Beta-Blocker bei Asthma und COPD - ein therapeutisches Dilemma?
Beta-Blocker bei Asthma und COPD - ein therapeutisches Dilemma?
Die Substanzklasse der Beta-Rezeptorenblocker hat eine besondere Bedeutung in der
Pharmakotherapie von kardiovaskulären Erkrankungen wie der arteriellen Hypertonie,
der koronaren Herzkrankheit, Herzrhythmusstörungen oder der chronischen Herzinsuffizienz
gewonnen. Der Wirkungsmechanismus der Beta-Blocker beruht darauf, die Bindung der
Katecholamine an Beta-Rezeptoren zu hemmen. Die einzelnen Beta-Blocker entfalten prinzipiell
ähnliche Wirkungen (Tab. [1]), sie unterscheiden sich jedoch in einigen pharmakodynamischen und pharmakologischen
Eigenschaften. Grundsätzlich lassen sich unselektive Blocker (Propanolol, Nadolol,
Penbutolol, Carvedilol u. a.) von Beta-1-selektiven Rezeptoren-Blockern (Atenolol,
Bisoprolol, Metoprolol u. a.) unterscheiden (Tab. [2]). Trotz relativer Beta-1-Selektivität ist diese nicht strikt vorhanden - ein Aspekt,
der besondere Bedeutung bei Lungenkrankheiten hat. Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal
ist die intrinsisch-sympathomimetische Aktivität einiger Beta-Blocker (Oxprenolol,
Pindolol u. a.), da für sie eine Reduktion der Mortalität bei koronarer Herzkrankheit
nicht nachgewiesen werden konnte [7].
Die Hauptindikationen für den Einsatz von Beta-Rezeptorenblockern sind in Tab. [3] dargestellt. Angesichts der positiven Effekte der Beta-Blocker auf die Morbidität
und vor allem auch auf die Mortalität bei kardiovaskulären Erkrankungen einerseits
und der bronchokonstriktischen Wirkung bei obstruktiven Atemwegserkrankungen andererseits
ist der Einsatz dieser Substanzgruppe für Patienten mit Asthma und COPD kritisch zu
diskutieren. Sicherlich kann eine Verschlechterung des Asthma bronchiale oder der
chronisch obstruktiven Bronchitis durch den Verzicht auf Beta-Blocker bei diesen Patienten
verhindert werden, andererseits wird ihnen auch der Nutzen, z. B. infolge einer Reduktion
der Mortalität um 40 % nach Herzinfarkt [13], vorenthalten.
Insofern ist die Indikation zum Einsatz von Beta-Blockern bei Patienten mit Asthma
bronchiale und COPD unter Berücksichtigung der Art der Erkrankung, des Schweregrades,
der potenziellen Indikationen für den Einsatz von Beta-Blockern und des zu erwartenden
Nutzens sowie der Möglichkeit medikamentöser Alternativen kritisch abzuwägen.
Tab. 1Pharmakodynamische Wirkungen unter Beta-Blockade
Verminderung der Noradrenalin-Freisetzung |
Verminderung des peripheren Gefäßwiderstandes |
Resetting des Barorezeptorenreflexes |
Verminderung der Reaktionen auf Katecholamine unter Belastung |
Verminderung des venösen Rückflusses und des Plasma-Volumens |
Inhibition des Renins |
Verminderung des Schlagvolumens, der Herzfrequenz und des myokardialen O2-Verbrauchs |
zentral-venöse Effekte |
modifiziert nach [9]
|
Tab. 2Pharmakodynamische Unterschiede von Beta-Rezeptoren-Blockern (Auswahl)
Substanz |
Beta-Rezeptor-Selektivität |
Vasodilata-tion |
intrinsische sympathomimetische |
|
Beta-1 |
Beta-2 |
|
|
Aktivität |
|
|
|
|
Atenolol |
× |
|
|
|
Bisoprolol |
× |
|
|
|
Carvedilol |
× |
× |
× |
|
Celiprolol |
× |
|
× |
+ |
Esmolol |
× |
|
|
|
Oxprenolol |
× |
× |
|
++ |
Pindolol |
× |
× |
|
+++ |
Sotalol |
× |
× |
|
|
modifiziert nach [9]
|
Tab. 3Wesentliche Indikationen für den Einsatz von Beta-Blockern
arterielle Hypertonie |
koronare Herzkrankheit, insbesondere Zustand nach Myokardinfarkt |
Herzrhythmusstörungen supraventrikulärer und ventrikulärer Genese |
chronische Herzinsuffizienz |
hyperkinetisches Herzsyndrom |
Glaukom |
Hyperthyreose |
Migräne |
Phäochromozytom |
essentieller Tremor |
portale Hypertension |
Unerwünschte Effekte von Beta-Blockern bei obstruktiven Atemwegserkrankungen
Unerwünschte Effekte von Beta-Blockern bei obstruktiven Atemwegserkrankungen
Die Verschlechterung eines vorbestehenden Asthma bronchiale unter Beta-Blockern wurde
bereits kurz nach Einführung dieser Substanzklasse in die klinische Praxis beobachtet
[22]. Obwohl diese Eigenschaft der Beta-Blocker seit langem bekannt ist, wird immer wieder
über lebensbedrohliche Zwischenfälle bei Asthmatikern, auch bei Patienten mit leichtem
Schweregrad der Erkrankung, unter dem Einsatz von Beta-Blockern berichtet [14]. Die zur Bronchokonstriktion führende Dosis des Beta-Blockers kann insbesondere
bei Asthmatikern in Abhängigkeit von den Begleitumständen (Infekte, Allergenexposition)
niedrig sein. So wird selbst durch den Einsatz beta-blocker-haltiger Augentropfen
in der Behandlung des Glaukoms über schwere Asthma-Anfälle bis hin zu Todesfällen
berichtet [8]
[11]
[28].
