Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2001; 36(3): 177-178
DOI: 10.1055/s-2001-11819-5
MINI-SYMPOSIUM
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Neue wissenschaftliche Kenntnisse zu peripheren Opioidrezeptoren

R. Likar, M. Schäfer, C. Stein
  • Abt. für Anästhesiologie und Allgemeine Intensivmedizin, Allg. Öffentliche Krankenanstalten, Klagenfurt
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Publication Date:
28 April 2004 (online)

Die lokale Applikation von Opioiden führt bei einer Aktivierung von peripheren Opioidrezeptoren zu klinisch relevanten, analgetischen Wirkungen [1]. Diese Opioidrezeptoren sind auf peripheren Nervenendigungen primär sensorischer Neurone lokalisiert [2] [3]. Eine lokale Entzündungsreaktion scheint eine wichtige Voraussetzung für das Auftreten der peripher analgetischen Wirkung von Opioiden zu sein [4] [5]. Experimentelle Untersuchungen weisen auf eine kontinuierliche Zunahme der analgetischen Wirkung im Verlauf einer lokalen Entzündung [4] [8].

Zum Nachweis der Wirksamkeit lokal verabreichter Opioide unter klinischen Bedingungen wurde in einer großen Anzahl kontrollierter klinischer Studien Morphin in einer Dosierung zwischen 0,5 und 5 mg intraartikulär am Ende einer arthroskopischen Kniegelenksoperation injiziert [7]. Während die Mehrzahl dieser Untersuchungen einen signifikanten analgetischen Effekt nach intraartikulärer Gabe von Morphin beschrieben [7], konnte in einem Teil der Studien dieser Effekt nicht nachgewiesen werden [8]. Dies mag teilweise an der unterschiedlichen Durchführung dieser Untersuchungen liegen [8]. Eine periphere Wirksamkeit von Opioiden wurde auch durch andere lokale Injektionen versucht nachzuweisen (intrapleural, inzisional, perineural, intraperitoneal) [9]. Das Vorgehen und die Ergebnisse dieser Untersuchungen waren sehr uneinheitlich und zeigten in den meisten Fällen keine signifikante Schmerzreduktion [9]. Folgende mögliche Ursachen des Fehlens einer peripher analgetischen Wirkung von Opioiden sind in Betracht zu ziehen: Erstens, die Räume, in die Morphin appliziert wurde, bilden kein geschlossenes Kompartiment verglichen mit dem Kniegelenk [1]. Zweitens, Opioidrezeptoren, die axonal transportiert werden, sind in Transit und daher möglicherweise nicht funktionell aktiv [3]. Drittens, die perineurale Scheide, die als natürliche Barriere gegenüber dem unkontrollierten Eindringen fremder Substanzen in das neuronale Gewebe gilt, ist bei Vorliegen einer lokalen Entzündung durchlässig, nicht jedoch unter normalen Bedingungen [5].

Wir verglichen zwei verschiedene Applikationsformen lokalen Morphins bezüglich ihrer peripheren Wirksamkeit bei zahnchirurgischen Eingriffen. Alle Patienten kamen notfallmäßig mit einer akut entzündlichen und schmerzhaften Zahnerkrankung in die Klinik. Patienten mit Eingriffen im Ober- und Unterkieferbereich bis hin zum 4er erhielten eine lokale submuköse Injektion (1. Untersuchung). Patienten mit Eingriffen im Unterkieferbereich ab dem 4er rückwärts erhielten eine perineurale Injektion des versorgenden N. mandibularis (2. Untersuchung). In beiden Untersuchungen erhielten die Patienten vor dem chirurgischen Eingriff die Injektion eines Lokalanästhetikums (1,7 ml Ultracain) und - randomisiert zugeteilt - von 1 mg Morphin (Gruppe A) oder isotoner Kochsalzlösung (Gruppe B). Die Patienten zeichneten die Schmerzwerte anhand einer numerischen Analogskala (NRS) zwischen 0 und 10 (0 = kein Schmerz, 10 = unerträglicher Schmerz) vor und 2, 4, 6, 8, 10, 12, 16, 20 und 24 Stunden nach dem Eingriff auf. Ebenfalls wurde der Schmerz anhand einer visuellen Analogskala (VAS) von 0 bis 100 mm (0 = kein Schmerz, 100 = unerträglicher Schmerz) dokumentiert. Den Patienten war es - falls erforderlich - gestattet, bei Schmerzen Diclofenac rapid 50 mg einzunehmen. Die Zeit bis zur ersten Einnahme und die Gesamtmenge an verbrauchtem Diclofenac wurde protokolliert. Ebenfalls wurden mögliche Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen, Juckreiz, Harnverhalten und Obstipation dokumentiert. Die Patienten wurden nach der zahnchirurgischen Behandlung nach Hause entlassen und gebeten die Aufzeichnung in einem frankierten Umschlag zurückzusenden.

