton rubrum. Hände und Fingernägel: negativ.
Bakteriologie: Ulzera: massenhaft Staphylococcus aureus.
Neurologische Untersuchung: Periphere sensorische Polyneuropathie.
Phlebologische Untersuchung: Immobilisationsbedingtes Stauungssyndrom ohne Nachweis
einer chronisch-venösen Insuffizienz des tiefen und oberflächlichen Venensystems.
Farbkodierte Duplexsonographie der Becken-Beinarterien: Zeichen einer Mediasklerose,
distale Okklusion der rechten Arteria tibialis posterior ohne hämodynamische Relevanz.
Auflösung von S. 242
Diagnose: Fußulzerationen und dermatomyositisartige Hautveränderungen unter Langzeittherapie
mit Hydroxyurea (Litalir®)
Diagnose: Fußulzerationen und dermatomyositisartige Hautveränderungen unter Langzeittherapie
mit Hydroxyurea (Litalir®)
Kommentar
Kommentar
Bei den dermatomyositisartigen Hautveränderungen an Händen und Füßen handelt es sich
um eine relativ seltene, aber substanzspezifische Nebenwirkung des Chemotherapeutikums
Hydroxyurea (Litalir®). Hydroxyurea findet seine Anwendung bei hämatologischen Erkrankungen,
wie der chronisch-myeloischen Leukämie, der Polycythaemia vera und der essenziellen
Thrombozythämie. Es ist ein Antimetabolit und inhibiert durch Hemmung der Ribonukleotid-Reduktase
die DNA-Synthese [1]
[2]
[8].
Die dermatomyositisartigen Hautveränderungen unter Hydroxyurea sind durch streifige,
schuppende Erytheme mit poikilodermatischem Aspekt gekennzeichnet [1]
[2]
[9]
[10]
[12]. Typische Lokalisationen sind die Hand- und Fingerrücken mit Betonung der Metakarpophalangeal-
und Interphalangealgelenke. Seltener sind auch die Fußrücken und Zehen betroffen.
Differenzialdiagnostisch muss an eine Dermatomyositis gedacht werden. Klinisch fehlen
allerdings Muskelschmerzen oder -schwäche; elektromyographische Veränderungen lassen
sich nicht nachweisen. Die lividen periorbitalen Erytheme und Ödeme einer klassischen
Dermatomyositis sind üblicherweise ebenfalls nicht vorhanden. Allerdings sind auch
Fälle mit periorbitalen Ödemen und Gesichterythemen unter Hydroxyurea beobachtet worden
[1]. Laborchemisch ist die Kreatinkinase normwertig, auch das Kreatin im 24-Stunden-Urin
ist nicht erhöht.
Histologisch werden eine Orthohyperkeratose, epidermale Atrophie, eine Interface-Dermatitis
mit schütterem lichenoiden Infiltrat und Teleangiektasien in der oberen Dermis beschrieben
[1]
[2]
[9]
[10]. In der von uns gewonnenen Biopsie fand sich allerdings kein nennenswertes Entzündungsinfiltrat.
Typischerweise treten die Hautveränderungen nach einer Behandlungsdauer von 16-35
Monaten auf und sind nach Absetzen von Hydroxyurea reversibel. Da sie subjektiv jedoch
meist nicht sehr beeinträchtigend sind und eine dringende Therapienotwendigkeit der
hämatologischen Grunderkrankung besteht, ist es in der Regel nicht indiziert, die
Medikation abzusetzen. In unserem Falle erreichten wir eine Besserung durch eine Lokaltherapie
mit Dexpanthenol-Salbe unter Okklusion und nachfolgender Hautpflege mit einem harnstoffhaltigen
Präparat.
Die Pathogenese der dermatomyositisartigen Hautveränderungen unter Langzeittherapie
mit Hydroxyurea ist unklar. Da Hydroxyurea die DNA-Synthese beeinträchtigt, wird angenommen,
dass auch die Zellteilung der basalen Keratinozyten gehemmt wird. UV-Licht verstärkt
möglicherweise die Wirkung, wofür die bevorzugte Lokalisation an den Hand- und Fingerrücken
spricht [1].
Weitere, häufige Nebenwirkungen von Hydroxyurea sind Ulzerationen [11]
[12]
[13]
[14]
[15]
[16]
[17]. Kennzeichnend sind die bevorzugte Lokalisation an den lateralen bzw. medialen Malleoli
oder in der Perimalleolarregion, die häufig rundliche Form und die ausgeprägte Schmerzhaftigkeit.
Die Ulzerationen treten nach 1- bis 10-jähriger Hydroxyurea-Therapie bei einer täglichen
Dosis von mindestens 1000 mg auf. Eine Korrelation zwischen der Dosis und der Ausprägung
der Ulzerationen wird angenommen. Die Ulzera entstehen spontan oder nach Mikrotraumen
und treten oft gemeinsam mit dermatomyositisartigen Hautveränderungen an Händen und
Füßen auf. Die Ulzerationen sind außerordentlich therapierefraktär, zeigen jedoch
nach Absetzen der Medikation eine rasche Heilungstendenz.
Pathogenetisch wird ein direkter Effekt von Hydroxyurea auf die Ulkusentstehung angenommen.
Hydroxyurea hemmt die DNA-Synthese und somit auch die Proliferation von Endothelien,
Fibroblasten und Keratinozyten. Hautatrophie und Mikrotraumen führen im Verbund mit
der verminderten Wundheilung zur Ulzeration. Die durch die Thrombozytose bedingte
verminderte Mikrozirkulation hat sicherlich ebenfalls einen Anteil an der Ulkusentstehung.
Zusätzliche arterielle oder venöse Dysfunktionen verschlechtern die Heilung.
Auch in unserem Falle ist die Pathogenese der Ulzerationen nicht ganz eindeutig. Sicherlich
trugen der Diabetes mellitus und möglicherweise auch die arterielle Gefäßsituation
zur Entstehung der Ulzera bei. Allerdings sprechen der zeitliche Zusammenhang, die
typische Lokalisation, die Multiplizität und die Schmerzhaftigkeit der Ulzera sowie
ihre geringe Heilungstendenz für eine wesentliche Beteiligung des Hydroxyurea an der
Ulkusgenese.
Weitere Nebenwirkungen einer Hydroxyurea-Langzeittherapie treten in etwa 10-35 % auf
(siehe Tab. [1]). Die meisten dieser Veränderungen sind relativ unspezifisch und werden auch bei
anderen Zytostatika beobachtet [1-8, 11].
Tab. 1Nebenwirkungen einer Hydroxyurea-Langzeittherapie
- Ulzerationen |
- dermatomyositisartige Hautveränderungen |
- Xerosis cutis |
- Hyperpigmentierung bevorzugt an druckexponierten Stellen |
- Plantarkeratosen |
- fixe Arzneimittelexantheme |
- Gesichts-, Hand- und Fingererytheme |
- Begünstigung von aktinischen Keratosen, kutanen Stachelzell- und Basalzellkarzinomen |
- Stomatitis mit Ulzerationen |
- Effluvium |
- Alopezie |
- Nagelveränderungen: Onycholysis, Onychodystrophie und charakteristische longitudinale
Melanonychie |