Zusammenfassung
Häufigkeit und Rahmenbedingungen der stationären und ambulanten Versorgung psychisch
gestörter Gefangener in allgemeinpsychiatrischen Einrichtungen Deutschlands sind bislang
nicht erforscht. Eine Befragung der Chefärzte psychiatrischer Kliniken und Abteilungen
sowie der leitenden Anstaltsärzte der Justizvollzugsanstalten der Länder Nordrhein-Westfalen
und Rheinland-Pfalz ergab eine auffallend geringe Inanspruchnahme der stationären
Behandlung von Gefangenen in allgemeinpsychiatrischen Einrichtungen. Bezogen auf die
Gesamtaufnahmezahl der Gefangenen war eine stationär-psychiatrische Behandlung bei
0,1 bis maximal 2,3 % im Jahr 1997 erfolgt. Als Hintergrund werden die mit dem Gefangenenstatus
gebundenen Hindernisse sowie Vorbehalte gegenüber Problempatienten diskutiert.
Psychiatric Treatment of Offenders in Psychiatric Institutions (General Clinical Psychiatry)
in the Lander Nordrhein-Westfalen and Rheinland-Pfalz
Objective: The study was intended to provide information on the frequency and general condition
of inpatient and outpatient treatment of mentally disturbed prisoners in general psychiatry
in Germany. Methods: Directors of psychiatric institutions and chief physicians of prisons in Nordrhein-Westfalen
and Rheinland-Pfalz were interviewed via a standardized questionnaire. Results: The use of inpatient psychiatric treatment was approximately 0.1 to 2.3 % in 1997
with reference to the total admissions in 1997. Conclusion: The rare use of psychiatric beds in general psychiatry may reflect obstacles concerning
the status of prisoners and reservations regarding difficult patients.
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1 Als Grundlage für die Adressaten dienten die Chefliste WDB 1998, die Bundesdirektorenkonferenz
psychiatrischer Krankenhäuser und das Verzeichnis des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe
über Fachkliniken für Psychiatrie und Psychotherapie. Die Verfasser möchten sich hier
ausdrücklich bei den Leitern dieser Einrichtungen für die Überlassung der Unterlagen
bedanken.
2 Die Verfasser bedanken sich hier bei den leitenden Ärzten der angeschriebenen Kliniken
und Abteilungen für ihre freundliche Mitarbeit.
3 § 65 StrVollzG Verlegung: 1) Ein kranker Gefangener kann in ein Anstaltskrankenhaus oder in eine für die Behandlung
seiner Krankheit besser geeignete Vollzugsanstalt verlegt werden. 2) Kann die Krankheit
eines Gefangenen in einer Vollzugsanstalt oder in einem Vollzugsanstaltskrankenhaus
nicht erkannt oder behandelt werden oder ist es nicht möglich, den Gefangenen rechtzeitig
in ein Anstaltskrankenhaus zu verlegen, ist dieser in ein Krankenhaus außerhalb des
Vollzuges zu bringen.
4 ¿ 101 StrVollzG Zwangsmaßnahmen auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge: 1) Medizinische Untersuchung und Behandlung sowie Ernährung sind zwangsweise nur
bei Lebensgefahr, bei schwerwiegender Gefahr für die Gesundheit des Gefangenen oder
bei der Gefahr für die Gesundheit anderer Personen zulässig; die Maßnahmen müssen
für die Beteiligten zumutbar sein und dürfen nicht mit erheblicher Gefahr für Leben
oder Gesundheit verbunden sein. Zur Durchführung der Maßnahmen ist die Vollzugsbehörde
nicht verpflichtet, solange von der freien Willensbestimmung des Gefangenen ausgegangen
werden kann (2) … 3) Die Maßnahmen dürfen nur auf Anordnung und unter Leitung eines
Arztes durchgeführt werden.
5 Die Verfasser bedanken sich ausdrücklich bei den Anstaltsärzten für ihre freundliche
Mitarbeit.
6 § 126a StPO, Einstweilige Unterbringung 1) Sind dringende Gründe für die Annahme vorhanden, dass jemand eine rechtswidrige
Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit oder der verminderten Schuldfähigkeit begangen
hat und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt
angeordnet werden wird, so kann das Gericht durch Unterbringungsbefehl die einstweilige
Unterbringung in einer dieser Anstalten anordnen, wenn die öffentliche Sicherheit
es erfordert. Bedauerlicherweise wird nicht selten von Gutachtern den Gerichten die
Einweisung von psychisch gestörten oder abnormen Straftätern mit dem hintergründigen
Ziel empfohlen, die Allgemeinpsychiatrie von „unerwünschten” Patienten zu entlasten.
Prof. Dr. Norbert Konrad
Institut für Forensische Psychiatrie
Freie Universität Berlin
Limonenstraße 27
12203 Berlin