„Der Mordtrieb..., in welchem eine
unwiderstehliche Begierde zu morden den Säufer dergestalt ergreift, dass
er gegen das bessere Wissen die Handlung begeht, nach Vollbringung derselben
aber die größte Betrübnis über die Tat an den Tag legt.
Mitunter ist es ihm ganz gleichgültig, wen er angreift, mitunter ist es
aber eine gewisse Person, welche er zu morden beabsichtigt. Man hat Beispiele
von Säufern, welche auf diese Weise ihre Frauen, Kinder, Eltern usw.
mordeten; oft behaupten sie, wenn sie wieder zur Besinnung gekommen sind, dass
eine Halluzination, eine Vision, gewöhnlich ein böser Geist sie zu
der Tat gezwungen oder dass eine Stimme ihnen befohlen habe so oder so zu
handeln” [1].
Einführung
Einführung
Übermäßiger Alkoholkonsum gilt schon seit langem als
ein gewichtiger Risikofaktor für antisoziales Verhalten
[1]
[2]. Der enge räumliche
und zeitliche Zusammenhang zwischen Alkoholtrinken, insbesondere
Alkoholintoxikation, und aggressivem Verhalten im Sinne einer
Risikoerhöhung und -verdichtung hat sich in einer
Vielzahl von experimentellen Studien und Felduntersuchungen bestätigen
lassen [siehe zusammenfassend: [3]
[4]. Bestimmte Substanzen sind besonders häufig mit
Gewaltverhalten assoziiert. Dies sind in erster Linie Psychostimulanzien und
Alkohol. Jedoch erst die massenhafte industrielle Produktion und der
flächendeckende Vertrieb, vor allem hochprozentiger Alkoholika, hat
Gewaltverhalten unter Alkoholeinfluss zu einem ernst zu nehmenden Problem im
Alltag der modernen Gesellschaft werden lassen.
Von allen psychoaktiven Drogen ist Alkohol wegen der hohen
Konsumraten am häufigsten mit Gewalt assoziiert [5]. Von den volkswirtschaftlichen Folgekosten durch
Alkoholprobleme entfallen mindestens 11,3 % auf Gewalthandlungen
unter Alkoholeinfluss und deren Folgen [6]. Sowohl
für Körperverletzungs- als auch für Tötungsdelikte
lässt sich aus den jahrhundertealten schwedischen Kriminalarchiven ein
langfristiger paralleler Verlauf zwischen der Deliktfrequenz und dem
Pro-Kopf-Alkoholkonsum der Gesamtbevölkerung [7]
aufzeigen. In der deutschen polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) standen 1998,
bezogen auf alle Delikte der Gewaltkriminalität, 25,3 % der
Tatverdächtigen zum Tatzeitpunkt unter Alkoholeinfluss. Für
gefährliche und schwere Körperverletzung lag die Quote bei
27,4 %, für Raubmord bei 30,2 %, für
Körperverletzung mit Todesfolge bei 34,5 % und für
Totschlag bei 40,8 % [8]. Es ergibt sich
also eine mit der Schwere des Gewaltdelikts steigende Alkoholisierungsquote
[vgl. [9]. Ob dieser Zusammenhang kausaler oder
rein korrelativer Natur ist, ist bis heute Gegenstand intensiver Forschung,
konnte jedoch bislang nicht endgültig geklärt werden. Es ist jedoch
wahrscheinlich, dass diese Bedingungen - je nach Subgruppe und
betrachteter Situation - zutreffend sein können, wobei häufiger
die korrelative Betrachtungsweise, d. h. Alkohol als ein Faktor unter
mehreren, adäquat sein dürfte.
Antisoziales Verhalten und Antisoziale
Persönlichkeitsstörung
Antisoziales Verhalten und Antisoziale
Persönlichkeitsstörung
Antisoziales Verhalten und die Antisoziale
Persönlichkeitsstörung (ASP) als Extremform antisozialen Verhaltens
sind sehr eng mit dem Konsum psychotroper Substanzen, insbesondere Alkohol,
assoziiert. Sie können als Vorläufer,
Begleitumstände und Konsequenzen von Alkoholmissbrauch und
-abhängigkeit auftreten. Unter antisozialen Verhaltensweisen werden solche
verstanden, die - beabsichtigt oder in Kauf nehmend - die
Beschädigung von Objekten oder die Schädigung anderer Menschen und
Lebewesen zur Folge haben. Wenn die Schädigung physischer Art ist, wird
dies als Gewaltverhalten definiert.
