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DOI: 10.1055/s-0045-1802260
Let's talk about Sex: ein Workshop zur HIV/STI-Prävention und Beratung im Öffentlichen Gesundheitsdienst
Hintergrund: Die Prävention von HIV und anderen sexuell übertragbaren Infektionen (STIs) wird in Deutschland seit Mitte der 1980er Jahre in erfolgreicher Arbeitsteilung von staatlichen und nichtstaatlichen Akteur*innen in Bund, Ländern und Gemeinden mit vielfältigen Maßnahmen – von Kampagnen über On- und Offline-Informationsvermittlung bis zu Beratungsangeboten – durchgeführt. Dabei unterliegen die Angebote einer steten Weiterentwicklung, die den Wandel von Aids bzw. der HIV-Infektion als einer tödlichen Krankheit hin zu einer behandelbaren chronischen Infektion berücksichtigt und die epidemiologische Situation der HIV-Infektionen und STIs kontinuierlich einkalkuliert.
Neben HIV haben andere STIs und Virushepatitiden in verschiedenen Zielgruppen schon seit den 80er-Jahren eine Rolle gespielt, waren aber neben der tödlichen Erkrankung Aids in ihrer Bedeutung in den Hintergrund getreten. Mit der guten Behandelbarkeit und der Vielfalt der Schutzmöglichkeiten vor einer HIV-Infektion kommt anderen STIs heute wieder eine größere Rolle zu. Auf Grundlage des Konzepts der sexuellen Gesundheit gewinnen zudem neue Präventions-, Diagnostik- und Therapieansätze an Bedeutung.
Dabei kommt – neben Präventionsangeboten von staatlichen und nichtstaatlichen Akteur*innen inklusive des Ausbaus der Beratungs- und Testangebote – der ärztlichen Versorgung im Kontext von HIV/STIs eine steigende Bedeutung zu. Neue Impfungen und Screening-Strategien, aber auch die Präexpositionsprophylaxe (PrEP) zum Schutz vor HIV erfordern die medizinische Betreuung durch Ärzt*innen. In der STI-Prävention ist die Test- und Behandlungsbotschaft „Bei Symptomen zum*zur Ärzt#ast#in (oder einer Beratungsstelle, die auch Tests anbietet)“ zentraler Bestandteil und wird zunehmend um die Aufforderung, sich auch ohne Symptome regelmäßig testen zu lassen, ergänzt.
Der Öffentliche Gesundheitsdienst als „dritte Säule“ des Gesundheitswesens mit seiner subsidiären und sozialkompensatorischen Ausrichtung hat eine wichtige Rolle im Kontext der HIV/STI-Prävention sowie Förderung der sexuellen Gesundheit. So haben z.B. Menschen aus HIV-Prävalenzgebieten und Sexarbeiter*innen in Deutschland häufig keinen oder nur erschwerten Zugang zur gesundheitlichen Regelversorgung. Auch diese – in ihren jeweiligen Lebenswelten-haben individuelle Bedarfe und mehrere „Schubladen“ – sind nicht nur Migrant*innen, geflüchtete Menschen oder Sexarbeiter*innen mit sozialen und ggfls. psychischen Problemen, sondern möglicherweise zugleich auch eine drogengebrauchende trans* Person, ein schwuler Sexarbeiter ohne legalisierten Aufenthaltstitel etc. Sie benötigen auch in Einrichtungen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes individualmedizinische Beratung und Betreuung.
Für eine gute Versorgung ist im Kontext der HIV/STI-Prävention und –Behandlung die Kommunikation zwischen Ärzt*innen/Berater*innen und Patient*innen zentral. In vertrauensvollen Gesprächen über Sexualität, unterschiedliche sexuelle Orientierungen und Lebenswelten und individuellen psychosozialen Herausforderungen liegt die Chance, Gesundheitsrisiken besser einzuschätzen, die richtige Diagnostik anzubieten sowie präventiv zu beraten. Hierin liegt der Schlüssel für eine gelingende Versorgung.
