Menschen tendieren offensichtlich zum Denken in den sich ausschließenden Kategorien
des „Entweder/Oder”. Wird ein komplizierter Sachverhalt jedoch nicht häufig besser
erfaßt mit einem „sowohl als auch”? Diese Problematik wird bei der gegenwärtigen Diskussion
um den Stellenwert der nicht-invasiven Beatmung (NIV) wieder einmal deutlich. Bei
der NIV handelt es sich um eine Weiterentwicklung der bisher etablierten Beatmungsbehandlung,
die sowohl neue Bereiche erschließt als auch die alten Strategien wertvoll ergänzt.
Es erscheint uns sinnvoll, mit diesem Editorial eine aktuelle Standortbestimmung der
invasiven bzw. nicht-invasiven Beatmung unter Berücksichtigung der jeweiligen Vor-
und Nachteile vorzunehmen.
Es besteht kein Zweifel, daß bei der Behandlung der akuten respiratorischen Insuffizienz
die Beatmungsverfahren mit dem invasiven Zugang über den Trachealtubus bzw. das Tracheostoma
während der vergangenen Jahrzehnte ein wirksames und lebensrettendes Konzept waren.
Akute lebensbedrohliche Zustände, wie z. B. die schwergradige Hypoxämie und/oder Hyperkapnie
bzw. der Atemstillstand erfordern häufig rasche, meist komplette maschinelle Übernahme
der Atmung über einen invasiven Beatmungszugang. Dieser Beatmungszugang hat auch in
der modernen Beatmungsmedizin gerade beim akuten Atemversagen, wie z. B. beim ARDS,
bei der postoperativen Ateminsuffizienz, beim Thoraxtrauma und bei der akuten schweren
Pneumonie, weiterhin seine zentrale Bedeutung.
Gewiß, die Invasivität der Beatmung erforderte Tribut: Komplikationen der Lunge, wie
Barotrauma, nosokomiale Infektionen, aber auch Schädigungen der Trachea durch die
Trachealtuben oder -kanülen waren keine Seltenheit. Heute kennen wir eine Reihe der
Ursachen für beatmungsbedingte Schäden und können schonender beatmen [[4]]: So vermeidet z. B. eine moderne „protektive” Beatmungsstrategie beim ARDS [[2]] hohe Beatmungsdrucke und große Hubvolumina und eröffnet die Alveolen mit hohem
positiv endexspiratorischem Druck (PEEP). Sie besteht aber andererseits nicht unbedingt
auf einer Reduktion des erhöhten CO2 in den physiologischen Bereich, wenn dieses nur mit risikobelasteten hohen Beatmungsdrücken
erkauft werden kann.
Auch die durch tiefe Sedierung oder gar Muskelrelaxation erzwungene kontrollierte
Beatmung ist längst nicht mehr der Weisheit letzter Schluß. Inzwischen erlaubt eine
erheblich verbesserte Respirator-Technologie bei Patienten mit teilbelastbarer Atemmuskulatur
die partielle Beteiligung seiner Eigenatmung. Solche assistierenden Verfahren, wie
„pressure support ventilation” (PSV) und „airway pressure release ventilation” (ARPV)
[[20]] sind für den Patienten weitaus weniger invasiv, da er weniger tief sediert werden
kann [[17]] und seine Mitarbeit, z. B. beim Husten, sogar erwünscht ist.
Bei Patienten mit Weaningproblemen durch massiv überlastete Atemmuskulatur, wie es
nach übermäßig langer Beatmung regelmäßig vorkommt, ist jedoch die intermittierende
kontrollierte Beatmung - insbesondere beim wachen Patienten - den assistierten Verfahren
überlegen, da sie bei sorgfältiger Adaptation die Atmung des Patienten komplett ersetzt
und so die chronisch ermüdete Atemmuskulatur maximal entlastet [[18]].
Ein nicht zu unterschätzender Nachteil des invasiven Trachealzugangs liegt darin,
daß er nicht nach Bedarf intermittierend entfernt werden kann. Dieses ist besonders
nachteilig bei chronischen Ateminsuffizienzen, die nicht oder nur kurzphasig akut
lebensbedrohlich sind, wie insbesondere der akut exazerbierten COPD, sondern eher
grenzwertige oder langfristige Probleme darstellen (wie etwa bei progredient dekompensierender
COPD oder auch bei erschwerter Entwöhnung vom Respirator nach akutem Lungenversagen
anderer Ursache). Hier liegt die eigentliche Stärke der NIV [[8]].
Eine vielbeachtete Metaanalyse der relevanten Studien zur Bedeutung der NIV ergab,
daß NIV auch erfolgreich bei akut exazerbierter COPD eingesetzt werden kann [[12]]. Unter Beachtung bestimmter Voraussetzungen konnte durch NIV im Vergleich zur invasiven
Beatmung sowohl die Intubationshäufigkeit als auch die Mortalitätsrate reduziert werden.
