Die ARUD Zürich, Arbeitsgemeinschaft für risikoarmen
Umgang mit Drogen, ist ein privatrechtlicher Verein, der sich für die
Medizinalisierung des Umgangs mit Drogen einsetzt, die dem
Betäubungsmittelgesetz unterstellt sind. Weitere Schwerpunkte sind
Evaluations- und Forschungsprojekte im Drogenbereich,
Öffentlichkeitsarbeit, politisches Engagement sowie Weiterbildung und
Vernetzung von Fachleuten.
Die ARUD betreibt in Zürich zwei Polikliniken:
-
Zokl1, Poliklinik für methadongestützte Behandlung mit
ca. 500 Plätzen
-
Zokl2, Poliklinik für heroingestützte Behandlung mit
120 Plätzen
Zielsetzung der heroingestützten Behandlung im Zokl2
Zielsetzung der heroingestützten Behandlung im Zokl2
Grundsätzlich werden bei opiatabhängigen Patient(inn)en
drei Ebenen von Behandlungszielen definiert, die möglichst umfassend und
oft parallel angegangen werden, aber auch sinnvoll einzeln festgelegt werden
können.
-
Verminderung von Schaden und Leiden (harm
reduction)
Die Reduktion von Schaden bezieht sich auf die durch
die Illegalität der Drogen erzeugten selbstschädigenden und die
Gesellschaft beeinträchtigenden Mechanismen. Dazu gehört auch die
Prävention von Infektionserkrankungen, Abszessen bzw. deren medizinische
Behandlung bei bereits erfolgter Erkrankung, Verhindern von Überdosierung
und Verwahrlosung.
-
Erhalten und Stabilisieren von
gesundheitlichen und integrativen Ressourcen
Ein Verlust von
bereits erlangten Fähigkeiten soll verhindert werden, um dem Prozess der
Marginalisierung entgegenzuwirken.
-
Ausbau von Ressourcen und psychosoziale
Rehabilitation
Durch den Ausbau der psychischen, somatischen und
sozialen Fähigkeiten und Fertigkeiten sollen die Autonomie der
Patient(inn)en gefördert sowie die bisherige Entwicklung prägende
Themen bearbeitet werden, mit dem Ziel der Stärkung der
Persönlichkeit.
Abstinenzbemühungen werden aktiv
unterstützt, wenn sich dadurch Lebensqualität verbessert.
Geschlechtergerechtes Angebot
Geschlechtergerechtes Angebot
Das Zokl2 legt den Schwerpunkt des therapeutischen Angebots auf
geschlechtergerechte Arbeit, d. h., es wird für beide Geschlechter
eine adäquate, ihrer Situation möglichst gerecht werdende Behandlung
zur Verfügung gestellt. Dies bedingt unter anderem, dass der Frauenanteil
aktiv hoch gehalten wird (z. Z. zwei Drittel Frauen, ein Drittel
Männer). Therapeutische Gruppen für Frauen, Mütter, Männer
und ein Kinderhütedienst sind Elemente dieses Konzepts.
Aufnahmebedingungen
Aufnahmebedingungen
-
mindestens 18 Jahre alt
-
seit mindestens zwei Jahren schwer heroinabhängig
-
mindestens zwei gescheiterte Behandlungsversuche
-
Defizite im somatischen, psychischen oder sozialen Bereich
Psychiatrische und psychosoziale Betreuung
Psychiatrische und psychosoziale Betreuung
Mitarbeiter/-innen: 80 % psychiatrischer Oberarzt;
therapeutische Mitarbeiter/-innen: 270 %
psychosozial/-therapeutisch, 40 % ärztlich. Jeder
Patient/jede Patientin wird von Anfang an konstant von einem/einer
therapeutischen Mitarbeiter/-in begleitet. Die kontinuierliche Betreuung
erfolgt in der Regel im Rahmen von Gruppengesprächen. Je nach Indikation
werden spezielle Behandlungsformen gewählt (z. B. Psychotherapie im
Einzelsetting, Psychopharmaka-Behandlung, sozialarbeiterische
Unterstützung).