Die Antisoziale Persönlichkeitsstörung ist nach dem DSM-IV
dadurch definiert [10], dass ein tief greifendes Muster
von Missachtung und Verletzung der Rechte anderer besteht, das seit dem Alter
von 15 Jahren auftritt. Mindestens drei der folgenden Kriterien müssen
erfüllt sein:
Tab.
[1] Merkmale
der Antisozialen Persönlichkeitsstörung (ASP) nach dem
DSM-IV
Versagen, sich in Bezug auf
gesetzmäßiges Verhalten gesellschaftlichen Normen anzupassen,
was sich in wiederholtem Begehen von Handlungen äußert, die einen
Grund für eine Festnahme darstellen.
|
Falschheit, die sich in
wiederholtem Lügen, dem Gebrauch von Decknamen oder dem Betrügen
anderer zum persönlichen Vorteil oder Vergnügen äußert.
|
Impulsivität oder Versagen,
vorausschauend zu planen.
|
Reizbarkeit und Aggressivität,
die sich in wiederholten Schlägereien oder Überfällen
äußert.
|
Rücksichtslose Missachtung der
eigenen Sicherheit bzw. der Sicherheit anderer.
|
Durchgängige
Verantwortungslosigkeit, die sich im wiederholten Versagen zeigt, eine
dauerhafte Tätigkeit auszuüben oder finanziellen Verpflichtungen
nachzukommen.
|
Fehlende Reue, die sich in
Gleichgültigkeit oder Rationalisierung äußert, wenn die Person
andere Menschen gekränkt, misshandelt oder bestohlen hat.
|
Die Diagnose kann nur gestellt werden, wenn die Person mindestens 18
Jahre alt ist, eine Störung des Sozialverhaltens bereits vor der
Vollendung des 15. Lebensjahres erkennbar war und das antisoziale Verhalten
nicht ausschließlich im Verlaufe einer Schizophrenie oder einer manischen
Episode auftritt. Die Lebenszeitprävalenz für ASP in der
Allgemeinbevölkerung liegt bei 2,6 % [11]. Die Störung ist bei Männern dreimal
häufiger als bei Frauen.
Aggressionsprobleme bei Alkoholabhängigen
Aggressionsprobleme bei Alkoholabhängigen
Korrelative Studien zeigen einen deutlichen Zusammenhang zwischen
Alkoholkonsum und Gewaltverhalten [12]. Alkohol und
Gewaltverbrechen sind mit einer signifikant erhöhten Wahrscheinlichkeit
verbunden. Typologische Untersuchungen an Alkoholikern in stationärer
Behandlung haben immer wieder verdeutlicht, dass eine Subgruppe dieser Personen
erhebliche Aggressionsprobleme aufweist. Dementsprechend wurde mehrfach der
Typus des antisozialen Alkoholabhängigen beschrieben [
[13]
[14]. Von 231 zu Beginn der
Therapie untersuchten Patienten imponierten 36 Personen (15,6 %)
durch ein markant antisoziales Persönlichkeitsprofil [15]. Mittels Clusteranalysen waren 5 stabile Subgruppen
eruiert worden. Das Cluster mit den antisozialen Personen war durch folgende
Persönlichkeitszüge charakterisiert: Impulsivität,
Unbeherrschtheit, Minderwertigkeitsgefühle, Reizbarkeit, geringe
Frustrationstoleranz, egozentrisches Durchsetzen eigener Interessen,
Dominanzstreben, Misstrauen, Rigidität, Nichtbeachtung sozialer Normen.
Das Cluster besteht fast ausschließlich aus Männern
(97,2 %), weist außerordentlich viele Personen aus einer
suchtbelasteten Herkunftsfamilie (33,3 %) und Arbeitslose
(52,8 %) auf. Der Einstieg in die Suchtkarriere erfolgte von
allen Clustern zum frühesten Zeitpunkt [16].
Katamnestisch weist dieses Cluster die schlechteste Prognose auf: Nach
fünf Jahren wird eine Abstinenzquote von nur 30,6 %
(Gesamtgruppe: 39,4 %), nach zehn Jahren von 22,2 %
(Gesamtgruppe: 27,3 %) erreicht.