Ein entscheidender Vorteil der NIV bei akut exazerbierter COPD besteht offensichtlich
in der Reduktion der ventilator-assoziierten Pneumonie [[16]]. Hierfür ist im wesentlichen die erhaltene Hustenclearance verantwortlich, da hier
- im Gegensatz zur Intubation - der Glottisschluß nicht behindert wird. Weitere positive
Aspekte sind das fehlende Risiko tubusbedingter Komplikationen (wie etwa Schleimhautläsionen).
Verzicht auf tiefe Sedierung und damit die Erhaltung der Kommunikation und der Schutzreflexe
werden oft als besondere Vorteile der NIV gesehen; sie lassen sich allerdings heute
- zumindest partiell - auch bei den invasiven assistierenden Beatmungsverfahren erreichen.
Ein großer Vorteil der NIV für den Patienten ist auch die Möglichkeit oraler Nahrungseinnahme.
Doch bei entsprechender Erfahrung und Zuwendung lassen sich selbst invasiv beatmete
Patienten oral ernähren, wenn die Beatmung über ein Tracheostoma erfolgt. Es darf
jedoch in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben, daß sich bei dieser Patientengruppe
unter der oralen Nahrungszufuhr relativ häufig Mikro- und Makroaspirationen nachweisen
lassen [[19]].
Demgegenüber sind auch die typischen Nachteile der NIV nicht zu vernachlässigen. Besonders
problematisch sind maskenbedingte Nebenwirkungen, wie Druckstellen, ungenügende Beatmung
durch Leckagen, aber auch Aerophagie, Aspiration, Gefahr der CO2-Rückatmung und die fehlende Koordination mit dem Glottisschluß. Auch darf nicht übersehen
werden, daß die intensive Betreuung der nicht-invasiv beatmeten Patienten bei fehlender
Logistik einen erhöhten Personalbedarf bedeuten kann.
Obwohl wir von dem zunehmenden Stellenwert der NIV in der Beatmungsmedizin ausdrücklich
überzeugt sind, möchten wir es jedoch gerade angesichts der bestehenden „Aufbruchstimmung”
nicht versäumen, auf wichtige, aktuell noch völlig offene Fragen und auf damit verbundene
Gefahren hinzuweisen.
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Der erfolgreiche Einsatz der NIV ist an einige entscheidende Voraussetzungen gekoppelt.
In den relevanten Studien [[1], [7], [9], [13], [23]] war die Logistik durch Personal und Geräte innerhalb der Intensivstationen gewährleistet.
Hier war das Personal im Umgang mit der NIV seit Jahren geschult, häufig durch die
Erfahrung mit der Heimbeatmung. So waren die Besonderheiten der Patientenbetreuung
und die Handhabung in der Langzeitanwendung von Nasen- oder Ganzgesichtsmasken etabliert.
In den Therapieerfolg der genannten Studien geht unausgesprochen Detailwissen ein,
das in nicht darauf spezialisierten Abteilungen fehlt. Es muß daher dringend davor
gewarnt werden, ungeschultes Personal mit dieser Therapieform unvorbereitet zu konfrontieren.
So wissen wir aus vielen persönlichen Gesprächen, daß voreiliger und inadäquater Einsatz
der NIV beim Personal und bei den Patienten den gegenteiligen Effekt haben kann. Unnötige
Vorurteile gegenüber dieser Therapieform oder gar Ablehnung sind die Folge.
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Es ist auch aufschlußreich, sich die Ausschlußkriterien genauer zu betrachten: Bei
den genannten Studien [[1], [7], [9], [13], [23]] wurden schwerstkranke ateminsuffiziente Patienten von der NIV ausgeschlossen. Zu
diesen Ausschlußkriterien gehörten u. a. progrediente Somnolenz, nicht korrigierbare
Agitation, fehlende Spontanatmung und Schutzreflexe, Verlegung der oberen Atemwege,
restriktive Lungenerkrankungen, Asthma bronchiale, Multiorganversagen, Linksherzinsuffizienz
und andere kardiale Begleiterkrankungen, obere gastrointestinale Blutung, faziales
Trauma oder Gesichtsdeformität, exzessive Sekretbildung (bronchoskopisch nicht korrigierbar),
intolerable Klaustrophobie, lebensbedrohliche Azidose oder unter NIV progrediente
Hypoxämie. Das bedeutet, daß die bisher beweisbaren positiven Studienergebnisse nur
für ein hoch selektioniertes Patientenkollektiv gelten, das vorwiegend an einer „pulmonalen
Monoorganerkrankung” leidet ohne gleichzeitige klinisch relevante Begleiterkrankungen.
Wenn wir dieses nicht berücksichtigen, ist zu befürchten, daß eine unkritische Anwendung
der NIV fatale Folgen haben könnte. Wohl nicht zu Unrecht wies Wood kürzlich im Rahmen
einer Studie bei Patienten mit einem hohen Anteil von Pneumonien darauf hin, daß NIV
möglicherweise zur vital bedrohlichen Verzögerung der Intubation der Patienten führt
[[22]].
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Eine verläßliche Voraussage des Therapieerfolges der NIV ist bislang nicht möglich.
Dieses wäre aber für die allgemeine Akzeptanz der NIV von entscheidender Bedeutung.