Mehr als 90 % der Asthmatiker zeigen nach Gabe des unselektiven Beta-Blockers Propanolol
eine Bronchokonstriktion [35]. Das Ausmaß der Bronchokonstriktion bei Applikation eines Beta-Blockers kann hierbei
nicht sicher vorhergesagt werden und korreliert offensichtlich nicht mit dem Schweregrad
einer bronchialen Hyperreaktivität. Die Sensitivität gegenüber Beta-Blockern ist ausgeprägter
bei Patienten mit gutem Ansprechen auf Beta-2-Sympathomimetika im Bronchospasmolyse-Test
[16]. Dies wird gestützt durch die Beobachtungen bei Patienten mit chronisch obstruktiver
Bronchitis und/oder Lungenemphysem, bei denen nach Gabe von Beta-Blockern seltener
eine Verschlechterung der Lungenfunktion auftritt [20]
[24]. Ferner ist die Verschlechterung der Lungenfunktion meist weniger ausgeprägt als
bei Patienten mit Asthma bronchiale (cf [30]).
Beta-1-selektive Blocker führen seltener und in geringerem Ausmaß als nicht-selektive
Beta-Blocker zur Bronchialobstruktion bei obstruktiven Lungenkrankheiten [10]
[12]
[15]
[19]
[27]
[34]. Außerdem ist die unter Beta-1-selektiven Beta-Blockern auftretende Bronchialobstruktion
durch Inhalation von Beta-2-Sympathomimetika reversibel [5]. Nicht-selektive Beta-Blocker mit intrinsischer sympathomimetischer Aktivität wie
Pindolol verursachen weniger häufig eine Bronchokonstriktion als Substanzen ohne intrinsische
Aktivität [4]. Die durch nicht-selektive Beta-Blocker verursachte Bronchokonstriktion kann allerdings
nicht durch Beta-2-Agonisten beseitigt werden. Beta-Blocker mit intrinsischer Aktivität
haben sich in der Behandlung nach Herzinfarkt und bei chronischer Herzinsuffizienz
nicht bewährt, so dass ihr Einsatz bei Patienten mit obstruktiven Atemwegserkrankungen
angesichts gleichwertiger Alternativpräparate nicht indiziert ist.
Mechanismen der durch Beta-Blocker hervorgerufenen Bronchokonstriktion
Mechanismen der durch Beta-Blocker hervorgerufenen Bronchokonstriktion
Die Mechanismen, die zur beta-blockerinduzierten Obstruktion bei Asthmakranken führen,
sind bisher nicht genau geklärt. Ein wahrscheinlicher Mechanismus für die beta-blockerinduzierte
Bronchokonstriktion bei Asthmatikern wird in einer Zunahme neuraler bronchokonstriktorischer
Aktivität gesehen. Über Beta-2-Rezeptoren und ihre Aktivierung durch Adrenalin wird
die Acetylcholin-Freisetzung an cholinergen Nerven in den menschlichen Atemwegen moduliert
und der cholinerge Tonus gedämpft. Bei der Blockade dieser Rezeptoren steigt die Acetylcholin-Freisetzung,
wodurch über die Stimulation präjunktionaler M2-Autorezeptoren bei Lungengesunden eine weitere Freisetzung von Acetylcholin und damit
eine Steigerung des Tonus der Atemwege verhindert werden [1]
[3]
[25]. Durch einen Defekt im Bereich der M2-Rezeptoren in den Atemwegen asthmakranker Patienten kann die durch Beta-blocker-induzierte
gesteigerte Freisetzung von Acetylcholin im Gegensatz zur Situation bei Lungengesunden
nicht kompensiert werden. Infolge der gesteigerten Acetylcholin-Freisetzung werden
mehr M3-Rezeptoren der glatten Atemwegsmuskulatur erreicht.
