Einleitung
Einleitung
Bei der Beurteilung von pathophysiologischen Veränderungen im Bereich des intrapulmonalen
Gastransportes ist die Kenntnis des Totraumvolumens von großer Bedeutung. Zur funktionellen
Bestimmung des Totraumvolumens hat sich die Methode nach Fowler [2] etabliert, die allerdings voraussetzt, dass im Exspirogramm der Mischluftanteil
(Phase II) vom alveolaren Plateau (Phase III) eindeutig differenziert werden kann
und dass die Phase III eines Inertgas-Exspirogramms linear verläuft. Exspirogramme
von Patienten mit Lungenemphysem sind jedoch u. a. dadurch charakterisiert, dass die
Phasen II und III fließend ineinander übergehen und dass der Konzentrationsverlauf
während der Phase III gekrümmt ist (vgl. Abb. [1], Kurve 2). Somit ist also eine Bestimmung des Totraumes nach der Fowlerschen Methode
bei Patienten mit Lungenemphysem bislang nicht möglich.
Abb. 1 Beispiele von typischen Inertgas-Exspirogrammen. Kurve 1: C18O2-Exspirogramm eines Patienten mit Lungenemphysem. Kurve 2: Argon-Exspirogramm eines
Patienten mit Lungenemphysem Kurve 3: Argon-Exspirogramm eines lungengesunden Nichtrauchers.
Die drei Phasen eines Exspirogrammes lassen sich bei Kurve 1 und 3 deutlich voneinander
differenzieren, wogegen dies bei Kurve 2 nicht möglich ist.
Abb. 2 Korrelation der Totraumvolumina, abgeleitet aus Argon- und C18O2-Exspirogrammen von lungengesunden Nichtrauchern.
Um diese Problematik zu lösen, bietet sich der Einsatz von markiertem Kohlendioxid
(C18O2) als Testgas an. Wie in neueren Studien gezeigt werden konnte [2]
[5], wird das Testgas C18O2 im gasaustauschenden Bereich der Lunge vollständig absorbiert, jedoch nicht in den
luftleitenden Atemwegen. Die Absorption des C18O2 erfolgt fast ausschließlich in Gegenwart des Enzyms Carboanhydrase der Erythrozyten.
Somit kann C18O2 nur im stark durchbluteten Bereich der Lunge, dem Alveolarbereich absorbiert werden.
Zwar konnte in tierexperimentellen Studien [6] gezeigt werden, dass C18O2 zu einem sehr geringen Teil auch von den luftleitenden Atemwegen absorbiert wird,
dieser Anteil ist jedoch vernachlässigbar gering. Durch diese Eigenschaften fällt
die massenspektrometrisch gemessene Konzentration bei der Exhalation von alveolarer
Luft auf Null ab (vgl. Abb. [1], Kurve 1). So kann durch den zusätzlichen Einsatz des Testgases C18O2 bei Patienten mit Lungenemphysem aus dem C18O2-Exspirogramm der Totraum nach der Fowlerschen Methode abgeleitet werden. Zusätzlich
ermöglicht der Einsatz von C18O2 die exakte Trennung der Phase II von Phase III (vgl. Abb. [1]) und erlaubt damit die klare Zuordnung von exspirierter Luft aus den alveolaren
Bereichen der Lunge. Dies ist von Bedeutung, da eine Analyse der Phase III von Inertgas-Exspirogrammen
wie z. B. Argon die Beurteilung der alveolaren Gasmischung erlaubt [4].
In dieser Studie sollte gezeigt werden, ob der Einsatz von C18O2 als Testgas beim Einatemzugmanöver geeignet ist, eine valide Totraumbestimmung nach
Fowler bei Lungengesunden und bei Patienten mit Lungenemphysem durchzuführen.
Methodik
Methodik
Patienten: Es wurden 21 lungengesunde Nichtraucher und 29 Patienten mit den klinischen und radiologischen
Zeichen eines Lungenemphysems untersucht. Eine Übersicht über die Lungenfunktionswerte
und das Alter gibt Tab. [1] wieder.
Einatemzugmanöver: Bei den Atemmanövern wurde ein Testgasgemisch verwendet, das bei normaler Sauerstoffkonzentration
auch die Testgase Argon (Ar, 3 %) und C18O2 (0,2 %) enthielt. Die Probanden und Patienten wurden in sitzender Position untersucht.