Somatische Betreuung
Somatische Betreuung
Mitarbeiter/-innen: 20 % somatischer Oberarzt;
90 % Assistenzärzte/-ärztinnen. Das Zokl2 bietet
eine basisorientierte hausärztliche Grundversorgung mit
regelmäßiger gynäkologischer Betreuung an. Im infektiologischen
Bereich werden die neusten Behandlungen, meistens im Rahmen von
Forschungsprojekten, für HIV- und Hepatitis-C-Infektionen angeboten.
Substitution
Substitution
Mitarbeiter/-innen für die Abgabe: 450 %. Zur
Zeit steht Heroin zur intravenösen Applikation und in zwei Tablettenformen
(rasch wirksam und retard) zur Verfügung. Schluckbares Methadon und in
einzelnen Fällen Morphium können als Basissubstitution eingesetzt
werden. Die rauchbare Form von Heroin, welche in Zigarettenform auf
Waldmeisterbasis entwickelt worden war (Tabak darf in der Schweiz medizinisch
nicht verordnet werden), bewährte sich nicht und Folienrauchen nach
holländischem Muster ist zur Zeit nicht zugelassen.
Kosten
Kosten
Pro Behandlungsplatz kosten die Schweizer Heroinprojekte zwischen
CHF 55,- und 80,-, je nach Größe (Patientenzahl) und
Behandlungsintensität (Personal-/Patientenschlüssel).
Tab. 1 Patient(inn)encharakteristika
bei Eintritt
Stichproben über drei Zeitabschnitte
n = 141, 80 % Frauen,
20 % Männer
<TD VALIGN="TOP">
Alter
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</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
Dauer der Abhängigkeit
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Alter bis 25 J.:
</TD><TD VALIGN="TOP">
25 %
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
bis 4 Jahre:
</TD><TD VALIGN="TOP">
12 %
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Alter 26-30:
</TD><TD VALIGN="TOP">
35 %
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
5-9 Jahre
</TD><TD VALIGN="TOP">
45 %
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Alter 31-35:
</TD><TD VALIGN="TOP">
25 %
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
10-15 Jahre
</TD><TD VALIGN="TOP">
25 %
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Alter über 35:
</TD><TD VALIGN="TOP">
15 %
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
mehr als 15 Jahre
</TD><TD VALIGN="TOP">
15 %
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Arbeitssituation
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
zusätzlicher Drogenkonsum
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Vollzeit/Teilzeit/temporär
</TD><TD VALIGN="TOP">
23 %
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
Kokain
</TD><TD VALIGN="TOP">
75 %
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
arbeitslos
</TD><TD VALIGN="TOP">
30 %
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
Benzodiazepine
</TD><TD VALIGN="TOP">
40 %
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Rente
</TD><TD VALIGN="TOP">
17 %
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
nicht auf Arbeitssuche/delinquent
</TD><TD VALIGN="TOP">
30 %
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Schulden zwischen
Fr. 5 000,- und
Fr. 30 000,-
</TD><TD VALIGN="TOP">
70 %
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
HIV-Prävalenz
</TD><TD VALIGN="TOP">
23 %
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Sozialhilfeempfänger
</TD><TD VALIGN="TOP">
53 %
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
hauptsächlich illegales Einkommen/Grauzone
</TD><TD VALIGN="TOP">
57 %
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
Wechsel aus unstabiler Methadonbehandlung
</TD><TD VALIGN="TOP">
50 %
</TD>
Erfahrungen
Erfahrungen
Haltequote im Zokl2 über 6 Monate: 80 %
-
