Einleitung
Einleitung
Die Pachyonychia congenita, eine meist autosomal dominant vererbte ektodermale Dysplasie, manifestiert sich in Form unterschiedlicher klinischer Varianten, deren gemeinsames Merkmal eine charakteristische und stets vorhandene Anomalie der Nagelplatten ist [7]
[10]. Die Finger- und Zehennägel sind dabei typischerweise verdickt und zeigen eine verstärkte transversale Krümmung, die von proximal nach distal an Ausprägung zunimmt. Bei der Mehrzahl der betroffenen Patienten sind die Nagelveränderungen bei der Geburt vorhanden oder entwickeln sich in den ersten Lebensmonaten. Nur ganz vereinzelt ist eine Pachyonychia congenita tarda beobachtet worden, eine Verlaufsform, bei der sich erst im Erwachsenenalter typische Nagelveränderungen ausbilden [8]. Neben den Störungen der Nagelstruktur treten bei der Pachyonychia congenita weitere assoziierte Symptome auf. Aufgrund der unterschiedlichen Kombinationen der klinischen Symptome wurde die Pachyonychia congenita unter anderem von Feinstein et al. in vier verschiedene Formen eingeteilt [3]. Der Typ I, das Jadassohn-Lewandowsky-Syndrom, wird am häufigsten beobachtet und zeichnet sich neben den Nagelveränderungen durch palmoplantare Hyperkeratosen, follikuläre Keratosen und Leukokeratosen aus. Beim Jackson-Lawler-Syndrom, dem seltener auftretenden Typ II, finden sich zusätzlich pränatale Zähne, palmoplantare Blasen und multiple Epidermoidzysten [5]
[7]. Beide Syndrome konnten in der Zwischenzeit auch molekulargenetisch voneinander abgegrenzt werden. Während das Jadassohn-Lewandowsky-Syndrom auf eine Mutation im Keratingen K 16 zurückzuführen ist, findet sich die genetische Veränderung beim Jackson-Lawler-Syndrom im Keratingen K 17 [4]. Die Typen III und IV der Klassifikation von Feinstein et al. zeichnen sich durch weitere Symptome aus. Hierzu zählen ophthalmologische Störungen, Veränderungen im HNO-Bereich und Intelligenzdefekte.
Während somit die für die Diagnose einer Pachyonychia congenita pathognomonischen Nagelveränderungen mit wenigen Ausnahmen bereits bei der Geburt oder unmittelbar danach vorhanden sind, ist das Vorkommen weiterer Symptome typenabhängig variabel. Darüber hinaus finden sich in der Literatur häufig nur allgemeine Hinweise, in welchem Lebensalter mit dem möglichen Auftreten assoziierter Symptome zu rechnen ist [1]
[2]
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[10]. Durch die erneute Beobachtung eines jetzt 15-jährigen Patienten mit einer Pachyonychia congenita vom Typ Jackson-Lawler, dessen klinische Symptomatik im 7. und 21. Lebensmonat erstmals dokumentiert worden war, ist es in der nachfolgenden Kasuistik möglich gewesen, die jetzt vorhandenen Befunde mit den Ausgangsbefunden zu vergleichen und die in der Zwischenzeit neu aufgetretenen Symptome in ihrer Entstehung zeitlich einzuordnen.
Kasuistik
Kasuistik
Pat.: S. H., 15 Jahre, Schüler
Bereits bei der Geburt des Patienten im Oktober 1985 waren neben einer pränatalen Dentition Veränderungen aller Finger- und Zehennägel aufgefallen. Darüber hinaus kam es in den ersten Lebensmonaten wiederholt zu perionychialen Entzündungen, die teilweise mit dem Verlust einzelner Nägel einhergingen. Im Alter von 7 Monaten wurde der Patient erstmals in der Universitäts-Hautklinik Homburg/Saar vorgestellt. Zum damaligen Zeitpunkt zeigte sich eine Verdickung aller Nägel, deren Ausprägung jeweils von proximal nach distal zunahm. Die Oberfläche der Nägel wurde als glatt und verstärkt transversal gekrümmt beschrieben. Daneben fanden sich kompakte Hyperkeratosen in den distalen Anteilen der Nägel (Abb. [1]). Insgesamt waren alle beobachteten Nagelveränderungen an den Fingern ausgeprägter als an den Zehen. 1987 wurde der jetzt 21 Monate alte Patient ein zweites Mal in Homburg untersucht. Der Befund der Nägel war zu diesem Zeitpunkt unverändert. Auch waren weiterhin Paronychien an einzelnen Fingern oder Zehen aufgetreten. Zusätzlich fanden sich nun follikuläre Keratosen an den Oberarmen, den Schultern und den Streckseiten der Kniegelenke, hier auf dem Boden unscharf begrenzter Erytheme. Die im 7. und 21. Lebensmonat dokumentierten Befunde sind der ersten Kasuistik des Patienten entnommen worden, die 1988 in der Aktuellen Dermatologie veröffentlicht worden war [11].