Unter visueller Kontrolle der konstanten Atemstromstärke (Soll 0,5 l/s) wurde folgendes
Atemmanöver vom Niveau der funktionellen Residualkapazität (FRC) aus begonnen: Die
Inhalation erfolgte bis 90 % TLC und unmittelbar anschließend, ohne Atempause, wurde
bis unter das FRC-Niveau exhaliert. Die Gaskonzentrationen wurden kontinuierlich direkt
am Mundstück mit Hilfe eines Respirationsmassenspektrometers gemessen.
Respirationsmassenspektrometrie: Eine Probe der in- und exspirierten Luft wurde direkt am Mundstück durch eine beheizte
(37 °C), 1,22 m lange Kapillare mit einem Fluss von 14 ml/min angesaugt und in einem
Magnetsektor-Massenspektrometer (modifiziertes DLT 1100 R Dennis Leigh Technology
Ltd.; GB) kontinuierlich analysiert. Die Tot- und Verzögerungszeiten wurden für alle
Gase täglich gemessen und waren über den Zeitraum der Untersuchung konstant. Für C18O2 betrug die Totzeit 279 ± 2 ms, die Verzögerungszeit (5 % - 95 %) lag bei 28 ± 2 ms.
Entsprechende Werte wurden auch für Argon gemessen. Mit Hilfe eines analogen 10-Kanal-Rechners
nach Scheidt und Slama [5] wurden unerwünschte Effekte durch Wasserdampf und Absolutdruckschwankungen kompensiert,
in dem die Summe aller gemessenen respiratorischen Gase auf 1 normiert wurde und so
rechnerisch die fraktionellen Konzentrationen ermittelt wurden. Das Gas C18O2 wurde bei einem Masse-Ladungs-Verhältnis von 48 gemessen, der Abstand zu den benachbarten
Gasen beträgt 500 : 1.
Eigenschaften der verwendeten Gase: Argon hat eine Atomgewicht von 40, C18O2 von 48. Somit haben beide Gase annähernd gleiche diffusible Eigenschaften (Ar diffundiert
in Luft ca. 1,09-mal schneller als C18O2), werden jedoch unterschiedlich schnell vom Gewebe aufgenommen. C18O2 gehört wegen seiner guten Wasserlöslichkeit - wie auch das „normale” Kohlendioxid,
C16O2 - zu den am schnellsten vom Gewebe aufgenommenen Gasen (ca. 20-mal schneller als
z. B. O2 oder Ar). Aufgrund der unterschiedlichen physikalischen Eigenschaften eignet sich
somit C18O2 besser zur Bestimmung des Totraumvolumens, weil die Grenze zwischen gut durchblutetem
Alveolarbereich und schlechter durchblutetem Bronchialbereich schärfer abgrenzbar
ist. Zur Beurteilung von intrapulmonalen Gasmischungsprozessen ist Argon wegen seiner
schlechteren Löslichkeit vorzuziehen.
Datenaufzeichnung und Auswertung: Die kompensierten Gassignale und das Signal für die Atemstromstärke wurden mit einer
Abtastrate von 500 Hz digitalisiert und von einem PC gespeichert. Vor der rechnergestützten
Analyse wurden die Exspirogramme zeitlich um die aktuelle Totzeit korrigiert und schließlich
als Funktion des exspirierten Volumens dargestellt. Aus diesen normierten C18O2-Exspirogrammen wurde schließlich nach der Fowlerschen Methode [2] der Totraum bestimmt, den Fowler bereits 1948 als „physiologischen Totraum” bezeichnet
hat. Bei Lungengesunden wurde nach derselben Methode zusätzlich auch der Totraum aus
den Argon-Exspirogrammen ermittelt.
Reproduzierbarkeit der Daten: Von allen Messungen wurden Doppelbestimmungen gemacht. Die mittlere Abweichung der
Einzelmesswerte lag bei der Bestimmung des Totraumvolumens mittels C18O2 bei Gesunden bei 2,7 % und bei Emphysematikern bei 5,3 %.
Ergebnisse
Ergebnisse
Die Ergebnisse aus der konventionellen Lungenfunktionsuntersuchung und aus dem Einatemzugmanöver
sind z. T. in Tab. [1] aufgetragen. Wie zu erwarten, zeigten die Patienten mit Lungenemphysem bodyplethysmographisch
ein erhöhtes intrathorakales Gasvolumen (ITGV) mit 207 ± 38 % Soll gegenüber 129 ± 35
% Soll bei Gesunden. Auch war der Quotient RV/TLC bei den Emphysematikern mit 55,4 ± 13,5 %
gegenüber 24,6 ± 5,1 % bei den Gesunden deutlich erhöht. Als Ausdruck der zentralen
und peripheren Obstruktion wiesen Atemwegswiderstand (Rtot) sowie maximaler exspiratorischer Fluss (PEF) und Tiffeneau-Test (FEV1) deutlich pathologische Werte auf (vgl. Tab. [1]). Der verminderte alveolar-kapilläre Gasaustausch spiegelte sich in einer auf 80 %
(± 31 %) abgefallenen Diffusionskapazität wider.