Andere Autoren liefern ähnliche Resultate: Von 59
Alkoholabhängigen in stationärer Behandlung berichteten
57,6 % wenigstens einen Akt physischer Gewalt gegen einen
Familienangehörigen in den letzten zwölf Monaten vor Therapiebeginn
[9]. Dieser Wert liegt um das 2,5fache höher als
der für nicht alkoholabhängige Vergleichspersonen.
In Orientierung an der bekannten Cloninger-Typologie, nach der einer
von zwei Typen durch fast ausschließlich männliche Personen mit
einen frühen Einstieg (< 25 Jahre) in die
Alkoholabhängigkeit vor dem Hintergrund häufiger familiärer
Suchtbelastung charakterisiert ist, fanden Koeter u. Mitarb.
[17] folgende Ergebnisse: Die Patienten, die vor dem
25. Lebensjahr eine Alkoholabhängigkeit entwickelt hatten, wiesen zu
87 % alkoholbezogene Delikte auf. Die Gruppe der Patienten, die
erst mit höherem Lebensalter eine Alkoholabhängigkeit entwickelt
hatte, wies einen Vergleichswert von 42 % auf.
In einer Untersuchung zu häuslicher Gewalt zeigte sich, dass
die 107 alkoholabhängigen Patienten in Behandlungseinrichtungen im
Vergleich mit 2143 Kontrollprobanden deutlich gewalttätiger waren:
83 % der Alkoholiker hatten sich in vergangenen
Partnerbeziehungen gewalttätig verhalten im Vergleich zu
28 % der Kontrollprobanden. 55 % der Alkoholiker
waren in ihrer Partnerbeziehung im letzten Jahr gewalttätig im Vergleich
zu 16 % der Kontrollprobanden [ [18].
Das Vorhandensein einer Antisozialen
Persönlichkeitsstörung als komorbide Diagnose bei
Alkoholabhängigen erhöht sich noch, wenn die Probanden in ihrer
Kindheit selbst Missbrauchserfahrungen erlitten haben (siehe Tab. [2]). Wie Windle u. Mitarb. [19]
anhand einer großen Patientengruppe (n = 802) zeigen
konnten, liegt die Komorbidität aus Alkoholabhängigkeit und ASP bei
Männern um über 20 Prozentpunkte und bei Frauen um über 15
Prozentpunkte niedriger, wenn die Patienten in ihrer Kindheit und Jugend keine
Missbrauchserfahrungen gemacht haben. Die Autoren betrachten folgerichtig
frühe Gewalterfahrungen als einen wesentlichen ätiologischen Faktor
bei der Entstehung komorbider Alkoholismus-/ASP-Störungen.
Tab.
[2] Das
Vorhandensein einer ASP-Diagnose bei alkoholabhängigen Patienten in
Therapie in Abhängigkeit von Missbrauchserfahrungen in der Kindheit
[19]
n = 802 Patienten in Therapie
|
kein Missbrauch
|
physischer Missbrauch
|
sexueller
Missbrauch
|
beide Missbrauchs-
formen
|
Frauen
|
11 %
|
26 %
|
29 %
|
38 %
|
Männer
|
29 %
|
49 %
|
48 %
|
60 %
|
Eine Studie zur Familiengeschichte alkoholabhängiger Patienten
erbrachte das Ergebnis, dass Personen mit elterlicher Abhängigkeit
signifikant häufiger von körperlicher und seelischer Gewalt im
Elternhaus berichten als Personen ohne suchtkranke Eltern [20]. Fast ein Drittel (32,5 %) der Personen
mit einem alkoholabhängigen Elternteil erlebte körperliche Gewalt
täglich oder oft im Vergleich zu 9,1 % bei Personen ohne
einen alkoholabhängigen Elternteil.
Komorbiditätsraten
Komorbiditätsraten
Von allen komorbiden Störungen ist die Antisoziale
Persönlichkeitsstörung am häufigsten mit Substanzmissbrauch
kombiniert [12]. Zahlreiche Studien deuten darüber
hinaus darauf hin, dass stark aggressives Verhalten oder
Betragensstörungen in der Kindheit Risikofaktoren für
Alkoholmissbrauch und gewalttätiges Verhalten im jungen Erwachsenenalter
sind [5].