Abb. 1Befund der Fingernägel im Alter von 7 Monaten.
In den folgenden Jahren nahm die Häufigkeit der Paronychien langsam ab. Gleichzeitig bemerkten die Eltern immer wieder subunguale Hämatome der Zehennägel, die bis heute nach geringfügigen Traumen oder ohne ersichtlichen Grund auftreten. Im Alter von 6 Jahren wurden erstmals Blasen an den Füßen bemerkt, die ebenfalls bis heute besonders in den Sommermonaten nach verstärkten mechanischen Belastungen, z. B. durch Spaziergänge oder sportliche Aktivitäten, beobachtet werden. Neben den Blasen hatten sich zu Beginn der Schulzeit auch Hyperkeratosen an den Füßen ausgebildet, die seither vor allem in den druckbelasteten Arealen der Fußsohlen bestehen, geblieben sind. Im Gegensatz zu den Füßen sind an den Händen zu keinem Zeitpunkt Blasen oder Hyperkeratosen aufgetreten.
Die dritte Vorstellung des Pat. erfolgte im Herbst 2000 im Alter von 15 Jahren in der Hautklinik Bremerhaven. Dabei stellt sich der Befund der Fingernägel weitgehend unverändert dar. Bei glatten Nageloberflächen, die nur umschrieben am distalen Rand zerstört sind, zeigen sich verdickte Nagelplatten bei ausgeprägter konvexer Krümmung (Abb. [2]). Des Weiteren finden sich subunguale, grau-braun pigmentierte Hyperkeratosen, die vom freien Rand ausgehend etwa die Hälfte der Nagelbettflächen einnehmen. Im Vergleich zu den früher dokumentierten Befunden sind die Fußnägel jetzt in ihrer gesamten Fläche verdickt und zeigen eine homogene gelbliche Verfärbung sowie eine rauhe und teilweise fein aufgesplitterte Oberfläche. Am rechten Großzeh besteht nur noch eine rudimentäre Nagelplatte. Hier und an insgesamt drei weiteren Zehen- und Fingernägeln liegen zusätzlich subunguale Hämatome unterschiedlicher Verfärbung vor. Jeweils an beiden Füßen im Bereich der Fersenbeinregionen lateral und medial zeigen sich bis münzgroße, postbullöse Erytheme mit teilweise randständig erhaltener Schuppenkrause (Abb. [3]). Ebenfalls an beiden Füßen im Vorfußbereich lateral und medial sowie im Fersenbeinbereich dorsal finden sich zusätzlich unscharf begrenzte, gelblich tingierte Hyperkeratosen (Abb. [4]). Bei insgesamt unauffälliger Haut der Hände lässt sich hier und auch plantar keine Hyperhidrose feststellen. Die bereits früher an den Oberarmen, den Schultern und Kniegelenken beobachteten follikulären Keratosen bestehen in unveränderter Form, ohne dass es bisher zu einer flächenmäßigen Ausbreitung gekommen wäre. Epidermoidzysten sind bei dem Patienten bisher nicht aufgetreten. Neben der beschriebenen kutanen Symptomatik lassen sich z. Z. keine weiteren Fehlbildungen oder funktionelle Störungen anderer Organsysteme feststellen. Insbesondere die neurologischen, ophthalmologischen und zahnärztlichen Befunde sind dabei unauffällig.
Abb. 2Befund der Fingernägel im Alter von 15 Jahren.
Abb. 3Postbullöses Erythem mit randständiger Schuppenkrause Fersenbeinbereich links.
Abb. 4Zarte Hyperkeratosen Vorfußbereich und Großzeh links.