Tab. 1
|
Gesunde |
Emphysematiker |
|
|
VDF
|
|
VDF
|
Alter [Jahre] |
37 ± 11 |
|
66 ± 10 |
|
Rtot [kPa/l/s] |
0,20 ± 0,10 |
+ |
0,49 ± 0,27 |
+ |
FEV1 [% Soll] |
106 ± 15 |
+ |
47 ± 34 |
+ |
MEF75 [% Soll] |
100 ± 24 |
+ |
29 ± 28 |
+ |
MEF50 [% Soll] |
84 ± 25 |
|
27 ± 40 |
|
MEF25 [% Soll] |
75 ± 34 |
|
23 ± 30 |
|
VDF [ml] |
223 ± 42 |
|
227 ± 52 |
|
VDF (Ar) [ml] |
230 ± 43 |
+ |
- |
- |
VDF: Totraumvolumen ermittelt aus den C18O2-Exspirogrammen. VDF(Ar): Totraumvolumen ermittelt aus den Ar-Exspirogrammen. + gibt eine signifikante Korrelation (p < 0,05) zwischen VDF und dem jeweils betrachteten Parameter an |
Das aus dem C18O2-Exspirogramm abgeleitete Totraumvolumen betrug bei Gesunden 223 ± 42 ml. Die Korrelation
zwischen den aus den Argon- bzw. C18O2-Exspirogrammen abgeleiteten Totraumvolumina ist für Gesunde in Abb. [2] grafisch dargestellt. Man erkennt, dass es sich hierbei um eine eindeutige Beziehung
handelt, was sich in einem R2 von 0,99 widerspiegelt (VDF[Ar] = 1,01 · VDF[C18O2] + 0,004 l). Jedoch war das Totraumvolumen aus den Argon-Exspirogrammen (VDF) im Mittel um 7 ml größer (p < 0,001) als das aus den C18O2-Exspirogrammen ermittelte.
Das aus den C18O2-Exspirogrammen ermittelte Totraumvolumen war bei Lungengesunden unerwarteterweise
gleich groß wie bei Emphysematikern. Dieses Ergebnis steht scheinbar im Widerspruch
zu den oben erwähnten, bodyplethysmographischen Parametern, die bei Emphysematikern
im Sinne einer Bronchokonstriktion verändert waren und daher kleinere Totraumvolumina
erwarten ließen. Für beide untersuchten Kollektive wurden daher die Korrelationen
zwischen dem aus dem C18O2-Exspirogramm abgeleiteten Totraumvolumen und dem Atemwegswiderstand betrachtet (vgl.
Abb. [3]). Bei den Emphysematikern ließ sich eine signifikante Korrelation zwischen beiden
Parametern nachweisen (p = 0,015 nach Pearson), nicht jedoch bei den Lungengesunden
(p = 0,74).
Abb. 3 Korrelationen zwischen Atemwegswiderstand Rtot und Totraumvolumen (C18O2) bei lungengesunden Probanden und Patienten mit Lungenemphysem. Bei annähernd gleichem
Totraumvolumen weisen die Kollektive unterschiedliche Atemwegswiderstände auf.
Diskussion
Diskussion
Aus den Exspirogrammen ist erkennbar, dass der Konzentrationsverlauf von C18O2 während der Phase I keine Steigung aufweist. Dies muss als Bestätigung interpretiert
werden, dass in den luftleitenden Atemwegen dieses Testgas nicht oder nur zu einem
vernachlässigbar geringem Anteil absorbiert wird.
Die Ergebnisse zeigen, dass die funktionelle Totraumbestimmung aus dem C18O2-Exspirogramm nach der von Fowler beschriebenen Methode bei den gesunden Probanden
identische Ergebnisse liefert wie aus dem Argon-Exspirogramm abgeleitete Werte.