Die meisten Untersuchungen mit klinischen Samples zeigen eine
Gesamtkomorbiditätsquote um 60 % [ [21], bei der dann wiederum die ASP die höchste
Einzelquote erreicht. Suchtkranke gelten als besonders gefährdet
hinsichtlich des Vorhandenseins einer impulsiven
Persönlichkeitsstörung (Antisoziale, Borderline, Histrionische und
Narzisstische Persönlichkeitsstörung). Die antisoziale
Persönlichkeitsstörung (ASP) ist am häufigsten von allen
Persönlichkeitsstörungen mit Substanzmissbrauch assoziiert. Der
Zusammenhang zwischen einer Substanzabhängigkeit als Achse-I-Störung
und ASP als Achse-II-Störung wurde in 40 Studien mit insgesamt 9828
Probanden untersucht [ [22]. Es ergab sich ein
Range für die Komorbiditätsraten zwischen Alkoholabhängigkeit
und ASP von 1 bis 52 % bei einem Median von 18 %.
Die gewaltigen Unterschiede resultieren aus der Verwendung unterschiedlicher
Diagnosemethoden, Diagnoseinstrumente und Stichproben.
Bei einer Gruppe von 148 konsekutiv aufgenommenen Patienten einer
stationären Therapieeinrichtung zeigt sich von allen komorbiden Diagnosen
die ASP mit 49 % als die häufigste [24]. Morgenstern u. Mitarb. [23]
fanden bei 366 Suchtmittelmissbrauchern in Therapie 22,7 % mit
der Diagnose Antisoziale Persönlichkeitsstörung (nach DSM-III-R).
Dabei gab es mit 25,7 % signifikant mehr Männer als Frauen,
deren Rate 9,1 % betrug. In einer methodenkritischen Studie
wurden 370 Alkoholabhängige zu Beginn einer stationären Behandlung
ausführlich diagnostisch untersucht [25]. Dabei
wurden diejenigen Symptome der ASP, die nur im Zustand der Alkoholintoxikation
zutreffend waren, ausgeschlossen, um den unabhängigen Einfluss der ASP auf
die Entstehung einer Alkoholabhängigkeit zu identifizieren. Unter den
strengeren Diagnosekriterien erreichten 27 %
(alkoholismusunabhängige Symptome), unter den erweiterten zusätzliche
18,4 % (substanzbezogene Symptome) eine komorbide ASP-
und Alkoholabhängigkeitsdiagnose. Zu den
ASP-Symptomen, die am häufigsten unter Alkoholintoxikation auftraten,
gehörten: Verstöße gegen das Gesetz, die Unwahrheit sagen,
häufiges Wechseln der Arbeitsstelle und unverantwortlicher Umgang mit
Geld. Die kombinierte Verwendung der unabhängigen und substanzbezogenen Symptome erbrachte eine deutliche
Verbesserung der Reliabilitäten (Kappa erhöhte sich von 0,32 auf
0,65).
In repräsentativen epidemiologischen Studien zur
Auftrittshäufigkeit und den Komorbiditätsraten der ASP zeigten sich
folgende Resultate [13]:
Die große repräsentative Studie zur Prävalenz
psychischer Störungen in der US-Bevölkerung, die Epidemiologic
Catchment Area Study ECA [11], erbrachte bei einer
Ausgangsstichprobe von 20 291 interviewten Personen eine
Lebenszeitprävalenz für alkoholbezogene Diagnosen von
13,5 % und für ASP von 2,6 %. Von allen
Personen mit einer alkoholbezogenen Diagnose weisen 14,3 % auch
eine ASP-Diagnose auf. Dies entspricht einer stark signifikanten Erhöhung
der Wahrscheinlichkeit im Verhältnis zur Basisrate nicht Suchtkranker
(Odds Ratio) von 21,0. Ähnlich hoch ist die Komorbiditätsrate mit
11,7 % auch im National Comorbidity Survey NCS
[26].
Bei den insgesamt 800 Probanden des St. Louis Health Surveys (SLHS)
ergab sich eine Lebenszeitprävalenz für ASP bei Männern von
6,4 %, bei Frauen von 0,9 %. In der jüngsten
Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen ist mit 8,4 % am
häufigsten eine ASP-Diagnose festzustellen. Bezüglich der
Komorbiditätsquoten sind 38 % der Probanden
alkoholabhängig bei gleichzeitigem Vorliegen einer ASP-Diagnose. Bei
weiteren 12 % der antisozial Gestörten liegt wenigstens eine
Verdachtsdiagnose auf Alkoholabhängigkeit vor.
