Rofo 2000; 172(10): 850-852
DOI: 10.1055/s-2000-7890
DER INTERESSANTE FALL
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Diagnostik tumorsimulierender intraossärer Arachnoidaldivertikel mittels flüssigkeitssensitiver MR-Sequenzen

S. Hamers, J. Freyschmidt, B. Terwey
  • Zentralkrankenhaus St. Juergen Strasse Klinik für Radiologische Diagnostik und Nuklearmedizin im Zentrum für Radiologie, Bremen
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
31. Dezember 2000 (online)

Inhaltsübersicht

Kalottenosteolysen durch intraossär gelegene Arachnoidaldivertikel bereiten auf Röntgenaufnahmen des Schädels häufig differenzialdiagnostische Schwierigkeiten, insbesondere bei Patienten mit einer Tumoranamnese.

In den letzten Jahren haben wir 5 Fälle ungewöhnlich großer, okzipital oder parietal gelegener Arachnoidaldivertikel registriert, die uns differenzialdiagnostische Schwierigkeiten bereiteten und uns zu größeren diagnostischen Maßnahmen inkl. CT und Szintigraphie zwangen.

Im Folgenden wollen wir anhand eines sechsten Falles exemplarisch über die Möglichkeiten einer kurzen, zielgerichteten Diagnostik berichten, bei dem durch spezielle Sequenzen in der Magnetresonanztomographie (MRT) die Diagnose von Arachnoidaldivertikeln als Ursache von Kalottenosteolysen gesichert werden konnte.

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Fallbericht

70-jährige Patientin, die seit mehr als 30 Jahren über episodisch auftretende Schmerzen in der Okzipitalregion klagt. Diese Schmerzen seien bohrend, meistens mit Schwindel und Übelkeit assoziiert. Sie könne bei solchen Episoden eine palpable Prominenz okzipital tasten.

In der Röntgenaufnahme der Schädelkalotte in 2 Ebenen fielen bilaterale okzipitale Osteolysen auf, von denen die größte auf der rechten Seite einen Durchmesser von 2 cm besaß. Die Osteolysen waren glatt begrenzt, keine Aggressivitätskriterien - Lodwick Grad 1 A (Abb. [1]).

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Abb. 1Schädel pa. einer 70-jährigen Patientin mit seit 30 Jahren rezidivierenden Schmerzen am Hinterhaupt. Drei scharf begrenzte Osteolysen okzipital. Keine Kriterien der Aggressivität - Lodwick Grad 1 A.

Im Ganzkörperskelettszintigramm: Normalbefund.

Im Computertomogramm sieht man im Bereich der Osteolysen eine völlig aufgebrauchte Tabula interna, eine abgebaute Diploe und eine erhaltene, aber leicht prominente Tabula externa. In den Defekten konnten wir wasseräquivalente Dichtewerte messen (um ca. 20 Hounsfield-Einheiten). Die Kontrastmittelstudie ließ kein Enhancement innerhalb der Defekte erkennen (Abb. [2]).

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Abb. 2 Computertomographie der Schädelkalatte: Aufgebrauchte, unterbrochene Tabula interna und abgebaute Diploe. Die Tabula externa ist stellenweise massiv ausgedünnt, aber allseits erhalten. Kein Kontrastmittelenhancement in den Osteolysen.

In Anbetracht der klinischen Symptomatik und der bislang erhobenen radiologischen Befunde sahen wir die Indikation zu einer gezielten MRT-Untersuchung gegeben, um evtl. eine Beziehung zum Liquorraumsystem herstellen zu können. Die MRT-Aufnahmen ergaben bei T2-Gewichtung eine homogene hohe Signalintensität in den Lücken als Hinweis auf den flüssigen Inhalt (Abb. [3]). Bei Flüssigkeitssuppression mit der FLAIR-Sequenz (Fluid Attenuated Inversion Recovery) wurden die Signale des intra- und extrazerebralen Liquorraumsystems und in den Lücken gleichermaßen unterdrückt. Hierdurch war bewiesen, dass es sich um liquorgefüllte Arachnoidaldivertikel handelte.

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Abb. 3(a) Magnetresonanztomographie in T2-Gewichtung: Hohe Signalintensität in den Osteolysen. (b) FLAIR-Sequenz: Fehlendes Signal im Bereich der inneren und äußeren Liquorräume und in den Osteolysen.

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Diskussion

Pacchioni hat im Jahre 1705 erstmals „Granulationen” beschrieben, die, vom äußeren Arachnoidalblatt ausgehend, durch eine Lücke in der Dura mater in die Hirnsinus hineinragen (Brunori A et al., J Neurosurg 1993; 78: 515). Diese Arachnoidalzotten können sich aber auch in die Schädelkalotte vorwölben und dort in Diploevenen den Liquor drainieren. In diesen Fällen sieht man mehr oder weniger tiefe Lücken in der Tabula interna und in der Diploe bei erhaltener Tabula externa. Sie wurden überwiegend im Os parietale und Os occipitale beschrieben (Weinand M et al., J Neurosurg 1989; 70: 954; Okamoto et al., Clin Imaging 1997, 21: 1). Eine Osteolyse mit glatter Begrenzung und eine größere Gefäßfurche in der Tabula interna, auf den Defekt zuführend, galten als diagnostische Kriterien. Das Ganze wurde als Normvariante interpretiert. Spätere computertomographische Untersuchungen offenbarten tatsächlich gelegentlich venöse Gefäße, die in die Gruben hineinzogen, konnten aber in anderen Fällen überhaupt gar keine Beziehung zu den Venen der Diploe herstellen. Zu letzterem nahm man an, dass die Venen in der Zwischenzeit thrombosiert seien. Nach Etablierung der Magnetresonanztomographie sind in den letzten Jahren Publikationen erschienen, die beweisen konnten, dass es sich zumindest bei einem Teil der intraossär lokalisierten Pacchioni Granulationen um sog. Arachnoidaldivertikel ohne Anschluss an das venöse System handelt (Nakada M et al., Acta Neurochir 1998; 140 - 647).