Die eingangs erwähnten besonderen Eigenschaften von C18O2 und die bei den Gesunden gefundene enge Korrelation zwischen Argon- und C18O2-Totraumvolumen legt nahe, dass der hier vorgestellte experimentelle Ansatz auch beim
Patienten mit Lungenemphysem valide Ergebnisse liefert. Die Analyse von C18O2-Exspirogrammen stellt somit bei Patienten mit Lungenemphysem derzeit die einzige
verfügbare Methode zur Totraumbestimmung dar.
Da der klinische Übergang zwischen Lungengesunden und Emphysematikern fließend ist,
würde man auch einen fließenden Übergang der gemessenen Totraumvolumina und den flussdynamischen
Parametern zwischen diesen beiden Kollektiven erwarten.
Während bei Patienten mit Lungenemphysem zwischen den beiden Parametern Totraumvolumen
und Atemwegswiderstand eine signifikante Korrelation besteht (p = 0,015), ist kein
Zusammenhang zwischen diesen beiden Parametern beim Lungengesunden nachweisbar (vgl.
Abb. [3]). Diese Beobachtung kann mit dem Gesetz von Hagen-Poiseuille erklärt werden, wonach
der Strömungswiderstand in einer Röhre in der 4. Potenz vom Durchmesser abhängig ist.
Somit beeinflussen geringfügige Änderungen der physiologisch weiten Atemwegsdurchmesser
beim Gesunden den Atemwegswiderstand nur wenig, während beim Patienten mit bereits
obstruktiven Atemwegen jede weitere, geringfügige Änderung den Atemwegswiderstand
stärker beeinflusst.
Aus Abb. [3] und Tab. [1] geht jedoch hervor, dass die beiden Kollektive nicht wie oben postuliert entlang
einer Funktion der 4. Potenz fließend ineinander übergehen, sondern dass die beiden
Kollektive bei gleichen Totraumvolumina verschiedene Atemwegswiderstände aufweisen.
Es stellt sich somit die Frage, weshalb die Patienten erhöhte Atemwegswiderstände
aufweisen, obwohl die Totraumvolumina gegenüber den Gesunden gleich sind. Bei dem
von uns untersuchten Patientenkollektiv handelte es sich fast ausschließlich um Raucher.
Es ist die vorherrschende Lehrmeinung, dass Raucher überwiegend die zentrialobuläre
Form des Emphysems entwickeln [1]. Somit ist vorwiegend mit einem Funktionsverlust der Alveolen im Bereich der respiratorischen
Bronchioli zu rechnen. Da die destruierten Alveoli nicht mehr am Gasaustausch beteiligt
sind, wandert auch die funktionelle Grenze zwischen konduktiven Atemwegen und gasaustauschendem
Bereich nach peripher, das funktionelle, aus dem C18O2-Exspirogramm abgeleitete Totraumvolumen wird also in den gasaustauschenden Bereich
der Lunge verschoben. Bei der Bestimmung des Totraumes mit unserer Methode wird -
wie eingangs beschrieben - C18O2 nur in den gasaustauschenden Bereichen der Lunge vollständig absorbiert. Im Exspirogramm
führt dies ebenfalls zu einer Verschiebung der Grenze zwischen Phase II und Phase III.
Der gemessene Totraum wird also größer. Auf der Grundlage des Lungenmodells von Weibel
[7] würde eine Verschiebung dieser Grenze zwischen Phase II und Phase III um nur eine
Atemwegsgeneration nach peripher (von Generation 17 nach 18) rechnerisch zu einer
Zunahme des Totraumvolumens von 61,1 ml führen. Nach Weibel sind im Bereich der 17.
Atemwegsgeneration 12 % und im Bereich der 18. Atemwegsgeneration bereits 25 % der
Atemwegsoberfläche alveolarisiert. Eine Destruktion der Alveolen in diesen Regionen
führt also zu einer Verschiebung der Grenze des funktionellen Totraumes. Ebenso führt
die verminderte Alveolenzahl zu einer verlangsamten Absorption des C18O2 und so zu einer messbaren Verschiebung des Übergangs Phase II zu III im Exspirogramm.
Es können also bei Patienten mit Lungenemphysem zwei voneinander unabhängige Effekte
das funktionell bestimmte Totraumvolumen verändern: 1. zentrale Bronchokonstriktionen
führen zu einer Reduktion des Totraumvolumens und 2. die Verschiebung der stationären
Front in die Lungenperipherie führt zu einer Zunahme des Totraumvolumens. Bei Patienten
mit Lungenemphysem führt offensichtlich die Überlagerung dieser beiden Mechanismen
dazu, dass das Totraumvolumen in der Summe unverändert bleibt.