Zusätzlich ist die bronchokonstriktorische Reaktion auf Acetylcholin bei Asthmatikern
verstärkt und kann zur Bronchokonstriktion nach Beta-Blocker-Einnahme beitragen. Da
Defekte an den M2-Rezeptoren auch bei Patienten mit leichtem Asthma beobachtet werden, ist die auch
bei leichtgradigem Asthma beobachtete Verschlechterung unter Beta-Blockergabe erklärbar
[2]
[23]. Diese Theorie wird auch durch die Tatsache gestützt, dass die beta-blocker-induzierte
Bronchokonstriktion bei Asthmatikern durch inhalative Anticholinergika gebessert werden
kann [17].
Bei einigen Mutanten von Beta-2-Rezeptoren wurden Aktivität und Aktivierung von G-Proteinen
festgestellt, auch in Abwesenheit der Rezeptorbesetzung durch einen Agonisten [21]. In dieser Situation wirken Beta-Blocker als inverse Agonisten, wobei verschiedene
Beta-Blocker unabhängig vom Ausmaß ihrer beta-blockierenden Potenz unterschiedlich
starke inverse Agonisten sind. So wirkt Propanolol als starker, Pindolol hingegen
als schwacher inverser Agonist. Auch dies mag zur Erklärung der unterschiedlichen
Ausprägung der Bronchokonstriktion verschiedener Beta-Blocker bei Asthmatikern beitragen.
Bei Patienten mit schwerem Asthma wird als Mechanismus der Bronchokonstriktion durch
Beta-Blocker auch die fehlende Inhibition der Tachykinin-Freisetzung von sensorischen
Nerven der Atemwege diskutiert [18]
[31]. Die Gabe von Beta-Blockern führt in dieser Situation zu einer gesteigerten Freisetzung
der Neuropeptide, die die Atemwegsentzündung und die Bronchokonstriktion verstärken.
Konsequenzen für den Einsatz von Beta-Blockern bei Patienten mit obstruktiven Atemwegserkrankungen
Konsequenzen für den Einsatz von Beta-Blockern bei Patienten mit obstruktiven Atemwegserkrankungen
Aus den Resultaten der angegebenen Studien lässt sich eine Verschlechterung der Lungenfunktion
infolge der beta-blockerinduzierten Bronchokonstriktion bei Patienten mit Asthma bronchiale
oder COPD ableiten. Das Risiko einer bedrohlichen Bronchialobstruktion unter Einsatz
von Beta-Blockern ist bei Asthmatikern deutlich höher als bei Patienten mit chronisch
obstruktiver Bronchitis und/oder Lungenemphysem.
Bei Patienten mit Asthma bronchiale kann, wenn auch mit etwas geringerer Wahrscheinlichkeit,
auch bei leichten und mittleren Schweregraden bei Applikation von Beta-Blockern eine
schwere Obstruktion auftreten. Das Ausmaß der Bronchokonstriktion unter Einnahme eines
Beta-Blockers kann anhand einer einmaligen Gabe einer Einzeldosis nicht exakt vorhergesagt
werden, da die zu Asthma-Anfällen führenden Umstände eine beta-blocker-induzierte
Obstruktion verstärken können.
Vor Einsatz eines Beta-Blockers ist beim Patienten zu prüfen, ob eine alternative
Medikation ohne ungünstige Auswirkung auf die Lungenfunktion des Patienten zur Verfügung
steht. Für die meisten Indikationen, insbesondere die arterielle Hypertonie und das
Glaukom sowie die Herzinsuffizienz, steht diese in Form von Thiaziddiuretika, Kalziumantagonisten,
ACE-Hemmern, Hydralazin, Clonidin, AT I-Antagonisten und Alphamethyldopa zur Verfügung.
Auch bei den meisten Formen der ventrikulären und supraventrikulären Rhythmusstörungen
kann mit Hilfe von Antiarrhythmika ohne beta-blockierende Eigenschaften auf die Gabe
des Beta-Blockers verzichtet werden, vielleicht mit Ausnahme des seltenen, bei Asthmatikern
allerdings etwas häufiger beobachteten Syndroms mit verlängerter QT-Dauer [26].