Funktionalität des Alkoholkonsums
Funktionalität des Alkoholkonsums
Der Einfluss psychoaktiver Substanzen auf das Gewaltverhalten kann
als risikohaft auslösender und erleichternder (damit
auf jeden Fall begünstigender), aber nicht zwingend ursächlicher
Faktor angesehen werden. Alkoholkonsum als solcher hat wahrscheinlich nur
in einer geringen Zahl von Fällen direkten kausalen Einfluss auf das
Auftreten von Gewaltverhalten. Viel häufiger wird über die
Vermittlung mit genetischen und sozialen Faktoren sowie mit biochemischen,
neuropsychologischen und kognitiven Verarbeitungsmechanismen im Gehirn des
Menschen Alkoholkonsum zu einem potenten Risikofaktor im Sinne eines
Auslösers („trigger”) für Gewaltverhaltensweisen. Der
Alkohol weist dabei über verschiedene Wirkkonsequenzen entscheidende
Funktionalitäten zur Auslösung antisozialen Verhaltens auf. Dazu
gehören die Hemmung von Ängsten, die Einschränkung der
Wahrnehmung und die Stimulation psychomotorischer Funktionen [
[27].
Die Analyse von Gewaltakten bei Vorliegen einer Alkoholintoxikation
zeigt, dass meist ein verbaler Streit, bestehend aus Drohungen und
Einschüchterungen, vorausgeht. Dem folgt eine mehr oder weniger schnelle
Eskalation, die dann schließlich zu physischer Gewalt führen kann.
Entscheidend ist oft, dass die alkoholisierte Person sich provoziert
fühlt, was gerade als ein Resultat der veränderten kognitiven
Funktionen anzusehen ist. Höhere Alkoholdosen gehen mit einem
aggressiveren Reagieren auf Provokationen einher [4].
Das Opfer beginnt die Auseinandersetzung genauso oft wie der
alkoholintoxizierte Täter. Allerdings ist es die alkoholintoxizierte
Person, die häufiger eine Eskalation der Auseinandersetzung beschleunigt
[ [12].
Zu den psychologischen Risiken, die eine vermittelnde Rolle zwischen
Alkoholtrinken und Gewaltverhalten spielen können, zählen vor allem
die Erwartung an die aggressionsfördernde Wirkung und angstvermindernde
Wirkung des Alkohols sowie eine Zunahme der Euphorie und des unrealistischen
Denkens. So fanden Lang u. Mitarb. [ [28], dass
bei starken sozialen Trinkern allein die Erwartung in die Wirkung von Alkohol
aggressives Verhalten verstärkte.
Einzelresultate zum Zusammenhang zwischen Alkoholintoxikation und
Gewaltverhalten
Einzelresultate zum Zusammenhang zwischen Alkoholintoxikation und
Gewaltverhalten
Aggressive Handlungen sind bei ansteigender Blutalkoholkonzentration
wahrscheinlicher als bei absteigender [3],
[5]. Die Ursache hierfür wird darin gesehen, dass
in dieser Phase die stimulierenden und euphorisierenden Effekte des Alkohols am
stärksten sind. Im Alkoholentzug sind derartige Verhaltensweisen seltener,
auch wenn es im Entzugsdelirium zu unberechenbaren, gewalttätigen
Handlungen kommen kann. Die konsumierte Alkoholmenge scheint nur innerhalb
eines bestimmten „Korridors” von Blutalkoholkonzentrationen (BAK)
im Sinne einer kurvilinearen Funktion die Gewaltbereitschaft zu steigern. Sehr
niedrige und sehr hohe BAK-Werte legen eine niedrige, teilweise sogar
erniedrigte Gewaltbereitschaft nahe, während mittlere Werte von 0,15 bis
ca. 0,25 % BAK [ [29] das Risiko
für Gewaltverhalten steigern können. Innerhalb des Wirkungskorridors
erzeugen höhere Dosen Alkohol aggressiveres Verhalten als niedrigere Dosen
[3].