Man unterscheidet primäre von sekundären Arachnoidaldivertikeln.

Primäre (idiopathische) Arachnoidaldivertikel entstehen wohl durch Herniationen in der Dura, möglicherweise auf derselben ätiologischen Basis wie Hernien in anderen Körperabschnitten.

Sekundäre Arachnoidaldivertikel sind Folge von Traumen mit Einrissen in der Dura mater (Alfieri A et al., Neuroradiology 1996; 38: 569).

Die primären Arachnoidaldivertikel kommen nach Nakada (Nakada M et al., Acta Neurochir 1998; 140: 647) typischerweise bei Frauen ab dem 50. Lebensjahr vor. Sie werden häufig im Zusammenhang mit seit Jahren rezidivierenden Kopfschmerzen beobachtet. Unseres Wissens ist bislang jedoch keine Studie publiziert worden, die einen Zusammenhang zwischen den Arachnoidaldivertikeln und den Kopfschmerzen herstellen konnte. Somit bleibt unklar, ob die Kopfschmerzen durch die Divertikel ausgelöst werden, oder die Diagnose „Arachnoidaldivertikel” bzw. „intraossäre Pacchioni Granulationen” einen Zufallsbefund in der Kopfschmerzabklärung darstellt.

Die wesentliche Differenzialdiagnose sind sowohl tumoröse Destruktionen als auch die Ostitis deformans-Paget, in der Form der Osteoporosis circumscripta. Auf eine tumoröse Destruktion könnte man insbesondere dann kommen, wenn die Patienten eine Tumorvorgeschichte haben oder aktuell Tumorträger sind. Bei solchen Osteolysen, auch wenn sie bilateral angeordnet sind, bietet es sich förmlich an, an Metastasen zu denken. Der Verdacht auf eine Metastasierung lässt sich allerdings weitgehend durch eine Skelettszintigraphie ausräumen, die im Falle von Arachnoidaldivertikeln negativ ist.

Das Epidermoid kommt als Differenzialdiagnose nur bei alleiniger Betrachtung der konventionellen Röntgenbilder in Betracht. Schon auf Zielaufnahmen oder spätestens auf CT-Schnitten ist zu sehen, dass die Defekte von der Tabula externa und nicht von der Tabula interna her ausgehen.

Aus der Beschreibung der Differenzialdiagnosen und ihrer mehr oder weniger spezifischen Charakteristika bei den einzelnen radiologischen Untersuchungsmethoden wird deutlich, dass man die diagnostischen Wege extrem abkürzen kann, wenn man an die Möglichkeit von Arachnoidaldivertikeln denkt. Dies sollte immer dann der Fall sein, wenn es sich um ältere Frauen mit langjähriger unspezifischer Symptomatik im Okzipitalbereich handelt, wenn sich dort scharf begrenzte Osteolysen, insbesondere bilateral angeordnet, finden. Bei einer solchen Gesamtkonstellation halten wir eine Stufendiagnostik (zunächst Szintigraphie, CT ohne und mit intravenöser Kontrastmittelgabe) nicht mehr für notwendig, sondem empfehlen den primären Einsatz einer gezielten MRT-Untersuchung mit Anfertigung flüssigkeitssensitiver Sequenzen.

Eine zusätzliche intravenöse Applikation von Gadolinium-DTPA kann bei atypischen Befunden mit veränderter Signalgebung, z. B. nach Einblutung, notwendig werden, bei denen Arachnoidaldivertikel typischerweise ein randständiges Enhancement aufweisen (Kuroiwa et al., Neurosurgery 1996; 39: 860).

S. Hamers, J. Freyschmidt, B. Terwey, Bremen

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Abb. 1Schädel pa. einer 70-jährigen Patientin mit seit 30 Jahren rezidivierenden Schmerzen am Hinterhaupt. Drei scharf begrenzte Osteolysen okzipital. Keine Kriterien der Aggressivität - Lodwick Grad 1 A.

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Abb. 2 Computertomographie der Schädelkalatte: Aufgebrauchte, unterbrochene Tabula interna und abgebaute Diploe. Die Tabula externa ist stellenweise massiv ausgedünnt, aber allseits erhalten. Kein Kontrastmittelenhancement in den Osteolysen.

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Abb. 3(a) Magnetresonanztomographie in T2-Gewichtung: Hohe Signalintensität in den Osteolysen. (b) FLAIR-Sequenz: Fehlendes Signal im Bereich der inneren und äußeren Liquorräume und in den Osteolysen.