Diskussion
Diskussion
Neben den klinisch charakteristischen, typischerweise bei der Geburt bereits vorhandenen Nagelveränderungen können sich bei den verschiedenen Formen der Pachyonychia congenita zahlreiche weitere kutane oder extrakutane Symptome entwickeln [7]
[10]. Da alle bisher vorgeschlagenen Klassifikationen der Pachyonychia congenita auf der Einteilung der klinischen Symptome beruhen, kann das unterschiedliche Manifestationsalter der assoziierten Symptome im Einzelfall, z. B. bei Neugeborenen, die Einordnung der vorliegenden Form der Pachyonychia congenita zunächst erschweren [6]
[9]. Von dieser möglichen Einschränkung einmal abgesehen, hat sich die Einteilung der Pachyonychia congenita nach klinischen Gesichtspunkten jedoch bewährt, zumal die Befundkombinationen einerseits typische Unterschiede aufweisen und andererseits immer wieder die gleichen klinischen Variationen der Befunde beobachtet werden können. Die heute im allgemeinen favorisierte, von Feinstein et al. vorgeschlagene Klassifikation der Pachyonychia congenita in vier verschiedene Typen beruht auf der Analyse der Literaturdaten von 168 Patienten [3]. Dabei zeigen alle Typen der Erkrankung Pachyonychien, palmoplantare Hyperkeratosen und follikuläre Keratosen. Beim Typ I, dem Jadassohn-Lewandowsky-Syndrom, das innerhalb der von den Autoren analysierten Patientengruppe mit 56 % am häufigsten vertreten war, finden sich zusätzlich orale Leukoplakien, während weitere Symptome fehlen. Im Gegensatz zu dieser Befundkonstellation zeichnet sich der Typ II, das in der Untersuchung von Feinstein et al. mit einem Anteil von 25 % gefundene Jackson-Lawler-Syndrom, durch fehlende Schleimhautveränderungen aus, während gleichzeitig einzelne oder auch zahlreiche Zähne bei der Geburt vorhanden sein können. Weitere Symptome des Jackson-Lawler-Syndroms sind palmoplantare Blasen, eine palmoplantare Hyperhidrose, multiple Epidermoidzysten und eine Assoziation zum Steatocystoma multiplex [5]
[7]. Bei den Typen III und IV treten in Ergänzung zu den bereits genannten Symptomen weitere, meist schwerwiegende Störungen auf. Hierzu zählen unter anderem korneale Dyskeratosen, Schwerhörigkeit und Intelligenzdefekte. Mit zusammen 19 % sind die Typen III und IV von Feinstein et al. am seltensten beobachtet worden. Als Manifestationsalter der assoziierten Symptome werden in der Literatur meist ganz allgemein die frühe Kindheit, die Pubertät oder das junge Erwachsenenalter angegeben. Spätestens mit dem Ende der zweiten Lebensdekade dürfte bei den meisten Patienten die Ausbildung der klinischen Symptomatik abgeschlossen sein [1]
[2]
[5]
[10]. Auf der Grundlage der Klassifikation von Feinstein et al. wurde bei dem hier erneut vorgestellten Patienten die Diagnose einer Pachyonychia congenita vom Typ II Jackson-Lawler gestellt. Vergleicht man die im 7. und 21. Lebensmonat sowie die jetzt im Alter von 15 Jahren erhobenen klinischen Befunde miteinander, lassen sich die folgenden Entwicklungen feststellen: Abgesehen vom Größenwachstum der Nägel sind die pathologischen Veränderungen der Fingernägel in ihrer Ausprägung völlig unverändert geblieben, während die Befunde der Fußnägel im Laufe der Jahre zugenommen haben. So zeigten sich die Pachyonychien der Fußnägel in der frühen Kindheit nur in den distalen Bereichen, während die Nagelplatten jetzt komplett verdickt erscheinen. Gleichzeitig ist die glatte Oberfläche der Fußnägel durch eine aufgeraute Struktur ersetzt worden. Möglicherweise besteht hierbei ein Zusammenhang mit den immer wieder vorliegenden, offensichtlich durch Mikrotraumen ausgelösten subungualen Hämatomen. Den früher häufiger, jetzt deutlich seltener auftretenden Paronychien dürfte ebenfalls eine pathogenetische Bedeutung bei der Zunahme der Nagelveränderungen der Füße zukommen. Sicher gilt diese Einschätzung für den Großzehnagel rechts, der jetzt nur noch als Rudiment zu erkennen ist. Die bei der zweiten Untersuchung in Homburg im 21. Lebensmonat erstmals beobachteten follikulären Keratosen sind in ihrer Lokalisation und flächenmäßigen Ausbreitung unverändert geblieben.
Im Alter von 6 Jahren wurden erstmals Blasen und Hyperkeratosen an den Füßen bemerkt. Anamnestisch konnte nicht geklärt werden, ob die klinisch wenig ausgeprägten Hyperkeratosen als Folge rezidivierender Blasenbildungen im Sinne reaktiver Hyperkeratosen gewertet werden müssen. Die Lokalisation mag für einen entsprechenden Zusammenhang sprechen. Da die Hyperkeratosen in den am stärksten druckbelasteten Arealen der Füße vorliegen, könnte man möglicherweise in den gleichen Lokalisationen auch fortgesetzte Blasenbildungen vermuten, da die mechanische Belastung hier am größten ist. Im Gegensatz zu den Füßen ist es bei unserem Patienten bisher nicht zur Ausbildung von Blasen oder Hyperkeratosen an den Händen gekommen. Da der Patient noch Schüler ist, fehlt möglicherweise die zur Provokation dieser Morphen vermutlich notwendige mechanische Belastung der Hände, wie man sie z. B. in einem handwerklichen Beruf erwarten dürfte. Auch eine palmoplantare Hyperhidrose sowie die beim Jackson-Lawler-Syndrom ebenfalls beschriebenen multiplen Epidermoidzysten sind bei unserem Patienten bisher nicht aufgetreten.
Als Fazit auch unserer hier vorgestellten Verlaufsbeobachtung bleibt abschließend festzustellen, dass die Pachyonychie congenita auch innerhalb ihrer definierten Formen eine vielschichtige, den Alltag der betroffenen Patienten in ihren verschiedenen Lebensabschnitten unterschiedlich beeinflussende Symptomatik zeigen kann.