Sogar üblicherweise wenig betrachtete situative Variablen wie
die Temperatur der Umgebung haben einen Einfluss auf die alkoholassoziierte
Gewalt; entsprechende Verhaltensweisen steigen in ihrer Frequenz ab einer
Temperatur von knapp über 30 ˚C sprunghaft an
[30]. Bis zum 40. Lebensjahr überwiegen bei
Gewaltverbrechen die alkoholisierten Täter, während sich danach ein
umgekehrtes Verhältnis zeigt [29]. Die
Geschlechtsvariable scheint neben der Altersvariablen von fundamentaler
Bedeutung für die Bahnung bzw. Verhinderung von gewalttätigem
Verhalten unter Alkoholeinfluss zu sein. Viele Studien unterstreichen, dass
Männer eher zu exzessivem sozialen Trinken („binge
drinking”) tendieren als Frauen, unter dem sie dann auch häufiger
aggressives Verhalten zeigen. Auch die Untersuchungen zur familiären
Gewalt unterstreichen die wichtige Bedeutung des Alkoholtrinkens durch die
Väter und Ehemänner. Leonard u. Jacob [31]
fassen diesbezügliche Studien zusammen und kommen zu dem Ergebnis, dass
Alkoholisierungsquoten von 60 % bis 80 % bei
Männern aufzufinden sind, die ihre Frauen schlagen.
Theoretische Erklärungsmodelle
Theoretische Erklärungsmodelle
Unter den theoretischen Modellen zur Erklärung des
Zusammenhangs zwischen Alkohol und Gewalt dominierte lange Zeit die
Disinhibitionstheorie, derzufolge die Wirkung des Alkohols auf das Gehirn eine
Hemmung vieler Funktionen, so z. B. auch der Angst und der Unsicherheit,
erzeuge. Über den Weg der „Hemmung der Hemmung” werde auch
aggressives (oft zunächst nur verbales) und gewalttätiges Verhalten
gebahnt. Es bleibt dabei jedoch offen, warum in manchen Situationen Personen
Gewaltverhalten zeigen, während in anderen genau dies nicht geschieht oder
sogar mit Rückzug reagiert wird. Ganz offensichtlich gibt es jedoch keinen
Automatismus etwa in dem Sinne, dass erhöhter Alkoholkonsum zu
erhöhter Gewaltbereitschaft führen muss. Daher betonen neuere
Theorien die Wichtigkeit der zusätzlichen Berücksichtigung
differenzieller Faktoren und deren Interaktionen, wie z. B. der
konsumierten Alkoholmenge und -art, der neuropsychologischen Effekte des
Alkohols, der sozial-kognitiven Erwartungen an die Alkoholwirkungen, zugrunde
liegender oder koinzidenzieller Persönlichkeitsfaktoren und Dispositionen
sowie der jeweiligen Situations- und Kontextbedingungen. Die neueren
theoretischen Ansätze mit kognitivem Hintergrund können in drei
Hauptgruppen unterteilt werden [32]:
-
Anxiolyse: Diese Theoriengruppe greift
die traditionellen Überlegungen der Enthemmungstheorien wieder auf, dass
die Alkoholwirkung aufkommende Angstgefühle dämpft, was wiederum die
Auslösung aggressiver Impulse erleichtert.
-
Hemmungskonflikt: Hierbei kann ein
Verhalten von einer ganzen Reihe von Reizen („Cues”)
ausgelöst und von einer anderen Reihe von Reizen gehemmt werden, wobei die
beiden Reizgruppen vom Individuum konflikthaft erlebt und verarbeitet werden.
Die Alkoholwirkung engt nun die kognitiven Wahrnehmungs- und
Informationsverarbeitungskapazitäten ein, so dass die intoxizierte Person
mit geringerer Aufmerksamkeit Reize verarbeitet. Dadurch reagiert sie in einer
potenziellen Konfliktsituation nur noch auf die besonders herausragenden Cues.
Dies kann wegen der dann geringeren Differenziertheit der Wahrnehmung eine
Begünstigung der verhaltensbahnenden statt der hemmenden Cues und damit
eine aggressive Reaktion zur Folge haben.
Beiden Theorien gemein ist die Vorstellung, dass sich die Reaktion
auf hemmende Reize unter Alkohol- und Drogenintoxikation verändert, und
zwar meist verringert, was eine erhöhte Gewaltbereitschaft zur Folge haben
kann.