Aus einigen neueren Untersuchungen zur COPD [[3], [21]] zeichnet sich zumindest die Tendenz ab, daß Patienten mit ausgeprägter Azidose
und höherem Schweregrad der Erkrankung (objektiviert durch validierte Scores) weniger
von der NIV profitieren.
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Es gibt aber auch Hinweise darauf, daß die NIV bei Patienten mit nur milde verlaufender
akuter Ateminsuffizienz verglichen mit der etablierten konservativ-medikamentösen
Therapie keinen zusätzlichen Vorteil bietet [[6]].
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Der endgültige Nachweis der Effektivität der NIV bei anderen, nicht COPD-bedingten
Formen der akuten Ateminsuffizienz ist bislang - wenn man einmal von der kürzlich
veröffentlichten Studie von Antonelli et al. [[5]] absieht - noch nicht erbracht worden.
Als Vertreter zweier unterschiedlicher Disziplinen (der anästhesiologischen und der
pulmologischen Intensivmedizin) ist es uns wichtig, die Plattform dieses Editorial
zu nutzen, um selbstkritisch und vorurteilsfrei die Möglichkeiten - aber auch die
Grenzen - der NIV als therapeutisches Prinzip bestimmter Formen der Ateminsuffizienz
anzusprechen.
Aus der Sicht der anästhesiologischen Intensivmedizin sollte die Chance ergriffen
werden, sich für die neue Methode der NIV zu öffnen, die gewiß in Zukunft größere
Bedeutung erlangen wird. Diese Erkenntnis impliziert allerdings, daß bei gegebener
Indikation vorurteilslos auf die traditionell „liebgewonnene” Intubation und die tiefe
Sedierung verzichtet wird. In der anästhesiologischen Intensivmedizin wird weiterhin
das schwere akute Lungenversagen (wie etwa das ARDS) „invasiv” beatmet werden müssen,
wenn auch mit wesentlich besser angepaßten Strategien. Dafür sind besondere Erfahrungen
und die entsprechenden Voraussetzungen an Technik und Personal gegeben. Stets aber
kennzeichnet Intubation oder Tracheotomie ein Ausmaß an Behandlungs-Invasivität, das
zwar vorübergehend notwendig wird, das aber auch so rasch wie möglich wieder reduziert
werden sollte. Auch bei einer lebensbedrohlich-schweren, akuten Exazerbation einer
COPD bei polymorbiden Patienten oder auch bei Lungenkomplikationen nach operativen
Eingriffen wird die Beatmung häufig eine passagere Intubation erfordern. Im weiteren
Verlauf sollte man sich aber zu einer möglichst frühzeitigen Extubation mit anschließender
NIV entschließen. Mit dieser Strategie lassen sich die Erfolgsrate der Respiratorentwöhnung
erhöhen, die Krankenhausliegedauer verkürzen und die Prognose verbessern [[14]].
Der Pneumologe hat andererseits die Möglichkeit, COPD-Patienten mit milder Ateminsuffizienz
und ohne weitere Problematik zusätzlicher Organfunktionen adäquat und schonender mit
NIV zu behandeln. Diese Patienten, die im strengen Sinne keine eigentliche Intensivbehandlung
benötigen, können vor allem in „Intermediate-Care-Stationen” [[15]] betreut werden, wo diese Respiratortherapie eine Ergänzung des spezifischen pneumologisch-konservativen
Therapiekonzeptes ist. Dennoch müssen vor allem die pneumologischen Abteilungen ohne
eigene Intensivstation ihre Grenzen kennen, um so eine aus vitalen Gründen indizierte
Intubation durch inadäquaten Einsatz von NIV nicht unnötig zu verzögern oder gar einen
letalen Verlauf zu riskieren.
Insgesamt kann nur eine offene, vertrauensvolle Kooperation zwischen den Intensivmedizinern
und den Pneumologen den Therapieerfolg für diese Patienten verbessern.
Wir benötigen in Zukunft dringend Studien zu den vielen aktuell noch offenen Fragen
zur NIV: Prognose-Faktoren, Zeitpunkt des Therapiebeginns, Dauer der Behandlung, Stellenwert
unterschiedlicher NIV-Verfahren, Beatmungsmuster [[10]], Maskentyp, Stellenwert der NIV bei anderen Erkrankungen als COPD (u. a. Asthma
bronchiale, ARDS, Pneumonie, Lungenfibrose und post-operative bzw. traumatische Zustände).
Die NIV hat in der Differentialtherapie der akuten Ateminsuffizienz unbestritten einen
relevanten Stellenwert, der in Zukunft allerdings noch klarer bestimmt werden muß.
In diesem Zusammenhang trifft die Aussage eines kürzlich erschienenen Editorials von
Di Benedetto und Van Nguyen die oben aufgeführte Problematik genau: „Let us not indiscriminately
utilize this modality” [[11]]. Es wäre zu schade, wenn dieses vielversprechende Behandlungsverfahren durch Kritiklosigkeit,
Vorurteile und berufspolitische Grenzen in seiner Entwicklung behindert würde.