In beiden Untersuchungen gaben die Patienten bei der Aufnahme Schmerzen mittlerer bis starker Intensität an (zwischen 5 und 6 NRS bzw. 50 und 60 mm VAS). Sowohl nach der submukösen als auch nach der perineuralen Injektion des Lokalanästhetikums reduzierte sich die gemessene Schmerzintensität aller Patienten signifikant bis zu einem Niveau von etwa 30 mm auf der VAS-Skala (P < 0,05, ANOVA). Dies ist vereinbar mit der lokalanästhetischen Wirkung. In den Patienten, die zusätzlich zum Lokalanästhetikum 1 mg Morphin submukös injiziert erhielten, sank die Schmerzintensität ab der 6. - 8. Stunde bis zu 24 Stunden nach dem Eingriff weiter signifikant ab (P < 0,05, ANOVA), während die Schmerzintensität der Kontrollgruppe (Kochsalz, Gruppe B) unverändert blieb. Im Gegensatz dazu zeigte sich nach perineuraler Injektion von 1 mg Morphin zusätzlich zum Lokalanästhetikum kein weiterer Abfall der Schmerzintensität im Vergleich zur Kontrollgruppe (P ≥ 0,05, ANOVA). Dieses ist in Übereinstimmung mit der Mehrheit der bisher veröffentlichten Studien, die nach perineuraler Gabe eines Opioids keinen analgetischen Effekt nachweisen konnten [9]. Die Untersuchung peripher analgetischer Wirkungen von Opioiden an Patienten mit einer entzündlichen, schmerzhaften Zahnerkrankung scheint ein ideales Modell im Vergleich zu dem bekannten tierexperimentellen Entzündungsmodell zu sein, in welchem periphere Opioidwirkungen zum ersten Mal beschrieben wurden [1]. Auch unter klinischen Bedingungen scheint eine lokale Entzündung für das Auftreten peripherer Opioidwirkungen notwendig zu sein. Die von uns in die Studie aufgenommenen Patienten hatten eine durchschnittliche Schmerz- und Entzündungsdauer von 2 - 3 Tagen. Mechanismen wie eine erhöhte Dichte an periphren Opioidrezeptoren und die Zerstörung der perineuralen Barriere peripherer Nerven erklären möglicherweise die lokale Wirkung der Opioide. Die perineurale Gabe von Opioiden scheint in Übereinstimmung mit zahlreichen anderen Studien [9] unwirksam zu sein, was durch den axonalen Transport der Opioidrezeptoren erklärt werden kann [3]. Während ihres Transits vom zentral gelegenen Zellkörper zum peripheren Nervenende scheinen die Opioidrezeptoren nicht funktionell aktiv zu sein [10].

Literatur

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  • 2 Stein C, Hassan A H, Przewlocki R, Gramsch C, Peter K, Herz A. Opioids from immunocytes interact with receptors on sensory nerves to inhibit nociception inflammation.  Proc. Natl. Acad. Sci. USA. 1990;  87 ((15)) 5935-5939
  • 3 Hassan A H, Ableitner A, Stein C, Herz A. Inflammation of the rat paw enhances axonal Transport of opioid receptors in the sciatic nerve and increases their density in the inflamed tissue.  Neuroscience. 1993;  55 ((1)) 185-195
  • 4 Schäfer M, Imai Y, Uhl G, Stein C. Inflammation enhances peripheral mu-opioid receptor-mediated analgesia, but not mu-opioid receptor transcription in dorsal root ganglia.  Eur. J. of Pharmacol.. 1995;  279 ((2-3)) 165-169
  • 5 Antonijevic I, Mousa S A, Schäfer M, Stein C. Perineurial defect and peripheral opioid analgesia in inflammation.  J. Neurosci.. 1995;  15 ((1 Pt 1)) 165-172
  • 6 Zhou L, Zhang Q, Stein C, Schäfer M. Contribution of opioid receptors on primary afferent versus sympathetic neurons to peripheral opioid analgesia.  J. Pharmacol. Exp. Ther.. 1998;  286 ((2)) 1000-1006
  • 7 Stein C, Schäfer M, Cabot P J. et al . Peripheral Opioid Analgesia [review].  Pain Reviews. 1997;  4 171-185
  • 8 Kalso E, Tramer M R, Carroll D, McQuay H J, Moore R A. Pain relief from intraarticular morphine after knee surgery: a qualiative systematic review.  Pain. 1997;  71 ((2)) 127-134
  • 9 Picard P R, Tramer M R, McQuay H J, Moore R A. Analgesic efficacy of peripheral opioids (all except intra-articular): a qualiative systematic review of randomised controlled trials.  Pain. 1997;  72 ((3)) 309-318
  • 10 Laduron P M, Castel M N. Axonal transport of receptors. A major criterion for presynaptic localization.  Ann. N.Y. Acad. Sci.. 1990;  604 462-469

R. Likar

Abt. für Anästhesiologie und Allg. Intensivmedizin
Allg. Öffentl. Krankenanstalten d. Landes Kärnten

St. Veiterstraße 47

9026 Klagenfurt

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