von 76 Eintritten von Januar 1994 bis März 1995: 30
Patient(inn)en im September 1999 noch im Programm
-
von 55 Eintritten von April 1995 bis März 1996: 28
Patient(inn)en im September 1999 noch im Programm
Tab.2 Austrittsgründe
<TD VALIGN="TOP">
abstinenzorientierte Therapie
</TD><TD VALIGN="TOP">
20 %
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
methadongestützte Behandlung
</TD><TD VALIGN="TOP">
41 %
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Abbruch
</TD><TD VALIGN="TOP">
26 %
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
andere Gründe
</TD><TD VALIGN="TOP">
13 %
</TD>
Generell verbesserte sich bei einem beträchtlichen Teil der
Patient(inn)en der psychische Zustand (v. a. Verminderung von
depressiven Störungen und Angstsymptomen) und die somatische Situation
(Verbesserung des Allgemeinzustands, Abnahme von Hautinfektionen etc.). Die
Verbesserung der sozialen Reintegration lässt sich vor allem an einer
eindrücklichen Reduktion der Delinquenz und einer Abnahme der Schulden,
der Zunahme von Kontakten außerhalb der Drogenszene und an der
Verbesserung der Arbeitsfähigkeit messen. Viele Veränderungen stellen
sich aber sehr oft erst nach zwei bis mehreren Jahren Behandlungsdauer ein,
nach einer Anfangsphase, geprägt durch Überlebenshilfe,
Kriseninterventionen, sozialarbeiterische Unterstützung und
Auseinandersetzungen um das Setting. Die vielen positiven Entwicklungen sollen
jedoch nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass es auch
langjährige Betreuungen gibt, bei denen keine wesentlichen
Veränderungen zu beobachten sind, die Betroffenen aber im Rahmen der
„harm reduction” vor dem weiteren Zerfall und vor dem Tod bewahrt
werden können.
Die Letalität unter heroingestützter Behandlung in der Schweiz liegt
wesentlich tiefer (ca. 1 % pro Jahr) als unter
methadongestützter Behandlung (ca. 2,5 % pro Jahr); beide
Behandlungsarten reduzieren die Sterblichkeit gegenüber nicht behandelten
Drogenabhängigen (5-10 % pro Jahr) äußerst
stark. AIDS-assoziierte Todesfälle standen mit 39 % im
Vordergrund, gefolgt von anderen somatischen Krankheiten (16 %),
Suiziden (11 %), Unfällen (8 %) und
Intoxikationen (6 %; nicht im Rahmen der Substitution).
Derzeitige Problemstellungen
Derzeitige Problemstellungen
Da Heroin oft in Kombination mit Kokain als Cocktail eingenommen
wird, stellt der Kokain-Beikonsum in den Projekten ein großes Problem
dar. Fundierte Erfahrungen mit Kokainsubstitution konnten nach einem kurzen
Versuch, der vorwiegend aus politischen Gründen abgebrochen wurde, nicht
gemacht werden. In der Schweiz, wie in den meisten Ländern Europas, geht
der Trend in der Drogenszene deutlich weg vom intravenösen Konsum zu
rauchbaren Praktiken und Sniffen. Unter der oralen Heroinsubstitution fehlt
aber vielen dieser sehr schwer abhängigen und marginalisierten
Patient(inn)en das Gefühl des „flash”, was sie oft mit
Kokaineinnahme zu kompensieren suchen. Eine rauchbare Heroinform zur
Substitution würde den Kokainkonsum bei etlichen Patient(inn)en
einschränken helfen. Weitere limitierende Faktoren in der Behandlung
stellen die strengen Auflagen an die Behandlung dar (Gesprächsfrequenz,
Mitgabebestimmungen etc.), welche es einer beträchtlichen Gruppe von stark
drogenabhängigen Menschen nicht möglich machen, an einer derart stark
strukturierten Behandlung teilzunehmen. Aus diesen Gründen sind in vielen
Heroinprojekten in der Schweiz Behandlungsplätze frei, obwohl eine
größere Gruppe, mit gescheiterten vorgängigen
Behandlungsversuchen, von einer heroingestützten Therapie profitieren
könnte.