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DOI: 10.1055/s-2000-7437
Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Leitsymptom - Niedriger Blutdruck
Publication History
Publication Date:
31 December 2000 (online)

Der Fall
Ein 49-jähriger Mann wird von seiner Ehefrau nach deren Rückkehr von der Arbeit benommen und kreidebleich in der gemeinsamen Wohnung aufgefunden. Der hinzugerufene Notarzt eruiert eine seit einem Myokardinfarkt sechs Jahre zuvor bekannte koronare Dreigefäßkrankheit und Hypercholesterin-ämie, behandelt mit Atenolol, Nifedipin, Acetylsalicylsäure und Lovastatin. Der Patient war bedingt ansprechbar, an den großen Arterien waren schwach Pulse tastbar, der Blutdruck war nicht messbar. Es bestand eine deutliche Hautzyanose. Die Atemfrequenz lag bei 28/min; über beiden Lungen waren fein- bis mittelblasige Rasselgeräusche auskultierbar. Im EKG zeigten sich bradykarde Herzaktionen bei unterem AV-Knotenrhythmus um 45/min sowie minimale ST-Strecken-Hebungen in V4 und V5. Der Blutzuckerteststreifen zeigte eine Blutglukose von 60 mg/dl. Da sich bei dem Auskultationsbefund eine Volumengabe zur Behandlung des Schockgeschehens verbot, wurde ein Therapieversuch mit Atropin zur Frequenzsteigerung (erfolglos), anschließend Dopamin (fraktioniert 20 mg über 2 min, erfolglos) und schließlich Noradrenalin (0,6 mg fraktioniert über 2 min, anschließend 1 mg/h) zur Blutdrucksteigerung unternommen. Darunter wird der Puls auch peripher tastbar, ein Blutdruck nach Riva-Rocci ist jedoch weiterhin nicht messbar. Allerdings wird der Patient deutlich wacher und berichtet auf Befragen, dass er vor über vier Stunden seine gesamten Medikamentenvorräte in suizidaler Absicht eingenommen habe.
Mit der Diagnose eines schweren Schockzustandes mit Linksherzinsuffizienz als Folge einer suizidalen Vergiftung mit Atenolol, Nifedipin, Acetylsalicylsäure und Lovastatin in jeweils größeren Mengen bei bekannter koronarer Dreigefäßkrankheit und bereits durchgemachtem Myokardinfarkt wird der Patient in notärztlicher Begleitung auf die Intensivstation der nahe gelegenen Universitätsklinik transportiert.
Wegen deutlicher Zunahme des Lungenödemes bei anhaltendem Schockzustand wird der Patient dort orotracheal intubiert und mit Sauerstoff maschinell beatmet. Nach Einlegen eines transvenösen Schrittmachers wird über eine nasogastrale Sonde Mageninhalt aspiriert. Da keine Tablettenreste nachweisbar sind und die Einnahme nach Angaben des Patienten bereits 4 - 5 Stunden zurückliegt, wird keine Magenspülung vorgenommen, sondern es werden 100 g Aktivkohle zusammen mit Natriumsulfat instilliert.
Trotz massiver Dosen von Adrenalin, Noradrenalin und Dop-amin lassen sich jedoch kaum tastbare Blutdrücke erzielen. Deshalb Entschluss zur Durchführung einer venovenösen Hämoperfusion über 6 Stunden. Darunter erstmals Blutdruckanstieg bis 80 mm Hg. Nach kurzer Pause zweite Hämoperfusion über 6 h, dann Hämodialyse wegen fehlender Urinausscheidung infolge des noch anhaltenden Schockzustandes und Hypernatriämie infolge wiederholter Natriumbicarbonatgaben. Etwa 24 h nach Aufnahme des Patienten stellen sich endlich Blutdrücke um 130 mm Hg systolisch ein und die Urinausscheidung kommt wieder in Gang. Während dieser ersten 24 Stunden hatte der Patient 200 mg Noradrenalin, 26 000 mg Dopamin sowie 900 mg Adrenalin erhalten, um minimale Blutdruckwerte zu ermöglichen.
Im Gefolge des protrahierten Schockzustandes entwickelt der Patient ein Multiorganversagen mit Beteiligung von Lunge und Niere, das längerdauernde Beatmung und Hämofiltration erforderlich macht. Nach 18 Tagen Intensivtherapie kann der Patient jedoch schließlich auf die Normalstation verlegt und nach weiteren 10 Tagen nach Hause entlassen werden.
Priv.-Doz. Dr. Frank Martens
Charité, Campus Virchow Klinikum
Medizinische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin Klinik für Nephrologie und internistische Intensivmedizin
Augustenburger Platz 1
13353 Berlin
Email: frank.martens@charite.de