-
Selbstaufmerksamkeit: Diese dritte
Theorie betrachtet Situationen verstärkter Aufmerksamkeit für
hemmende Reize. Selbstbezogenheit wird als ein Zustand verstanden, in dem ein
selbstregulatorischer Prozess beginnt, der auf Selbstannahmen, Selbstbild und
Selbstkonzept beruht und diese konsistent zu erhalten bestrebt ist. Im
intoxizierten Zustand speichern Personen nach dieser Theorie jedoch weniger
selbstrelevante Informationen ab, so dass sie eher von äußeren
Reizen und deren Bewertung gesteuert werden. So wird erklärt, dass
Personen, die sich im nüchternen Zustand eher wenig aggressiv verhalten,
unter Alkoholeinfluss leichter aggressives Verhalten zeigen, da sie dann
weniger ihren inneren Standards folgen müssen.
Therapieansätze bei komorbiden Alkoholabhängigen
Therapieansätze bei komorbiden Alkoholabhängigen
Um die Effektivität von Suchttherapien weiter zu verbessern,
scheint die Integration des Themas der Komorbidität mit aggressiven
antisozialen Störungen in entsprechende Therapiekonzepte
unerlässlich. Während schon seit Jahren die Rolle der Opfer von
Gewalttaten (z. B. im Bereich des sexuellen Missbrauchs bzw. der
sexuellen Misshandlung) zu Recht thematisiert wird, stellt die Behandlung des
Gewalttäters ein anscheinend viel größeres Tabu dar. Bislang
sind erst einzelne Ansätze bekannt, die auf den Zusammenhang zwischen
Alkoholabhängigkeit und ASP fokussieren [33]
[34]. Bisweilen geschieht diese Arbeit auch im Rahmen des
Straf- und Maßregelvollzugs.
Manche Praxisansätze gehen davon aus, dass
Alkoholabhängige je nach Ätiologie aggressiv über- bzw.
unterkontrolliert sind [ [33] und dementsprechend
unterschiedliche Hilfeangebote brauchen. Die Überkontrollierten sollen die
Fähigkeit erlernen, sich ohne Alkoholeinfluss angemessen aggressiv zu
behaupten, während sich die Unterkontrollierten mehr Impuls- und
Verhaltenskontrolle in frustrierenden Situationen aneignen sollen. Nolting
[35] listet folgende Methoden der effektiven
Aggressionskontrolle auf:
-
die Veränderung der Anreger bzw. Auslöser für
Aggressionen,
-
eine alternative Bewertung der Anreger für aggressives
Verhalten (z. B. durch kognitive Umstrukturierung),
-
die Förderung der Aggressionshemmungen,
-
die Förderung der Alternativen zu aggressivem
Verhalten.
Schließlich sind in jüngerer Zeit integrative
Ansätze unter dem Stichwort
„Anti-Aggressivitäts-Training” für Gewalttäter
[36] entwickelt worden. Diese behandeln
Gewalttäter im Strafvollzug, die häufig unter Alkoholeinfluss
straffällig wurden. Im Zentrum des multimethodalen Trainings stehen
konfrontative, erlebnisaktivierende und kognitive Verfahren.
Schlussbetrachtung
Schlussbetrachtung
Alkoholmissbrauch und antisoziales Verhalten gehören zu den
schwerwiegendsten Problemen moderner Gesellschaften, einzeln betrachtet und
noch mehr in ihrer häufig auftretenden Kombination und Koinzidenz. Dies
gilt für öffentliche Räume (z. B. Volksfeste,
Diskotheken, Fußballspiele) als auch für den sozialen Nahraum
(Partnerschaften, Familien). Die präventiven und therapeutischen
Bemühungen, der kombinierten Problematik Alkoholmissbrauch und
antisozialer Störungen gerecht zu werden, sind noch allzu rudimentär
ausgeprägt. Katamnesen im Bereich der stationären Einrichtungen haben
wiederholt deutlich schlechtere Effizienzquoten für die komorbiden
Patienten erbracht [15]
[37].
Therapeutische Einrichtungen im Suchtbereich sollten ihre Ergebnisqualität
durch routinemäßige Screeningdiagnostik auf antisoziale Tendenzen
und anschließende differenzielle Therapiemaßnahmen (in Form von
Einzel- und Gruppenbehandlung) verbessern.