Angesichts der Reduktion der Mortalität nach Herzinfarkt durch den Einsatz von Beta-Blockern
auch für Patienten mit obstruktiven Atemwegserkrankungen [13] ist für diese Indikation der Einsatz von Beta-Blockern bei Patienten mit Asthma
bzw. COPD zu diskutieren. Bei Rauchern findet sich eine höhere Ko-Morbidität von koronarer
Herzkrankheit und COPD. In dieser Patientengruppe stellt sich die Indikation zur Beta-Blockertherapie
bei Zustand nach Herzinfarkt häufiger als beim Asthma. Da bei COPD-Patienten häufig
eine irreversible Obstruktion und allenfalls ein geringes Ansprechen der Obstruktion
auf Beta-2-Sympathomimetika beobachtet wird, kann der Beta-Blocker mit geringerem
Risiko als bei Asthmatikern eingesetzt werden. In dieser Gruppe sollte der Einsatz
des Beta-Blockers nach Herzinfarkt unter sorgfältiger Beobachtung des Patienten und
Wahl einer niedrigen Initialdosis keine Kontraindikation darstellen. Vorzuziehen sind
Beta-1-selektive Substanzen.
Ferner erscheint für Patienten mit COPD und erhöhtem kardiovaskulärem Risiko perioperativ
der Einsatz von Beta-Blockern bei größeren operativen Eingriffen zur Reduktion einer
myokardialen Ischämie, des Auftretens von Herzinfarkten in der unmittelbar postoperativen
Phase bzw. zur Verhinderung und Reduktion von Arrhythmien indiziert (cf. [33]).
Vorsicht ist geboten bei Patienten mit asthmatischer Bronchitis, d. h. der Gruppe
von COPD-Patienten, die eine höhere Reversibilität der Obstruktion und eine bronchiale
Hyperreaktivität aufweisen. Ein erhöhtes Risiko bzgl. einer Verschlechterung der Lungenfunktion
unter Beta-Blockern ist ferner bei älteren Patienten vorhanden, bei denen eine Unterscheidung
zwischen Asthma bronchiale und COPD infolge der wenig reversiblen Obstruktion bei
lange bestehendem Asthma nicht mehr gegeben ist [30].
Bei Patienten mit Asthma bronchiale sollten Beta-Blocker angesichts des gegenüber
COPD-Patienten höheren Risikos einer unvorhersehbaren schweren Atemwegsobstruktion
prinzipiell nicht eingesetzt werden. Eine absolute Kontraindikation besteht für Patienten
mit schwerem Asthma sowie im Asthma-Anfall. Sollte aus vitaler Indikation, z. B. einer
nicht anders beherrschbaren lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörung, der Einsatz eines
Beta-Blockers notwendig sein, ist ein kardioselektiver Beta-Blocker zu empfehlen,
der in möglichst niedriger Anfangsdosis unter sorgfältiger Beobachtung des Patienten
eingesetzt wird. Die Therapie sollte unter gleichzeitiger Medikation mit Beta-2-Sympathomimetika
und, sofern keine Kontraindikation besteht, auch von Anticholinergika erfolgen [29]. Bevor der Einsatz von Beta-Rezeptorenblockern beim Asthmatiker nach Herzinfarkt
[6]
[29]
[32] empfohlen werden kann, ist zu prüfen, ob bei Patienten mit klar definierten Schweregraden
der Erkrankung Beta-Blocker auch in niedriger Dosierung zu einer Reduktion der Mortalität
führen, wie dies in der retrospektiven Studie von Gottlieb et al. [12] für Patienten mit Asthma und COPD ohne klare Definition des Asthma-Schweregrades
und der Charakterisierung der Patienten, die mit einer Bronchokonstriktion auf den
Beta-Blocker reagierten, angegeben wurde [31].
Fazit
Fazit
Beta-Blocker können bei Patienten mit Asthma bronchiale und COPD eine Bronchialobstruktion
auslösen. Hiervon sind Asthmatiker häufiger und in stärkerem Ausmaß betroffen als
Patienten mit COPD. Zur Vermeidung einer durch Beta-Blocker induzierten Bronchokonstriktion
sollten bei obstruktiven Atemwegserkrankungen medikamentöse Alternativen bevorzugt
werden, die für die meisten Indikationen, insbesondere die arterielle Hypertonie,
das Glaukom, die Herzinsuffizienz und auch die supraventrikulären und ventrikulären
Rhythmusstörungen zur Verfügung stehen. Nach Herzinfarkt und perioperativ bei erhöhtem
kardiovaskulären Risiko sind Beta-1-selektive Substanzen bei Patienten mit COPD indiziert,
da der Nutzen mit Reduktion der Morbidität und der Mortalität nach Infarkt die potentiellen
Risiken bei sorgfältiger Beobachtung des Patienten und geringer Initialdosis des Beta-Blockers
überwiegt. Bei Patienten mit Asthma bronchiale sollten Beta-Blocker angesichts des
gegenüber COPD-Patienten höheren Risikos einer unvorhersehbaren schweren Atemwegsobstruktion
prinzipiell nicht eingesetzt werden.