Doch Reden über Sexualität fällt oft beiden Seiten nicht leicht und kann vielerlei Fragen aufwerfen (Verhoeven 2013)[1]. Und auch wenn sich ein Großteil der Patient*innen wünscht, dass ihre Ärzt*innen sie auf ihre Sexualität ansprechen (Meystre-Agustoni 2011)[2], ist eine strukturierte Sexualanamnese in der ärztlichen Versorgung nicht Standard (Brenk-Franz, Brähler, Hoy, Schneider, Strauß 2023)[3].
Das Programm „Let’s talk about Sex“ – ein Aus-, Fort- und Weiterbildungsprogramm der Deutschen Aidshilfe (DAH)
Seit 2010 bietet die DAH das, in Kooperation mit der Deutschen Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV-Infizierter e. V. (dagnä), der Deutschen STI-Gesellschaft e. V. (DSTIG), der Deutschen AIDS-Gesellschaft e. V. (DAIG) und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), erarbeitete Veranstaltungsprogramm „Let’s talk about Sex – HIV/STI-Prävention in der ärztlichen Praxis“ (s. https://www.hiv-sti-fortbildung.de) an. Das Programm wird kontinuierlich evaluiert und weiterentwickelt und hat zum Ziel dass niedergelassene Ärzt*innen, Klinikpersonal, Praxisteams, Medizinstudierende, Dozent*innen der Humanmedizin und seit 2024 auch Mitarbeiter*innen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes:
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den Beratungsbedarf von Patient*innen zu HIV/STIs besser erkennen
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kommunikative Kompetenz erhöhen, über Sexualität zu sprechen
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klinisches Wissen zu Diagnostik und Übertragungswegen von HIV und anderen STIs vertiefen
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Lebenswelten von Menschen mit erhöhtem HIV/STI-Risiko kennenlernen und dabei Vorurteile als mögliche Barrieren in der Diagnostik und Therapie abbauen
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ihre Verweiskompetenz zu praktizierenden Ärzt*innen, sexual(therapeutischer) und psychosozialer Beratung, (Community)-Beratungsstellen für LSTBIQ* sowie lokalen Aidshilfe incl. der communitygeführten STI-Teststellen (Check-Points) erhöhen.
Die Aus-, Fort- und Weiterbildungsmodule, die von communitynahen Trainer*innen – praktizierenden Ärzt*innen, Psycholog*innen, Sexualberater*innen und Therapeut*innen – durchgeführt werden, sind für Ärzt*innen als Fortbildung in der Kategorie C mit 4 Punkten zertifiziert. Sie tragen das Gütesiegel der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin für gute hausärztliche Fortbildung. Das Programm wurde ferner von der WHO als Gutes Praxis Beispiel in das „Compendium of good practices in the health sector response to HIV in the WHO European Region“ aufgenommen.
Im Workshop stellen die Referent*innen
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das Aus-, Fort- und Weiterbildungsprogramm vor
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präsentieren anhand exemplarischen Übungs- und Fallbeispielen ein System der HIV/STI-fokussierenden Sexualanamnese, dass in ärztlicher und medizinisch/präventiv beratender Arbeit verwendet werden kann
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diskutieren mit den Workshopteilnehmer*innen die Relevanz des Themas für ihre praktische Arbeit sowie Möglichkeiten der themenrelevanten Fort- und Weiterbildung
Ziele und Inhalt: Im Workshop wird es den Teilnehmenden ermöglicht, sich praxisnah mit den Herausforderungen und Möglichkeiten der zielgruppennahen, auf STIs fokussierenden Sexualanamnese auseinanderzusetzen sowie Fortbildungsmöglichkeiten im Rahmen des Aus- und Fortbildung zu diskutieren. Im interaktiven Hauptteil werden Informationen zu Risikowahrscheinlichkeiten für eine Transmission von STIs in unterschiedlichen Settings sowie Besonderheiten bei der Beratung von LSTBIQ*-Personen praxisnah vorgestellt. In interaktiven Übungen und Q&A-Einheiten wird die Möglichkeit gegeben, Erfahrungen aus dem beruflichen Alltag einzubringen, passende Kommunikationsstrategien kennenzulernen und seine eigene Haltung zu Sexualität zu hinterfragen.
Publication History
Article published online:
11 March 2025
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